VwGH 92/06/0235

VwGH92/06/02359.3.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerden von 23 Beschwerdeführer in Graz, alle vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 10. September 1992,

Zlen. A 17-K-7.554/1991-35, A 17-K-7.555/1991-53, betreffend die Erteilung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei:

E-GmbH. & Co.KG. in Graz, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in Graz), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
BauO Stmk 1968 §24 Abs3;
BauO Stmk 1968 §4 Abs3;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2 litb;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2;
BauRallg;
ROG Stmk 1974 §23 Abs5 lite;
ROG Stmk 1974 §33 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs1;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
BauO Stmk 1968 §24 Abs3;
BauO Stmk 1968 §4 Abs3;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2 litb;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2;
BauRallg;
ROG Stmk 1974 §23 Abs5 lite;
ROG Stmk 1974 §33 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen vom 9. März 1990 beantragte die mitbeteiligte Partei den Neubau der "Werkhallen E" auf näher bezeichneten Grundstücken inneliegend in EZ. 285, 429 KG. X. Dieses Ansuchen war mit dem Widmungsbewilligungsbescheid vom 20. November 1980, Zl. A 17-K-16.863/4-1980 belegt. Mit einem weiteren Ansuchen vom 24. Juli 1990 beantragte die Mitbeteiligte die Erteilung der Baubewilligung für Bürogebäude. Nach Vorbegutachtungen dieser beiden Bauansuchen durch Fachabteilungen der Baubehörde brachte die mitbeteiligte Partei am 16. Juli 1991 ein umfassendes Neuansuchen betreffend Werkhallen (Rohbau-, Montage- und Lackierhalle), Bürogebäude, Elektro-Druckluftstation mit Sprinklerbecken und -Zentrale, Elektroübergabestation, Medienraum, Feuerwehrhaus, Löschteich I, Pkw-Abstellplätze, Umbau einer bestehenden Bunkeranlage zu einem Schutzraum, einen weiteren Löschteich sowie einen Humusdamm auf näher bezeichneten Liegenschaften in KG. X ein. Auch dieses Ansuchen war mit der Widmungsbewilligung vom 20. November 1980 belegt. Aus den Einreichunterlagen ergibt sich als Verwendungszweck ein Automobilassemblingwerk für eine Jahresstückzahl von 25.000 Pkw, gefertigt im Zweischichtbetrieb von 6.00 bis 22.00 Uhr.

Nach internen Vorbegutachtungen wurde mit Ladung vom 17. Oktober 1991 über dieses Bauansuchen eine mündliche Verhandlung für 18. bis 21. November 1991 anberaumt. Zu dieser Verhandlung wurden unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen der §§ 40 bis 42 AVG über 2.300 namentlich bekannte Anrainer geladen, überdies erfolgten öffentliche Bekanntmachungen an den Anschlagtafeln der anrainenden Gemeinden.

Während der Verhandlung erklärte die Bauwerberin, das eingereichte Projekt dahingehend zu modifizieren, daß zwei 26 m hohe Kamine aus dem Basis- und Decklack- bzw. aus dem Klarlackbereich auf 65 m erhöht würden. Das eingereichte Projekt (in der bereits modifizierten Form) wurde von der Bauwerberin während der Verhandlung dargelegt. Die amtlichen Sachverständigen, sowie die mit Bescheid vom 20. Oktober 1991 bestellten, nichtamtlichen Sachverständigen vom technischen Überwachungsverein Hannover erstatteten, bzw. ergänzten und erläuterten ihre bereits schriftlich vorgelegten Gutachten. Die Anrainer, unter ihnen auch die Beschwerdeführer, vertreten durch Dipl. Ing. W, erhoben umfangreiche Einwendungen, die sich dahingehend zusammenfassen lassen, daß das Bauvorhaben zu einer Wertminderung der Grundstücke der Beschwerdeführer führe, im Widerspruch zum Flächenwidmungsplan und zum Stadtentwicklungskonzept stehe und nicht nur das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigungen sondern auch unzumutbare Immissionen sowie Gesundheitsgefährdungen erwarten lasse.

Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 19. Dezember 1991 wurde der Mitbeteiligten die beantragte Baubewilligung mit Spruch IA unter Vorschreibung von insgesamt 64 Auflagen erteilt. Unter IB wurden die Einwendungen der Beschwerdeführer und anderer Anrainer als unbegründet ab - bzw. als unzulässig zurückgewiesen und, soweit sie Wertminderungen betrafen, dem Zivilrechtsweg vorbehalten. Der Mitbeteiligten wurden unter IC Verwaltungsabgaben, Kommissionsgebühren und der Ersatz von Barauslagen sowie unter II ein Aufschließungsbeitrag vorgeschrieben.

Zur Erteilung der Baubewilligung wurde zunächst dargelegt, daß das gegenständliche Bauvorhaben gemäß dem Flächenwidmungsplan 1982 der Landeshauptstadt Graz und gemäß dem aufgelegten Flächenwidmungsplanentwurf, dessen Inhalt nach der Bausperreverordnung 1990 heranzuziehen sei, im "Industrie- und Gewerbegebiet II" liege. Nach dem Flächenwidmungsplan und der Bausperreverordnung handle es sich bei den betreffenden Gebieten um Flächen, die gemäß § 23 Abs. 5 lit. e ROG für Betriebe und für Anlagen bestimmt sind, die nicht unter die Legaldefinition des Industrie- und Gewerbegebietes I fallen. Die Widmung Industrie- und Gewerbegebiet II enthalte keinerlei einschränkende Bestimmungen über die Zulässigkeit von Betrieben und Anlagen und vor allem keine Bestimmungen zum Schutze der Nachbarn. Die geplanten Bauausführungen seien daher im Industrie- und Gewerbegebiet II nach den Vorschriften des Raumordnungsgesetzes zulässig. Da jedoch die Baubehörde von Amts wegen - ohne daß es hiezu auch nur einer Einwendung eines Nachbarn bedürfte - für den sachlich und rechtlich gebotenen Immissionsschutz vorzusorgen habe, sei zu prüfen gewesen, ob das beantragte Bauvorhaben alle jene Bestimmungen einhalte, die subjektiv-öffentliche Rechte der Nachbarn begründen. Hiebei käme die Vorschrift des § 4 Abs. 3 der Steiermärkischen Bauordnung in Betracht. Die Behörde habe ein umfangreiches Ermittlungsverfahren durchgeführt. Nach eingehender Überprüfung der eingeholten Gutachten und der ergänzenden Äußerungen der Sachverständigen gelange die Behörde erster Instanz zu dem Schluß, daß durch das eingereichte Bauvorhaben keine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gefährdung der Nachbarschaft verursacht werde. Die von den Sachverständigen empfohlenen und in den Bewilligungsbescheid eingeflossenen Auflagen beträfen ausschließlich Sachverhalte, die sich in Plänen bzw. Beschreibungen nicht darstellen ließen oder die der Sicherstellung der Übereinstimmung des Projektes mit den Bauvorschriften dienten.

Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei Berufung betreffend die Vorschreibung einiger Auflagen und den Kostenersatz. Anrainer, unter ihnen die Beschwerdeführer, beriefen gegen die Erteilung der Baubewilligung. Die Beschwerdeführer brachten im wesentlichen vor, das Projekt stehe im Widerspruch zur Raumordnung, zum Stadtentwicklungskonzept 1990 und zur Bausperreverordnung. Die Gutachten der Sachverständigen seien teilweise ergänzungsbedürftig, widersprüchlich und gingen zum Teil von falschen Voraussetzungen aus.

