Normen
AVG §37;
AVG §52;
VwGG §34 Abs1;
WehrG 1990 §36a Abs1 Z2 idF 1992/690;
WehrG 1990 §36a Abs3 Z3;
AVG §37;
AVG §52;
VwGG §34 Abs1;
WehrG 1990 §36a Abs1 Z2 idF 1992/690;
WehrG 1990 §36a Abs3 Z3;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Eingabe an das Militärkommando Niederösterreich vom 19. Oktober 1990 beantragte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf das von ihm aufgenommene Studium der Betriebswirtschaftslehre den Aufschub des Antrittes des Grundwehrdienstes und überdies seine Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes. Diesen letzteren Antrag begründete er mit der Notwendigkeit der Bewirtschaftung seines 183,88 ha umfassenden Forstbetriebes ("Waldgut W"). Sein im Jahre 1915 geborener Vater habe sich aus gesundheitlichen Gründen gezwungen gesehen, dem Beschwerdeführer diesen Betrieb zu übergeben (mit 1. Juli 1990). Der Beschwerdeführer müsse weiters den 164,07 ha umfassenden, auf seinen in M berufstätigen Bruder übergegangenen Forstbetrieb ("Waldgut X") mitbewirtschaften. Die doppelte Belastung durch Betriebsführung und Studium nehme er im Interesse der Erhaltung des Betriebes und der Absicherung seiner Eltern in Kauf. In seiner Stellungnahme vom 22. Mai 1991 führte der Beschwerdeführer unter anderem aus, es sei ihm trotz seines Studiums möglich, nahezu täglich im Betrieb zu sein. Seine Mutter sei mit dem Haushalt ausgelastet und helfe nur gelegentlich bei der Buchhaltung. Seine Schwester studiere in W Kunstgeschichte.
Das Militärkommando Niederösterreich schob mit Bescheid vom 2. Jänner 1991 gemäß § 36 Abs. 6 Z. 2 des Wehrgesetzes 1990 den Antritt des Grundwehrdienstes für die Dauer des Hochschulstudiums, längstens bis 15. Februar 1996, auf. Das Befreiungsbegehren wies die Behörde mit Bescheid vom 28. Mai 1991 gemäß § 36 Abs. 2 Z. 2 leg. cit. ab. Die geltend gemachten wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers seien nicht besonders rücksichtswürdig, da der Beschwerdeführer von seinem Forstbetrieb abkömmlich sei, wie das von ihm aufgenommene Studium zeige. Im übrigen habe er in der dienstfreien Zeit, insbesondere an den Wochenenden, die Möglichkeit, in seinem Betrieb tätig zu sein.
In der Berufung gegen diesen Bescheid betonte der Beschwerdeführer neuerlich, daß die wirtschaftliche Situation des Forstbetriebes seinen persönlichen Einsatz erfordere. Ein von ihm angeregtes, von der Behörde aber nicht eingeholtes Gutachten hätte seine Unentbehrlichkeit im Betrieb belegt und das Ausmaß der das ganze Jahr hindurch anfallenden Arbeiten aufgezeigt. Die Doppelbelastung infolge eines Studiums neben der Führung des Betriebes nehme er im Interesse der Erhaltung desselben bewußt in Kauf. Der Hinweis der Behörde auf die Möglichkeit seiner Mitarbeit in der dienstfreien Zeit sei wirtschafts- und wirklichkeitsfremd, da der Betrieb durchgehend die Mitarbeit des Beschwerdeführers als Betriebsführer erfordere.
In seinen Stellungnahmen vom 23. März und vom 12. Juni 1992 brachte der Beschwerdeführer unter anderem vor, er übe als Betriebsführer neben seinem Studium die Arbeit eines hauptberuflichen Försters aus. Die andernfalls notwendige Einstellung eines Försters sei aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich. Sein Vater sei aufgrund des hohen Alters und seines Gesundheitszustandes zur Vornahme von Arbeiten und Kontrollen nicht mehr in der Lage; er habe sich vor kurzem einer komplizierten Augenoperation unterziehen müssen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie bejahte ein wirtschaftliches Interesse des Beschwerdeführers an seiner Befreiung aufgrund seines eigenen Betriebes, nicht jedoch wegen des Betriebes seines Bruders; insoweit gehe es um dessen wirtschaftliche Interessen. Das wirtschaftliche Interesse des Beschwerdeführers sei aber nicht besonders rücksichtswürdig, weil er den Betrieb in Kenntnis der bevorstehenden Präsenzdienstleistung übernommen und damit seine Dispositionspflicht verletzt habe. Daß unvorhersehbare Ereignisse es dem Beschwerdeführer nicht erlaubt hätten, mit der Übernahme des Forstbetriebes bis zur Erfüllung der Wehrpflicht zuzuwarten, sei dem vorliegenden Sachverhalt nicht zu entnehmen.
