VwGH 95/19/0338

VwGH95/19/033817.10.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde des J in S, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Mai 1995, Zl. 115.031/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

ALöschG 1934 §1;
ALöschG 1934 §2;
AnfO §2;
AufG 1992 §2 Abs1;
AufG 1992 §2 Abs2;
AufG 1992 §2 Abs6;
AufG 1992 §3 Abs1;
AufG 1992 §4 Abs1;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §5;
AufG 1992 §6 Abs1;
AVG §37;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z2;
FrG 1993 §7 Abs3;
GmbHG §84 Abs1 Z4;
KO §28;
EMRK Art8 Abs1;
VwRallg;
ALöschG 1934 §1;
ALöschG 1934 §2;
AnfO §2;
AufG 1992 §2 Abs1;
AufG 1992 §2 Abs2;
AufG 1992 §2 Abs6;
AufG 1992 §3 Abs1;
AufG 1992 §4 Abs1;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §5;
AufG 1992 §6 Abs1;
AVG §37;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z2;
FrG 1993 §7 Abs3;
GmbHG §84 Abs1 Z4;
KO §28;
EMRK Art8 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Mai 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß §§ 4 und 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer gedenke eine selbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Sein Unterhalt solle allein durch diese gesichert werden. Unterlagen darüber, welches Einkommen aus der beabsichtigten Tätigkeit erzielt werden könne, seien nicht vorgelegt worden.

Unbestritten sei, daß das Gesetz der Behörde einen Ermessensspielraum einräume, wobei aus den §§ 2 und 3 AufG klare Kriterien für die Art und Weise ableitbar seien, wie dieser Spielraum genutzt werden solle. Die vom Beschwerdeführer in Aussicht genommene Tätigkeit könne zweifellos von österreichischen Unternehmen angeboten werden, sodaß kein Bedarf an zusätzlichen Anbietern bestehe. Der (auf § 4 Abs. 1 AufG gestützten abweislichen) Ermessensentscheidung der erstinstanzlichen Behörde sei daher im Ergebnis beizupflichten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Der Beschwerdeführer beantragt, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 5 Abs. 1 AufG darf eine Bewilligung Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde von sich aus (initiativ) zu belegen, daß er über die zur Bestreitung seines Unterhaltes erforderlichen Mittel verfügt. Es liegt daher im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Fremden, sein Einkommen der Höhe nach zu beziffern und auch durch entsprechende Nachweise zu bescheinigen. Nur dadurch kommt er seiner Obliegenheit gemäß § 6 Abs. 1 AufG nach, glaubhaft zu machen, daß kein Ausschließungsgrund im Sinne des § 5 leg. cit. vorliegt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1996, Zl. 96/19/0857). Diese Darlegungspflicht darf aber andererseits nicht dahingehend überspannt werden, daß der Fremde vorweg zur Zerstreuung aller denkmöglichen Zweifel an der Verfügbarkeit der Unterhaltsmittel verpflichtet wäre (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1995, Zl. 95/19/0296).

Die belangte Behörde hat nun ihre abweisliche Entscheidung - soweit sie sich auf § 5 Abs. 1 AufG gründet - allein darauf gestützt, daß es der Beschwerdeführer unterlassen habe, Unterlagen darüber vorzulegen, welches Einkommen aus der von ihm beabsichtigten Tätigkeit erzielt werden könne. Diese Annahme ist aktenwidrig, weil sich der Beschwerdeführer auf den Bezug von Geschäftsführergehalt in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer einer inländischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung in der Höhe von S 10.000,-- monatlich berufen (vgl. Seite 3, 13, und 40 des Verwaltungsaktes) und die Richtigkeit dieser Behauptung durch Vorlage einer vom Steuerberater dieser Gesellschaft ausgestellten Bestätigung (vgl. Seite 13 des Verwaltungsaktes) bescheinigt hat.

Die aufgezeigte Aktenwidrigkeit betrifft einen wesentlichen Punkt im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a VwGG, weil der Beschwerdeführer durch die Vorlage dieser Bezugsbestätigung seiner Obliegenheit zur initiativen Darlegung seiner Unterhaltsmittel hinreichend nachgekommen ist. Ansprüche eines Fremden, die ihm als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zustehen, sind geeignet, seinen Lebensunterhalt unabhängig von der Erzielung eines Bilanzgewinnes durch die Gesellschaft schon dann zu sichern, wenn diese voraussichtlich für die Dauer der Bewilligung über ausreichende Mittel zur Erfüllung dieser Ansprüche verfügt, ohne daß die Gefahr einer Rückforderung solcher Zahlungen als Folge einer Anfechtung nach §§ 28 ff KO oder §§ 2 ff AnfO besteht.

