VwGH 93/01/0143

VwGH93/01/014316.3.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der L in W, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Asylangelegenheit, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §11;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §39a;
AVG §58 Abs2;
AVG §63 Abs4;
AsylG 1991 §11;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §39a;
AVG §58 Abs2;
AVG §63 Abs4;

 

Spruch:

Die Berufung der Beschwerdeführerin vom 15. Februar 1990 gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 26. Jänner 1990, Zl. I-SD-76.740-StB/90, wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Österreich gewährt der Beschwerdeführerin kein Asyl gemäß §§ 2, 3 Asylgesetz 1991.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 5.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine rumänische Staatsangehörige, ist am 7. Oktober 1989 in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am 9. Oktober 1989 einen Antrag auf Gewährung von Asyl gestellt. Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 14. Oktober 1989 gab sie an, daß ihr Vater seit 1971 in Österreich lebe und ihre Mutter bereits 1955 gestorben sei. Da ihr Vater und ihr Bruder in Österreich lebten, habe sie seit 1980 versucht, nach Österreich ausreisen zu können. Ihre diesbezüglichen Anträge und die ihres Ehegatten seien immer wieder ohne Begründung abgelehnt worden. Im März 1985 hätten sie versucht, nach Jugoslawien zu fliehen, seien aber noch auf rumänischem Staatsgebiet aufgegriffen worden. Ihr Ehegatte habe in der Folge Zwangsarbeit am Arbeitsplatz leisten müssen. Sie sei nicht bestraft worden. Am 15. Juli 1987 sei ihr Ehegatte bei einem Arbeitsunfall tödlich verunglückt. Seit dieser Zeit sehe sie keine Zukunft mehr in Rumänien. Es sei für sie und ihre Kinder in Rumänien sehr schwer gewesen, weshalb sie sich ständig um einen Reisepaß bemüht habe. Es sei ihr dann endlich ein Reisepaß ausgestellt worden. Ihre Religion habe sie frei und ungehindert ausüben können, ihre Kinder seien getauft. Andere Probleme habe sie in ihrem Heimatland nicht gehabt. Sie werde ihre Kinder nach Österreich nachkommen lassen. Sie habe Rumänien am 6. Oktober 1989 mit dem Zug verlassen und sei über Ungarn nach Wien gereist. Bis 8. Oktober 1989 habe sie sich bei ihrem Vater aufgehalten, der sie an diesem Tag nach Traiskirchen gebracht habe, wo sie im Flüchtlingslager aufgenommen worden sei.

Mit Bescheid vom 26. Jänner 1990 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gemäß § 1 Asylgesetz, BGBl. Nr. 126/1968, fest, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling sei. Es sei im Verfahren nicht glaubhaft dargetan worden, daß die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatstaat aus einem der im Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe Verfolgung erlitten habe und eine solche befürchten müsse. Auch die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z. 1 Genfer Flüchtlingskonvention träfen nicht zu.

In der dagegen erhobenen Berufung macht die Beschwerdeführerin geltend, daß der Bescheid, weil nicht gemäß § 58 Abs. 2 AVG begründet, gesetzwidrig sei. Gemäß dieser Bestimmung seien die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. In der Begründung des Bescheides seien lediglich die einschlägigen Paragraphen des angewendeten Asylgesetzes bzw. der Flüchtlingskonvention wiedergegeben. Es werde in keiner Weise auf den vorliegenden Fall eingegangen. Zur unrichtigen rechtlichen Beurteilung wird ausgeführt, daß der Vater und der Bruder der Beschwerdeführerin bereits seit Jahren in Wien wohnen würden und die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen. Nach einem tödlichen Unfall ihres Ehegatten habe sie vor ca. 5 Jahren in Rumänien um Erlaubnis zur Auswanderung nach Österreich angesucht. Hierauf habe sie den Arbeitsplatz als Verkäuferin verloren und hätte als Hilfsarbeiterin täglich an einem ca. 70 km weit entfernt gelegenen Ort arbeiten müssen. Erst nach vielen Bemühungen habe sie eine Auswanderungserlaubnis erhalten. Nichtsdestotrotz sei sie am 25. August 1989 am Grenzübergang grundlos zurückgewiesen worden. Erst am 7. Oktober 1989 sei es ihr gelungen, Rumänien endgültig zu verlassen. Sie lebe seither bei ihrem Vater und ihrem Bruder in Wien. Vor ihrer Ausreise sei auch noch ihre Wohnung konfisziert worden. Sie sei daher trotz der inzwischen erfolgten Änderungen der politischen Verhältnisse nicht in der Lage, in ihre Heimat zurückzukehren, was sie auch ausdrücklich ablehnen würde. Sie sei überzeugt, daß dort noch dieselben Beamten ihren Dienst täten, die sie wegen der beabsichtigten Auswanderung in jeder denkbaren Weise schikaniert hätten und ihr ein normales Leben in Rumänien unmöglich machen würden. Bei richtiger Würdigung ihrer Ausführungen im Asylantrag und in der Berufung wäre die Behörde verpflichtet gewesen, ihr Asyl und die dauernde Aufenthaltsberechtigung zu gewähren. Es möge daher der Berufung Folge gegeben und festgestellt werden, daß die Beschwerdeführerin Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei. Allenfalls möge der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Ermittlungsverfahrens und neuerlichen Bescheiderlassung an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen werden. Gleichzeitig werde beantragt, ihrer Berufung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Mit Schriftsatz vom 4. März 1993 erhob die Beschwerdeführerin Säumnisbeschwerde gemäß Art. 132 B-VG und machte geltend, daß der Bundesminister für Inneres über die Berufung vom 15. Februar 1990 bisher nicht entschieden habe. Es werde beantragt, daß der Verwaltungsgerichtshof über ihr Rechtsmittel vom 15. Februar 1990 in der Sache selbst erkenne, ihrem Antrag auf Gewährung von Asyl stattgebe und dem Bund die verzeichneten Kosten auferlege.

