VwGH 94/18/0332

VwGH94/18/033223.6.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des F in A, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in H, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 12. April 1994, Zl. III 39-2/94, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1 sowie den §§ 19, 20, 21 und 31 Abs. 1 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Zunächst nahm die belangte Behörde folgende Verurteilungen des Beschwerdeführers durch deutsche Gerichte als erwiesen an:

Wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe (Urteil des Amtsgerichtes München, rechtskräftig seit 16. Dezember 1983); wegen fortgesetzten sexuellen Mißbrauches eines Kindes in Tateinheit mit homosexuellen Handlungen und sexuellen Mißbrauches von Schutzbefohlenen, begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren (Urteil des Amtsgerichtes Alsfeld, rechtskräftig seit 29. Jänner 1985); wegen Mißbrauches von Titeln zu einer Geldstrafe (Urteil des Amtsgerichtes Calw, rechtskräftig seit 13. August 1985); wegen Betruges in zehn Fällen, Beihilfe zum Bankrott zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr mit einer Bewährungszeit von vier Jahren (Urteil des Amtsgerichtes Hechingen, rechtskräftig seit 20. September 1989).

Der Beschwerdeführer, in Deutschland seit dem Jahr 1966 staatlich geprüfter Heimerzieher, halte sich seit Jänner 1990 mit seiner 70jährigen Mutter in Österreich auf; sein 31jähriger Ziehsohn sei kurze Zeit später nachgefolgt. Die Genannten hätten von November 1990 bis Oktober 1992 in Zusammenarbeit mit dem Verein "X" für ca. S 10.000,-- pro Person und Monat schwerstbehinderte Menschen betreut. Am 5. September 1992 habe die Mutter eines Behinderten beim Beschwerdeführer und seinen Angehörigen die "Herausgabe" ihres Sohnes verlangt; dies sei schießlich nach Ausstellung eines gerichtlichen Hausdurchsuchungsbefehls von der Gendarmerie durchgesetzt worden. Der Beschwerdeführer, seine Mutter und sein Ziehsohn seien daraufhin am 14. September 1992 wegen Verdachtes der Vernachlässigung eines Wehrlosen, der Freiheitsentziehung, der Veruntreuung und der Verleumdung der Staatsanwaltschaft Innsbruck angezeigt worden. In der Folge sei der Beschwerdeführer von der Gendarmerie weitere dreimal der Staatsanwaltschaft angezeigt worden, und zwar am 19. August 1993 wegen Verdachtes der gefährlichen Drohung gegen Nachbarn, am 22. August 1993 wegen Verdachtes der Tierquälerei und am 14. Jänner 1994 wegen Verdachtes der gefährlichen Drohung, des Hausfriedensbruches und der Sachbeschädigung.

In rechtlicher Hinsicht stellte die belangte Behörde folgende Überlegungen an: Das aus dem (vorstehenden) Sachverhalt ersichtliche Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers sei eine bestimmte Tatsache i.S. des § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG, welche die Annahme rechtfertige, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit gefährde. Die den angeführten gerichtlichen Verurteilungen zugrunde liegenden Taten seien im Hinblick auf die Rechtskraft dieser Verurteilungen als erwiesen anzusehen. Bezüglich der in Österreich gesetzten maßgeblichen Sachverhalte, beginnend mit der Nicht-Herausgabe eines Behinderten an seine Mutter, folge die belangte Behörde den Anzeigen der Gendarmerie, an deren Wahrheitsgehalt nicht der geringste Zweifel bestehe. Selbst wenn der Beschwerdeführer nicht wegen aller angezeigten Straftaten verurteilt werden würde, würde dies nichts Wesentliches an seinem Gesamtfehlverhalten ändern.

Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes bedeute einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers. Dieser Eingriff sei aber im Hinblick auf die Vielzahl und die Schwere der den gerichtlichen Verurteilungen in Deutschland zugrunde liegenden Straftaten sowie die in Österreich begangenen strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers zur Erreichung des im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zieles des Schutzes der öffentlichen Ruhe und Ordnung bzw. zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen des Beschwerdeführers dringend geboten (§ 19 FrG).

