VwGH 95/20/0117

VwGH95/20/01175.6.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des G in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Dezember 1994, Zl. 4.345.510/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §8;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Kurde moslemischen Glaubensbekenntnisses und Staatsangehöriger des Irak, reiste am 28. November 1994 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 7. Dezember 1994 Asyl. Bei seiner Einvernahme am 16. Dezember 1994 gab er an, er sei 1970 in Sulaimaniya geboren worden, habe bis 1987 die Volksschule und eine höhere Schule in Dukan besucht und ab 1987 in Sulaimaniya studiert, wo er zuletzt als Kunstbildhauer ausgebildet worden und tätig gewesen sei. Seit 1988 habe er in einem Flüchtlingscamp gelebt, weil sein Dorf zerstört worden sei. Sulaimaniya sei außerhalb der "Schutzzone" für Kurden, und es bestehe daher immer die Gefahr, daß die Regierungstruppen kommen und den dort lebenden Kurden Gewalt antun würden. In die "Kurdenzone" sei er nicht gegangen, weil dort die "islamische Partei" das Sagen habe und jeden töten könne. Der Beschwerdeführer habe zusammen mit anderen Künstlern einen Kulturverein gegründet, wodurch er besonders gefährdet gewesen sei. Am 1. Februar 1994 habe er in Sulaimaniya (und somit, wie aus dem Zusammenhang zu schließen ist, außerhalb der von ihm gemeinten "Kurdenzone") einen Vortrag über die negative Auswirkung des Islam auf die Kurden gehalten. Ein anwesender Mullah habe ihm erklärt, daß er ein Heide sei und unmoralische Sachen verbreite, weshalb man ihn ("uns", also offenbar den Beschwerdeführer und Gleichgesinnte) umbringen müsse. Am 12. Februar 1994 sei er wegen des erwähnten Vortrages von der "islamischen Bewegung" verhaftet worden. Zwei Monate und 20 Tage später sei er befreit worden, weil Talabani die Islamisten besiegt habe. Er sei damals sogar im Fernsehen interviewt worden. Daß er erst im August 1994 das Land verlassen habe, erkläre er damit, daß die Situation nach seiner Befreiung "zunächst ruhig" gewesen sei, dann seien aber "die Islamisten mit Hilfe des Barzani zurückgekommen". Wenn er in Sulaimaniya zunächst mehrere Jahre hindurch habe studieren können, ohne daß ihm etwas passiert sei, dies zuletzt aber nicht mehr zugetroffen habe, so liege dies daran, daß er sich eben weiterentwickelt habe. Zum Vorhalt, daß die gespannte politische Situation alle treffe, die dort lebten, und warum er glaube, persönlich verfolgt zu werden, gab der Beschwerdeführer (nun offenbar auf Sulaimaniya bezogen) an, daß "eben die Islamisten an der Macht" seien und ihn töten könnten. Das könne natürlich jedem anderen auch passieren. Die ganze Situation sei schwierig. Er habe eigentlich nicht fliehen wollen, es aber tun müssen, weil die Situation so schwer gewesen sei. Die Frage, ob er sonst noch irgendwelche Schwierigkeiten schildern könne, die sein Leben gefährden würden, beantwortete er damit, daß er "in Gefahr" gewesen sei und seinen Beruf nicht habe ausüben dürfen, letzteres deshalb, weil der Islam es nicht zulasse. Zum Vorhalt, er schildere die Situation so, als ob der Islam "in Kurdistan" die Regierungsgewalt stelle, was aber nicht zutreffe, gab er an, daß "die Islamisten an der Grenze zum Iran das Sagen" hätten. Ins Landesinnere zu gehen, sei "finanziell nicht möglich", das Land sei eben arm.

Mit Bescheid vom 19. Dezember 1994 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers u.a. deshalb ab, weil der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

In seiner Berufung machte der Beschwerdeführer u.a. geltend, er sei der Verfolgung durch die "islamische Liga" ausgesetzt gewesen und es gebe dagegen im irakischen Kurdengebiet keinen Schutz. Die islamische Liga habe in der gesamten Kurdenregion ihre bezahlten Kontaktleute, die ihn liquidieren könnten. Durch sein öffentliches Auftreten sei er zur Zielscheibe dieser Organisation geworden. Er bitte um nochmalige Prüfung seiner Angaben, insbesondere "Beischaffung entsprechender objektiver Informationen über die Situation in der autonomen irakischen Kurdenzone zur Untermauerung der Glaubwürdigkeit und Richtigkeit meiner Angaben". In weiteren Ausführungen wandte sich der Beschwerdeführer gegen die Heranziehung des Ausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 durch das Bundesasylamt. Daran schloß sich - ohne nähere Angabe von Beweisthemen - folgendes Beweisanbot:

"durchzuführende Anfrage an den UNHCR; einzuholendes Sachverständigengutachten des Ludwig Boltzmann-Institutes für Menschenrechte, Möllwaldplatz 4, 1040 Wien sowie ein Gutachten der deutschen Sektion von Amnesty International,

