VwGH 93/08/0159

VwGH93/08/015930.9.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt, W, gegen den aufgrund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 1. Juni 1993, Zl. IVb/7022/7100 B, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
AVG §45 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 16. März 1992 die Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Zum Nachweis der Anwartschaft legte sie zwei Urkunden vor: die Arbeitsbescheinigung der Firma E vom 1. Dezember 1979, wonach sie in diesem Unternehmen vom 19. März 1975 bis 30. November 1979 als Arbeiterin beschäftigt gewesen sei, sowie eine Bestätigung des Ortamtes B (der Sozialistischen Republik Bosnien und Herzegowina) vom 22. Februar 1992 im Original und in einer belaubigten deutschen Übersetzung, wonach sie in der Ortsgemeinschaft B in der Zeit vom 15. Dezember 1978 bis 20. Februar 1992 als Putzfrau beschäftigt und als solche versichert gewesen sei.

Mit Bescheid vom 3. August 1992 wies das Arbeitsamt Versicherungsdienste (Wien) den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Z. 2 in Verbindung mit den §§ 14, 15 Abs. 1 AlVG mangels Erfüllung der Anwartschaft ab. Begründet wurde diese Entscheidung damit, daß aus der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Bestätigung des Ortsamtes B hervorgehe, daß sie in der Zeit vom 15. Dezember 1978 bis 20. Februar 1992 in der genannten Art beschäftigt gewesen sei. Sie habe jedoch gleichzeitig in der Zeit vom 19. März 1975 bis 2. Dezember 1979 gearbeitet und daher gar nicht ab 15. Dezember 1978 in Jugoslawien beschäftigt sein können. Der Bestätigung (des Ortamtes) B komme daher keine Glaubwürdigkeit zu. Da somit keine Rahmenfristerstreckungstatbestände nachgewiesen worden seien, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte die Beschwerdeführerin ein, sie sei vom 19. März 1975 bis 2. Dezember 1979 nachweisbar in Österreich und ab Jänner 1980 dann in Jugoslawien beschäftigt gewesen. Die Originalpapiere lägen alle im Arbeitsamt. Es müsse ein Irrtum beim Ablesen in der Jahreszahl passiert sein. Sie ersuche daher um nochmalige Überprüfung.

In ihrer niederschriftlichen Vernehmung vor der belangten Behörde am 22. September 1992 gab sie an,

"daß ich schon gewußt habe, daß ich eine Bestätigung über meine Arbeit in Jugoslawien brauchen werde. Ich habe darum nach Jugoslawien geschrieben und eine Kopie meiner Arbeitsbestätigung bei Firma E mitgeschickt. Als ich die Bestätigung erhielt, stellte ich den Antrag auf AlG. Ich glaube, daß von der ausstellenden Behörde die Jahreszahl verwechselt wurde. Ich habe bis 30.11.79 in Österreich gearbeitet und bin dann nach Jugoslawien gefahren. Ich habe im Jänner 1980 mit meiner Beschäftigung begonnen. Ich war Putzfrau bei der Gemeinde. Ich weiß nicht, warum das auf der Bestätigung falsch geschrieben wurde. Ich kann jetzt nicht um eine Berichtigung der Bestätigung hinschreiben, da B im Kriegsgebiet liegt."

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid. In der Bescheidbegründung wird nach Zitierung der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen und nach Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides sowie der Berufung ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe in der Folge der belangten Behörde genauere Daten für eine amtliche Anfrage gegeben. Da jedoch ihr Heimatort im Kriegsgebiet liege, sei bisher auf die amtliche Anfrage keine Antwort eingelangt. Die Beschwerdeführerin habe aber selbst eine neuerliche Bestätigung der Ortskanzlei B besorgt, in der nunmehr ihre Beschäftigung vom 15. Dezember 1979 bis 20. Februar 1992 bestätigt sei. Die belangte Behörde habe aber den Einwand der Beschwerdeführerin, es sei bei der ersten Bestätigung beim Ablesen der Jahreszahl ein Irrtum passiert, für nicht glaubwürdig erachtet. Denn während die von der Beschwerdeführerin als falsch erklärte erste Bestätigung im Original vorliege, habe sie die berichtigte Bestätigung nur als deutsche Übersetzung vorgelegt, sodaß die Übereinstimmung mit dem Original der freien Beweiswürdigung unterlegen und der Beweis der Echtheit von der Beschwerdeführerin nicht erbracht worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich die Beschwerdeführerin gegen die Schlüssigkeit und Mängelfreiheit der Beweiswürdigung der belangten Behörde wendet. Die belangte Behörde habe zur abschließenden Beurteilung der im Beschwerdefall entscheidungswesentlichen Frage, von wann bis wann die Beschwerdeführerin tatsächlich in Jugoslawien beschäftigt gewesen sei, den Sachverhalt keineswegs ausreichend erhoben. Wegen des Vorliegens zweier teilweiser nicht übereinstimmender Urkunden in bezug auf denselben Sachverhalt wäre die belangte Behörde vielmehr verpflichtet gewesen, auch andere Ermittlungen vorzunehmen bzw. Beweismittel heranzuziehen. Insbesondere hätte sie die Beschwerdeführerin selbst und/oder Zeugen zwecks Abklärung der gegenständlichen Frage einvernehmen können und aufgrund der Amtswegigkeit des Verfahrens wohl auch sollen. Auch hätte sie zur Abklärung der von ihr in Zweifel gezogenen Glaubwürdigkeit der zweiten Bestätigung die Beschwerdeführerin zwecks abschließender Abklärung auffordern können, nochmals eine Bestätigung über ihre Beschäftigungszeit in Jugoslawien samt einer beglaubigten Übersetzung einzuholen und vorzulegen. Unzutreffend sei auch, daß die Übereinstimmung des Textes der zweiten, ebenfalls von einem gerichtlich beeideten Dolmetscher beglaubigten Übersetzung mit dem Text der Originalurkunde der freien Beweiswürdigung unterliege. Ein Indiz für die Glaubwürdigkeit der von der Beschwerdeführerin gemachten Angaben (über ihre Beschäftigung in Jugoslawien) stelle schließlich der Umstand dar, daß sie selbst im Berufungsverfahren angeboten habe, die belangte Behörde solle amtliche Erkundigungen bzw. Anfragen an die zuständigen Stellen in Jugoslawien richten.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift. Darin verwies sie unter anderem darauf, daß die Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren nur die Übersetzung einer Bestätigung der Ortskanzlei B ohne Beibringung des Originals vorgelegt habe, die übersetzte Bestätigung jedoch dieselbe Zahl und dasselbe Datum wie die erste Bestätigung trage, allerdings als Beginn der Beschäftigung den 15. Dezember 1979 nenne. Auch finde sich auf der neuen Bestätigung die Anmerkung des Übersetzers: "Das mir zur Übersetzung vorgelegte Schriftstück ist eine unbeglaubigte Fotokopie." Auch habe die Beschwerdeführerin bei ihrer Vernehmung angegeben, ab 1. Jänner 1980 beschäftigt gewesen zu sein.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bekämpft mit ihren Einwänden letztlich die Beweiswürdigung der belangten Behörde. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, daß der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, daß - sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist - die Würdigung der Beweise keinen anderen, insbesondere keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen (vgl. unter anderem das Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. Nr. 8.619/A). Unter Beachtung der nämlichen Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. unter anderem das Erkenntnis vom 17. November 1992, Zl. 92/08/0071, mit weiteren Judikaturhinweisen). Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d.h. ihr mit der Begründung entgegenzutreten, daß auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. unter anderem das Erkenntnis vom 25. Jänner 1994, Zl. 92/08/0226).

