Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 2. Mai 1992 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 11. Mai 1992 Asyl. Mit Bescheid vom 7. September 1992 stellte die Sicherheitsdirektion Wien fest, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968). Dieser Bescheid wurde aufgrund der Berufung des Beschwerdeführers vom 28. Juli 1994 durch die Berufungsvorentscheidung der Sicherheitsdirektion Wien vom 5. September 1994 mit der Begründung aufgehoben, daß an den Beschwerdeführer noch keine rechtswirksame Ladung zu einer Einvernahme im Asylverfahren ergangen sei.
Am 3. November 1994 wurde der Beschwerdeführer einer "Zusatzbefragung" zu seinem Asylantrag unterzogen. Gegenstand dieser Einvernahme war vor allem, warum der Beschwerdeführer die im August 1992 (in der Niederschrift wiederholt, aber irrtümlich: 1994) an ihn gerichtete (nach dem Inhalt der Berufungsvorentscheidung nicht rechtswirksam zugestellte) Ladung nicht befolgt habe. Dem Beschwerdeführer wurde aber auch vorgehalten, daß er das Reisedokument, mit dem er sich ausgewiesen habe, in Österreich zweimal bei der türkischen Botschaft abgegeben habe, um es verlängern zu lassen. Die daran anschließende Frage, ob er "dabei Schwierigkeiten mit den türkischen Behörden gehabt" habe, verneinte der Beschwerdeführer mit der Begründung, die "dortigen Beamten" hätten vermutlich seine "Vorgeschichte nicht gekannt".
Einer Ladung zu einer weiteren Einvernahme am 17. November 1994 leistete der Beschwerdeführer nach dem Inhalt des Aktenvermerkes von diesem Tag nicht Folge.
Mit Bescheid vom 21. November 1994 sprach die Sicherheitsdirektion Wien daraufhin aus, der Asylantrag vom 11. Mai 1992 werde "gemäß § 19 Abs. 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, abgewiesen". Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei der Ladung für den 17. November 1994 nicht nachgekommen, ohne sich vorher entschuldigt zu haben. Der Rest der Begründung bestand in einer Wiedergabe von Inhalten der §§ 19 Abs. 1 und 14 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung mit der Begründung, er sei am 17. November 1994 pünktlich bei der Behörde gewesen, habe aber keinen Aufruf seiner Sache vernehmen können.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde, die Berufung des Beschwerdeführers werde abgewiesen und Österreich gewähre ihm kein Asyl.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde - erwogen hat:
Im angefochtenen Bescheid kommt § 19 Abs. 1 Asylgesetz 1991 nicht vor. Nach einem Hinweis auf das Datum der Einreise und das der Asylantragstellung führt die belangte Behörde aus, die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien habe den Asylantrag "abgewiesen". Es folgen die durch den Wortlaut des zitierten § 25 Abs. 2 erster Satz Asylgesetz 1991 nicht gedeckte und insoweit auch nicht näher begründete Rechtsbehauptung, nicht nur AM, sondern auch ("bzw.") NACH dem 1. Juni 1992 bei der belangten Behörde anhängig gewesene Verfahren seien (entgegen der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, auf die nicht Bezug genommen wird) nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 zu Ende zu führen, und eine Darstellung der Voraussetzungen für eine Asylgewährung nach § 3 Asylgesetz 1991. Daran anschließend wird festgestellt, das "durchgeführte Ermittlungsverfahren", und zwar "insbesondere" auch die "niederschriftliche Einvernahme" des Beschwerdeführers, hätte ergeben, daß er nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Dem folgen Rechtsausführungen darüber, wann eine "begründete Furcht vor Verfolgung" anzunehmen sei. Auf Ermittlungsergebnisse, die dieser Annahme im vorliegenden Verfahren entgegenstünden, wird nicht Bezug genommen. Dafür wird - im demnach tragenden Teil der Begründung - dargestellt, daß der Beschwerdeführer wegen der zweimaligen Verlängerung seines Reisepasses durch die türkische Botschaft in Österreich unter Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention falle, was in Verbindung mit den vorangegangenen Rechtsausführungen über die Voraussetzungen einer Asylgewährung nach § 3 Asylgesetz 1991 erkennbar bedeuten soll, dem Beschwerdeführer sei nach § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 kein Asyl zu gewähren.
