VwGH 93/18/0182

VwGH93/18/018221.9.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 15. Februar 1993, Zl. Fr 2732/92, betreffend Feststellung gemäß § 54 FrG, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1 impl;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;
AsylG 1991 §1 Z1 impl;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 15. Februar 1993 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (die belangte Behörde) aufgrund des Antrages des Beschwerdeführers auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Tunesien gemäß § 54 FrG fest, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Bedrohung gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bestünden.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die erstinstanzliche Behörde habe ihren abweisenden Bescheid darauf gestützt, daß in der tunesischen Strafprozeßordnung seit dem Jahre 1987 eine Anhaltung, ohne einen Zugang zum Rechtsanwalt oder der Familie zu erhalten, nur noch bis maximal zehn Tage möglich sei. Am 23. September 1988 habe Tunesien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ratifiziert. Durch das Gerichtsurteil werde dokumentiert, daß der Beschwerdeführer einem formellen Verfahren unterzogen worden sei. Es sei nicht Zweck der Bestimmungen des § 37 Abs. 1 und 2 FrG, daß sich Fremde, die gegen demokratische gesetzliche Normen verstoßen hätten, dem Strafantritt entziehen könnten.

Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung dagegen eingewendet, daß die tunesiche Regierung formale Schritte zum Schutz der Menschenrechte setze und auch das Übereinkommen gegen Folter ratifiziert habe. Es sei jedoch eine traurige Tatsache, daß etliche Regierungen Begriffe wie Demokratie und Menschenwürde eher inflationär gebrauchten. Die HIZB al NAHDA sei als extremistisch und islamisch fundamentalistisch bezeichnet worden. Es sei eine simple Verallgemeinerung, alle Bewegungen als terroristisch und gefährlich zu bezeichnen, die den Koran als Grundlage der Gesellschaft anstrebten. Innerhalb dieser Organisation gebe es zwei Flügel mit unterschiedlicher Zielsetzung. Da der Beschwerdeführer tatsächlich wegen seiner Mitgliedschaft bei der HIZB al NAHDA verfolgt worden sei, sei nicht erkennbar, warum ihm die Gefahr einer Verfolgung abgesprochen worden sei. Er sei aktives Mitglied der HIZB al NAHDA und habe eine leitende Funktion in der Schulorganisation innegehabt. Er sei 22 Tage lang von der Zivilpolizei gefangengehalten und grausam gefoltert worden. Er sei schwerst verletzt und geschwächt in ein Gefängnis überstellt worden. Er habe sich nie einer Gewalttat schuldig gemacht und sei mit Gewalttätern des extremistischen Flügels in einen Topf geworfen und einem unfairen Prozeß unterworfen worden.

Nach Wiedergabe der anzuwendenden Gesetzesstellen führte die belangte Behörde dazu aus, in Tunesien sei der Islam Staatsreligion. Die im Jahr 1989 durchgeführten Wahlen seien von oppositionellen Parteien angefochten worden. Die islamische Erneuerungspartei HIZB al NAHDA sei von der Regierung abgelehnt worden. Der Beschwerdeführer sei Moslem und seit 1984 Sympathisant dieser Bewegung. Im Jahre 1988 sei er als Mitglied der HIZB al NAHDA-Bewegung beigetreten. Seine Tätigkeit habe in der Propaganda für diese Bewegung, insbesondere an den Schulen, bestanden. Er habe Flugblätter verteilt. Er sei wegen dieser Mitgliedschaft strafrechtlich verurteilt und während seiner Haft bei der Zivilpolizei gefoltert worden. Die HIZB al NAHDA-Partei sei im Jänner 1989 gegründet worden. Sie verfolge ihre politischen Ziele teilweise mit kriminellen und terroristischen Mitteln. Der Beschwerdeführer bestreite an derartigen Handlungen teilgenommen zu haben. Er gebe vor, seine politischen Ziele ohne Gewalttaten zu verfolgen. Es entspreche auch den westlichen Demokratien, ihre obersten Organe durch strafgesetzliche Normen zu schützen. Ebenso bestünden Regelungen für die Nichtzulassung bestimmter Parteien. Der Beschwerdeführer sei in einem Gerichtsverfahren rechtskräftig verurteilt worden. Die Vollziehung einer gerichtlichen Entscheidung sei nicht von der Schutznorm des § 37 FrG erfaßt. In Polizeihaft hätten sich Übergriffe ereignet. Dieses Fehlverhalten sei offensichtlich nur den einzelnen Beamten zuzurechnen und nicht in dem nunmehr folgenden gerichtlichen Strafvollzug zu erwarten. Es könnten keine stichhaltigen Gründe für die Annahme gefunden werden, daß in seinem Heimatland Leben oder Freiheit des Beschwerdeführers aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, in eventu Rechtswidrigkeit des Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 54 Abs. 1 FrG hat die Behörde auf Antrag eines Fremden mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 leg. zit. bedroht ist.

Zufolge des § 37 Abs. 1 FrG ist die Abschiebung eines Fremden in einem Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß er Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

§ 37 Abs. 2 FrG sieht vor, daß die Zurückweisung oder Zurückschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig ist, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z. 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolles über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974).

Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, sie habe überhaupt kein Wort darüber verloren, daß er als Regimekritiker den Behörden bekannt und deshalb auch strafgerichtlich verurteilt worden sei. Die belangte Behörde sei in Wahrheit auf sein Vorbringen, er sei "nämlich nur scheinbar strafgerichtlich verurteilt worden", weil dies in Tunesien praktizierte Methode sei, um politische Gegner zu entfernen, überhaupt nicht eingegangen. "Völlig am zu ermittelnden Thema vorbei und auch rechtlich völlig unzulässig", habe die belangte Behörde die Rechtsansicht der Erstbehörde geteilt, daß die Vollziehung einer gerichtlichen Entscheidung nicht von der Schutznorm des § 37 FrG erfaßt sei.

Die Auffassung der belangten Behörde, eine Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 2 FrG liege nicht vor, kann angesichts des unstrittigen Sachverhaltes nicht geteilt werden. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer wegen seiner Mitgliedschaft bei der HIZB al NAHDA-Bewegung sich einer nach dem Recht seines Heimatstaates strafbaren Handlung schuldig gemacht hat, hat nicht zur Folge, daß diese strafrechtlichen Konsequenzen keine Bedrohung seiner Freiheit aus Gründen seiner politischen Gesinnung darstellen könnten. Strafverfahren wegen absolut politischer Delikte, aber auch wegen relativ politischer Delikte, das heißt anderer als politischer Delikte, die aus politischen Motiven oder zu politischen Zwecken begangen werden, können eine Bedrohung der Freiheit des Fremden aus Gründen seiner politischen Ansichten darstellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. April 1995, Zl. 93/18/0146, mit weiterem Nachweis). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe wegen der Mitgliedschaft bei einer politischen Bewegung kann daher die Gefahr der Verfolgung aus Gründen der politischen Ansichten darstellen, sodaß die Auffassung der belangten Behörde, "die Vollziehung einer gerichtlichen Entscheidung" sei vom Schutzumfang des § 37 FrG nicht erfaßt, rechtswidrig ist.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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