VwGH 94/18/0184

VwGH94/18/018430.5.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Robl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des R in der BRD, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 8. Februar 1994, Zl. SD 427/93, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

EWR-Abk Art6;
EWR-Abk;
FrG 1993 §18 Abs1 Z1;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §18 Abs2;
FrG 1993 §31 Abs1;
EWR-Abk Art6;
EWR-Abk;
FrG 1993 §18 Abs1 Z1;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §18 Abs2;
FrG 1993 §31 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 8. Februar 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1 und 2 des Fremdengesetzes (FrG) ein Aufenthaltsverbot mit einer Gültigkeitsdauer von zehn Jahren erlassen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, im April 1981 habe in Lustenau ein Landesparteitag der NDP stattgefunden, zu dem auch bekannte "Rechtsradikale", darunter D und G als Sprecher geladen gewesen seien. Während mehrere Personen, die aus dem Ausland hätten einreisen wollen und mit uniformähnlichen Kleidungsstücken bekleidet gewesen seien, an der Grenze zurückgewiesen worden seien, sei es anderen uniformierten Personen mit solchen Einladungen, darunter auch dem Beschwerdeführer, gelungen, nach Österreich einzureisen. Der Beschwerdeführer habe sich damals im PKW eines anderen deutschen Staatsangehörigen befunden. Beide Personen - die für den Saalschutz vorgesehen gewesen seien - seien in die Bundesrepublik Deutschland zurückgeschoben worden. Die in der Berufung des Beschwerdeführers enthaltene Bestreitung seiner Teilnahme am NDP-Parteitag sei als Schutzbehauptung anzusehen.

Seitens deutscher Behörden seien den österreichischen Fremdenpolizeibehörden Informationen über den Beschwerdeführer zugegangen. Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1991 mit dem deutschen rechtsextremen Verein "Bürger- und Bauerninitiative" in Verbindung gestanden. Dazu behaupte der Beschwerdeführer, daß er allenfalls Zeitschriften dieses Vereines erhalten, jedoch sonst keine Verbindung bestanden habe.

Am 23. November 1982 sei der Beschwerdeführer wegen Volksverhetzung zu sechs Monaten Jugendstrafe mit Bewährung verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe dies bestritten und es möge auch richtig sein, daß dieses Urteil nicht rechtskräftig geworden sei, weil aus weiteren Informationen hervorgehe, daß gegen den Beschwerdeführer im Jahr 1983 Strafverfahren wegen Verhetzung und Zugehörigkeit zu einer verfassungswidrigen Organisation anhängig gewesen seien, wogegen einer Auskunft aus dem Zentralregister vom 10. November 1993 zufolge dort lediglich eine Verurteilung aus dem Jahr 1985 wegen Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung aufscheine.

Im Jahr 1983 sei der Beschwerdeführer als Betreiber bzw. Mitglied einer Wehrsportgruppe in der Bundesrepublik Deutschland registriert gewesen, was vom Beschwerdeführer bestritten werde. Im Jahr 1984 sei ermittelt worden, daß er deutsche Kontaktperson der rechtsextremen "Österreichischen Bürgerpartei" gewesen sei. Dazu habe sich der Beschwerdeführer dahingehend verantwortet, daß er diese nicht kenne.

Weiters sei festgestellt worden, daß der Beschwerdeführer im Jahr 1985 der "Jungen Front" als Mitglied angehört und Kontakt zu einer rechtsextremen Hilforganisation (HNG) und zur NS-Gruppe C gehabt habe. Dazu habe sich der geäußert, daß er möglicherweise Schriften der HNG erhalten habe; andere Beziehungen zu diesen Organisationen habe er bestritten.

Im Jahr 1989 sei der Beschwerdeführer gemeinsam mit Rechtsextremisten, darunter auch H, in Französisch-Guyana gewesen. Dies sei von ihm nicht bestritten worden; er habe sich dort aber nicht als Söldner anwerben lassen wollen.

Eine Erklärung der deutschen Sicherheitsbehörden, daß es sich bei ihm um einen militanten Neonazi mit Kontakten im In- und Ausland handle, werde von ihm bestritten.

Der Beschwerdeführer habe nicht bestritten, daß er im Jahr 1990 in der BRD Vortragsreisen des britischen Rechtsextremisten David Irving organisiert habe.

