VwGH 95/21/0023

VwGH95/21/002315.12.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des G in S, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 4. Juli 1994, Zl. Fr-5767/3/94, betreffend Feststellung gemäß § 54 FrG, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (der belangten Behörde) wurde gemäß § 54 Abs. 1 FrG festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer in "Jugoslawien" und Ungarn gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 leg. cit. bedroht sei.

Der Beschwerdeführer habe hiezu im Laufe des Verfahrens am 18. Mai 1994 und am 26. Mai 1994 bei der Bundespolizeidirektion Salzburg und im Asylverfahren Angaben gemacht. Am 18. Mai 1994 habe er zu Protokoll gegeben, er sei am 17. Mai 1994 über Mazedonien-Bulgarien-Rumänien-Ungarn-Kroatien-Slowenien mit dem Pkw illegal und unter Verwendung eines gefälschten kroatischen Reisepasses mit dem Ziel München eingereist. In den genannten Ländern habe er nicht um Asyl angesucht, weil er nicht sicher gewesen sei, ob man ihn nicht zurückschicke. Er habe erfahren, daß es in Österreich bzw. Deutschland leichter wäre, um Asyl anzusuchen. Am 17. Dezember 1993 habe der Beschwerdeführer dem Einberufungsbefehl Folge geleistet und sei in Kosovo zum Militär gegangen. Nach einem Urlaub zu Ostern 1994 habe er nicht mehr einrücken wollen. Er habe sich bei seinem Onkel in den Bergen versteckt. Grund dafür sei gewesen, daß er in andere Städte auf Übung gebracht hätte werden sollen. Er habe gehört, daß er in der Nähe von Banja Luka stationiert worden wäre und er dort Schießübungen auf moslemische Dörfer hätte verrichten müssen.

Am 26. Mai 1994 habe der Beschwerdeführer ersucht, nicht in seine Heimat, sondern nach Ungarn abgeschoben zu werden. Von dort aus könne er nach Zagreb zu seinen Verwandten fahren.

Im Asylverfahren habe der Beschwerdeführer angegeben, er sei von zu Hause weg, weil ihm ein Freund erzählt habe, daß dieser in Bosnien zu Schießübungen eingesetzt worden wäre. Man würde mit Granaten auf die andere Seite auf Kroaten und Moslems schießen. Er hätte sich auf Grund dieses Sachverhaltes zur Flucht entschlossen. Anläßlich des Osterfestes "im Jahre 1993" habe er Urlaub bekommen und wäre danach nicht mehr eingerückt. Er habe sich bei seinem Onkel versteckt. Auf die Frage, warum er erst ein Jahr nach diesem Ereignis geflüchtet sei, habe er angegeben, daß ihn die Polizei mehrmals zu Hause gesucht hätte und daß er keinen Reisepaß gehabt hätte. Außerdem sei er von serbischen Offizieren beschimpft worden.