Die belangte Behörde bejahte ausdrücklich auch das Vorliegen eines familiären Interesses des Beschwerdeführers an seiner Befreiung von der Präsenzpflicht, da sein Vater aufgrund des hohen Alters und des daraus resultierenden Gesundheitszustandes allein nicht mehr in der Lage sei, den Beschwerdeführer in dessen Betrieb zu vertreten. Die besondere Rücksichtswürdigkeit dieses Interesses sei aber zu verneinen. Es sei der Mutter und den Geschwistern des Beschwerdeführers zumutbar, mit der nötigen Unterstützung und Kontrolle durch den Vater die Fortführung des Betriebes ohne Gefährdung des Gesundheitszustandes des Vaters zu gewährleisten, zumal ständig ein Werksvertragsverhältnis mit mehreren Landwirten bestehe und auch ständig ein Gutsarbeiter angestellt sei. Bei dieser Überlegung seien das Alter der Mutter des Beschwerdeführers, das hohe Alter seines Vaters, die persönliche Situation seiner Geschwister und die besondere wirtschaftliche Situation seines Betriebes berücksichtigt worden. Die Übernahme des Betriebes durch den Beschwerdeführer sei nicht die einzige und notwendige Möglichkeit zur Sicherung des Fortbestandes des Forstbetriebes gewesen.
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 19. März 1993, B 1761/92, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend; er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde räumt ein, daß mit der Übernahme des Forstbetriebes durch den Beschwerdeführer vor Antritt des Grundwehrdienstes eine Situation geschaffen wurde, die mit dessen Ableistung schwer vereinbar ist. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde sei dies aber nicht geschehen, um in der Folge daraus einen Befreiungsgrund abzuleiten. Ein Zuwarten mit der Übernahme des Betriebes, in dem der Beschwerdeführer bereits seit einigen Jahren mitgearbeitet habe, hätte bedeutet, unter Umständen die eigene wirtschaftliche Existenz, aber auch die wirtschaftliche Existenz seiner Familie "unter Berücksichtigung von Alter und Gesundheitszustand seines Vaters" zu gefährden. Der Vorwurf der Verletzung der Dispositionspflicht sei auch deshalb unberechtigt, weil das Alter und der Gesundheitszustand seines Vaters, das Fehlen der Eignung seiner Mutter und seiner Schwester zur Führung des Betriebes und der Umstand, daß seine Geschwister nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit den Eltern lebten, außerhalb der Dispositionsmöglichkeiten des Beschwerdeführers lägen. Im übrigen habe die belangte Behörde in irriger Interpretation der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Unrecht ein familiäres Interesse des Beschwerdeführers angenommen, da nunmehr der Beschwerdeführer und nicht mehr sein Vater Betriebsinhaber sei. Dieser bedürfe insoweit nicht mehr der Unterstützung durch den Beschwerdeführer.
Gemäß § 36a Abs. 1 Z. 2 des Wehrgesetzes 1990 (in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 690/1992) können taugliche Wehrpflichtige auf ihren Antrag von der Verpflichtung zur Leistung des Präsenzdienstes befreit werden, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.
Vorauszuschicken ist, daß der Beschwerdeführer ungeachtet des Aufschubes des Antrittes des Grundwehrdienstes bis 15. Februar 1996 durch den angefochtenen Bescheid in Rechten verletzt sein kann, da dieser Bescheid ab dem Ende der Wirksamkeit des Aufschiebungsbescheides (was bei früherem Abbruch oder Ende des Studiums schon vor dem 15. Februar 1996 der Fall wäre) für den Beschwerdeführer wirksam wird.
In Anbetracht der Übernahme und Führung des Forstbetriebes "Waldgut W" durch den Beschwerdeführer hat die belangte Behörde zu Recht ein wirtschaftliches Interesse an seiner Befreiung von der Präsenzdienstpflicht bejaht. Bei dieser Sachlage war aber entgegen ihrer Ansicht ein familiäres Interesse des Beschwerdeführers in Ansehung seines Betriebes nicht mehr gegeben. Die Annahme eines familiären Interesses eines Wehrpflichtigen setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 30. Juni 1987, Slg. 12.502/A) voraus, daß ein ANGEHÖRIGER in SEINEN Belangen auf die Unterstützung des Wehrpflichtigen angewiesen ist, die ihm dieser aber wegen der Ableistung des Präsenzdienstes nicht zu gewähren vermag. Die belangte Behörde hat daher, wie die Beschwerde zu Recht aufzeigt, insoweit die Rechtslage verkannt. Damit sind auch ihre darauf beruhenden Ausführungen betreffend die Möglichkeit der Unterstützung des Beschwerdeführers durch seine Familienmitglieder im Ansatz verfehlt. (Unter dem Aspekt einer allfälligen Unterstützung seines Vaters wird darauf nachstehend noch einzugehen sein.) In Ansehung des Waldgutes des Bruders des Beschwerdeführers ("X") wird in der Beschwerde - zu Recht - nicht das Bestehen eines besonders rücksichtswürdigen familiären Interesses des Beschwerdeführers an seiner Befreiung von der Präsenzdienstpflicht geltend gemacht.
