VwGH 94/02/0383

VwGH94/02/038327.1.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Eigelsberger, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 28. Juli 1994, Zl. Senat-NK-93-464, betreffend Übertretung des Arbeitsinspektionsgesetzes (mitbeteiligte Partei: F in M), zu Recht erkannt:

Normen

ArbIG 1993 §24 Abs1 Z1 litd;
AVG §66 Abs4;
VStG §22 Abs1;
VStG §51c;
ArbIG 1993 §24 Abs1 Z1 litd;
AVG §66 Abs4;
VStG §22 Abs1;
VStG §51c;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 15. Juni 1993 wurde der Mitbeteiligte für schuldig befunden, er habe es als Arbeitgeber zu verantworten, daß der schriftlichen Aufforderung des Arbeitsinspektorates Wiener Neustadt vom 15. April 1993 nicht nachgekommen worden sei, weil die angeforderten Unterlagen, nämlich 1) die Verzeichnisse über die an die Lenker ausgegebenen Fahrtenbücher für den Monat Feber 1993 von nachstehend angeführten Lenkern, 2) die Fahrtenbücher bzw. Durchschriften der Wochenberichtsblätter des Monats Feber 1993 von nachstehend angeführten Lenkern und

3) die dazugehörigen Diagrammscheiben des Monats Feber 1993 von nachstehend angeführten Lenkern (es folgen die Namen von 31 Personen) bis längstens 1. Mai 1993 dem zuständigen Arbeitsinspektorat Wiener Neustadt nicht übermittelt worden seien (die geforderten Unterlagen seien am 10. Mai 1993 beim Arbeitsinspektorat noch nicht eingelangt). Als Übertretungsnorm wurde § 24 Abs. 1 Z. 1 lit. d des Arbeitsinspektionsgesetzes in Verbindung mit § 8 Abs. 3 leg. cit. und § 17 des Arbeitszeitgesetzes in Verbindung mit § 5 der Fahrtenbuchverordnung, als Strafnorm § 24 Abs. 1 Z. 1 lit. d des Arbeitsinspektionsgesetzes angeführt. Über den Beschwerdeführer wurde eine Geldstrafe von S 15.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 14 Tage) verhängt.

Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Berufung, in welcher dieser den Antrag stellte, die ihm zur Last gelegte "Nichtvorlage der Arbeitszeitaufzeichnungen" nach § 28 Abs. 1 AZG zu bestrafen, gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 28. Juli 1994 gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge und behob das erstinstanzliche Straferkenntnis. Dies im wesentlichen unter Hinweis auf das in Verwaltungsstrafsachen geltende Kumulationsprinzip mit der Begründung, der Mitbeteiligte habe "mit jeder der in Punkt 1 bis 3 dargelegten Nichtvorlage der angeforderten Unterlagen" eine Verwaltungsübertretung begangen und sei daher zu jedem Punkt mit einer gesonderten Strafe zu belegen. Dagegen habe die Erstbehörde eine Gesamtstrafe verhängt, die eine Zuordnung der Höhe nach zu den jeweiligen Deliktstatbeständen nicht erlaube, sodaß das erstinstanzliche Straferkenntnis zu beheben gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Das Beschwerdevorbringen läßt sich dahin zusammenfassen, daß der Beschwerdeführer den angefochtenen Bescheid deshalb für rechtswidrig erachtet, weil dieser gegen die Vorschrift des § 66 Abs. 4 AVG verstoße. Der Beschwerdeführer ist damit im Recht:

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, außer in dem in Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. September 1982, Slg. Nr. 10 818/A) wird in einem Fall wie dem vorliegenden durch einen von der Berufungsbehörde getroffenen Abspruch, der spruchmäßig nicht mit einem Abspruch in der Sache verknüpft ist, die Regelung des § 66 Abs. 4 AVG verletzt. Die von der belangten Behörde in der Gegenschrift vorgetragenen Argumente vermögen hingegen nicht zu überzeugen:

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde handelt es sich bei § 66 Abs. 4 zweiter Satz AVG nicht um eine "Kann-Bestimmung". Vielmehr ist dieser Satz im Zusammenhang mit dem ersten Satz zu sehen und beinhaltet nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht der Berufungsbehörde. Weiters liegt kein Verstoß gegen das Verbot der "reformatio in peius" vor, wenn die Berufungsbehörde in Abänderung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses richtigerweise für drei Verwaltungsübertretungen drei Strafen statt einer "Gesamtstrafe" verhängt, soferne die Summe der drei Strafen die Höhe der "Gesamtstrafe" nicht übersteigt (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Aufl., S. 1033 f zitierte hg. Vorjudikatur).

Auch mit dem Hinweis auf § 51c VStG ist für die belangte Behörde nichts gewonnen: Nach dieser (mit "Zusammensetzung des unabhängigen Verwaltungssenates" überschriebenen) Bestimmung entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate über Berufungen durch Kammern, die aus drei Mitgliedern bestehen, wenn aber im angefochtenen Bescheid weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch eines ihrer Mitglieder.

Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung kommt es sohin für die Frage der Zuständigkeit allein darauf an, welche Strafe im "angefochtenen Bescheid" (Straferkenntnis) verhängt wurde. Steht auf diese Weise die Zuständigkeit der Kammer oder des einzelnen Mitgliedes fest, so kommt eine "Verschiebung" der Zuständigkeit zwischen diesen beiden Organen auch dann nicht in Betracht, wenn das nach dem angefochtenen Bescheid zuständige Organ zur Ansicht gelangt, es wäre richtigerweise ein anderer Abspruch (wie etwa statt einer "Gesamtstrafe" von über 10.000 S mehrere Strafen, die jeweils nicht diesen Betrag übersteigen) rechtens gewesen. Daraus folgt, daß auch die Vorschrift des § 51c VStG keine andere Betrachtungsweise des § 66 Abs. 4 AVG bedingt.

Da die belangte Behörde sohin die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

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