VwGH 95/20/0087

VwGH95/20/00877.11.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerden 1.) der MF,

2.) der MI und 3.) der BF, alle in M und vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres jeweils vom 15. September 1994, Zl. 4.342.191/1-III/13/93, alle betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §4;
VwRallg;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §4;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerinnen haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerinnen - eine Mutter mit ihren zwei Töchtern, alle irakische Staatsangehörige - sind am 3. Dezember 1992 in das Bundesgebiet eingereist und haben am 9. Dezember 1992 jeweils Asylanträge gestellt. Bei ihren noch am selben Tag vom Bundesasylamt durchgeführten niederschriftlichen Befragungen gaben die Beschwerdeführerinnen im wesentlichen folgendes an:

Die Erstbeschwerdeführerin: Sie sei moslemisch-schiitischen Glaubens und habe den Irak verlassen, weil sie gerne in Österreich ihre weitere Zukunft verbringen würde. Im Irak gebe es keine Demokratie, keine Freiheit, und sie könne dort ihr Leben nicht selbst bestimmen. Sie habe Angst gehabt, das gleiche Schicksal wie ihr Vater zu erleiden. Sie selbst sei jedoch während ihres Aufenthaltes im Irak keinen konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen. Auch während ihres Aufenthaltes in Kuwait sei sie keinen konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen. Sie seien im Flugzeug über Larnaka/Zypern nach Österreich eingereist, sie hätte jedoch in Zypern nicht um Asyl angesucht, weil es ihr in Österreich besser gefalle; Zypern sei wirtschaftlich nicht so gut entwickelt. Außerdem bekomme man in Österreich "leichter als in westlichen Ländern" Asyl.

Die Zweitbeschwerdeführerin: Sie habe vom Jahr 1986 an bis zum Jänner 1991 mit ihrer Familie in Kuwait gelebt. Infolge der Absehbarkeit des Krieges sei sie am 15. Jänner 1991 mit ihren Töchtern nach Bagdad "geflüchtet" und habe bis Mitte 1991 bei ihrer Mutter gewohnt. Dann habe sie sich eine eigene Wohnung gesucht. Mitte 1991 sei ihre Wohnung routinemäßig durchsucht worden. Auf Grund der gefundenen Dokumente habe man sie gefragt, ob sie die Gattin des AF sei, was sie bejaht habe. Ihr Ehemann sei Mitglied der verbotenen "Nationalen Arabischen Partei" gewesen und habe bis zum Jahr 1986 "diese Parteitätigkeit auch aktiv ausgeübt"; ab diesem Zeitpunkt sei er nur noch passives Mitglied gewesen. 1986 sei er von Kuwait in den Irak zurückgereist, doch habe man ihn entgegen diesbezüglicher Zusagen sofort in Haft genommen, zum Tode verurteilt und schwerstens mißhandelt, sodaß er einen Tag nach seiner Flucht aus dem Gefängnis und seinem Eintreffen in Kuwait an den Folgen dieser Mißhandlungen gestorben sei. Die ermittelnden Beamten hätten diesen Umstand jedoch nicht gekannt. Mitte 1991 sei sie für eine Woche lang festgehalten und während der Verhöre geschlagen, erniedrigt und beleidigt worden. Nach ihrer Entlassung habe sie eine Blanko-Unterschrift leisten müssen, sei observiert, jedoch nach weiteren 10 Tagen wiederum festgenommen worden. Auch bei den neuerlichen Verhören sei sie wiederum geschlagen, erniedrigt und beleidigt worden. Von August 1991 bis 19. November 1992 habe sie sodann bei ihrer Mutter gelebt, deren Adresse den Behörden nicht bekannt gewesen sei, weshalb sie auch bis zu ihrer Ausreise unbehelligt geblieben sei. Sie habe bei der Zwischenlandung in Zypern nicht um Asyl angesucht, weil ihr die politische Lage in Österreich stabiler erschienen sei. Hier gäbe es überdies die notwendigen Medikamente gegen die Zuckerkrankheit einer ihrer Töchter.