Abschließend kommt die belangte Behörde auf die Frage nach dem anzuwendenden Recht zurück. Dazu wird - erneut ohne Erwähnung der gegenteiligen, seit dem Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831, ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - die Auffassung vertreten, der Verfassungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom 16. Dezember 1992, Zl.(en) 131387 (gemeint: B 1387), 1542/92, "schlüssig dargelegt", bei der Ansicht, in einem Fall wie dem des Beschwerdeführers sei das Asylgesetz (1968) anzuwenden, handle es sich um eine "Verkennung der Rechtslage". Der im vorliegenden Fall von der belangten Behörde herangezogene Ausschließungsgrund stehe aber auch einer Asylgewährung nach dem Asylgesetz (1968) entgegen.
Der Beschwerdeführer beantragte am 11. Mai 1992 Asyl, worüber am 7. September 1992 erstmals in erster Instanz entschieden wurde. Am 1. Juni 1992 war das Verfahren daher in erster Instanz anhängig. Ein derartiges Verfahren ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz 1991 "nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen". Zur Tragweite dieser von der belangten Behörde in ihre Erwägungen nicht einbezogenen Bestimmung und zu den gegenteiligen Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in dessen Entscheidung vom 16. Dezember 1992 kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das erwähnte, ausführlich begründete Erkenntnis vom 31. März 1993 verwiesen werden, das der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in dieser Frage zugrunde liegt (zustimmend Rohrböck, Das Asylgesetz 1991, Seite 230 bis 233). Die Ansicht einer Verwaltungsbehörde, es handle sich dabei um eine "Verkennung der Rechtslage", gibt nicht Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen.
Trotz ihres Beharrens auf der Anwendbarkeit des Asylgesetzes 1991 unterläßt es die belangte Behörde, ihren Bescheid auf § 19 Abs. 1 Z. 1 dieses Gesetzes zu stützen. Mit der Unterlassung jedweder Prüfung der Frage, ob die Behörde erster Instanz diese Vorschrift zu Recht anwandte, und der Abweisung der Berufung (in Wahrheit: des Asylantrages) aus dem Grunde des § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 verkennt die belangte Behörde aber den Gegenstand ihres Verfahrens:
In seinem Erkenntnis vom 30. Juni 1994, Zlen. B 1219/93, 1698/93 und 397/94, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, § 19 Abs. 1 Asylgesetz 1991 bediene sich in seinen einleitenden Formulierungen ("in jedem Stand des Verfahrens abzuweisen") einer "verfehlten Terminologie". Die Bestimmung sei verfassungskonform, weil sie so ausgelegt werden könne, daß das Wort "abzuweisen" nicht "im technischen Sinn", sondern im Sinn von "zurückzuweisen" zu verstehen sei. Diese "Interpretation" vermeide ein dem Art. 11 Abs. 2 B-VG widersprechendes Ergebnis.
Folgt man dieser Auslegung, der sich der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach angeschlossen hat (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 29. November 1994, Zl. 94/20/0129, vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0402, und vom 19. Dezember 1995, Zl. 95/20/0007), so war der Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 21. November 1994 im Sinne der vom Verfassungsgerichtshof zitierten Erläuterungen zu § 19 Asylgesetz 1991, wonach die Behörde in diesen Fällen nicht "in die Sache selbst eingehen" müsse, seinem Inhalt nach ein verfahrensrechtlicher Bescheid, mit dem der Asylantrag des Beschwerdeführers durch Zurückweisung erledigt wurde. "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG und Gegenstand des Verfahrens vor der belangten Behörde war daher die Gesetzmäßigkeit der Zurückweisung und nicht der Inhalt des zurückgewiesenen Antrages (vgl. dazu das Erkenntnis vom 25. April 1951, Slg. Nr. 2066/A, die Erkenntnisse vom 17. März 1983, Zl. 81/08/0205, und vom 31. Jänner 1985, Zl. 84/08/0213, sowie aus jüngster Zeit die Erkenntnisse vom 21. Juni 1994, Zl. 93/07/0079, und vom 28. April 1995, Zl. 93/18/0221). Die Entscheidung über letzteren kam der belangten Behörde nicht zu.
Durch die von ihr gewählte Vorgangsweise hat die belangte Behörde daher die gesetzlichen Schranken ihrer Tätigkeit mißachtet, den Instanzenzug in unzulässiger Weise verkürzt und ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war (vgl. auch dazu die zitierten Erkenntnisse).
Auf die Gegenschrift war nicht näher einzugehen, weil der Gegenstand des Verfahrens darin (wie im angefochtenen Bescheid) nicht erkannt wird. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird sich die belangte Behörde - in Bindung auch an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes, daß das Asylgesetz 1991 im vorliegenden Fall nicht anzuwenden ist - auf die Auseinandersetzung mit der Frage zu beschränken haben, ob die Sicherheitsdirektion Wien den Asylantrag des Beschwerdeführers zurückweisen durfte.
Von einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
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