Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit rechtskräftigem Bescheid vom 3. September 1991 lehnte die mitbeteiligte Partei die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des tödlichen Unfalles des Ehegatten der Beschwerdeführerin bei einer Tauchexpedition im Roten Meer mit der Begründung ab, daß zwar ein den Arbeitsunfällen gemäß § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG gleichgestellter Unfall vorliege, die genannte Gesetzesbestimmung jedoch nur zum Tragen komme, wenn sich der Unfall im Inland ereignet habe.
Am 20. August 1993 beantragte die Beschwerdeführerin die Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG durch bescheidmäßige Zuerkennung der abgelehnten Geldleistungen mit der Begründung, daß es sachverhaltsbezogen nicht darauf ankomme, daß der Arbeitsunfall im Ausland geschehen sei.
Diesen Antrag lehnte die mitbeteiligte Partei mit Bescheid vom 10. September 1993 mit der Begründung ab, daß sich aus dem von der Beschwerdeführerin geschilderten Sachverhalt über die näheren Umstände hinsichtlich der Tauchexpedition ihres Ehegatten keine neuen Gesichtspunkte ergäben und daher ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt oder ein offenkundiges Versehen im Sinne des § 101 ASVG nicht vorliege.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid. Begründet wurde diese Entscheidung damit, daß die mitbeteiligte Partei unter Bedachtnahme auf näher angeführte Judikatur ihrem Bescheid vom 3. September 1991 weder einen wesentlichen Irrtum über den Sachverhalt noch ein offenkundiges Versehen zugrundegelegt habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 101 ASVG in der Fassung des Art. I Z. 52 der 9. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 13/1962, lautet:
"Ergibt sich nachträglich, daß eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen."
Gemäß § 354 Z. 1 ASVG sind (unter anderem) Leistungssachen jene Angelegenheiten, in denen es sich um die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung einschließlich einer Feststellung nach § 367 Abs. 1, soweit nicht hiebei die Versicherungszugehörigkeit (§§ 13 bis 15), die Versicherungszuständigkeit (§§ 26 bis 30), die Leistungszugehörigkeit (§ 245) oder die Leistungszuständigkeit (§ 246) in Frage steht, handelt.
Gemäß § 355 ASVG sind alle nicht gemäß § 354 als Leistungssachen geltenden Angelegenheiten, für die nach § 352 die Bestimmungen dieses Teiles gelten, Verwaltungssachen.
Die Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG wurde von der Rechtsprechung grundsätzlich als ein Begehren auf "Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung" angesehen und damit den LEISTUNGSSACHEN im Sinne des § 354 ASVG zugeordnet, und zwar unabhängig davon, ob eine stattgebende oder eine den Anspruch auf Richtigstellung verneinende Entscheidung getroffen wurde.
Die vom OGH in seinen Beschlüssen vom 20. Juni 1989, 10 Ob S 21/88 (=SSV-NF 3/117) und 10 Ob S 235/88, in diesem Zusammenhang ins Treffen geführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes, in denen das Vorliegen einer VERWALTUNGSSACHE und damit die Zuständigkeit des Landeshauptmannes als Einspruchsbehörde bejaht wurde, beziehen sich auf die verfahrensrechtliche Frage der Zulässigkeit des Richtigstellungsantrages: Wurde die Zulässigkeit des Antrages nach § 101 ASVG verneint und der Antrag damit zurückgewiesen, so wurde eine der eigentlichen Leistungssache vorgelagerte, rein verfahrensrechtliche Hauptfrage entschieden, die den Verwaltungssachen im Sinne des § 355 ASVG zuzurechnen ist. Demgegenüber handelt es sich bei der - auch im Beschwerdefall vorliegenden - Frage der Begründetheit des Antrages um die Frage des "Ob" eines Anspruches und damit um eine Leistungssache im Sinne des § 354 ASVG.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 16. Juni 1992, Zl. 89/08/0264, ausführlich dargelegt hat, hält er an seiner Rechtsauffassung fest, daß zwar gegen Bescheide des Versicherungsträgers, mit denen die Unzulässigkeit eines Antrages nach § 101 ASVG ausgesprochen wurde, gemäß § 355 ASVG in Verbindung mit § 412 ASVG der Verwaltungsweg durch Einspruch an den Landeshauptmann eröffnet ist, Bescheide hingegen, mit denen im Sinne der Unbegründetheit des Antrages erkannt wird, zu den Leistungssachen im Sinne des § 354 Z. 1 ASVG gehören, gegen die Klage gemäß § 65 Abs. 1 ASGG zu erheben ist (vgl. auch die Erkenntnisse vom 16. März 1993, Zl. 91/08/0062 und Zl. 91/08/0079, sowie vom 11. Mai 1993, Zl. 93/08/0018).
Aufgrund dieser Erwägungen ergibt sich, daß die belangte Behörde im vorliegenden Fall über eine Leistungssache entschieden hat, zu der sie nicht zuständig war.
Der angefochtene Bescheid war daher - unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung nach § 39 Abs. 2 Z. 2 VwGG - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.
Der Beschwerdeführer wird auf die Möglichkeit einer Anrufung des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art. 138 Abs. 1 B-VG verwiesen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
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