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 20 Abs. 1 FrG ging die belangte Behörde von einem dem vierjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet entsprechenden Integrationsgrad und sonstigen Bindungen aus. Dasselbe gelte im wesentlichen auch für die Mutter und den Ziehsohn des Beschwerdeführers. Letzterer wohne seit Oktober 1993 bei seiner Freundin bzw. deren Eltern; die Mutter wohne derzeit (wieder) gemeinsam mit dem Beschwerdeführer. Die familiären Bindungen des Beschwerdeführers seien intensiv. Die Bindungen des Beschwerdeführers, ja sein Leben überhaupt wie auch das seiner Angehörigen würden durch das Aufenthaltsverbot zweifellos beeinträchtigt, allerdings würden diese Beeinträchtigungen in den Hintergrund treten, wenn man sich einerseits die vom Beschwerdeführer ausgehende große Gefahr für die öffentliche Sicherheit und anderseits den Umstand vor Augen halte, daß der 31jährige Ziehsohn den Beschwerdeführer ohnehin schon freiwillig verlassen habe, und daß der Beschwerdeführer seine von ihm gepflegte 70jährige Mutter nach Deutschland mitnehmen und dort weiter pflegen könne. Im übrigen habe sich der Lebensmittelpunkt der Genannten ja auch schon vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet in Deutschland befunden. Es sei zwar einzuräumen, daß sich der Beschwerdeführer in Österreich um schwerstbehinderte Menschen gekümmert habe, allerdings vermöge dies - abgesehen vom ruhmlosen Ende dieser Tätigkeit - kein für den Beschwerdeführer günstigeres Abwägungsergebnis zu bewirken.

Der Aufnahme der vom Beschwerdeführer angebotenen Zeugenbeweise dazu, daß er für die öffentliche Ruhe und Ordnung keine Gefahr darstelle, bedürfe es angesichts seines durch die rechtskräftigen Vorstrafen dokumentierten Vorlebens in Deutschland nicht.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Vorweg ist festzuhalten, daß der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland EWR-Bürger im Sinne des § 28 Abs. 1 FrG ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 FrG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger nur zulässig, wenn aufgrund seines Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.

2. Die belangte Behörde stützte ihre Auffassung, daß im Beschwerdefall die im § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG umschriebene Annahme in Ansehung der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt (und damit auch die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 31 Abs. 1 leg. cit. gegeben) sei, sachverhaltsmäßig auf das durch die den rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen zugrunde liegenden Straftaten sowie durch die den Gegenstand der vier Gendarmerieanzeigen in den Jahren 1992, 1993 und 1994 bildenden, von ihr als erwiesen angenommenen strafbaren Handlungen konstituierte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers. Diese Ansicht der belangten Behörde ist jedenfalls hinsichtlich der von den Verurteilungen umfaßten Straftaten nicht als rechtswidrig zu erkennen, wird doch durch die zahlreichen und zum Teil schweren Gesetzesverstöße - die in der Beschwerde zur Gänze unbestritten blieben - ein Verhalten des Beschwerdeführers umschrieben, das in seiner Gesamtheit eine Gefährdung nicht bloß der öffentlichen Ordnung, sondern auch der öffentlichen Sicherheit darstellt.

3.1. Die Beschwerde meint, daß das Aufenthaltsverbot gemäß § 19 FrG nicht dringend geboten sei. Dies deshalb, weil durch die "Außerlandschaffung" des Beschwerdeführers "massivst" in dessen Privat- und "Arbeitsleben" eingegriffen würde, was gleichbedeutend mit dem Verlust der selbständigen Arbeitstätigkeit wäre, die der Beschwerdeführer mit "ungeheurem Enthusiasmus" seit mehr als vier Jahren ausübe. Darüber hinaus würde dies bedeuten, daß der Beschwerdeführer, der jahrelang im Bereich der "allgemeinen Wohlfahrt und Volksgesundheit" im Interesse der Republik Österreich tätig gewesen sei, keine Möglichkeit hätte, sich einem neuen, erfolgreichen Projekt in Salzburg (Abtenau) zu widmen. Schließlich sei dem Beschwerdeführer durch Verhängung einer einjährigen Freiheitsstrafe spezialpräventiv eindringlich vor Augen geführt worden, in Zukunft keine weiteren strafbaren Handlungen mehr zu begehren.