Gänzliche Mittellosigkeit oder eine anfechtungsrelevante Vermögens- oder Liquiditätssituation einer werbenden Gesellschaft mit beschränkter Haftung (vgl. hiezu auch die §§ 1, 2 des Amtslöschungsgesetzes, BGBl. Nr. 10/1991, und § 84 Abs. 1 Z. 4 GmbHG) stellen den Ausnahms- und nicht den Regelfall dar. Einen diesbezüglichen Verdacht der Aufenthaltsbehörde muß der Fremde daher nicht vorweg initiativ zerstreuen. Er böte vielmehr Anlaß für die Einleitung amtswegiger Ermittlungen, in deren Zuge den Fremden allerdings eine Mitwirkungspflicht träfe. Solche Ermittlungen hat die Behörde im vorliegenden Fall jedoch nicht angestellt.

Da nach dem Vorgesagten dem Verwaltungsgerichtshof die Wesentlichkeit der aufgezeigten Aktenwidrigkeit auch ohne entsprechende Darlegungen in der Beschwerde erkennbar ist, war dieser Verfahrensmangel von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. September 1984, Zl. 84/02/0030).

Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall unter Anführung des § 4 AufG im Spruch des angefochtenen Bescheides ihre abweisliche Entscheidung auch auf das ihr bei der Erteilung von Bewilligungen zustehende freie Ermessen gestützt. Dabei bezeichnete sie die Ermessensentscheidung der erstinstanzlichen Behörde lediglich im Ergebnis als richtig, woraus folgt, daß sie die Gründe für die erstinstanzliche Ermessensentscheidung nicht übernehmen wollte.

Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Bescheiden, die im Ermessen der Verwaltungsbehörde liegen, gilt den sogenannten Ermessensfehlern. Ein solcher liegt dann vor, wenn das der Ermessensübung durch die Behörde zugrundeliegende Verwaltungsverfahren mangelhaft ist (formelle Ermessensfehler) oder wenn von der Verwaltungsbehörde bei der Ermessensübung der Sinn des Gesetzes nicht beachtet wurde (materielle Ermessensfehler) (vgl. dazu Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 131 f.).

Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (17. Mai 1995) hatte die belangte Behörde die Rechtslage vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 anzuwenden.

Gemäß § 4 Abs. 1 erster Satz AufG kann Fremden unter Beachtung der gemäß § 2 erlassenen Verordnungen sowie unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in dem Land des beabsichtigten Aufenthaltes eine Bewilligung erteilt werden, sofern kein Ausschließungsgrund vorliegt. Daß die Beachtung der gemäß § 2 erlassenen Verordnungen die belangte Behörde an der Erteilung einer Bewilligung gehindert hätte, ist der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu entnehmen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob § 4 Abs. 1 AufG nach der hier relevanten Rechtslage während offener Quote eine Grundlage für eine abweisliche Ermessensentscheidung mit der Begründung bilden könnte, daß die Quote voraussichtlich durch geeignetere Bewerber ausgeschöpft werde, oder bloß eine solche für das Zuwarten mit der Entscheidung bis zur Klärung dieser Umstände (Erreichen oder Nichterreichen der gemäß § 2 Abs. 1 AufG festgelegten Anzahl durch Erteilung von Bewilligungen an geeignetere Bewerber, wobei im erstgenannten Fall die abweisende Entscheidung auf § 9 Abs. 3 letzter Satz a.F. AufG zu stützen gewesen wäre).

Den Gesetzesmaterialien zu § 2 AufG (525 BlgNR 18. GP) ist zu entnehmen, daß die Quoten Höchstzahlen darstellen, DIE KEINESWEGS AUSGESCHÖPFT WERDEN MÜSSEN. § 2 Abs. 2 AufG ermächtige DAHER Landeshauptmänner von Ländern mit einem überdurchschnittlichen Ausländeranteil, die Ausschöpfung der Länderquoten näher zu regeln. Dieser Formulierung ist zu entnehmen, daß die Ermächtigung der Landeshauptmänner in § 2 Abs. 2 AufG nicht die Gesetzesgrundlage für die Beurteilung, die Quoten stellten Höchstzahlen dar, ist, sondern als eine im Interesse der Schaffung der Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Ermessensspielraumes der Aufenthaltsbehörden gebotene Folge der in § 2 Abs. 1 erster Satz leg. cit. getroffenen Anordnung ("die höchstens erteilt werden dürfen") angesehen wurde. Daraus ist der Grundsatz zu entnehmen, daß die Behörden unabhängig davon, ob eine Verordnung des Landeshauptmannes nach § 2 Abs. 2 AufG ergangen ist - was hier für das Bundesland Wien nicht der Fall war -, nicht verhalten waren, die für Fremde, die nicht unter § 3 Abs. 1 a.F. AufG fielen, geschaffenen Quoten auszuschöpfen. So sprechen auch die Materialien zu § 4 AufG davon, daß das Ermessen der Behörde nach dieser Gesetzesbestimmung durch die Verordnung gemäß § 2 AufG, ebenso wie etwa durch § 5 AufG, BEGRENZT ist.