Die belangte Behörde führte aus, daß der Beschwerdeführer nach seiner "Desertion" noch ca. ein Jahr lang in seiner Heimat aufhältig gewesen sei, ohne daß er offensichtlich in irgendeiner Weise bedroht worden sei. Dieser Umstand in Verbindung mit der Tatsache, daß er in keinem Durchreisestaat Schutz gesucht habe, lasse die nunmehr gemachten Angaben des Beschwerdeführers unglaubwürdig erscheinen. Der gesamte Kontext seiner Angaben deute darauf hin, daß er keine Handlungen in seiner Heimat gesetzt habe, die die Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 37 FrG nach sich zögen. Das Vorbringen sei aber auch aus einem weiteren Grund nicht glaubwürdig: Informationen zum Zeitraum Juni bis September 1991 würden besagen, daß Albaner aus dem Kosovo kaum mehr einberufen werden, weil die Armeeführung damit rechne, daß sie im Falle eines Einsatzes ohnehin desertieren oder gar auf ihre (nicht-albanischen) Vorgesetzten schießen würden. Insbesondere auf Grund der bezweifelten Loyalität und Zuverlässigkeit würden Angehörige der albanischen Volksgruppe in der Armee lediglich in der Etappe eingesetzt werden. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß kosovo-albanische Reservisten oder Rekruten in den Kriegsgebieten Bosnien-Herzegowina oder in der kroatischen Krajina eingesetzt würden. Ebenso würden Kosovo-Albaner nur mehr in technischen Einheiten eingesetzt und nicht an Waffen ausgebildet. Der Beschwerdeführer habe keinerlei Gründe vorgebracht, weshalb diese generelle Praxis für ihn im Falle einer Einberufung nicht zutreffen sollte. Sowohl die seinerzeitige jugoslawische Volksarmee als auch die Armee der nunmehrigen Jugoslawischen Föderation - so die belangte Behörde weiter - seien im verstärkten Maße von Desertionen und Refraktionen, und zwar quer durch alle Nationalitäten, betroffen. Die Bestrafungen für diese Personengruppen seien jedenfalls im Kontext der derzeitigen militärischen Auseinandersetzungen nicht verschärft worden. Eine besondere Gefährdung, die im Falle des Beschwerdeführers ethnisch motiviert wäre und die vom § 37 FrG gezogene Grenze überschreite, habe vom Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht werden können. Gemäß geltendem Recht der Jugoslawischen Föderation müsse der Zustand der allgemeinen Mobilmachung und eine drohende Kriegsgefahr herrschen, damit überhaupt eine gesetzliche Grundlage für das Vorgehen gegen Deserteure und Refrakteure gegeben sei. Der Zustand der allgemeinen Mobilmachung sei am 4. Oktober 1991 ausgerufen worden und habe bis Ende April 1992 gedauert. Dieser Zustand habe somit vor dem Zeitpunkt der vom Beschwerdeführer behaupteten Stellungsflucht geendet, sodaß eine Anwendung der möglicherweise gefährdenden Strafnormen für ihn gar nicht mehr in Frage käme. Auf Grund der in diesem Zeitraum massenhaft vorgekommenen Desertionen und Refraktionen sei nach dem den österreichischen Behörden vorliegenden Informationen zwar in mehreren 1000 Fällen formal Anklage erhoben worden. Mit der Durchführung von Gerichtsverhandlungen sei doch vielfach gezögert worden. Die festgestellten Höchststrafen für Desertion - Refraktion würden generell milder beurteilt - hätten eine Dauer von ein bis höchsten zwei Jahren nicht überschritten. Wesentlich häufiger seien bedingte Strafen und Freisprüche. Die Strafsanktion für eine Verletzung dieser Pflicht sei für alle Staatsbürger der Jugoslawischen Föderation gleich, sodaß eine darauf begründete drohende Sanktion nicht auf Grund einer ethnischen Zugehörigkeit den vom Refoulement-Verbot gesetzten besonderen Anforderungen entsprechen würde.

Im Falle des Beschwerdeführers könne keine Verfolgungsgefahr angenommen werden, da aus seiner Vernehmung im Asylverfahren selbst klar hervorgehe, daß er sich für einen relativ langen Zeitraum offensichtlich unbehelligt in seiner Heimat aufgehalten habe. Es ergebe sich somit, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung in die Jugoslawische Föderation gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei.

Der Beschwerdeführer sei im Falle einer Abschiebung nach Ungarn dort nicht im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht. Ungarn sei Vertragsstaat der Konvention vom 28. Juli 1951 sowie des Protokolls vom 31. Jänner 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und somit verpflichtet, Flüchtlinge, die unter diese völkerrechtlichen Verträge fielen, gegen die Rückschiebung in ihr Herkunftsland oder unsichere Drittstaaten zu schützen. Ungarn habe beide Verträge innerstaatlich umgesetzt. Aus diesem Grunde sei gewährleistet, daß in diesem Staat ein Abschiebungsschutz bestehe. Die Behauptung des Beschwerdeführers, daß er im Falle einer Abschiebung nach Ungarn von einer Weiterschiebung nach Jugoslawien oder in einen Staat, der nach Jugoslawien weiter abschiebe, bedroht sei, sei eine Vermutung, die durch keine auf seinen individuellen Fall bezogenen Angaben belegt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Auffassung der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer behauptete Desertion sei nicht glaubwürdig, kann der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Überprüfung der Beweiswürdigung nicht als schlüssig ansehen. Die belangte Behörde bringt für die Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers vor, daß er sich ca. ein Jahr lang in seiner Heimat aufgehalten habe, ohne daß er offensichtlich in irgendeiner Weise bedroht worden sei und stützt sich überdies auf Informationen zum Zeitraum Juni bis September 1991 über die Vorgangsweise der Armeeführung in bezug auf die Einberufung der Albaner aus dem Kosovo. Angesichts der von der belangten Behörde wiedergegebenen Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren, wonach er von der Polizei mehrmals gesucht worden sei, kann nicht davon gesprochen werden, daß sich der Beschwerdeführer "offensichtlich unbehelligt" in seiner Heimat aufgehalten habe. Nach den von der Behörde wiedergegebenen Angaben des Beschwerdeführers habe dieser im Mai 1994 seine Heimat verlassen. Die belangte Behörde geht selbst nicht davon aus, daß die von ihr wiedergegebene, im Zeitraum Juni bzw. September 1991 gehandhabte, Praxis der Armeeführung auch noch zu diesem Zeitpunkt geübt worden wäre. Die Auffassung der belangten Behörde, es könne nicht von einer Desertion des Beschwerdeführers von der jugoslawischen Armee ausgegangen werden, ist somit nicht schlüssig begründet.