3.2. Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, daß die belangte Behörde - zutreffend - von einem nicht unerheblichen, i. S. des § 19 FrG relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ausging - eine Beurteilung, die erst die Notwendigkeit für sie schuf, die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes unter dem Gesichtspunkt des Dringend-geboten-seins dieser Maßnahme zu prüfen. Hiebei war von der belangten Behörde nicht darauf Bedacht zu nehmen, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß öffentliche Interessen gegeben sind, die für einen weiteren Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich sprechen könnten. Vielmehr hatte sie nach § 19 FrG iVm Art. 8 Abs. 2 MRK ausschließlich zu beurteilen, ob in der zuletzt genannten Norm angeführte öffentliche Interessen von solchem Gewicht vorliegen, daß sie den mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers notwendig machen. Dies aber durfte die belangte Behörde bejahen: Die zum Teil schweren Rechtsbrüche, derentwegen der Beschwerdeführer rechtskräftig verurteilt wurde, lassen das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer zur Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dringend geboten erscheinen. Daß diese Maßnahme nicht notwendig sei, um den Beschwerdeführer an weiteren Straftaten zu hindern, vermag die Beschwerde mit ihrem Hinweis auf die im Jahr 1989 über ihn verhängte Freiheitsstrafe nicht darzutun.

4.1. Nach Ansicht der Beschwerde hätte die gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorgenommene Abwägung zugunsten des Beschwerdeführers ausgehen müssen. Die äußerst hohe Integration des Beschwerdeführers, seine intensiven familiären und sonstigen Bindungen, seine Tätigkeit im Bereich der allgemeinen Wohlfahrt und Volksgesundheit wögen jedenfalls schwerer als "sämtliche Auswirkungen im Falle des Nichterlassens eines Aufenthaltsverbotes".

4.2. Auch damit zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides auf. Von einem hohen Integrationsgrad kann - so die belangte Behörde zutreffend - bei einem ca. vierjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet noch nicht gesprochen werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 1994, Zl. 93/18/0595). Intensive familiäre Bindungen (zu seiner Mutter und zu seinem Ziehsohn) sowie sonstige Bindungen entsprechend der Dauer seines Aufenthaltes berücksichtigte die belangten Behörde zugunsten des Beschwerdeführers, wobei sie allerdings mit Recht und insoweit die Intensität der Bindung zu seinem - im übrigen schon lange großjährigen - Ziehsohn relativierend daraufhinwies, daß dieser seit Oktober 1993 nicht mehr mit dem Beschwerdeführer zusammen lebe. Was die Pflegebedürftigkeit der Mutter anlangt, so verwies die belangte Behörde auf die Möglichkeit einer Fortsetzung der Pflege in Deutschland. Dem trat die Beschwerde mit der Behauptung, der Mutter des Beschwerdeführers seien größere Anstrengungen bzw. Aufregungen nicht mehr zumutbar, nicht ausdrücklich und substantiiert entgegen. Die mit dem Aufenthaltsverbot bewirkte Unterbindung einer weiteren allenfalls im öffentlichen Interesse gelegenen Tätigkeit des Beschwerdeführers im Bereich der Behindertenbetreuung kann nicht mit Erfolg für den Beschwerdeführer ins Treffen geführt werden, da im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG als für ein Verbleiben des Fremden im Bundesgebiet sprechende Umstände ausschließlich solche in Betracht kommen, die dem privaten und familiären Interessenbereich zuzuordnen sind.

Die somit nicht allzu stark ausgeprägten privaten (familiären) Interessen des Beschwerdeführers mußten als geringer gewichtig hinter den erheblichen gegenläufigen öffentlichen Interessen zurückstehen. Dies wurde von der belangten Behörde zutreffend erkannt.

5. Angesichts des Vorgesagten ist der Verfahrensrüge betreffend die Nichtaufnahme beantragter Zeugenbeweise zur Frage der Integration und der Bindungen des Beschwerdeführers der Boden entzogen.

6. Da die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

7. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein gesonderter zuzuerkennen.

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