VwGH 95/08/0179

VwGH95/08/017920.2.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Mizner und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. April 1995, Zl. MA 15-II-K 75/94, betreffend Haftung für Beitragsschuldigkeiten gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1101 Wien), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1392;
ASVG §67 Abs10;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
BAO §80 impl;
BAO §9 impl;
VerG §4 Abs2 litg;
VerG §4 Abs2 liti;
ABGB §1392;
ASVG §67 Abs10;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
BAO §80 impl;
BAO §9 impl;
VerG §4 Abs2 litg;
VerG §4 Abs2 liti;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde - in teilweiser Stattgebung eines Einspruches des Beschwerdeführers - gemäß §§ 413 und 414 in Verbindung mit § 355 ASVG festgestellt, daß der Beschwerdeführer als ehemaliger Vizepräsident gemäß § 67 Abs. 10 ASVG verpflichtet sei, die auf dem Beitragskonto des Beitragsschuldners Sportklub XY rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 30. August 1994) im Betrage von S 35.387,08 zuzüglich Verzugszinsen seit 31. August 1994 in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, berechnet von S 29.843,01, an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu bezahlen.

Nach der Begründung habe die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 2. September 1994 ausgesprochen, daß der Beschwerdeführer "als ehemaliger Vizepräsident" des Vereins Sportklub XY verpflichtet sei, rückständige Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von S 271.871,22 an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu bezahlen. Im Einspruch sei ausgeführt worden, daß der Beschwerdeführer lediglich vom 8. Juli 1993 bis 31. Mai 1994 diese Funktion ausgeübt habe. Da sich die Rückstände nur auf die Monate September 1992, November 1992, Jänner 1993, März 1993 und März 1994 bezögen, könne eine Haftung daher nur für den Beitragsmonat März 1994, nicht jedoch für die vorangegangenen Beitragsmonate bestehen. Als der Beschwerdeführer sein Amt als Vizepräsident angetreten habe, habe der Sportklub bereits unter einer faktischen und rechtlich vereinbarten Bankaufsicht durch die Bank Austria AG gestanden. Keinem Vereinsfunktionär sei es daher mehr möglich gewesen, Zahlungen zu veranlassen oder Vertretungshandlungen zu setzen. Vielmehr seien sämtliche Einnahmen bei der Bank abzuliefern gewesen. Diese allein hätte über die Zahlungen an Gläubiger verfügt. Ab 30. März 1994 habe der Sportklub bis zur Eröffnung des Ausgleichsverfahrens sämtliche Zahlungen eingestellt. Nach Wiedergabe der Bestimmung des § 67 Abs. 10 ASVG führte die belangte Behörde weiter aus, daß die Uneinbringlichkeit der dem Beschwerdeführer vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge dadurch nachgewiesen sei, daß über das Vermögen der Beitragsschuldnerin der Ausgleich eröffnet und mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 14. September 1994 bestätigt worden sei. Die Gläubiger erhielten eine 40-%ige Quote. Der Beschwerdeführer sei vom 8. Juli 1993 bis 31. Mai 1994 Vizepräsident und damit "eines der zur Vertretung nach außen berufenen Organe" der Beitragsschuldnerin gewesen. Ihm sei in der Verhandlung vom 12. Dezember 1994 aufgetragen worden, die behauptete Gleichbehandlung (ergänze: der Beitragsschuldigkeiten mit anderen Verbindlichkeiten) ab seiner Bestellung als Vizepräsident binnen sechs Wochen nachzuweisen. Diesem Auftrag habe er trotz Fristverlängerung bis 20. Februar 1995 nicht entsprochen, sodaß für die Beitragsmonate September 1992, November 1992, erster Nachtrag 01/93 und 03/93 eine schuldhafte Pflichtverletzung und damit eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG habe angenommen werden können. Dadurch, daß sämtliche Einnahmen des Sportklubs an die Bank abzuliefern gewesen seien und über die Verwendung der Geldmittel allein die Bank zu entscheiden gehabt habe, sei einerseits die Bank gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt, andererseits der Beschwerdeführer in seiner Tätigkeit und Ausübung seiner Pflichten behindert worden. Beides wirke jedoch nicht exkulpierend. Zu dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe erst am 8. Juli 1993 die Funktion des Vizepräsidenten übernommen und sei überdies nur für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig gewesen, sei auszuführen, daß auch eine Haftung für bereits bestehende Beitragsschulden bei Übernahme einer entsprechenden Funktion eintrete, da diese weiterhin fällig blieben. Die behauptete Aufgabenteilung sei vom Beschwerdeführer nicht nachgewiesen worden. Eine Haftung für den Beitragsmonat 03/94 sei jedoch nicht gegeben, da die Beitragsschuldnerin per 30. März 1994 sämtliche Zahlungen eingestellt habe. Die Zahlungseinstellung zu diesem Termin sei von der Gebietskrankenkasse außer Streit gestellt worden. Somit sei dem Einspruch zumindest teilweise stattzugeben und spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften u.a. die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Zu den in § 67 Abs. 10 ASVG genannten "zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen" gehören auch die zur Vertretung eines Vereins berufenen Vereinsorgane (vgl. etwa das zu § 7 Abs. 1 der Wiener Landesabgabenordnung ergangene Erkenntnis vom 21. Mai 1992, Zl. 91/17/0044).

Der Beschwerdeführer behauptet - wie schon im Verwaltungsverfahren - auch in seiner Beschwerde, daß er im Rahmen der Aufgabenverteilung im Vorstand des Sportklubs nur für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig gewesen sei. Diesem Vorbringen hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid entgegnet, daß dies nicht nachgewiesen worden sei.