Der Beschwerdeführer hat sich auch im Verwaltungsverfahren auf die Gefahren nach § 37 Abs. 1 und 2 FrG berufen, weil er sein Heimatland wegen seiner Desertion verlassen habe. Was die gemäß § 37 Abs. 2 FrG behauptete Bedrohung anlangt, so vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, daß die wegen Desertion bestehende Strafdrohung auf eine allfällige politische Ansicht des Deserteurs zielte; eine Strafdrohung, die der Sicherung des Staatswesens durch Abwehr von diesem drohenden Gefahren dient, hat keine Zielrichtung derart, daß sie einen Wehrdienstverweigerer oder Deserteur als Träger einer bestimmten politischen Ansicht treffen wollte. Die Gefahr der Bestrafung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat wegen der seinerzeitigen Desertion ist demnach mangels entsprechender Zielrichtung der Strafdrohung nicht als Bedrohung seiner Freiheit "aus Gründen seiner politischen Ansichten" im Sinne des § 37 Abs. 2 FrG zu werten. Von daher gesehen ist das Motiv, daß den Beschwerdeführer dazu bestimmte, den Wehrdienst zu verweigern bzw. nicht weiter abzuleisten, im gegebenen Zusammenhang rechtlich unerheblich (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. April 1995, Zl. 94/18/0496).

Hingegen vermag der Verwaltungsgerichtshof die dem Vorbringen des Beschwerdeführers, daß er auf Grund seiner Desertion in seiner Heimat gemäß § 37 Abs. 1 FrG bedroht sei, keinen Glauben schenkende Beweiswürdigung durch die belangte Behörde nicht als schlüssig zu erkennen. Die belangte Behörde stützt sich ausschließlich auf die ihr im Jahre 1991 bekannt gewordene Praxis im Heimatstaate des Beschwerdeführers. Es wird jedoch mit keinem Wort erwähnt, daß diese Vorgangsweise auch jetzt noch im Falle der Abschiebung des Beschwerdeführers eingehalten wird. Angesichts der sich laufend verändernden Verhältnisse in der Bundesrepublik Jugoslawien, welches der EMRK nicht beigetreten ist, genügt eine Beurteilung der Frage des Vorliegens eines Refoulement-Verbotes an Hand von vor drei Jahren erhaltenen Informationen nicht. Die belangte Behörde hätte vielmehr andere geeignete aktuelle Erkenntnisquellen ihrer Entscheidung zugrundelegen müssen, um beurteilen zu können, ob der Beschwerdeführer bei einer Abschiebung nach "Jugoslawien" konkret Gefahr liefe, dort - auch ohne daß formell die Todesstrafe verhängt wird - durch vom Staat zu verantwortendes Verhalten zu Tode zu kommen. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kann noch nicht beurteilt werden, ob dem Beschwerdeführer wegen seiner Desertion in seiner Heimat die in § 37 Abs. 1 FrG umschriebende Gefahr droht.

Auch was die behauptete Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG in Ungarn betrifft, erweist sich die Beschwerde als begründet.

Der Beschwerdeführer macht - wie bereits in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid - geltend, daß Ungarn keineswegs gewährleiste, daß er nicht in seinen Heimatstaat weitergeschoben werde. Es seien zahlreiche Fälle bekannt, daß nach Ungarn abgeschobene Kosovo-Albaner von den ungarischen Behörden sogleich in ihre Heimat weitergeschoben wurden. Als Beispiel für diese - behauptete - in Ungarn geübte Praxis führte der Beschwerdeführer einen (namentlich genannten) Fall eines Kosovo-Albaners an, der - so wie der Beschwerdeführer - seine Heimat als Militärdienstverweigerer verlassen hatte und von Österreich nach Ungarn abgeschoben wurde. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die belangte Behörde bei Prüfung dieses Vorbringens zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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