VwGH 95/01/0010

VwGH95/01/001017.12.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner sowie den Senatspräsidenten Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des N in K, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Jänner 1995, Zl. 4.345.390/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Jänner 1995 wurde in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. November 1994 der am 4. November 1994 gestellte Asylantrag des Beschwerdeführers - eines Staatsangehörigen der "Jugoslawischen Föderation", der am 30. Oktober 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist - abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung im erstinstanzlichen Verfahren am 11. November 1994 zu seinen Fluchtgründen vorgebracht, er habe vor einem Jahr einen Einberufungsbefehl erhalten, welchem er nicht Folge geleistet habe. In der Folge habe er sich zwei Monate bei einem Onkel und danach bei einem weiteren Onkel aufgehalten. Im März 1994 sei seinen Eltern ein weiterer schriftlicher Einberufungsbefehl zugestellt worden. Auch diesem Einberufungsbefehl habe er nicht Folge geleistet. Bis zu seiner Flucht im Oktober 1994 habe er sich weiterhin bei einem Onkel aufgehalten. Während dieser Zeit habe die "serbische Polizei" dreimal im Haus seiner Eltern nach ihm gesucht. Er sei erst im Oktober 1994 - mit einem gefälschten mazedonischen Reisepaß - ausgereist, weil er bis dahin keinen Reisepaß gehabt habe. Den Einberufungsbefehlen habe er deshalb nicht Folge geleistet, weil er gewollt habe, "daß im Kosovo eine Republik wird" und er nicht "in den Krieg ziehen" haben wollen. Im Falle der Rückkehr in seine Heimat habe er eine Gerichtsverhandlung wegen Desertion zu erwarten und müsse mit einer Haftstrafe, in welchem Ausmaß wisse er nicht, rechnen. Weiters habe er mit seinem "Kriegsdienst beim Militär" zu rechnen. Was andere Staatsbürger, welche nicht der albanischen Minderheit angehörten, in seiner Situation zu erwarten hätten, wisse er nicht. Weitere Gründe für seine Flucht habe er nicht. Er habe keine weiteren Schwierigkeiten in seinem Heimatland gehabt. Seine Eltern und Geschwister befänden sich nach wie vor im Kosovo und seien nicht geflüchtet.

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid brachte der Beschwerdeführer vor, aus politischen Gründen der Einberufung nicht nachgekommen zu sein. Albaner aus dem Kosovo müßten bei einer Einziehung zum Militärdienst damit rechnen, mißhandelt und gefoltert bzw. überhaupt "beiseite geschafft" zu werden. Sie würden schlechter behandelt als serbische Soldaten und zu besonders lebensgefährlichen Einsätzen abkommandiert.

Weiters legte der Beschwerdeführer in seiner Berufung einen Beschluß des Gemeindegerichts in Vucitrn vom 19. September 1994 vor, nach dessen Inhalt er von diesem Gericht wegen "Gefährdung der territorialen Sicherheit der Republik Serbien" zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von eineinhalb Jahren verurteilt und gegen ihn auch Anklage erhoben worden sei, weil er im Jahre 1992 Versammlungen im Rahmen des "Separatistenlagers der Kosovoalbaner" organisiert habe, bei welchen die Ansicht vertreten worden sei, daß die Schulen im Kosovo in albanischer Sprache geführt werden und sämtliche Staatsorgane der albanischen Nationalität angehören sollten. Bei seiner in serbokroatischer Sprache durchgeführten niederschriftlichen Vernehmung zum Inhalt dieser Urkunde am 27. Dezember 1994 gab der Beschwerdeführer an, daß sich seine Verurteilung zu der Freiheitsstrafe im Ausmaß von eineinhalb Jahren darauf gründe, daß er im Jahre 1990 oder 1991 an einer gegen die Regierung gerichteten Demonstration, bei der die Ausrufung einer Republik Kosovo gefordert worden sei, teilgenommen habe. Er sei einer der drei Organisatoren dieser Demonstration, an der etwa 500 Personen teilgenommen hätten, gewesen. An weiteren Demonstrationen habe er nicht teilgenommen. Zu der weiteren Anklageerhebung sei es gekommen, weil er im Jahre 1992 insgesamt drei Mal eine Versammlung mit dem Zweck der Gründung einer Republik Kosovo organisiert habe. Diese Versammlungen mit jeweils etwa 25 Teilnehmern seien in Privathäusern abgehalten worden.

Der Beschluß des Gemeindegerichts sei (nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides) von seinem Vater oder von anderen Personen an seinen Rechtsanwalt übermittelt worden. Er wisse jedoch von seiner rechtskräftigen Verurteilung und sei deshalb aus seinem Heimatland geflüchtet. Bei der Vernehmung im erstinstanzlichen Verfahren habe er davon nichts erwähnt, weil er sich in der serbokroatischen Sprache nicht so gut ausdrücken könne und "dies vergessen" habe.

Gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 hat der Bundesminister für Inneres über eine zulässige Berufung in jedem Fall in der Sache selbst zu entscheiden und seiner Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen.