Die Drittbeschwerdeführerin: Auch sie sei moslemisch-schiitischen Glaubens. Die politische Tätigkeit ihres Vaters sei für sie eine Belastung gewesen. Im Jahr 1991 sei ihre Mutter zweimal jeweils für eine Woche inhaftiert gewesen und sei über die politische Tätigkeit ihres Vater befragt worden. Sie habe Angst, daß sie auch verhört bzw. inhaftiert werde. Von Mitte 1991 bis November 1992 habe sie bei ihrer Großmutter in Bagdad gelebt. Sie sei während ihres Aufenthaltes im Irak keinen konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen. Die Mutter habe beschlossen, das Land mit ihnen gemeinsam zu verlassen. Sie habe in Zypern nicht um Asyl angesucht, weil sie von vornherein nach Österreich habe reisen wollen. Die politische Lage in Österreich sei stabiler als in Zypern; hier herrsche Demokratie und man sei hier vor etwaigen "Verbündnissen" mit dem Irak sicher. Falls sie in den Irak zurückkehren müsse, hätte sie mit einer langjährigen Haftstrafe oder eventuell mit der Todesstrafe zu rechnen, weil sie unerlaubt das Land verlassen habe.

Mit Bescheiden vom 10. Dezember 1992 wies das Bundesasylamt die Asylanträge der Beschwerdeführerinnen ab. Auf Grund der dagegen fristgerecht eingebrachten Berufungen der Beschwerdeführerinnen ergingen die nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheide, mit denen die belangte Behörde diese Berufungen als unbegründet abwies (jeweilige Spruchpunkte 1. der angefochtenen Bescheide) und gemäß § 8 Abs. 1 und 2 AsylG 1991 den befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet bis 15. September 1995 bewilligte (jeweiliger Spruchpunkt 2. der angefochtenen Bescheide). Die belangte Behörde begründete die Abweisung der Berufungen der Erst- und Drittbeschwerdeführerinnen im wesentlichen damit, diese hätten keine einzige, gegen sie selbst gerichtete Verfolgungshandlung glaubhaft machen können. Allein der Wunsch, die weitere Zukunft in Österreich zu verbringen, sei kein ausreichender Grund für die Asylgewährung, ebensowenig die bloß innere Abneigung eines Asylwerbers gegen das in seiner Heimat herrschende Regime. Der Berufung der Zweitbeschwerdeführerin entgegnete die belangte Behörde, Festnahmen, Verhöre und Befragungen allein seien nicht als asylrelevante Verfolgungshandlungen zu werten. Hätten die irakischen Behörden tatsächlich Interesse an einer weiteren Festnahme ihrer Person gehabt, so wäre es ihnen möglich gewesen, ihre Adresse bzw. die Adresse ihrer Mutter, bei der sie sich in letzter Zeit vor Verlassen des Heimatlandes aufgehalten habe, ausfindig zu machen. Aus objektiver Sicht betrachtet habe eine Unerträglichkeit eines weiteren Aufenthaltes in ihrem Heimatland nicht angenommen werden können. Es bestünde zu den bereits stattgefundenen Verhören und Verhaftungen kein zeitlicher Zusammenhang zum Verlassen ihres Heimatlandes mehr. Auch der Umstand, in Österreich leichter Medikamente für die Zuckerkrankheit der Drittbeschwerdeführerin zu erlangen, sei kein Asylgrund. In allen drei Beschwerdefällen verwies die belangte Behörde darüber hinaus darauf, daß alle Beschwerdeführerinnen bereits gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 in Zypern Verfolgungssicherheit erlangt hätten, weshalb auch dieser Ausschließungsgrund - unabhängig von der Verneinung ihrer Flüchtlingseigenschaft - auf alle drei Beschwerdeführerinnen gleichermaßen zutreffe.

Über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof nach Verbindung der Verfahren zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung infolge ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges erwogen:

