VwGH 93/03/0294

VwGH93/03/029430.11.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte DDr. Jakusch und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Werner, über die Beschwerde des Dr. P, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 15. September 1993, Zl. UVS 30.9-83/92-11, betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §914;
GBG §10;
GBG §3 Abs3;
LiegTeilG 1929 §30;
StVO 1960 §93 Abs1;
VermG 1968 §7a;
ABGB §914;
GBG §10;
GBG §3 Abs3;
LiegTeilG 1929 §30;
StVO 1960 §93 Abs1;
VermG 1968 §7a;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, am 5. Dezember 1990 gegen 14.00 Uhr und am 9. Dezember 1990 gegen

15.30 Uhr als Eigentümer der Liegenschaft EZ 71 KG M nicht dafür gesorgt zu haben, daß der in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandene, dem öffentlichen Verkehr dienende Gehsteig in der Waldgasse entlang der Liegenschaft des Beschwerdeführers im Ortsgebiet von M von Schnee gesäubert sowie bei Schnee bestreut gewesen sei, obwohl er dazu in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr verpflichtet gewesen wäre. Er habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach § 93 Abs. 1 StVO 1960 begangen, weshalb gemäß § 99 Abs. 4 lit. h StVO 1960 Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt worden sind.

In der Begründung des Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei Eigentümer der Liegenschaft EZ 71 KG M, welche aus den Grundstücken Nr. 76 (Nutzungsart Garten) sowie .4 und .5 bestehe. Laut Flächenwidmungsplan der Stadtgemeinde M sei die gesamte Liegenschaft EZ 71 im Bauland gelegen und sowohl als "Kerngebiet" wie auch als "reines Wohngebiet" ausgewiesen. Auf dem Gst. Nr. 76.5 befinde sich das Wohnhaus des Beschwerdeführers, auf dem Gst. Nr. 76.4 der Stadtturm. Das Gst. Nr. 76 mit einem Ausmaß von 9.482 m2 werde zwar, wie sich das aus einem Gutachten der Bezirkskammer für Land- und Forstwirtschaft ergebe, landwirtschaftlich genutzt; aufgrund der Widmung gelte es aber nicht als land- und forstwirtschafte Liegenschaft. Daraus ergebe sich die Räumungsverpflichtung nach § 93 StVO 1960. Zudem sei die Liegenschaft wegen des Wohnhauses des Beschwerdeführers auf dem Grundstück .5 als verbaut anzusehen. Entlang der Grenze des Gst. Nr. 76 zur Waldgasse (Gst. Nr. 638/2) befinde sich auf dem Gst. Nr. 638/2 zwischen dem Gehsteig und der Grundgrenze ein Grünstreifen, dessen Breite zwischen 20 cm und 1 m betrage. Auch wenn die Stadt M diesen Grundstreifen gelegentlich gepflegt habe, treffe die Verpflichtung nach § 93 Abs. 1 StVO 1960 hinsichtlich des Gehsteiges den Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer habe geltend gemacht, die Verpflichtung nach § 93 Abs. 1 StVO 1960 auf die "Steirischen Kulturveranstaltungen", welcher das Grundstück für die Landesausstellung 1991 überlassen worden sei, übertragen zu haben. Aus Punkt VI der schriftlichen Vereinbarung zwischen dem Beschwerdeführer und den "Steirischen Kulturveranstaltungen" vom 8. März 1991 ergebe sich jedoch keine derartige Vereinbarung. Eine derartige Vereinbarung sei auch nicht mündlich getroffen worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 93 Abs. 1 StVO 1960 lautet:

Die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten, ausgenommen die Eigentümer von unverbauten land- und forstwirtschaftlichen Liegenschaften, haben dafür zu sorgen, daß die entlang der Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen entlang der ganzen Liegenschaft in der Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut sind. Ist ein Gehsteig (Gehweg) nicht vorhanden, so ist der Straßenrand in der Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen. Die gleiche Verpflichtung trifft die Eigentümer von Verkaufshütten.