Der belangten Behörde wurde mit Verfügung vom 15. März aufgetragen, gemäß § 36 Abs. 2 VwGG den versäumten Bescheid binnen drei Monaten zu erlassen. Die belangte Behörde teilte mit, daß die Beschwerdeführerin im Rahmen einer bei der Bundespolizeidirektion Wien am 22. April 1991 aufgenommenen Niederschrift auf die Fortsetzung des Verfahrens nach dem Asylgesetz verzichtet habe. Diese Erklärung sei einem Berufungsverzicht gleichzusetzen. Dieser sei schon im Zeitpunkt der Erhebung der Säumnisbeschwerde vorgelegen. Es sei somit die Entscheidungspflicht nicht verletzt worden. Die belangte Behörde beantragte die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen.

In der Niederschrift vom 22. April 1991 ist folgende Erklärung der Beschwerdeführerin festgehalten:

"Ich verzichte auf die Fortsetzung des Feststellungsverfahrens, da ich nicht mehr auf den Abschluß des Verfahrens warten will und ich auch meine Kinder (drei) nach Österreich bringen will. Ich bin derzeit berufstätig. Ich benötige meinen Paß um ein Visum beantragen zu können.

Mir ist bekannt, daß ich wenn ich auf die Fortsetzung des Verfahrens verzichte, jeden Anspruch auf Weiterführung verliere."

Bei dieser niederschriftlichen Einvernahme war kein Dolmetsch anwesend. Die Niederschrift ist von der Beschwerdeführerin und dem vernehmenden Organ unterschrieben.

Die Beschwerdeführerin nahm zu dieser ihr im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitgeteilten Äußerung der belangten Behörde wie folgt Stellung:

"Zur Aufforderung vom 14. September 1993, beim Vertreter der Bf am 21. Oktober 1993 eingelangt, wird mitgeteilt, daß die Bf am 22. April 1991 ohne Beiziehung eines Dolmetschers vernommen worden ist und die an sie gerichteten Fragen nicht bzw. mißverstanden hat. Daran kann auch der letzte Satz der Niederschrift nichts ändern, weil ja auch er Deutschkenntnisse voraussetzt.

Die Bf war der Ansicht, daß Unterfertigung der Niederschrift Voraussetzung dafür sei, daß sie ihre Kinder nach Österreich holen können, zumal als ihr erst danach der Paß ausgehändigt worden ist, ohne den sie nicht nach Rumänien hätte reisen können.

Erst durch Befragung ihres jetzigen Rechtsvertreters am 4. November wurde der Bf bekannt, daß sie auf die Fortsetzung des Verfahrens verzichtet haben soll. Es ist auch derzeit noch schwierig, sich mit der Bf auf Deutsch zu unterhalten.

Mangels Beiziehung eines Dolmetschers ist die Erklärung vom 22. April 1991 unwirksam (§ 11 Abs. 1 AsylG in der damals anzuwendenden Fassung).

Als Beweis beantragt die Bf erforderlichenfalls ihre Einvernahme.

Jedenfalls wird der seinerzeitige Beschwerdeantrag aufrechterhalten."