In der Zeit zwischen 1991 und Mai 1993 seien vom Generalbundesanwalt der Bundesrepublik Deutschland Ermittlungen wegen Verdachtes der Verabredung zur Gründung einer terroristischen Vereinigung ("Nationales Einsatzkommando") geführt worden, doch hätten nur Kontakte zu anderen Beschuldigten, jedoch kein konkreter Tatverdacht festgestellt werden können, sodaß die Ermittlungen eingestellt worden seien.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, es unterliege keinem Zweifel, daß sich das Gesamtverhalten eines Menschen gerade in einem solchen Fall häufig aus Mosaiksteinen bzw. Indizien zusammensetze, die in ihrer Gesamtheit dann die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertigten. Der Beschwerdeführer habe nicht bestritten, mit H in Französisch-Guyana gewesen zu sein und Veranstaltungen von David Irving organisiert zu haben. Seine Verantwortung, daß er im Jahr 1981 nicht in uniformierter Kleidung nach Österreich eingereist sei, um bei dem Parteitag der später aufgelösten rechtsextremen NDP Saalschutz zu versehen, erscheine widerlegt. Seine Behauptung, in der BRD nicht rechtskräftig verurteilt worden zu sein, sei angesichts der im Jahr 1985 erfolgten, wenn auch nicht schwerwiegenden Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung unrichtig. Dies und vor allem die Zahl der Vorwürfe und Indizien weise den Beschwerdeführer als rechtsextrem, und zwar - wie auch seine Anwesenheit in Französisch-Guyana unterstreiche - als militant rechtsextrem aus, wobei sich seine Aktivitäten offenbar nicht nur auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkten.

Auf Grund der Beweislage bestehe keine Gewähr dafür, daß der Beschwerdeführer allfällige Aufenthalte in Österreich nur zu Verwandtenbesuchen nützen werde. Ein Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich würde nationalsozialistische Bestrebungen radikaler Gruppen stärken und damit die öffentliche Ruhe und die innere und äußere Sicherheit der Republik gefährden.

Ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinne des § 19 FrG liege nicht vor, zumal hier keine engen Familienangehörigen des Beschwerdeführers, der hier keinen Wohnsitz habe und auch auf keinen (längeren) Aufenthalt hinweisen könne, lebten. Es bedürfe demnach auch keiner Interessenabwägung im Sinne des § 20 Abs. 1 FrG. Allfällige Besuche bei seiner Großmutter könnten dem Beschwerdeführer im Wege einer Bewilligung gemäß § 23 FrG gestattet werden.

Bei der Bemessung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes habe die Erstbehörde, wenngleich im vorliegenden Fall keineswegs gesagt werden könne, ob und wann der Beschwerdeführer seine Gesinnung ändern werde, auf § 21 Abs. 1 FrG Rücksicht genommen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Vorweg sei festgehalten, daß nach der Aktenlage die erstinstanzliche Behörde mit Bescheid vom 15. Juli 1993 ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen hat und daß dieser Bescheid mit dem angefochtenen Bescheid bestätigt und somit zum Inhalt dieses Bescheides geworden ist. Es ist auf einen offenbaren Schreibfehler zurückzuführen, wenn im Spruch des angefochtenen Bescheides erwähnt wird, die erstinstanzliche Behörde habe ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dies folgt auch aus dem Inhalt der Begründung zur Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes, die im Falle der Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes keinen Sinn ergeben würde. Im übrigen wäre die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes gemäß § 21 Abs. 1 FrG rechtswidrig gewesen.

2. Bei der Behandlung der vorliegenden Beschwerde ist zunächst zu beachten, daß mit 1. Jänner 1994 das EWR-Abkommen (BGBl. Nr. 909/1993) in Kraft getreten ist, sodaß die belangte Behörde bereits die Bestimmungen des vierten Teils des FrG, der Sonderbestimmungen für Einreise und Aufenthalt von EWR-Bürgern enthält, anzuwenden hatte.

§ 31 Abs. 1 FrG bestimmt, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger oder einen begünstigten Drittstaatsangehörigen nur zulässig ist, wenn auf Grund seines Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Wenn die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot im Spruch ihres Bescheides allein auf § 18 Abs. 1 FrG und nicht auf § 31 Abs. 1 gestützt hat, war dies zwar rechtswidrig, bewirkte aber keine Verletzung subjektiver Rechte des Beschwerdeführers, zumal § 18 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 leg. cit. bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, weiterhin insofern von Bedeutung sind, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der im § 18 Abs. 1 Z. 1 genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 18 Abs. 2 als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 692 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des NR XVIII. GP, Seite 45). Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, daß die knappe Formulierung des § 31 Abs. 1 FrG nicht dem Zweck dient, die Erlassung von Aufenthaltsverboten gegen EWR-Bürger zu erleichtern. Sie ist vielmehr nach den zitierten Erläuterungen zur Regierungsvorlage darauf zurückzuführen, daß nach Art. 6 des EWR-Abkommens die gesamte Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften für die Auslegung aller mit dem EG-Recht inhaltlich übereinstimmenden Bestimmungen des EWR-Abkommens heranzuziehen ist und eine kasuistische Regelung in einem dem § 18 Abs. 2 FrG vergleichbaren Katalog vermieden werden sollte.

