Normen
AVG §71 Abs1 Z1 idF 1990/357;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1 idF 1990/357;
VwGG §46 Abs1;
Spruch:
Die Wiedereinsetzung wird bewilligt.
Begründung
I.
1. Der Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 30. November 1994, mit welchem gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot für das gesamte Bundesgebiet erlassen und der Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Bosnien zurückgewiesen wurde, wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 22. Dezember 1994 zugestellt. Die sechswöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof lief demnach am Donnerstag, den 2. Februar 1995, ab. Die zu Zl. 95/18/0539 protokollierte Beschwerde des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid wurde am 20. März 1995 zur Post gegeben.
Mit demselben Schriftsatz beantragte der Beschwerdeführer die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Fristversäumnis aus folgendem Grund:
Das Ende der Beschwerdefrist sei auf Weisung seines Rechtsvertreters in dessen Terminkalender für das Jahr 1994 eingetragen worden. Bezüglich 1995 seien sämtliche alten Fristen in den neuen Kalender übertragen worden. Diese Tätigkeit sei von der seit April 1992 bei dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers beschäftigten Mitarbeiterin Sch vorgenommen worden. Frau Sch sei nach einer entsprechenden Anfangs- und strengen Überprüfungsphase in der Kanzlei des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers mit sehr selbständigen Arbeiten betraut gewesen, die sie bis zu jenem Tag, als sie vergaß, die Frist in den neuen Terminkalender zu übertragen, äußerst verläßlich erledigt habe. Trotz ihrer hochgradigen Genauigkeit sei ihre Arbeit immer wieder einer stichprobenartigen Überprüfung durch den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers unterzogen worden, wobei es keinerlei Grund zur Beanstandung gegeben habe. Frau Sch sei die seit Jahren beim Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am besten arbeitende Mitarbeiterin. Erst im Zuge einer neuerlichen Durchsicht von Akten aus dem Jahre 1994 sei am 10. März 1995 das Mißgeschick der Fristversäumnis zutage gekommen. Auch wenn von einem Versehen auszugehen sei, so handle es sich nur um einen Grad minderen Versehens.
Der Beschwerdevertreter bringt vor, daß Ende des Jahres 1994 sämtliche im Terminkalender 1994 eingetragenen Termine und Fristen in den neuen Terminkalender 1995 übertragen worden seien. Dabei seien von ihm die Eintragungen bezüglich des gesamten Jänner hinsichtlich ihrer Richtigkeit und im übrigen jene bezüglich der Monate Februar und März stichprobenartig einer Überprüfung unterzogen worden. Die Überprüfung der Übertragungen der Fristen bezüglich Februar und März sei deswegen nur stichprobenartig erfolgt, weil sich hinsichtlich des Monats Jänner kein einziger Fehler ergeben habe. Auch anläßlich der stichprobenartigen Überprüfung der Übertragungen hinsichtlich Februar und März habe sich keinerlei Grund zur Beanstandung der Arbeit der Frau Sch ergeben.
2. Der Verwaltungsgerichtshof nimmt folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Der Ablauf der Beschwerdefrist im vorliegenden Fall wurde auf Weisung des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers in den Terminkalender für das Jahr 1994 eingetragen. Die in der Rechtsanwaltskanzlei des Dr. H als Angestellte tätige Sch hatte von diesem den Auftrag, sämtliche in den Terminkalender 1994 eingetragenen, für 1995 geltenden Termine, in einen neuen Kalender für das Jahr 1995 zu übertragen. Frau Sch war zum maßgeblichen Zeitpunkt in der Kanzlei des Beschwerdevertreters schon mehr als zweieinhalb Jahre beschäftigt und mit selbständigen Arbeiten betraut, die sie verläßlich erledigt hat. Hiebei wurde sie immer wieder einer stichprobenartigen Überprüfung durch Dr. H unterzogen. Bezüglich der Übertragung von Fristen aus dem Terminkalender 1994 in jenen für das Jahr 1995 wurde die Arbeit von Frau Sch insoferne einer besonderen Kontrolle unterworfen, als sämtliche Eintragungen hinsichtlich Jänner 1995 überprüft und jene bezüglich Februar und März stichprobenartig kontrolliert wurden. Die Übertragung der am 2. Februar 1995 endenden Beschwerdefrist hat Frau Sch vergessen, was auch dem Beschwerdevertreter - der bezüglich der Übertragungen von Fristen in die Monate Februar und März im Kalender 1995 nur stichprobenartig kontrollierte -, nicht auffiel. Erst anläßlich einer Durchsicht von Akten aus dem Jahre 1994 wurde in der Kanzlei des Beschwerdevertreters bemerkt, daß im Beschwerdefall die Beschwerdefrist versäumt worden war.
II.
1. Der festgestellte Sachverhalt wird in rechtlicher Hinsicht wie folgt beurteilt:
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung sowohl zu § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 als auch zu § 46 Abs. 1 VwGG ausgesprochen, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muß den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u. a. dafür vorzusorgen, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. zum Ganzen etwa die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. September 1986,
Zlen. 86/11/0132, 0133, und vom 23. Juni 1994,
Zlen. 94/18/0320, 0321).
Bei Fristeintragungen ist nicht eine Kontrolle jeder erforderlichen Eintragung im Fristenbuch, also nicht eine Überwachung "auf Schritt und Tritt" erforderlich, zumal nicht zu verlangen ist, daß der Anwalt den Fristenvormerk selbst führt (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Mai 1984, Zl. 83/11/0143 = Slg. 11439/1 und vom 25. Juni 1992, Zl. 92/09/0043). Auch für die Übertragung von Fristen von einem Fristenbuch in das andere - welcher Vorgang der erstmaligen Eintragung in das Fristenbuch vergleichbar ist - kann kein strengerer Maßstab gelten.
2. Im vorliegenden Fall kann dem Beschwerdevertreter daher nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er die Übertragung von Terminen vom Terminkalender 1994 in jenen für das Jahr 1995 nicht selbst vornahm, sondern durch eine verläßliche und bisher bewährte Kanzleikraft durchführen ließ und diesbezüglich keine durchgehende Kontrolle tätigte.
Mangels Vorliegen eines - auch dem Beschwerdeführer anrechenbaren - Verschuldens des Beschwerdevertreters war somit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.
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