Da die Berufungsbehörde ihrer Entscheidung in der Sache selbst das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen hat, besteht - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht - grundsätzlich Neuerungsverbot (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 270 BlgNR XVIII. GP).

Durchbrochen wird dieses Neuerungsverbot nur in den Fällen des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991. Nach dieser Bestimmung in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 610/1994, hat der Bundesminister für Inneres eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, wenn es mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren erster Instanz nicht zugänglich waren, oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrunde gelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat.

Der Beschwerdeführer macht in der Berufung als Mangel des Ermittlungsverfahrens erster Instanz geltend, daß keine Ermittlungen über das Ausmaß der politischen Verfolgung von ethnischen Albanern im Kosovo durchgeführt worden seien. Diese Mangelhaftigkeit liegt schon deshalb nicht vor, weil sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren, welches die zentrale Entscheidungsgrundlage darstellt, kein Hinweis auf eine politische Verfolgung oder eine Verfolgung aus ethnischen Gründen findet. Auch der Verwaltungsgerichtshof kann eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens nicht erkennen. Da sich aus der im Berufungsverfahren vorgelegten Urkunde nur ein bereits vor der Entscheidung erster Instanz eingetretener Sachverhalt ergibt, macht der Beschwerdeführer damit keine zwischenzeitige Änderung des Sachverhalts geltend. Somit ist eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens weder aufgrund des § 20 Abs. 2 erster Fall Asylgesetz 1991 noch aufgrund des dritten Falles dieser Bestimmung geboten.

Zu prüfen bleibt, ob es sich bei der im Berufungsverfahren vorgelegten Urkunde um ein Bescheinigungsmittel im Sinne des § 20 Abs. 2 zweiter Fall Asylgesetz 1991 handelt, das dem Beschwerdeführer im Verfahren erster Instanz nicht zugänglich war.

Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage dient diese Bestimmung dazu, eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens zu ermöglichen, wenn das erstinstanzliche Verfahren insofern sanierungsbedürftig geblieben ist, weil der Asylwerber Bescheinigungsmittel, welche ihm in diesem Zeitpunkt noch nicht zugänglich waren, nicht vorlegen konnte. Der Gesetzgeber wollte also zugunsten des Asylwerbers sicherstellen, daß ein erst nachträglich hervorgekommenes Bescheinigungsmittel für das erstinstanzliche Vorbringen des Asylwerbers von der Berufungsbehörde zu beachten ist. Dadurch sollte aber einem Asylwerber nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, im Falle des Hervorkommens eines Bescheinigungsmittels seinen Antrag auf einen ihm bereits bei der Vernehmung in erster Instanz bekannten Sachverhalt zu stützen, von dem er bei seiner Vernehmung nichts erwähnt hat. Die Berücksichtigung eines derartigen Vorbringens sollte gerade durch das im Zuge der vom Asylgesetz 1991 angestrebten Verfahrenskonzentration (vgl. auch dazu die bereits zitierten Erläuterungen zur Regierungsvorlage) eingeführte Neuerungsverbot des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ausgeschlossen werden.

Vorliegend hat der Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung in erster Instanz seine in der Berufung vorgebrachten politischen Aktivitäten auch nicht andeutungsweise erwähnt und auch nichts über eine deswegen drohende Verfolgung und die bereits erfolgte rechtskräftige Bestrafung gesagt, obwohl ihm diese Umstände bekannt waren. Bei dem zur Bescheinigung dieses erst in der Berufung erstatteten Vorbringens vorgelegten Beschlusses des Gemeindegerichts handelt es sich somit, selbst wenn er dem Beschwerdeführer erst nach der Entscheidung erster Instanz zugekommen ist, um kein neu hervorgekommenes Bescheinigungsmittel im Sinne des zweiten Falles des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991, welches die belangte Behörde zur Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens verpflichtete.

Die belangte Behörde hat daher das erst in der Berufung erstattete Vorbringen betreffend die politischen Aktivitäten des Beschwerdeführers und die daraus resultierende Verfolgung und Verurteilung zu Recht als unzulässige Neuerung qualifiziert. Die belangte Behörde hatte somit ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes grundsätzlich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht. Allerdings kann eine darauf zurückzuführende Furcht vor Verfolgung dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung bzw. unterschiedliche Behandlung während des Militärdienstes aus einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen schärfere Sanktionen drohen (vgl. dazu insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377). Der Beschwerdeführer hat nach dem oben wiedergegebenen Inhalt seiner Vernehmung im erstinstanzlichen Verfahren einen Zusammenhang zwischen seiner Einberufung und derartigen Gründen nicht hergestellt, zumal ein solcher aufgrund des bloßen Umstandes, daß er der albanischen Minderheit im Kosovo angehört, nicht erkennbar war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 1996, Zl. 95/01/0076). Da somit selbst bei Zugrundelegung des gesamten vom Beschwerdeführer in erster Instanz erstatteten Vorbringens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in Betracht kommt, braucht auf das die Beweiswürdigung der belangten Behörde, welche dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit versagte, bekämpfende Beschwerdevorbringen nicht eingegangen zu werden.

Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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