Postfach 170229, 5300 Bonn 1". Schließlich stellte der Beschwerdeführer hilfsweise für den Fall der (Bestätigung der) Abweisung seines Asylantrages den näher begründeten "Antrag", die "Asylbehörde" möge ihm gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1991 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Begründet wurde dies im wesentlichen damit, daß die Verfolgung von staatlichen Stellen ausgehen oder der Staat zur Schutzgewährung nicht willens oder außerstande sein müsse, als Verfolgung nur Maßnahmen aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen und von einem bestimmten Ausmaß an "Intensität und Qualität" anzusehen seien und die vom Beschwerdeführer "geschilderten Ereignisse ... diesen Ansprüchen sicher nicht gerecht werden" könnten. Es müßten konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden. Die Gefahr einer Verfolgung durch irakische Behörden habe für den Beschwerdeführer im Kurdengebiet nicht bestanden. Was die "Spannungen" zwischen den dort tätigen Parteien anlange, so träfen die daraus resultierenden schwierigen Lebensbedingungen alle dort lebenden Menschen in gleicher Weise. Die Ereignisse nach dem Vortrag des Beschwerdeführers am 1. Februar 1994 würdigte die belangte Behörde wie folgt:

"Auch der im Gefolge eines am 1.2.1994 von Ihnen in Sulaimaniya gehaltenen Vortrages erfolgte verbale Angriff eines Mullah ist nicht geeignet, eine asylrelevante Verfolgung Ihrer Person zu begründen, ist doch eine solche Äußerung nicht als eine vom Heimatstaat provozierte und geförderte Maßnahme, sondern als eine rein persönliche Aussage einer Privatperson zu werten. Dieser Sachverhalt und Ihre behauptete zweimonatige Haftstrafe sind für die Beurteilung der wohlbegründeten Furcht unerheblich, weil diese bis zur Ausreise am 22.8.1994 nicht angedauert hat, zumal aus Ihrem Vorbringen zu entnehmen war, daß Sie nach diesem, aus der örtlichen politischen Situation entspringenden, Ereignis in Ruhe gelassen worden seien."

Nach Ausführungen darüber, weshalb der Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 nicht mehr herangezogen werde, führte die belangte Behörde noch aus:

"Den in Ihrem Berufungsvorbringen gestellten Anträgen zur Einholung von diversen Gutachten über die allgemeine, menschenrechtliche und politische Lage im Irak war nicht nachzukommen, da daraus konkrete, gegen Sie selbst gerichtete Verfolgungshandlungen, welche ja, wie oben ausgeführt, glaubhaft gemacht werden müssen, nicht zu erwarten gewesen sind und daher auch kein im wesentlichen anders lautender Bescheid zu erlassen gewesen wäre. Näher war auf Ihr Berufungsvorbringen gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in der geltenden Fassung nicht einzugehen."

Der Beschwerdeführer sei daher nicht Flüchtling. Seiner "Anregung" auf Bewilligung des befristeten Aufenthalts gemäß § 8 Asylgesetz 1991 sei nicht entsprochen worden, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hiefür nicht gegeben seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Unter den Gesichtspunkten der Unzuständigkeit und einer Verletzung von Verfahrensvorschriften wendet sich die Beschwerde dagegen, daß die belangte Behörde über den auf § 8 Asylgesetz 1991 gestützten Antrag "negativ entschieden" habe, obwohl dafür das Bundesasylamt zuständig gewesen wäre, und daß dieser Antrag ohne eine dem § 60 AVG entsprechende Begründung "abgewiesen" worden sei. Diese Ausführungen gehen schon insofern ins Leere, als die Behörde über den "Antrag" nicht spruchmäßig entschieden, sondern nur die Begründung ihrer Berufungsentscheidung durch den Hinweis ergänzt hat, der "Anregung" des Beschwerdeführers sei nicht entsprochen worden. Im übrigen kann zur Frage der Zuständigkeit auf das Erkenntnis vom 7. November 1995, Zl. 95/20/0081, und zu der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs fehlenden Möglichkeit einer Rechtsverletzung durch ein nicht näher begründetes Absehen von der Erteilung einer Berechtigung nach § 8 Abs. 1 Asylgesetz auf die Erkenntnisse vom 19. Dezember 1995, Zl. 95/20/0543, vom 28. November 1995, Zl. 95/20/0033, und vom 10. Oktober 1995, Zl. 94/20/0800, jeweils mit weiteren Nachweisen, verwiesen werden.