3. Nimmt man im Sinne des zuvor Gesagten § 18 Abs. 2 FrG als "Orientierungsmaßstab", ist festzuhalten, daß im Beschwerdefall kein Sachverhalt verwirklicht ist, der einen der Tatbestände des § 18 Abs. 2 Z. 1 bis 8 FrG erfüllen könnte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Aufenthaltsverbot gestützt auf § 18 Abs. 1 FrG auch dann erlassen werden, wenn keiner der Tatbestände des § 18 Abs. 2 FrG erfüllt ist, jedoch triftige Gründe vorliegen, die in ihrer Gesamtheit die im § 18 Abs. 1 umschriebene Annahme rechtfertigen (siehe unter anderem die hg. Erkenntnisse vom 29. Juli 1993, Zl. 93/18/0301 und vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0290). Dies hat sinngemäß auch für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 31 Abs. 1 FrG zu gelten, zumal dort eine beispielsweise Aufzählung bestimmter Tatsachen nicht vorkommt.

Maßgebend für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger ist somit, daß die belangte Behörde ein Verhalten dieses Fremden feststellt, auf Grund dessen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Dies hat die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht getan. Strafbare Handlungen des Beschwerdeführers, aus denen sich die Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ableiten ließe, liegen nach der Aktenlage nicht vor. Die von der belangten Behörde erwähnte Verurteilung des Beschwerdeführers im Jahr 1985 wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung (nach der Aktenlage zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu 60 DM) ist - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift einräumt - für die Beurteilung im Sinne des § 31 Abs. 1 FrG ohne Bedeutung.

Als erwiesen annehmen durfte die belangte Behörde, daß der (damals im 17. Lebensjahr stehende) Beschwerdeführer im April 1981, nachdem er zum Zweck der Teilnahme am Landesparteitag der NDP eingereist war, "ausreisend gemacht" wurde. Daß der Beschwerdeführer dabei eine Straftat begangen hätte, wurde nicht festgestellt.

Hinsichtlich der Informationen seitens deutscher Behörden beschränkt sich die belangte Behörde im wesentlichen auf die Wiedergabe der Information und der in den meisten Fällen bestreitenden Stellungnahme des Beschwerdeführers, ohne daß erkennbar ist, welche Sachverhaltsfeststellungen die belangte Behörde in diesem Zusammenhang treffen will. Auf Grund der Erklärung des Beschwerdeführers durfte die belangte Behörde lediglich davon ausgehen, daß er im Jahr 1989 mit H in Französisch-Guyana gewesen ist und daß er diesen seit geraumer Zeit kennt. Die in der Begründung des angefochtenen Bescheides enthaltene Behauptung, der Beschwerdeführer habe die Organisation von Vortragsreisen des David Irving nicht bestritten, ist aktenwidrig, was von der belangten Behörde in der Gegenschrift auch zugestanden wird.

Die belangte Behörde hat die Angaben des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Widerlegung seiner Ausführungen betreffend die Umstände seiner Einreise im Jahr 1981 und seine bisherige Straffreiheit als unglaubwürdig bezeichnet. Ungeachtet der Frage, ob diese Auffassung schlüssig begründet wurde, enthob dies die belangte Behörde nicht der Verpflichtung, konkrete Feststellungen betreffend ein die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigendes Fehlverhalten des Beschwerdeführers zu treffen. Die im Jahr 1981 erfolgte Abschiebung und seine Bekanntschaft mit H stellen kein die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigendes Gesamtfehlverhalten dar, vor allem wenn man im Sinne des unter Punkt 2 Gesagten den Katalog des § 18 Abs. 2 FrG, insbesondere dessen Z. 1, als "Orientierungsmaßstab" heranzieht. Die Auffassung der belangten Behörde, die Zahl der Vorwürfe und Indizien weise den Beschwerdeführer als militant rechtsextrem aus, ist verfehlt, weil es für die Richtigkeit des von der belangten Behörde gezogenen Schlusses auf die Berechtigung der Vorwürfe und die Aussagekraft von Indizien ankommt und der angefochtene Bescheid, wie oben dargelegt, wesentliche Feststellungen in dieser Richtung nicht enthält.

4. Aus den genannten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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