Nach Verfahrensergänzungen durch Einholung weiterer Gutachten sowie Einräumung des Parteiengehörs wurde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 10. September 1992 unter I der Berufung der mitbeteiligten Bauwerberin gegen die Vorschreibung einiger Auflagen teilweise Folge gegeben. Zu II wurde der Spruch I des erstinstanzlichen Bescheides dahingehend abgeändert, daß an die Stelle der Bausperreverordnung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 13. September 1990 zur Sicherung der geplanten Ausweisung im künftigen Flächenwidmungsplan nunmehr die Bausperreverordnung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 9. April 1992, kundgemacht im Amtsblatt des Landes Steiermark "Grazer Zeitung" vom 25. April 1942 und im Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz "Stadt Graz" vom 23. April 1992 trete. Die Sprüche III bis VII betreffen den Kostenersatz von Sachverständigen und den Aufschließungsbeitrag. Unter VIII wurde die Berufung des Dipl. Ing. W, soweit sie dieser "im eigenen Namen" erhoben hat, mangels Parteistellung als unzulässig zurückgewiesen. Der Berufung von zwei weiteren Anrainern wurde unter IX insofern Folge gegeben, als eine Auflage zusätzlich vorgeschrieben wurde. Unter X wurde schließlich den Berufungen von 27 Anrainern, unter ihnen die nunmehrigen Beschwerdeführer (mit Ausnahme des Dipl. Ing. W) gegen die Erteilung der Baubewilligung keine Folge gegeben. Zur Begründung wurde in bezug auf Dipl. Ing. W ausgeführt, soweit dieser auch im eigenen Namen - und nicht nur als bevollmächtigter Vertreter mehrerer Nachbarn - Berufung erhoben habe, sei diese als unzulässig zurückzuweisen gewesen, weil er nicht Eigentümer (Miteigentümer, Wohnungseigentümer) einer benachbarten Liegenschaft und daher auch nicht Nachbar mit Parteistellung im Sinne des § 61 Abs. 1 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 in Verbindung mit § 8 AVG sei. Zu Spruch II (Bausperreverordnung) wurde im wesentlichen ausgeführt, daß der Gemeinderat am 9. April 1992 eine Bausperre gemäß § 33 Abs. 1 des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 1974 erlassen habe, die ordnungsgemäß kundgemacht worden sei. Im künftigen Grazer Flächenwidmungsplan und nach der genannten Bausperreverordnung liege der gegenständliche Bauplatz im "Industrie- und Gewerbegebiet II" gemäß § 23 Abs. 5 lit. e des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 1974 (nunmehr) in der Fassung LGBl. Nr. 1991/41. Gemäß § 23 Abs. 5 lit. e ROG in der letztgenannten Fassung handle es sich bei einem "Industrie- und Gewerbegebiet II" um Flächen, die für solche Betriebe und Anlagen bestimmt seien, die keine unzumutbaren Belästigungen oder gesundheitsgefährdenden Immissionen verursachten. Da die Berufungsbehörde die Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung anzuwenden habe, sei im Berufungsverfahren die Bausperreverordnung vom 9. April 1992 zu berücksichtigen gewesen. Es wurde - zusammengefaßt auch zu Spruch X - festgestellt, daß das umfangreiche und aufwendige Ermittlungsverfahren ergeben habe, daß der Antragsgegenstand mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit keine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung und schon gar keine Gefährdung der Nachbarschaft erwarten lasse. Das Bauvorhaben entspreche daher sowohl dem Flächenwidmungsplan 1982, als auch der Bausperreverordnung 1992; subjektiv-öffentliche Rechte der Nachbarn würden durch die erteilte Baubewilligung nicht verletzt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Nach den Ausführungen in der Beschwerde richtet sich diese allerdings nur gegen jenen Teil des Bescheides, mit dem der Berufung der Beschwerdeführer gegen die erteilte Baubewilligung keine Folge gegeben wurde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift bereits zu der zur hg. Zl. 92/06/0234 protokollierten Beschwerde vorgelegt und auch im gegenständlichen Verfahren die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Auch die mitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde eingebracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist in bezug auf den (19.) Beschwerdeführer