Was die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers anlangt, so macht er als inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend, die belangte Behörde sei davon ausgegangen, daß wohlbegründete Furcht im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 erst vorliegen könne, wenn schon Verfolgungshandlungen gesetzt wurden, und habe deshalb nicht erkannt, daß der Beschwerdeführer "taugliche Gründe" vorgebracht habe. Diese Kritik bezieht sich auf Teile der Bescheidbegründung, für deren Richtigkeit sich die belangte Behörde auf die bei Steiner, Österreichisches Asylrecht (1990), Seite 30, und im besonderen auf das dort zitierte Erkenntnis vom 8. November 1989, Zlen. 89/01/0287 bis 0291, beruft. Bei Steiner und in dem genannten Erkenntnis geht es im Zusammenhang mit den "Verfolgungshandlungen", die der Asylwerber glaubhaft machen müsse, nicht um deren Abgrenzung von der bloßen Gefahr solcher Handlungen, sondern um die Definition der "Verfolgung", auf die sich die "wohlbegründete Furcht" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK und des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 beziehen muß. Die belangte Behörde bedient sich der daraus gewonnenen Leitsätze in Verbindung mit den vom Beschwerdeführer "geschilderten Ereignissen", die "diesen Ansprüchen sicher nicht gerecht" würden. Damit ist der Begründungszusammenhang auch hier nicht der, daß die Glaubhaftmachung wohlbegründeter FURCHT VOR Verfolgung entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut nicht ausreiche.

In inhaltlichem Zusammenhang mit der "Tauglichkeit" seiner Asylgründe führt der Beschwerdeführer - unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften - noch aus, die Bescheidbegründung sei widersprüchlich. Diese Kritik wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde, im Nordirak sei "die Gefahr einer individuellen Verfolgung DURCH IRAKISCHE BEHÖRDEN ausgeschlossen". Dies stehe im Widerspruch zum Zugeständnis, es sei "bis dato lediglich zu einigen wenigen Verletzungen der Sicherheitszone im Grenzbereich des 36. Breitengrades" gekommen. Treffe letzteres zu, so sei die Gefahr einer individuellen Verfolgung durch irakische Behörden "somit also nicht ausgeschlossen".

Auf die Schlüssigkeit sowohl der wiedergegebenen Ausführungen der belangten Behörde als auch der Kritik daran braucht nicht eingegangen zu werden, weil die Verfolgung durch irakische Behörden nicht der Grund ist, den der Beschwerdeführer für seine Flucht aus dem Nordirak - im übrigen nicht aus der Flugverbotszone nördlich des 36. Breitengrades, sondern aus dem südlich davon gelegenen Teil des kurdisch beherrschten Gebietes - genannt hatte. Daß Sulaimaniya in einem Gebiet liege, wo immer die Gefahr bestehe, daß Regierungstruppen kämen, war nur Teil der einleitenden Beschreibung der allgemeinen Lage durch den Beschwerdeführer (der dazu, welche "Kurdenzone" er wegen der dort bestehenden Bedrohung durch Islamisten von vornherein gemieden habe, im übrigen nicht näher befragt wurde). Die Kritik der Beschwerde geht daher ebenso ins Leere wie die Ausführungen der belangten Behörde zur fehlenden "Gefahr einer individuellen Verfolgung durch irakische Behörden" im Nordirak.

Als letztes Argument rügt die Beschwerde noch eine "Verletzung des Parteiengehörs", die darin liege, daß die belangte Behörde den "Anträgen" des Beschwerdeführers zur "Einholung von diversen Gutachten über die allgemeine, menschenrechtliche und politische Lage im Irak" nicht nachgekommen sei. Auf diese Kritik ist schon deshalb nicht näher einzugehen, weil die belangte Behörde ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen hatte (§ 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991). Daß einer der Fälle des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 vorgelegen wäre, versucht die Beschwerde in diesem Zusammenhang nicht darzutun.

Daß die geltend gemachte Verfolgung DURCH "ISLAMISTEN" nicht richtig beurteilt worden sei, greift die Beschwerde - im Gegensatz zur Berufung - nicht auf. Zum Inhalt dieses (tragenden) Teils der Bescheidbegründung ist im Rahmen des Beschwerdepunktes auszuführen, daß die Annahme, der "verbale Angriff eines Mullah" sei die "rein persönliche Aussage einer Privatperson" gewesen, bei Berücksichtigung der nachfolgenden Festnahme des Beschwerdeführers nicht entscheidungswesentlich sein kann. Die belangte Behörde geht aber davon aus, die von ihr (ohne Hinweis auf angenommene Rechtsgrundlagen der Haft) als "Haftstrafe" bezeichnete Festhaltung des Beschwerdeführers sei "unerheblich", weil die darauf gegründete Furcht des Beschwerdeführers nicht bis zu seiner Ausreise im August 1994 angedauert habe. Begründet wird dies damit, daß aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers "zu entnehmen" gewesen sei, er wäre nach der Beendigung seiner Haft "in Ruhe gelassen worden". Dieser Argumentation tritt der Beschwerdeführer mit keinem Wort entgegen, sodaß es einer Prüfung der Frage, inwieweit sein Vorbringen auch eine andere Deutung erlaubt hätte, nicht bedarf.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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