Diese Stellungnahme wurde der belangten Behörde übermittelt, die dazu nicht weiter Stellung genommen hat.

Es stellt sich zunächst die Frage, ob von einem gültigen Berufungsverzicht ausgegangen werden kann. Ob ein solcher vorliegt, ist streng zu prüfen (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 16. April 1980, Zl. 324/80, und vom 10. Februar 1982, Zl. 3336/79). Ein Berufungsverzicht eines Fremden ohne Beiziehung eines Dolmetsch ist nur dann wirksam, wenn feststeht bzw. ausreichend ermittelt wurde, daß der Fremde der deutschen Sprache im Zeitpunkt der Abgabe des Berufungsverzichtes der deutschen Sprache hinlänglich mächtig ist, um sich der Tragweite des Verzichtes bewußt zu sein und ein Willensmangel bei seiner Abgabe ausgeschlossen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Jänner 1989, Zl. 88/01/0188). Die Beschwerdeführerin hat - wie bereits näher dargelegt - das Vorliegen eines wirksamen Berufungsverzichtes bestritten. Die belangte Behörde ist dieser Stellungnahme in der Sache nicht entgegengetreten. Der Verwaltungsgerichtshof geht bei diesem unbestrittenen Sachverhalt davon aus, daß kein wirksamer Berufungsverzicht im Sinne seiner Judikatur vorliegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher gemäß § 42 Abs. 4 VwGG iVm § 66 Abs. 4 AVG über die Berufung der Beschwerdeführerin vom 15. Februar 1990 zu entscheiden.

Da das vorliegende Berufungsverfahren bereits am 1. Juni 1992 anhängig war, ist gemäß § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1991 dieses Gesetz anzuwenden.

Nach § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 hat die Berufungsbehörde grundsätzlich vom Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens auszugehen. Nur in den Fällen des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 (insbesondere wenn ein offenkundiger Mangel des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens vorliegt) ist eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen. Wenn die Beschwerdeführerin in der Berufung als Verfahrensfehler geltend macht, daß der Bescheid gemäß § 58 Abs. 2 AVG nicht ausreichend begründet worden sei, macht sie damit keine offenkundige Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens erster Instanz geltend.

Ein offenkundiger Mangel des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens ergibt sich aber auch nicht aufgrund des erstinstanzlichen Vorbringens der Beschwerdeführerin, insbesondere in dem Sinne, daß die Beschwerdeführerin aufgrund des erstinstanzlichen Vorbringens gemäß § 16 Asylgesetz 1991 weiter hätte befragt werden müssen, weil darin keine hinreichend deutlichen Hinweise auf weitere Asylgründe enthalten waren (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 1994, Zl. 93/01/0126).

Es ist daher gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 von den erstinstanzlichen Ermittlungsergebnissen auszugehen, die eingangs wiedergegeben wurden. Gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 ist Flüchtling, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Damit wohlbegründete Furcht im Sinne dieser Bestimmung angenommen werden kann, müssen die Zustände im Heimatland des Asylwerbers auch aus objektiver Sicht betrachtet so sein, daß ein weiterer Verbleib für ihn unerträglich wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 11. April 1984, Zl. 83/01/0246, und vom 12. Oktober 1983, Zl. 83/01/0249).

Die Umstände, daß die Beschwerdeführerin nach dem tödlichen Unfall ihres Ehemannes am 15. Juni 1987 keine Zukunft mehr in Rumänien gesehen habe, sie es mit ihren Kindern sehr schwer gehabt habe und ihr erst nach langen Bemühungen ein Reisepaß zur legalen Ausreise ausgestellt worden sei, stellen keine Verfolgungsgründe im Sinne der zitierten Bestimmung des Asylgesetzes 1991 dar, ergibt sich doch daraus in keiner Weise, daß staatliche, gegen die Beschwerdeführerin gerichtete oder drohende Maßnahmen vorgelegen seien, die zudem aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung erfolgt wären.

Bei der Beschwerdeführerin liegen somit die Voraussetzungen für ihre Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 nicht vor, und es ist ihr daher gemäß §§ 2 und 3 kein Asyl zu gewähren. Die Berufung war daher gemäß § 66 Abs. 4 AVG abzuweisen.

Im Hinblick darauf, daß im angefochtenen erstinstanzlichen Bescheid gar nicht ausgesprochen wurde, die aufschiebende Wirkung der Berufung werde gemäß § 64 Abs. 2 AVG ausgeschlossen, geht der Antrag der Beschwerdeführerin, der Berufung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ins Leere (§ 64 Abs. 1 AVG).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützte sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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