VwGH 95/19/0008

VwGH95/19/000825.1.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des K in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Dezember 1994, Zl. 4.345.292/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Dezember 1994 wurde die Berufung des staatenlosen Beschwerdefühers, der am 18. August 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 20. Oktober 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 7. November 1994 abgewiesen.

Der Beschwerdeführer brachte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 3. November 1994 vor: Er habe zuletzt in Blida in Algerien gewohnt, welches ein Zentrum der islamischen Fundamentalisten sei. Er sei Christ. Obwohl es zur Ausübung der christlichen Religion keine Möglichkeit in der vom Islam geprägten Umwelt gegeben habe, hätten die Menschen in Blida gewußt, daß er Christ sei. Er habe sich nicht an die islamischen Bräuche und Feiertage gehalten, so habe er nie eine Moschee besucht. Er sei nicht Mitglied einer islamischen Gruppierung gewesen und habe sich insbesondere geweigert, der Groupe islamique arme (GIA) beizutreten. Sein Denken und Handeln sei von Gewaltlosigkeit und Verständigung bestimmt gewesen. Nichtmoslems unterlägen schweren sozialen Sanktionen, islamische Gruppen verübten Gewalttaten gegenüber nichtislamischen Minderheiten. Er habe sich als Nichtmoslem von seiner islamisch-orthodoxen Umwelt deutlich unterschieden, was er nach außen durch seine Lebensweise kundgetan habe. Er habe eben nie eine Moschee besucht und auch nicht die vielen anderen Verpflichtungen einhalten können, die einem Moslem aufgrund seiner Religion erwachsen.

Über Befragen der Erstbehörde und des bei der niederschriftlichen Einvernahme anwesenden Vertreters des Beschwerdeführers stellte sich heraus, daß der Beschwerdeführer die christliche Religion nicht aktiv ausgeübt habe, man ihm nicht beigebracht habe, wie man Kirchenfeste feiere, und daß der Beschwerdeführer keine christlichen Werte nennen könne.

Der Beschwerdeführer gab weiters an, daß seine Angst aufgrund der Bekanntheit seiner Religionszugehörigkeit gewachsen sei und er immer mehr befürchtet habe, Opfer von Verfolgungen zu werden. Auslöser seiner Furcht sei die Ermordung eines befreundeten Journalisten durch radikale Moslems gewesen. Dieser Journalist habe sich in einem Zeitungsartikel positiv über die Zusammenarbeit zwischen Israel und der PLO ausgesprochen. Der Beschwerdeführer habe sich eine Woche nach dessen Ermordung gezwungen gesehen, das Land zu verlassen. Die staatlichen Behörden Algeriens könnten keinen Schutz vor Verfolgung durch radikale islamische Gruppierungen bieten, deren Gewalt sich vorwiegend gegen Intellektuelle, aber auch gegen Bauern und Arbeiter richte.

In der Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen den oben wiedergegebenen Sachverhalt.

Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid ab und begründete, daß der Beschwerdeführer "nicht einmal ansatzweise eine konkrete, gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung behauptet" habe. Seine Behauptung, Christ zu sein, sei wegen fehlender Grundkenntnisse dieser Religion unglaubwürdig. Doch selbst bei angenommener Angehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft wären die allgemeinen Benachteiligungen nicht so schwerwiegend, daß sie die Lebensgrundlage des Asylwerbers massiv bedroht hätten. Die Tötung des befreundeten Journalisten sei asylrechtlich nicht relevant, weil es sich hiebei nicht um einen gegen den Beschwerdeführer selbst gerichteten Nachteil handle. Darüberhinaus sei die Freundschaft zu diesem Journalisten wegen der allgemein gehaltenen Darstellungen nicht glaubwürdig. Weiters habe der Beschwerdeführer keine Tätigkeit behauptet, die "eine politische Nuance" gehabt hätte. Letztlich seien die befürchteten Racheakte durch islamische Fundamentalisten keiner staatlichen Stelle des Landes des Aufenthaltes des Beschwerdeführers zurechenbar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltendmachende Beschwerde erwogen:

Zentraler Aspekt des von § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 aus Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Zurechnungssubjekt der Verfolgungsgefahr ist der Heimatstaat bzw. bei Staatenlosen der Staat des vorherigen gewöhnlichen Aufenthaltes (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0858, uva.).

Eine nicht von staatlichen Stellen des Heimatlandes eines Asylwerbers ausgehende Verfolgung ist nur dann von Bedeutung, wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, diese Verfolgung hintanzuhalten (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1994, Zl. 94/19/0169, mwN.).

In diesem Zusammenhang bringt der Beschwerdeführer vor, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht, insbesondere wegen seiner Religionsangehörigkeit und seiner Freundschaft zu einem ermordeten Journalisten von islamischen Fundamentalisten verfolgt zu werden, außerhalb des Staates seines Aufenthaltes befinde und weder in der Lage, noch im Hinblick auf seine begründete Furcht gewillt sei, sich des Schutzes des Staates seines Aufenthaltes zu bedienen.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit hinsichtlich seiner Zugehörigkeit "zur christlichen Religion" versagt, wobei sie sich auf die aufgrund einer Befragung festgestellten mangelnden Grundkenntnisse dieser Religion stützte. Dieser Schluß steht mit den allgemeinen Denkgesetzen im Einklang. Die diesbezüglichen Erklärungsversuche - keine Möglichkeit, eine christliche Erziehung zu genießen; keine christliche Gemeinde in Algerien - überzeugen nicht, da Kenntnisse über eine Religion, der man behauptet anzugehören, auch auf andere Weise (zB durch Vermittlung jener Personen, welche den Zugang zum christlichen Glauben eröffneten, oder durch Bücher) erlangt werden können. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Unterschiede seiner Lebensweise von der der islamischen Umgebung reichen aber - bei Verneinung seiner Zugehörigkeit zur christlichen Religion - nicht aus, um eine drohende Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können, zumal der Beschwerdeführer eine bereits stattgefundene Verfolgungshandlung nicht behauptet hat.

Der belangten Behörde kann auch nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie aus der Ermordung des befreundeten Journalisten keine dem Beschwerdeführer individuell drohende asylrechtlich relevante Verfolgung ableitet. Denn die Ermordung des Journalisten erfolgte wegen eines von ihm verfaßten politischen Zeitungsartikels. Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht behauptet, selbst politisch tätig gewesen zu sein, sodaß die Verfolgungsmotivation, welche zur Ermordung des Jorunalisten führte, auf den Beschwerdeführer nicht zutraf. Allein die Freundschaft zum Ermordeten läßt aber eine dem Beschwerdeführer selbst drohende Verfolgung nicht maßgeblich wahrscheinlich erscheinen. Die entfernte Möglichkeit einer daraus resultierenden Verfolgung reicht nicht, um dem Beschwerdeführer die Stellung eines Flüchtlings zu verschaffen.

Daher erweist sich der Schluß der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer drohe keine asylrechtlich relevante Verfolgung, bereits aus diesem Grund nicht als rechtswidrig, weshalb nicht näher auf die übrige Begründung des angefochtenen Bescheides und die dagegen erhobenen Ausführungen der Beschwerde eingegangen zu werden braucht und die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Von der von dem Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

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