§ 4 Abs. 1 AufG ermächtigt daher die Behörde, einen Bewilligungsantrag abzuweisen, auch wenn der Fremde unter Berücksichtigung der Zahl der übrigen Bewerber in der Quote durchaus Platz fände. § 4 Abs. 1 AufG nennt die "Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in dem Land des beabsichtigten Aufenthaltes" als einziges Kriterium für eine in Ansehung solcher Fremder getroffenen Ermessensentscheidung. Damit sind die in § 2 Abs. 1 a.F. AufG umschriebenen Verhältnisse im Land des beabsichtigten Aufenthaltes gemeint. Deren Berücksichtigung ist aber bereits durch die Bundesregierung bei der Aufteilung der Quoten gemäß § 2 Abs. 2 AufG erfolgt. Auch zwischenzeitlich geänderte Verhältnisse wären nach § 2 Abs. 6 AufG schon von der Bundesregierung zu berücksichtigen. Für sich allein genommen stellt daher auch der zweite Tatbestand des § 4 Abs. 1 erster Satz AufG nur ein Kriterium für eine Ermessensentscheidung dar. Diese hat nach dem Vorgesagten so zu erfolgen, daß die in analoger Anwendung des § 7 Abs. 3 des Fremdengesetzes (FrG) heranzuziehenden PERSÖNLICHEN Verhältnisse und die dadurch begründeten Interessen des Fremden an der Erteilung einer Bewilligung, soweit diese nicht ohnedies schon aus dem Grunde des Art. 8 Abs. 1 MRK der Versagung der Bewilligung entgegenstehen, den im § 2 Abs. 1 a.F. AufG umschriebenen besonderen Verhältnissen im Land des beabsichtigten Aufenthaltes gegenüberzustellen sind. Ergibt diese Abwägung infolge der Geringfügigkeit der für die Erteilung sprechenden persönlichen Interessen des Fremden, daß die sich aus der Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in dem Land des beabsichtigten Aufenthaltes ergebenden öffentlichen Interessen an einer Verweigerung der Bewilligung, mögen letztere auch der Erteilung einer Bewilligung an Fremde mit intensiveren persönlichen Interessen nicht entgegenstehen, überwiegen, kann eine auf § 4 Abs. 1 AufG gestützte abweisliche Entscheidung ergehen.

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer dargetan, Gesellschafter und Geschäftsführer einer inländischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu sein, und damit wichtige persönliche Interessen an einem Aufenthalt im Inland geltend gemacht. Die belangte Behörde vermeinte nun, einer Bewilligung stünden öffentliche Interessen insoweit entgegen, als die von der Gesellschaft angebotenen Leistungen auch von "österreichischen Unternehmen" erbracht werden können, sodaß kein Bedarf an zusätzlichen Anbietern bestehe. Dabei verkannte die belangte Behörde, daß sie im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung nicht berechtigt war, ihre gemäß § 2 Abs. 1 a.F. AufG nicht zu berücksichtigenden gewerbepolitischen Zielvorstellungen, noch dazu ungeachtet der durch die Gewerbeordnung 1994, BGBl. Nr. 194/1994, geschaffenen Gesetzeslage, zu verwirklichen.

Nach der Aktenlage übt die Gesellschaft, deren Geschäftsführer der Beschwerdeführer ist, ein freies Gewerbe aus und ist gemäß §§ 5 Abs. 1 und 2 Z. 3, 9 Abs. 1, 339 Abs. 1 und 340 Abs. 4 GewO 1994 aufgrund der durch den Gewerbeschein (vgl. Seite 28 des Verwaltungsaktes) beurkundeten Anmeldung hiezu auch berechtigt. Ein öffentliches Interesse, sie daran durch die Verweigerung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an ihren Geschäftsführer zu hindern, besteht daher nicht.

Indem sie bei ihrer Entscheidung die Wertungsgesichtspunkte des Gesetzes außer acht ließ, ist der belangten Behörde ein Ermessensfehlgebrauch anzulasten, sodaß der angefochtene Bescheid in Ansehung des Versagungsgrundes nach § 4 Abs. 1 AufG inhaltlich rechtswidrig ist.

Der angefochtene Bescheid war daher aus dem gegenüber § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a VwGG prävalierenden Grund des § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung wäre die Vorlage des angefochtenen Bescheides in einfacher Ausfertigung ausreichend gewesen.

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