§ 93 Abs. 5 StVO 1960 lautet:

Andere Rechtsvorschriften, insbesondere das Hausbesorgergesetz, BGBl. Nr. 16/1970, werden durch Abs. 1 bis 4 nicht berührt. Wird durch ein Rechtsgeschäft eine Verpflichtung nach Abs. 1 bis 3 übertragen, so tritt in einem solchen Falle der durch das Rechtsgeschäft Verpflichtete an die Stelle des Eigentümers.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung vorgebracht, die Vereinbarung zwischen ihm und den "Steirischen Kulturveranstaltungen" sei zwar erst im Frühjahr 1991 unterfertigt worden, stamme aber bereits aus dem Jahr 1990. Er habe mit Hofrat Dr. C, Geschäftsführer der "Steirischen Kulturveranstaltungen", vereinbart, daß diese die ausschließliche Haftung für das Grundstück übernehmen. Damit habe er Vorsorge getroffen, daß die "Steirischen Kulturveranstaltungen" alle Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen - hiezu würden auch allfällige Streuverpflichtungen gehören - am Gst. Nr. 76 übernehmen. Zu diesem Vorbringen hat der Beschwerdeführer die Einvernahme von Hofrat Dr. C beantragt.

In der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde vom 3. Juni 1993, zu welcher Hofrat Dr. C als Zeuge geladen worden ist, sich aber krankheitsbedingt entschuldigen lassen und einen Vertreter entsandt hat, hat sodann der Beschwerdeführer vorgebracht, aus dem letzten Absatz des Punkt VI der schriftlichen Vereinbarung zwischen ihm und den "Steirischen Kulturveranstaltungen" vom 8. März 1991 würde sich ergeben, daß die Verpflichtung nach § 93 Abs. 1 StVO 1960 übertragen worden sei. Der Beschwerdeführer hat weiters auf Anfrage vorgebracht, daß eine andere mündliche oder schriftliche Vereinbarung betreffend § 93 StVO 1960 mit Hofrat Dr. C nicht getroffen worden sei.

Wenn nun der Beschwerdeführer die Unterlassung der Einvernahme von Hofrat Dr. C als Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt und vorbringt, vor Abschluß der schriftlichen Vereinbarung mit den "Steirischen Kulturveranstaltungen" seien mündliche Verhandlungen geführt worden und Hofrat Dr. C hätte als Zeuge bestätigen können, daß er im Rahmen dieser mündlichen Verhandlungen zugesagt habe, sich um die Räumung und Streuung des betreffenden Gehsteiges zu kümmern, so entfernt sich der Beschwerdeführer von seinem eigenen, in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde erstatteten Vorbringen. Gerade im Hinblick auf dieses Vorbringen konnte die belangte Behörde davon ausgehen, daß zu der hier strittigen Frage der Übertragung der Verpflichtung nach § 93 Abs. 1 StVO 1960 außer Punkt VI der schriftlichen Vereinbarung vom 8. März 1991 eine weitere Vereinbarung nicht behauptet werde. Der Inhalt des Punktes VI der schriftlichen Vereinbarung vom 8. März 1991 regelt aber einen Regreßanspruch des Beschwerdeführers für den Fall seiner schadenersatzrechtlichen Inanspruchnahme durch Personen, die auf seinem Grundstück einen Schaden erleiden, und kann daher auch unter dem Gesichtspunkt des § 914 ABGB keinesfalls in Richtung einer Übertragung der Verpflichtung nach § 93 Abs. 1 StVO 1960 verstanden werden. Die Beschwerde zeigt daher nicht auf, daß die Unterlassung der neuerlichen Ladung von Hofrat Dr. C als Zeugen und dessen Einvernahme eine wesentliche Verletzung von Verfahrensvorschriften darstellte.

