VwGH 94/11/0104

VwGH94/11/010430.5.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des R in B, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 7. Februar 1994, Zl. 11-39 Ro 13-1994, betreffend Aufhebung eines Bescheides und Zurückverweisung an die Erstbehörde sowie Zurückweisung eines Feststellungsbegehrens, zu Recht erkannt:

Normen

KFG 1967 §67 Abs1;
KFG 1967 §71 Abs1;
KFG 1967 §75;
VwRallg;
KFG 1967 §67 Abs1;
KFG 1967 §71 Abs1;
KFG 1967 §75;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.680,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus Anlaß eines von ihm verschuldeten Verkehrsunfalles leitete die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur ein Verfahren zur Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers ein. Laut Aktenvermerk vom 8. Juli 1993 erklärte der Beschwerdeführer bei der amtsärztlichen Untersuchung, auf die Weiterbelassung des Führerscheins freiwillig zu verzichten; gleichzeitig gab er den Führerschein ab. Im Zuge des Parteiengehörs stellte der Beschwerdeführer laut Niederschrift vom 20. September 1993 durch seinen Rechtsvertreter den Antrag, von einer Entziehung der Lenkerberechtigung abzusehen und statt dessen mit Bescheid festzustellen, daß er durch die freiwillige Deponierung des Führerscheins bei der Behörde auf seine Lenkerberechtigung verzichtet habe. In der Folge entzog die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur mit Bescheid vom 21. Dezember 1993 dem im Jahre 1910 geborenen Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A bis C gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 wegen fehlender geistiger und körperlicher Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen (Spruchpunkt I). Unter Spruchpunkt II wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 20. September 1993 auf Feststellung, daß er durch die Abgabe seines Führerscheines freiwillig auf die Lenkerberechtigung verzichtet habe, zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Er machte geltend, daß infolge des Verzichtes auf die Lenkerberechtigung die Entziehung dieses bereits untergegangenen Rechtes nicht mehr möglich sei. Gleichzeitig wiederholte er sein Feststellungsbegehren.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde unter Bezugnahme auf § 66 Abs. 4 AVG Spruchpunkt I des erstinstanzlichen Bescheides aufgehoben und der Erstbehörde aufgetragen, nach Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens über die geistige und körperliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen neuerlich zu entscheiden. In Ansehung des Spruchpunktes II wurde die Berufung abgewiesen.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend und beantragt deshalb die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde begründete den angefochtenen Bescheid zum einen mit der Notwendigkeit eines ärztlichen Gutachtens über die geistige und körperliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen; ein solches sei bisher nicht erstattet worden. Zum anderen sei im KFG 1967 ein Verzicht auf die Lenkerberechtigung nicht vorgesehen. Es sei daher (zu ergänzen: ungeachtet eines Verzichtes auf die Lenkerberechtigung) bei Bedenken gegen die geistige und körperliche Eignung des Besitzers einer Lenkerberechtigung das Weiterbestehen dieser Eignung zu prüfen und bei negativem Ergebnis die Entziehung der Lenkerberechtigung auszusprechen.

Der Beschwerdeführer behauptet, in seinem Recht verletzt zu sein, "daß bei Vorliegen einer Verzichtserklärung hinsichtlich des Lenkens von Kfz die ... Lenkerberechtigung gem. § 71 Abs. 1 iVm § 67 Abs. 1 und 2 KFG nicht entzogen werden darf". Nach dem Gesetz habe die Entziehung der Lenkerberechtigung GEGEN DEN WILLEN des Betreffenden zu erfolgen, was die Ansicht der Behörde als unzutreffend erweise, daß ein Verzicht auf die Lenkerberechtigung nicht vorgesehen sei. So wie auf jedes andere Recht, mit dem nicht gleichzeitig eine Verpflichtung verbunden sei, könne auch auf die Lenkerberechtigung jederzeit verzichtet werden. Da sie im Falle eines Verzichtes erlösche, sei eine Entziehung nicht mehr möglich. Ein weiteres Ermittlungsverfahren habe zu unterbleiben.

Dieses Vorbringen läßt erkennen, daß sich die Beschwerde auch gegen die Zurückweisung des Feststellungsbegehrens des Beschwerdeführers richtet.

