VwGH 94/02/0027

VwGH94/02/002720.5.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde des G in X, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 6. Dezember 1993, Zl. UVS-03/21/03061/93, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

VStG §49 Abs2;
VStG §51 Abs6;
VStG §64 Abs1;
VStG §49 Abs2;
VStG §51 Abs6;
VStG §64 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Strafbemessung sowie der Vorschreibung der Kosten des Strafverfahrens erster und zweiter Instanz wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien vom 26. Juli 1993 wurde der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach der StVO für schuldig befunden; es wurde eine Geldstrafe von S 800,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) verhängt.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Einspruch, womit er ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe bekämpfte.

In der Folge erließ die Bundespolizeidirektion Wien das Straferkenntnis vom 21. Oktober 1993, mit welchem der Beschwerdeführer neuerlich wegen derselben Übertretung der StVO für schuldig befunden wurde. Es wurde jedoch eine Geldstrafe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 60 Stunden) verhängt. Weiters wurden dem Beschwerdeführer Kosten des erstinstanzlichen Strafverfahrens von S 100,-- vorgeschrieben.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 6. Dezember 1993 mit der Maßgabe keine Folge, daß der Spruch des Straferkenntnisses dahingehend zu lauten habe, daß dem Einspruch gegen die Strafverfügung vom 26. Juli 1993, der sich lediglich gegen die Höhe der verhängten Strafe richte, keine Folge gegeben werde und gemäß § 49 Abs. 2 VStG die verhängte Geldstrafe nunmehr S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 60 Stunden) betrage. Gemäß § 64 VStG habe der Einspruchswerber S 100,-- als Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Strafverfahrens und S 200,-- als Kosten des Berufungsverfahrens zu bezahlen.

Gegen diesen Bescheid der belangten Behörde vom 6. Dezember 1993 richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Der Beschwerdeführer erachtet sich (Beschwerdepunkte) "dadurch beschwert, als die Berufungsbehörde den erstinstanzlichen Strafausspruch bestätigte, anstatt die Strafe auf (höchstens) S 800,-- herabzusetzen, den erstinstanzlichen Kostenbeitrag bestätigte und (folgerichtig) einen Berufungskostenbeitrag vorschrieb".

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit seinem Vorbringen, daß auf Grund seines lediglich gegen die Höhe der verhängten Strafe erhobenen Einspruches gegen die Strafverfügung keine höhere Strafe verhängt hätte werden dürfen, ist der Beschwerdeführer im Recht:

§ 49 Abs. 2 VStG lautet:

Wenn der Einspruch rechtzeitig eingebracht wird, dann ist das ordentliche Verfahren einzuleiten. Der Einspruch gilt als Rechtfertigung im Sinne des § 40. Wenn im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, dann hat die Behörde, die die Strafverfügung erlassen hat, darüber zu entscheiden. In allen anderen Fällen tritt durch den Einspruch die gesamte Strafverfügung außer Kraft.

Der Verwaltungsgerichtshof versteht das Wort "darüber" im vorletzten Satz des § 49 Abs. 2 VStG im gegebenen Zusammenhang dahin, daß damit der Entscheidungsrahmen der Behörde erster Instanz insoweit abgesteckt ist, als nicht über das Begehren des Einspruchswerbers hinaus eine Entscheidungsbefugnis besteht. Das bedeutet, daß in einem Fall wie dem vorliegenden, wo der Einspruchswerber eine Herabsetzung der Strafe begehrt, in der Entscheidung über dieses Rechtsmittel keine höhere Strafe als in der Strafverfügung festgesetzt werden darf. Auch der Gesetzgeber ist bei Schaffung der nunmehrigen Fassung des § 49 Abs. 2 VStG (vgl. die Novelle BGBl. Nr. 358/1990 zum VStG 1950) offenbar davon ausgegangen, daß sich die Entscheidungsbefugnis der Behörde erster Instanz in einem solchen Fall "lediglich darauf beschränken" (soll), die Strafe zu bestätigen, herabzusetzen oder von ihr ganz abzusehen sowie über die Kosten abzusprechen (vgl. GP XVII RV 1090, S. 17). Auch in der Literatur (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, Seite 997) wird zu § 49 Abs. 2 vorletzter Satz VStG die Ansicht vertreten, der Ausspruch einer höheren Strafe durch die Erstbehörde sei, zumal es sich um ein (eingeschränktes) Rechtsmittel des Beschuldigten handle und der Schuldspruch bereits rechtskräftig sei, nicht vertretbar.