Unter dem Aspekt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit bringt der Beschwerdeführer vor, eine Liegenschaft im Sinn des § 93 Abs. 1 StVO 1960 sei nicht ein gesamter Grundbuchskörper, wie dies die belangte Behörde angenommen habe, sondern nur ein einzelnes Grundstück. Das Gst. Nr. 76 sei daher entgegen der Ansicht der belangten Behörde ein unbebautes Grundstück. Der Beschwerdeführer übersieht dabei, daß die in § 93 Abs. 1 StVO 1960 normierte Ausnahme von der Streu- und Räumungspflicht die Eigentümer von "unverbauten land- und forstwirtschaftlichen Liegenschaften" und somit nicht von bestimmten "Grundstücken" betrifft. Schon daraus ergibt sich, daß nicht auf Grundstücke im Sinne des § 7a Abs. 1 Vermessungsgesetz, BGBl. Nr. 306/1968 und des § 30 Liegenschaftsteilungsgesetz, BGBl. Nr. 3/1930, - Grundstück im Sinne dieser Bestimmungen ist jener Teil einer Katastralgemeinde, der im Grenzkataster oder im Grundsteuerkataster als solcher mit einer eigenen Nummer bezeichnet ist - abzustellen ist. Zudem könnte es dem Zweck der Bestimmung des § 93 Abs. 1 StVO 1960 nicht gerecht werden, danach zu differenzieren, ob die Grundfläche, auf welcher sich ein Gebäude befindet, eine eigene Grundparzelle darstellt oder mit dem angrenzenden Garten in einem gemeinsamen Grundstück vereinigt ist. Andererseits ist aber der Ausdruck "Liegenschaft" auch nicht im Sinne von Grundbuchskörper zu verstehen; es sei in diesem Zusammenhang auf § 3 Abs. 3 und § 10 Grundbuchsgesetz, BGBl. Nr. 39/1955, verwiesen, welche Bestimmungen von einer Mehrheit von Liegenschaften in einer Grundbuchseinlage ausgehen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ist als Liegenschaft im Sinne des § 93 Abs. 1 StVO 1960 dem Zweck der Bestimmung entsprechend eine zusammenhängende Grundfläche - unabhängig von ihrer Unterteilung in Grundstücke - zu verstehen, so lange die Grundfläche nach der Verkehrsauffassung eine Einheit darstellt.

Im gegenständlichen Fall befindet sich das Wohnhaus des Beschwerdeführers auf Grundstück .5, welches unmittelbar an das Gst. 76 des Beschwerdeführers angrenzt. Eine Garten- bzw. Parkfläche in der Größe des Grundstückes 76 kann durchaus eine Einheit mit einem Wohngebäude darstellen. Daß im gegenständlichen Fall Umstände vorlägen, die nach der Verkehrsauffassung einer Einheit zwischen den Grundstücken .5 und 76 entgegenstünden, ist weder im Verwaltungsverfahren hervorgekommen noch wird dies in der Beschwerde behauptet. Wenn daher die belangte Behörde die gesamte Grundfläche als Einheit und somit als bebaute Liegenschaft im Sinne des § 93 Abs. 1 StVO 1960 ansah, kann dies nicht als rechtswidrig erkannt werden. Wenn im übrigen im angefochtenen Bescheid festgestellt wird, das Wohnhaus des Beschwerdeführers befinde sich auf dem Gst. 76.5, der Stadtturm auf dem Gst. 76.4, so liegt darin offensichtlich ein Vergreifen im Ausdruck; es ist in keiner Weise zweifelhaft, daß sich die Ausführungen der belangten Behörde auf die Grundstücke .5 und .4 beziehen.

Da somit die belangte Behörde frei von Rechtsirrtum das Gst. 76 als Teil einer verbauten Liegenschaft wertete, kann dahingestellt bleiben, ob eine land- und forstwirtschaftliche Liegenschaft vorliegt, weil der Ausnahmetatbestand des § 93 Abs. 1 StVO 1960 jedenfalls nicht erfüllt ist. Es kann daher keine Rechtswidrigkeit darin liegen, wenn die belangte Behörde zu dieser Frage keinen Ortsaugenschein durchgeführt hat. Daß aber der Beschwerdeführer deshalb von der Streu- und Räumungspflicht befreit wäre, weil er von seinem Hauseingang bis zum Beginn des streitgegenständlichen Gehsteiges und wieder zurück eine Wegstrecke von insgesamt fast einem Kilometer zurücklegen müsse, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Wenn schließlich der Beschwerdeführer vorbringt, er habe bereits mit Schriftsatz vom 30. Juni 1986 dem Bürgermeister der Stadtgemeine M mitgeteilt, daß er der Ansicht sei, zur Räumung und Streuung des Gehsteiges nicht verpflichtet zu sein, auf dieses Schreiben aber keine Antwort erhalten, so zeigt er auch damit keinen Umstand auf, der die im § 93 Abs. 1 StVO 1960 normierte Pflicht zum Wegfall gebracht hätte.

Der angefochtene Bescheid ist somit nicht als rechtswidrig zu erkennen. Die Beschwerde ist daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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