Zutreffend hat die belangte Behörde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe durch die Übernahme des Forstgutes in Kenntnis der bevorstehenden Präsenzdienstleistung eine Tatsache geschaffen, die mit der Ableistung des Grundwehrdienstes schwer vereinbar ist. Dies stünde allerdings nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur (pachtweisen) Übernahme des elterlichen Betriebes durch einen Wehrpflichtigen (vgl. die Erkenntnisse vom 19. Februar 1991, Zl. 90/11/0120, und vom 16. April 1991, Zl. 90/11/0183) der Annahme eines besonders rücksichtswürdigen wirtschaftlichen Interesses an seiner Befreiung dann nicht entgegen, wenn der Beschwerdeführer auch ohne Übernahme des Betriebes wegen besonders rücksichtswürdiger familiärer Interessen zu befreien wäre. Diesfalls hätte der Beschwerdeführer durch die Übernahme die für den Fall der Einberufung zu erwartenden Schwierigkeiten nicht vergrößert oder gar erst geschaffen, wären sie doch auch sonst unvermeidlich gewesen, auch wenn es sich dabei nicht - wie jetzt - um wirtschaftliche Interessen des Beschwerdeführers gehandelt hätte. Angesichts dieser Rechtslage hatte die belangte Behörde eine "fiktive" Prüfung der familiären Interessen des Beschwerdeführers vorzunehmen (als solche Prüfung will die belangte Behörde in der Gegenschrift ihre diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid nunmehr verstanden wissen). Unter diesem Aspekt ist sie zu Recht davon ausgegangen, daß zur Unterstützung des Vaters nicht ausschließlich der Beschwerdeführer, sondern die ganze Familie berufen ist. Dabei kommt es allerdings entscheidend darauf an, ob und inwieweit den übrigen Familienmitgliedern eine Unterstützung des Vaters des Beschwerdeführers bei der Führung des Forstbetriebes möglich und zumutbar wäre (vgl. die soeben genannten Erkenntnisse vom 19. Februar 1991 und vom 16. April 1991).
Nach der (oben wiedergegebenen) Begründung des angefochtenen Bescheides habe die belangte Behörde das Alter der Eltern des Beschwerdeführers, die persönliche Situation seiner Geschwister und die besondere wirtschaftliche Situation seines Betriebes berücksichtigt. Dabei handelt es sich aber um eine bloße Behauptung. Mangels entsprechender Feststellungen und Erwägungen zur Erforderlichkeit und Möglichkeit der Unterstützung des Vaters des Beschwerdeführers bei der Betriebsführung ist nicht ersichtlich, von welchen Annahmen die belangte Behörde bei ihrer angeblichen Berücksichtigung der besagten Umstände tatsächlich ausgegangen ist und welche Erwägungen sie hiebei jeweils angestellt hat. Diese Begründungsmängel sind relevant, weil die Möglichkeit einer Mithilfe der Geschwister des Beschwerdeführers im Hinblick auf deren Aufenthalt in W bzw. M von vornherein fraglich erscheint und mit Rücksicht auf die Eigenart des Betriebes (Forstbetrieb) nicht ohne weiteres angenommen werden kann, daß die Mutter des Beschwerdeführers geeignet wäre, ihren Mann bei der Führung des Betriebes im erforderlichen Ausmaß zu unterstützen. Da die belangte Behörde die Abweisung des Befreiungsbegehrens ausschließlich auf die angenommene Verletzung der Harmonisierungspflicht durch den Beschwerdeführer gestützt hat, führen die aufgezeigten Mängel zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Im Interesse der Verfahrensökonomie ist für das fortzusetzende Verfahren folgendes festzuhalten:
Sollte die belangte Behörde nicht neuerlich zur Abweisung des Befreiungsbegehrens schon wegen Verletzung der Harmonisierungspflicht gelangen, wird sie auch die bisher nicht näher untersuchte Frage zu prüfen haben, ob eine vorübergehende Einstellung der Betriebstätigkeit während der Ableistung des Grundwehrdienstes oder zumindest eine Einschränkung auf einen vom Beschwerdeführer trotz Leistung des Grundwehrdienstes bewältigbaren Umfang eine Gefahr für die wirtschaftliche Existenz seines Forstbetriebes bedeutete. Erst eine solche Gefahr und nicht schon der durch die Leistung des Grundwehrdienstes bedingte Einnahmenentfall als solcher rechtfertigte die Annahme eines besonders rücksichtswürdigen wirtschaftlichen Interesses des Beschwerdeführers an seiner Befreiung. Der Entfall des bisherigen Einkommens trifft jeden Grundwehrdienstleistenden. Auf die Höhe dieses Einkommens kann es unter dem Gesichtspunkt der Wehrgerechtigkeit nicht ankommen. Die belangte Behörde wird die aufgezeigte Frage - nach Vorliegen eines dahingehend präzisierten Vorbringens des Beschwerdeführers - unter Beiziehung von Sachverständigen zu beantworten haben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren betreffend Umsatzsteuer war abzuweisen, da diese im pauschalierten Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist.
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