Die von der belangten Behörde zu ihrer gegenteiligen Rechtsansicht in der Gegenschrift vorgetragenen Argumente vermögen nicht zu überzeugen: Weshalb die Erstbehörde bei Beachtung des Verbotes, eine höhere Strafe als die in der Strafverfügung festgesetzte zu verhängen, gehindert ist, im Sinne des § 19 Abs. 2 VStG auf Erschwerungs- oder Milderungsgründe Bedacht zu nehmen und auch die allenfalls ungünstigen Einkommensverhältnisse des Beschuldigten zu berücksichtigen, ist nicht erkennbar. Daß eine ausdrückliche, dem § 51 Abs. 6 VStG analoge Regelung (betreffend das Verbot, aufgrund einer vom Beschuldigten oder zu seinen Gunsten erhobenen Berufung eine höhere Strafe zu verhängen) für den Fall des § 49 Abs. 2 vorletzter Satz VStG fehlt, hindert nicht die obzitierte, vom Verwaltungsgerichtshof vorgenommene Auslegung dieser Bestimmung. Der Hinweis der belangten Behörde auf das zur früheren Rechtslage ergangene hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1988, Zlen. 88/03/0074, 0140, und damit verbunden das Argument, die Worte "auch eine andere Strafe auszusprechen" seien in der nunmehrigen Regelung nicht enthalten, ist zwar richtig, doch darf nicht übersehen werden, daß für eine Absicht des Gesetzgebers, eine Verschlechterung der Rechtsposition des Einspruchswerbers in einem Fall wie dem vorliegenden herbeizuführen, kein Anhaltspunkt gegeben ist (vgl. neuerlich die oben dargestellten Materialien zur VStG-Novelle BGBl. Nr. 358/1990). Schließlich vermag der Verwaltungsgerichtshof auch der belangten Behörde insoweit nicht zu folgen, als sie in der Gegenschrift darlegt, bei der von ihr gewählten Auslegung des § 49 Abs. 2 vorletzter Satz VStG entstünde dem Beschuldigten kein Nachteil, weil er ohnedies die Möglichkeit der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat habe, welcher das Strafausmaß zu überprüfen und allenfalls herabsetzen könne. Es liegt nämlich auf der Hand, daß über den Beschuldigten auch in einem solchen Fall im Instanzenzug eine höhere Strafe als jene, welche in der Strafverfügung festgesetzt war, verhängt werden könnte. Die gegen den Beschwerdeführer im Instanzenzug ausgesprochene Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) erweist sich sohin als rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich der Strafbemessung sowie der damit verbundenen Vorschreibung von Kosten des Strafverfahrens erster und zweiter Instanz (§ 64 Abs. 1 und 2 VStG) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben).

Für das fortgesetzte Verfahren sei allerdings auf folgendes verwiesen:

Gemäß § 64 Abs. 1 VStG ist in jedem Straferkenntnis und in jeder Entscheidung eines unabhängigen Verwaltungssenates, mit der ein Straferkenntnis bestätigt wird, auszusprechen, daß der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten hat.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers bietet sich kein Anhaltspunkt dafür, daß eine Erledigung nach § 49 Abs. 2 vorletzter Satz VStG in Hinsicht auf das bekämpfte Ausmaß der verhängten Strafe kein "Straferkenntnis" bildet, wird doch durch einen derartigen Einspruch in diesem Umfang das ordentliche Verfahren eingeleitet, welches eben durch ein "Straferkenntnis" beendet wird. Ob allerdings auch bei "Herabsetzung" der in der Strafverfügung festgesetzten Strafe durch eine Erledigung nach § 49 Abs. 2 vorletzter Satz VStG die Vorschreibung von Kosten des Strafverfahrens erster Instanz in Betracht kommt, war nicht zu untersuchen, weil ein solcher Fall (vorläufig) nicht vorliegt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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