VwGH 95/20/0101

VwGH95/20/01019.5.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Jänner 1995, Zl. 4.340.551/6-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
AsylG 1991 §3;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC;
FrG 1993 §36 Abs1;
Rechtsstellung der Flüchtlinge Protokoll 1974 Art1 Abs2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
AsylG 1991 §3;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC;
FrG 1993 §36 Abs1;
Rechtsstellung der Flüchtlinge Protokoll 1974 Art1 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Jänner 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 17. August 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 25. August 1992 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. September 1992 abgewiesen.

Das Bundesasylamt hatte den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 25. August 1992 abgewiesen, der Bundesminister für Inneres wies die dagegen erhobene Berufung erstmals mit dem Bescheid vom 20. August 1993 ab. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof und stellte den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. September 1993, Zl. AW 93/01/0628, aufgrund mangelnder Angaben des Beschwerdeführers im Antrag nicht stattgegeben. Der Verwaltungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 10. Oktober 1994, Zl. 94/20/0155, den Bescheid vom 20. August 1993 auf.

Der Beschwerdeführer teilte durch seinen Rechtsfreund mit Schreiben vom 4. Jänner 1995 der belangten Behörde mit, daß er im September 1993 in die Türkei abgeschoben worden sei. Im Schriftsatz erstattete er ein weiteres Vorbringen betreffend die gegen ihn gerichtete Verfolgung und ersuchte, "durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen und zu gewährleisten, daß mein Mandant wieder nach Österreich zurückkehren kann und hier den Ausgang seines Asylverfahrens abwarten kann". Mittels Aktenvermerk vom 10. Jänner 1995 bestätigte die belangte Behörde, daß der Beschwerdeführer am 15. September 1993 in die Türkei abgeschoben wurde.

Die belangte Behörde erließ daraufhin den nunmehr angefochtenen Bescheid, wobei sie zum einen die Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme als unglaubwürdig bezeichnete und sich zum anderem darauf berief, daß sich der Beschwerdeführer seit

September 1993 wieder in seinem Heimatland befinde. Aus der Legaldefinition des Flüchtlings im § 1 "Abs. 1" Asylgesetz 1991 ergebe sich, daß ein Fremder nur dann Flüchtling sein kann, wenn er sich außerhalb seines Heimatlandes bzw. außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befinde. Da der Beschwerdeführer sich jedoch seinen eigenen Angaben zufolge in seinem Heimatland befinde, könne er auch deswegen nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes 1991 sein.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde erwogen:

Die belangte Behörde weist zwar auf die niederschriftliche Befragung vom 16. September 1992 vor dem Bundesasylamt hin, faßt aber die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nicht zusammen. Dies ist im gegenständlichen Fall insoferne von wesentlicher Bedeutung, als der Beschwerdeführer sowohl einen inhaltlich umfangreich ausgeführten schriftlichen Asylantrag gestellt hat, als auch am 16. September 1992 vor dem Bundesasylamt ausführlich niederschriftlich einvernommen wurde.

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muß in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, WELCHER SACHVERHALT DER ENTSCHEIDUNG ZUGRUNDE gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhalts unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete. Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid bereits dadurch nicht gerecht, als ihm nicht entnommen werden kann, welchen Sachverhalt die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat. Dies ist im konkreten Fall umso bedeutsamer, als die Behörde aus - nicht näher ausgeführten - divergierenden Zeitangaben und - stellt man auf das Gesamtvorbringen des Beschwerdeführers in erster Instanz ab - aus dem Zusammenhang gerissenen Detailangaben den Schluß ableitet, der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt erweise sich "in mancher Hinsicht" als unplausibel.

Da die belangte Behörde nicht die Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz übernommen hat (welche darüber hinaus bereits in der Berufung als unvollständig gerügt wurden) und die Behörde nur einen Teil der Angaben des Beschwerdeführers herangezogen hat, um den Schluß der Unplausibilität und Unglaubwürdigkeit zu ziehen, ist nicht erkennbar, welchen Sachverhalt die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat und ob sie hiebei auf alle wesentlichen Punkte im Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren Bedacht genommen hat. Die aus dieser nicht ausreichenden Sachverhaltsfeststellung gezogenen Schlüsse erweisen sich damit als unüberprüfbar.

Die belangte Behörde hat daher diesbezüglich den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Damit wäre für den Beschwerdeführer jedoch nichts gewonnen, wenn sich die - diesbezüglich auch sachverhaltsmäßig begründete - Annahme der belangten Behörde, die Abschiebung des Beschwerdeführers in sein Heimatland und sein Aufenthalt dortselbst seit September 1993 bewirke, daß der Beschwerdeführer das Tatbestandselement der Flüchtlingskonvention ("... sich außerhalb seines Heimatlandes befindet ...") nicht erfülle, sodaß er deswegen nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes 1991 sein könne, als richtig erwiese.

Flüchtling gemäß § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, SICH AUßERHALB SEINES HEIMATLANDES BEFINDET und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Diese Definition stimmt inhaltlich mit dem ersten Absatz des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention überein.

Fraglich ist im konkreten Fall, ob der Beschwerdeführer durch die - unfreiwillige - Rückkehr (Abschiebung) in sein Heimatland zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde die Voraussetzungen des § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991 noch erfüllt.