Damit verkennt die belangte Behörde jedoch ihre Ermittlungspflicht hinsichtlich der zur Vertretung von Vereinen berufenen Personen: Welche Personen (bzw. Organe) berufen sind, den Verein zu vertreten, richtet sich primär nach den Statuten des jeweiligen Vereins. Aus diesen müssen gemäß § 4 Abs. 2 Vereinsgesetz 1951 die Organe des Vereins (§ 4 Abs. 2 lit. g leg. cit.) und die Angabe, wer den Verein nach außen vertritt (§ 4 Abs. 2 lit. i leg. cit.), zu entnehmen sein. Eine solche Vertretungsmacht kann dem gesamten Vorstand, aber auch nur einzelnen seiner Mitglieder zukommen (vgl. dazu Krejci in: Korinek-Krejci, Der Verein als Unternehmer, 93 ff, 99). Erst wenn aufgrund der Statuten feststeht, daß nicht etwa nur der als Geschäftsführer bezeichnete Vizepräsident (vgl. das Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 95/08/0180), sondern auch andere Vorstandsmitglieder zur Vertretung des Vereins berufen sind, dann kommt die Anwendung des § 67 Abs. 10 ASVG auch auf diese Personen in Betracht. Es war daher primär nicht Sache des Beschwerdeführers, die Aufgabenverteilung im Vorstand darzulegen, sondern Sache der belangten Behörde, zunächst von Amts wegen die erforderlichen Tatsachenfeststellungen darüber zu treffen, ob nach den Statuten des Sportklubs XY der Beschwerdeführer in einer damaligen Funktion eine "zur Vertretung juristischer Personen berufene Person" gewesen ist.

Erst wenn dies feststeht, kommt die weitere Frage, ob unter mehreren vertretungsbefugten Personen eine Aufgabenteilung vereinbart wurde, ins Spiel. Eine solche zulässige Geschäftsverteilung (z.B. durch die Geschäftsordnung des Vorstandes) wirkt sich auf die Verantwortlichkeit der einzelnen Vorstandsmitglieder aus. Jedes Vorstandsmitglied trägt dann zunächst für sein ihm zugewiesenes Arbeitsgebiet die volle Verantwortung. Eine Arbeitsaufteilung bewirkt jedoch, selbst bei größter Spezialisierung, nicht, daß ein Vorstandsmitglied sich nur noch auf sein eigenes Arbeitsgebiet beschränken darf und sich um die Tätigkeit der anderen Mitglieder nicht mehr zu kümmern braucht. Die Pflicht zur unmittelbar verwaltenden Tätigkeit beschränkt sich zwar dann auf den eigenen Arbeitskreis, hinsichtlich der Arbeitskreise der anderen Vorstandsmitglieder ist sie eine Pflicht zur allgemeinen Beaufsichtigung (Überwachung) geworden. Besteht der Verdacht, daß im Arbeitsbereich eines anderen Vorstandsmitgliedes Mißstände vorliegen, dann muß das Vorstandsmitglied sich einschalten, um nicht selbst ersatzpflichtig zu werden (vgl. das Erkenntnis vom 25. September 1992, Zl. 91/17/0134).

Freilich wäre es in einem solchen Fall Sache des zur Haftung in Anspruch genommenen (zur Vertretung nach außen berufenen) Vorstandsmitgliedes initiativ darzulegen, in welcher Weise die Aufgabenverteilung im Vorstand tatsächlich erfolgt ist und welche organisatorischen Vorkehrungen zur Kontrolle in diesem Sinne getroffen worden sind.

All dies jedoch setzt voraus, daß der Beschwerdeführer überhaupt dem Personenkreis des § 67 Abs. 10 ASVG angehört. Da die belangte Behörde dies aufgrund ihres Rechtsirrtums nicht geprüft hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG - unter Abstandnahme von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 und 6 VwGG - aufzuheben.

Aus verfahrensökonomischen Gründen sei noch auf folgendes hingewiesen:

Das Vorbringen, daß der Vorstand des Vereins praktisch nicht mehr in der Lage gewesen wäre, irgendwelche Zahlungen zu leisten, weil der Verein unter einer vereinbarten "Bankenaufsicht" gestanden sei, übersieht, daß der Beschwerdeführer - wäre er tatsächlich eine zur Vertretung des Vereins berufene Person im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG gewesen - es bei seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied nicht hätte hinnehmen dürfen, daß er durch eine Vereinbarung mit der Bank an der Erfüllung seiner Verpflichtungen gehindert wird. Dazu gehört auch eine Behinderung infolge des Abschlusses eines globalen Mantelzessionsvertrages, durch den einerseits die Bank als andrängender Gläubiger begünstigt, andererseits andere andrängende Gläubiger benachteiligt werden (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 22. April 1992, Zl. 91/14/0252, vom 12. April 1994, Zlen. 93/08/0259-0261, und vom 28. Februar 1995, Zl. 91/14/0255).

Hinsichtlich der grundsätzlichen Haftung des Vertreters für "Altlasten" und der rechtlichen Bedeutung von (allenfalls) bestehenden Ratenvereinbarungen in diesem Zusammenhang wird auf das Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 95/08/0180, welches den geschäftsführenden Vizepräsidenten desselben Beitragsschuldners betrifft, verwiesen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG. Das Kostenmehrbegehren des Beschwerdeführers auf Ersatz von Stempelgebühren mußte im Hinblick auf die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende sachliche Abgabenbefreiung (§ 110 ASVG) abgewiesen werden.

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