Hinsichtlich der Erst- und Drittbeschwerdeführerin kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie auf der Grundlage der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens erster Instanz (§ 20 Abs. 1 AsylG 1991) - daß einer der Fälle des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 in der bereits bereinigten Fassung, BGBl. Nr. 610/1994, vorgelegen wäre, wurde weder in den Berufungen noch in den Beschwerden releviert - davon ausgegangen ist, daß die Beschwerdeführerinnen taugliche Asylgründe im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 nicht haben glaubhaft machen können. Insoweit kann, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die von der belangten Behörde herangezogene ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen werden. Auch insoweit die Beschwerdeführerinnen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere der Verletzung des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 in der bereinigten Fassung geltend machen, ist ihnen zu entgegnen, daß aus ihren Berufungen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von durch die belangte Behörde aufzugreifenden Verfahrensmängeln der Behörde erster Instanz hätten entnommen werden können. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen ausgesprochen hat, wird der Umfang der Ermittlungspflicht der Asylbehörden durch § 16 AsylG 1991 bestimmt, der eine Konkretisierung der sich aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. ergebenden Verpflichtung der Behörde darstellt, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen. Die Behörden haben daher im Rahmen ihrer Ermittlungspflicht allenfalls vorhandene Zweifel über Inhalt und Bedeutung des Vorbringens eines Asylwerbers durch entsprechende Erhebungen oder Befragungen zu beseitigen, wenn das Vorbringen eines Asylwerbers einen hinreichend deutlichen Hinweis auf einen Sachverhalt enthält, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Konvention in Betracht kommt. Konkrete Hinweise in diesem Sinne fehlten jedoch im Vorbringen der Beschwerdeführerinnen sowohl in erster Instanz als auch in den Berufungen. Liegen aber die Voraussetzungen für eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 nicht vor, hat die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 1 leg. cit. die Ermittlungsergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens ihrer Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 26. Juli 1995, Zl. 95/20/0010, und die dort wiedergegebene Judikatur). Konkret läßt sich den Beschwerden der Erst- und Drittbeschwerdeführerinnen lediglich ein Hinweis auf die der Familieneinheit dienenden Bestimmungen des Art. 8 EMRK bzw. § 4 AsylG 1991 entnehmen. Gegenstand der hier in Beschwerde gezogenen Verfahren waren jedoch Asylanträge der Beschwerdeführerinnen gemäß § 1 Z. 1 und 3 AsylG 1991 unter Geltendmachung eigener Fluchtgründe. Wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls mehrfach ausgesprochen hat, erweist sich eine "Umdeutung" eines Asylantrages gemäß § 1 Z. 1, 3 AsylG 1991 in einen sogenannten "Ausdehnungsantrag" gemäß § 4 AsylG 1991 als unzulässig, da "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG vor der belangten Behörde lediglich Asylanträge unter Geltendmachung eigener Fluchtgründe waren. Die diesbezüglichen Beschwerdebehauptungen gehen daher ins Leere.

Aber auch das Vorliegen des Ausschlußgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 wurde von der belangten Behörde zutreffend festgestellt. Bereits die erstinstanzliche Behörde hatte von diesem Asylausschließungsgrund Gebrauch gemacht, ohne daß die Beschwerdeführerinnen - in diesem Falle auch die Zweitbeschwerdeführerin - in ihren Berufungen ausreichend begründeten, aus welchen Umständen ihnen eine Asylantragstellung in Zypern rechtlich oder faktisch unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre. Im übrigen wird, um Wiederholungen zu vermeiden, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die zur Frage der "Verfolgungssicherheit" ergangene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere die hg. Erkenntnisse vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256, vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, sowie zuletzt vom 6. September 1995, Zl. 95/01/0030) verwiesen. Liegt jedoch der Asylausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 vor, kommt es auf die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 leg. cit. nicht mehr an, weil sich am Ergebnis für den Beschwerdeführer nichts mehr ändern könnte. Aus diesem Grunde kam es auf die weiteren Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin zu ihrer Flüchtlingseigenschaft auch nicht mehr an, weshalb darauf nicht mehr eingegangen werden mußte. Jedoch soll nicht unerwähnt bleiben, daß es nicht recht ersichtlich ist, aus welchen Gründen sich die Zweitbeschwerdeführerin wiederholten Verhören über die angeblich regimekritische Tätigkeit ihres Ehemannes unter zwangsweiser Erduldung von Beleidigungen und Mißhandlungen ausgesetzt hat, ohne die Behörden von dem bereits längere Zeit zurückliegenden Tod ihres Ehemannes zu informieren, dessen politische Tätigkeit ja nach ihren Angaben der einzige Grund für die Verhöre gewesen war.

Aus diesen Gründen waren die Beschwerden aller Beschwerdeführerinnen als unbegründet gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über die jeweiligen Aufwandersätze gründet sich auf § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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