Der Beschwerdeführer hat bekanntgegeben, daß eine im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 von der Behörde aufzugreifende Änderung des Sachverhalts eingetreten ist, indem er seine Abschiebung in die Türkei und seinen darauf folgenden Aufenthalt in seiner Heimat bekanntgab. Da diese Tatsachenmitteilung durch den Beschwerdeführer selbst erfolgte (und sich durch Ermittlung der belangten Behörde lediglich bestätigte), brauchte die belangte Behörde diesbezüglich nicht neuerlich Parteiengehör zu gewähren und dem Beschwerdeführer den von ihm selbst bekanntgegebenen geänderten Sachverhalt nicht vorzuhalten.

Die Änderung des Sachverhaltes erfolgte nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und vor Erlassung des gegenständlichen (nach Aufhebung des Bescheides des Bundesministers für Inneres vom 20. August 1993) erforderlichen (Ersatz-)Bescheides.

Generelle Voraussetzung für die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft ist, daß sich der im Besitz einer Staatsangehörigkeit befindliche Antragsteller außerhalb des Landes dieser Staatsangehörigkeit befindet. Es gibt KEINE AUSNAHMEN von dieser Regel. Internationaler Schutz kann nicht gewährt werden, SOLANGE sich eine Person unter der territorialen Hoheit des Heimatlandes befindet (vgl. diesbezüglich ua die Ausführungen des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge im Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Rz 88).

Der Beschwerdeführer hat aber sein Heimatland verlassen und befand sich zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung in Österreich. Er erfüllte somit zu diesem Zeitpunkt die Tatbestandsvoraussetzung des Flüchtlingsbegriffes, daß er sich "außerhalb seines Heimatlandes befindet".

Dieses Tatbestandselement des Flüchtlingsbegriffes wurde durch das Asylgesetz 1991 unverändert aus der Genfer Flüchtlingskonvention übernommen. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention hängt aber untrennbar mit den Bestimmungen des Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention zusammen (vgl. Grahl-Madsen, The status of refugees in international law I, Seite 151), welche die Voraussetzungen abschließend regeln, unter denen die Genfer Flüchtlingskonvention auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnitts A fällt, NICHT MEHR angewendet wird. Daraus ist ableitbar, daß eine Person, welche einmal die Tatbestandselemente der Flüchtlingsdefinition des Art. 1 erfüllt hat (abgesehen vom Datum 1. Jänner 1951; diesbezüglich wird auf Art. I Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, hingewiesen), so lange Flüchtling bleibt, bis sie unter eine der Verlustklauseln fällt (vgl. Grahl-Madsen, aaO., Seite 369).

Von den Verlusttatbeständen des Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention interessieren im vorliegenden Fall nur die Ziffern 1 bis 4. Die hierin genannten Tatbestände sind durch das Element der Freiwilligkeit gekennzeichnet. Im gegenständlichen Fall bedeutet dies, daß nur auf eine Person, die sich freiwillig wieder in ihr Heimatland begeben hat, die Genfer Flüchtlingskonvention nicht mehr anzuwenden ist.

Im Gegensatz zu einer freiwilligen Rückkehr einer solchen Person auf Dauer in das Land, das sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat, kann die gegen ihren Willen erfolgende Abschiebung in das Land der behaupteten Verfolgung die einmal entstandene Flüchtlingseigenschaft nicht vernichten (vgl. zu diesen völkerrechtlichen Aspekten das Urteil des deutschen BVerwG vom 26. Juni 1984, Zl. 9 C 196.83).

Es trifft auch nicht zu, daß dem wieder im Verfolgerland befindlichen Fremden mit einer etwaigen Asylanerkennung nach der Abschiebung Rechte gewährt würden, die mit dem Völkerrecht nicht zu vereinbaren seien. Denn die Asylgewährung beträfe lediglich ein außerhalb seines Heimatlandes wirkendes und damit kein völkerrechtswidriges externes Asyl. Asyl kann auch zugunsten eines sich im Verfolgerland Aufhaltenden gewährt werden, ohne die Souveränität dieses Landes zu berühren. Die zwischen einer Person, welcher Asyl gewährt wird, und dem Asylland entstehenden Rechtsbeziehungen, wie zB die Aufenthaltserlaubnis, entfalten erst im Fall der (Wieder-)Einreise des Begünstigten rechtliche Wirkungen. Die dem Asylwerber im Falle seiner Anerkennung gewährten Begünstigungen werden nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts erteilt. Das Völkerrecht sieht hiefür keine Schranken vor, solange es sich nicht, wie etwa bei einer Reklamation fremder Staatsangehöriger als eigene, um Rechtsmißbrauch und damit einen Verstoß gegen ein allgemeines Verbot handelt, daß das jedem Staat zustehende Recht, die Voraussetzungen der Asylgewährung zu bestimmen, beschränkt (vgl. nochmals das Urteil des dt. BVerwG vom 26. Juni 1984, Zl. 9 C 196.83).

Die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention für den Verlust der Flüchtlingseigenschaft sind nach § 2 Abs. 2 Z. 1 AsylG 1991 auch für die Entscheidung über die Asylgewährung nach diesem Gesetz zu beachten. Einem politisch Verfolgten, der in Österreich Asyl beantragt hat, darf die Gewährung von Asyl daher nicht deshalb versagt werden, weil er im Zeitpunkt der Entscheidung über sein Asylbegehren wieder in das Verfolgerland abgeschoben war.

Diesbezüglich erweist sich der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Da eine Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit einer Aufhebung wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

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