1. In Ansehung dieses Ausspruches wendet sich der Beschwerdeführer mit Recht gegen die Ansicht der belangten Behörde, ein Verzicht auf die Lenkerberechtigung sei nicht möglich. Es trifft zwar zu, daß das Kraftfahrgesetz 1967 einen Verzicht auf die Lenkerberechtigung nicht vorsieht. Daraus folgt aber nicht die Unzulässigkeit eines solchen Verzichtes. Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gehen in ihrer Rechtsprechung übereinstimmend von der grundsätzlichen Zulässigkeit eines Verzichtes auch im öffentlichen Recht aus (Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 1965, Slg. 5099, und des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. April 1956, Slg. 4047/A, sowie vom 9. April 1984, Zl. 83/12/0059). Sie wird auch in der Literatur bejaht (Oberndorfer, Zum Verzicht im öffentlichen Recht, insbesondere im Sozialrecht, JBl. 1989, 68; Gaisbauer, Zum Verzicht auf die Lenkerberechtigung, ZVR 1990, 323). Der Verwaltungsgerichtshof teilt die in der zuletzt genannten Literaturstelle vertretene Auffassung betreffend die Zulässigkeit des Verzichtes auf die Lenkerberechtigung. Ein zwingender Grund für die Unzulässigkeit des Verzichtes auf die Lenkerberechtigung (bei der es sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes um ein höchstpersönliches Recht handelt - Beschlüsse vom 5. Dezember 1984, Zl. 84/11/0048, und vom 1. März 1988, Zl. 87/11/0237) ist nicht ersichtlich. Bedenken bestehen auch nicht etwa im Hinblick auf die Möglichkeit, ein nach § 75 Abs. 2 KFG 1967 eingeleitetes Entziehungsverfahren allenfalls durch einen Verzicht auf die Lenkerberechtigung zu "unterlaufen". Ein solcher Verzicht hätte zwar zur Folge, daß die Berechtigung der aufgetretenen Bedenken in Ansehung einer Erteilungsvoraussetzung (vorerst) nicht mehr geprüft wird. Dies ist aber der Verkehrssicherheit deshalb nicht abträglich, weil im Falle eines neuen Antrages auf Erteilung einer Lenkerberechtigung die Kraftfahrbehörde ohnedies von Amts wegen das Vorliegen der Voraussetzungen hiefür zu prüfen hat. Die Möglichkeit dieser Prüfung besteht auch im Falle einer Antragstellung vor Ablauf von 18 Monaten ab dem Verzicht, weil diesfalls ein Absehen von der Einholung eines Gutachtens im Hinblick auf die offen gebliebenen Bedenken nicht in Betracht kommt.

Die Zurückweisung des Feststellungsbegehrens ist die Folge des aufgezeigten Verkennens der Rechtslage; der angefochtene Bescheid ist daher in Ansehung dieses Ausspruchs mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet.

2. In Ansehung der Aufhebung des unterinstanzlichen Entziehungsausspruches und des Auftrages an die Erstbehörde, nach Wiederholung des Ermittlungsverfahrens neuerlich zu entscheiden, fehlt es dann an einer notwendigen Voraussetzung für diesen als Einheit anzusehenden Ausspruch, wenn die Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers infolge rechtswirksamen Verzichts bereits untergegangen sein sollte. Dies hat die belangte Behörde - ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht - nicht erkannt; sie hat sich infolgedessen mit der besagten Frage nicht befaßt. (Bemerkt sei, daß die Äußerungen des Beschwerdeführers laut Aktenvermerk vom 8. Juli 1993 und Niederschrift vom 20. September 1993 eindeutig für einen rechtswirksamen Verzicht auf die Lenkerberechtigung sprechen.) Davon abgesehen ist der gegenständliche Ausspruch auch deshalb inhaltlich rechtswidrig, weil nach § 66 Abs. 4 AVG die Berufungsbehörde - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - immer in der Sache selbst zu entscheiden hat. Sie ist hiebei nur berechtigt, allenfalls notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch die Behörde erster Instanz durchführen zu lassen (§ 66 Abs. 1 AVG).

3. Aus diesen Gründen ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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