Bei einer Prüfung des angefochtenen Bescheides unter diesen Gesichtspunkten kommt den wiedergegebenen Beschwerdeeinwänden aus nachstehenden Gründen im Ergebnis Berechtigung zu:

Die belangte Behörde erachtet die für die Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin wesentliche Behauptung, sie sei nach ihrer Beschäftigung in Österreich in Jugoslawien beschäftigt gewesen, nach der Bescheidbegründung deshalb nicht für erwiesen, weil sie - so wie die erstinstanzliche Behörde - die erste von der Beschwerdeführerin vorgelegte Bestätigung des Ortsamtes B wegen des darin angeführten Beginns der angeblichen Beschäftigung für inhaltlich unrichtig hält, die versuchte Erklärung der Beschwerdeführerin für die Anführung dieses unrichtigen Datums, es müsse "beim Ablesen der Jahreszahl ein Irrtum passiert sein" (bzw. sie "glaube, daß von der ausstellenden Behörde die Jahreszahl verwechselt" worden sei), und die zum Nachweis dieser Deutung nur in einer deutschen Übersetzung vorgelegte zweite Bestätigung mit dem Beginndatum "15.12.1979" aber wegen Vorliegens der von ihr als falsch erklärten ersten Bestätigung im Original für unglaubwürdig erachtet.

Schon die Schlußfolgerung aus dem Vorliegen der Originalurkunde mit dem Beginndatum "15.12.1978" auf die Unglaubwürdigkeit der versuchten Erklärung der Beschwerdeführerin für die Anführung dieses Datums und damit letztlich ihrer Behauptung, sie sei in der Zeit nach ihrer Beschäftigung in Österreich bis 1992 in Jugoslawien beschäftigt gewesen, verstößt gegen die Denkgesetze, weil es unlogisch ist, aus dem Vorliegen einer (nach Behauptung der Beschwerdeführerin teilweise unrichtigen) Urkunde im Original auf die Unglaubwürdigkeit der versuchten Erklärung für diese Unrichtigkeit und damit letztlich ihrer behaupteten Beschäftigung in Jugoslawien zu schließen. Die belangte Behörde hätte vielmehr, wenn sie schon der mehrfach genannten "zweiten Bestätigung" wegen Nichtvorliegens des (nur eine Fotokopie darstellenden) Schriftstücks, von dem der gerichtlich beeidete Dolmetscher die Übersetzung anfertigte, keine Bedeutung beizumessen glaubte, - in Übereinstimmung mit dem Beschwerdevorbringen - allenfalls nach Aufforderung der Beschwerdeführerin, das Schriftstück, von dem die zweite Übersetzung angefertigt wurde, vorzulegen, amtswegige Ermittlungen über den von der Beschwerdeführerin behaupteten Fehler "beim Ablesen der Jahreszahl" bzw. über die Verwechslung der Jahreszahl durch die ausstellende Behörde (dies ungeachtet der Frage der Beweiskraft dieser Urkunde: vgl. dazu das Erkenntnis vom 14. Februar 1985, Zl. 84/08/0238), vor allem aber über die entscheidungswesentliche Behauptung dieser tatsächlichen Beschäftigung in Jugoslawien anstellen müssen.

Da die belangte Behörde somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne daß auf die von der Beschwerdeführerin - als Replik auf die Gegenschrift - im Original und in einer beglaubigten deutschen Übersetzung vorgelegte Bestätigung des Ortsamtes Bukvik vom 10. Juli 1993, wonach die Beschwerdeführerin in der Ortsgemeinschaft B "ab 15.12.1979 bis 20.2.1992" als Putzfrau gearbeitet habe, einzugehen war. Auf sie wird - im Falle ihrer Vorlage durch die Beschwerdeführerin - allenfalls im fortzusetzenden Verfahren Bedacht zu nehmen sein.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.

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