Dipl. Ing. W folgendes festzustellen: Der gesamte Verwaltungsakt bietet keinerlei Hinweis dafür, daß dieser Beschwerdeführer Eigentümer oder Miteigentümer einer Liegenschaft wäre, die zu den zu bebauenden Grundstücken in einem solchen Naheverhältnis liegt, daß er durch das Bauvorhaben in seinen Rechten berührt sein könnte. Aus diesem Grunde hat die belangte Behörde zutreffend die Berufung dieses Beschwerdeführers, soweit sie auch im eigenen Namen eingebracht wurde, mangels Parteistellung im Verwaltungsverfahren als unzulässig zurückgewiesen. Auch die Beschwerde enthält keinerlei Ausführungen, auf Grund welcher Umstände diesem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren hätte Parteistellung zukommen sollen. Nun können die Parteistellung im Verwaltungsverfahren und die Legitimation zur Beschwerdeführung vor dem Verwaltungsgerichtshof zusammenfallen, müssen dies aber nicht (vgl. die hg. Beschlüsse vom 9. Mai 1949, Slg. N.F. Nr. 808/A, sowie eines verstärkten Senates vom 2. Juli 1991, Slg. N.F. Nr. 10.511/A). Bei der Beurteilung der Beschwerdelegitimation dieses Beschwerdeführers war zu prüfen, ob er durch den angefochtenen Bescheid in einem Recht verletzt worden sein konnte. Diese Frage war zu bejahen, weil durch Spruch VIII des angefochtenen Bescheides seine Parteistellung verneint und seine Berufung mangels dieser Parteistellung als unzulässig zurückgewiesen worden ist. Bei dieser Sachlage kam aber - entgegen der in der Gegenschrift der mitbeteiligten Partei geäußerten Rechtsansicht - nur eine Abweisung der Beschwerde dieses Beschwerdeführers - aus dem Grunde der von der belangten Behörde zutreffend angenommenen fehlenden Parteistellung im Verwaltungsverfahren - in Betracht, und nicht die Zurückweisung dieser Beschwerde.

Zu der von den Beschwerdeführern eingangs erhobenen Verfahrensrüge ist zu bemerken, daß in diesem Beschwerdefall dahingestellt bleiben kann, ob der nunmehr angefochtene Bescheid auch Herrn Dipl. Ing. W als bevollmächtigtem Vertreter anderer Beschwerdeführer zugestellt worden ist oder nicht. Der angefochtene Bescheid wurde jedenfalls der Bauwerberin sowie verschiedenen Nachbarn und auch dem Beschwerdeführer J zugestellt; damit ist der Bescheid jedenfalls erlassen. Die Einbringung der Beschwerde ist somit gemäß § 26 Abs. 2 erster Satz VwGG auch für jenen Anrainerkreis zulässig, dem der Bescheid nicht - oder nicht persönlich - zugestellt wurde. Eine Verkürzung der Beschwerdefrist liegt im vorliegenden Fall schon deshalb nicht vor, weil diese Frist erst mit der Zustellung zu laufen beginnt und im Falle des § 26 Abs. 2 VwGG der Bescheid erst an dem Tag als zugestellt gilt, an dem die Beschwerdeführer von seinem Inhalt Kenntnis erlangt haben.

Gemäß § 61 Abs. 2 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 (BO) in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle LGBl. Nr. 42/1991, kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn sich diese auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen. Diese "Bauvorschriften" sind in § 61 Abs. 2 lit. a bis k BO taxativ aufgezählt. Gemäß § 61 Abs. 2 lit. b leg. cit. zählt hiezu die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit dem Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan und den Bebauungsrichtlinien, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist (§ 3 Abs. 2 BO).

Nach dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Sgl. N.F. Nr. 9.315/A, hat die Rechtsmittelbehörde - dies gilt in gleicher Weise auch für jede andere behördliche Entscheidung - im allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Recht anzuwenden. Eine andere Betrachtungsweise wird dann geboten sein, wenn etwa der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, daß "auf anhängigen Verfahren noch das bisher geltende Gesetz anzuwenden" ist. Weiters wird eine andere Betrachtungsweise auch dann Platz zu greifen haben, wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens war. Dieser Rechtsprechung liegt die richtige Rechtsauffassung zugrunde, daß die Frage, welches Recht von der Behörde anzuwenden ist, eine Auslegungsfrage jener Bestimmungen ist, die den zeitlichen Anwendungsbereich zum Gegenstand haben. Eine solche Regelung kann explizit, z.B. in einer Übergangsbestimmung, erfolgen. Sie kann sich aber auch aus dem Regelungsgegenstand der Norm, um deren Anwendung es geht, implizit ergeben, etwa wenn auf einem bestimmten Zeitpunkt oder einen bestimmten Zeitraum abgestellt wird. Ergibt sich hieraus keine Lösung (im Sinne der Anwendung einer im Entscheidungszeitpunkt der Behörde nicht mehr in Geltung stehenden Rechtsnorm bzw. nicht mehr geltenden Rechtslage), gilt die Zweifelsregel, daß das im Entscheidungszeitpunkt in Geltung stehenden Recht anzuwenden ist (vgl. hg. Erkenntnisse vom 23. Oktober 1986, Zl. 86/08/0140, vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0177, sowie das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, Slg. N.F. Nr. 11.237/A). Änderungen der Sach- und Rechtslage während des Berufungsverfahrens sind daher zu berücksichtigen. Die Änderung eines Flächenwidmungsplanes bzw. die Erlassung einer Bausperreverordnung oder der Ersatz einer Bausperreverordnung durch eine andere sind solche Änderungen der Rechtslage, die im Berufungsverfahren zu berücksichtigen sind.

Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze ist die belangte Behörde zutreffend davon ausgegangen, daß als maßgebende Rechtslage jene zum Zeitpunkt der Erlassung des in Beschwerde gezogenen Bescheides zu sehen ist. Zu diesem Zeitpunkt war der Flächenwidmungsplan 1982 der Landeshauptstadt Graz in Geltung, wonach das gegenständliche Bauvorhaben im "Industrie- und Gewerbegebiet II" im Sinn des Raumordnungsgesetzes in der im Jahre 1982 geltenden Fassung (LGBl. Nr. 54/1982) liegt. Nach dieser maßgebenden Fassung der Legaldefinition des betreffenden Gebietes in § 23 Abs. 5 lit. e ROG handelt es sich bei solchen Gebieten um Flächen, die für Betriebe und Anlagen bestimmt sind, die nicht unter die Legaldefinition des Industrie- und Gewerbegebietes I fallen. Anders als die Legaldefinition des Industrie- und Gewerbegebietes I enthält die des Industrie- und Gewerbegebietes II in der 1982 geltenden Fassung des Raumordnungsgesetzes keinerlei einschränkende Bestimmungen über die Zulässigkeit von Betrieben und Anlagen und vor allem keinen Immissionsschutz hinsichtlich der Nachbarn. Das Vorhaben entspricht somit jedenfalls dem im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung geltenden Flächenwidmungsplan.

Überdies war aber von der Berufungsbehörde auch die Bausperre-Verordnung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 9. April 1992, kundgemacht im Amtsblatt des Landes Steiermark "Grazer Zeitung" vom 25. April 1992 und im Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz "Stadt Graz" vom 23. April 1992, zu beachten. In dieser Verordnung wurde festgelegt, daß die Ausweisung im künftigen Flächenwidmungsplan als "Industrie- und Gewerbegebiet II" gemäß § 23 Abs. 5 lit. e des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 1974 in der Fassung der Raumordnungsgesetz-Novelle 1991, LGBl. Nr. 41, erfolgen solle. Gemäß § 33 Abs. 3 ROG hat die Bausperre die Wirkung, daß für raumbedeutsame Maßnahmen behördliche Bewilligungen, insbesondere nach der Steiermärkischen Bauordnung 1968, die den Planungsvorhaben, zu deren Sicherung die Bausperre erlassen wurde, widersprechen, nicht erteilt werden dürfen. Das gegenständliche Bauvorhaben durfte somit weder der Festsetzung im Flächenwidmungsplan 1982 noch der beabsichtigten Festsetzung im zukünftigen Flächenwidmungsplan widersprechen. § 23 Abs. 5 lit. e Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes LGBl. Nr. 41/1991 hat folgenden Wortlaut:

"Industrie- und Gewerbegebiete II, das sind Flächen, die für solche Betriebe und Anlagen bestimmt sind, die keine unzumutbaren Belästigungen oder gesundheitsgefährdenden Immissionen verursachen, wobei auch die für die Aufrechterhaltung dieser Anlagen in ihrer Nähe erforderlichen Wohnungen, Verwaltungs- und Geschäftsgebäude errichtet werden können. Innerhalb dieser Gebiete können Flächen mit besonderer Standplatzeignung (z.B. Möglichkeit eines direkten Anschlusses an Eisenbahn- oder Fernstraßenverkehr, Energieversorgung, Beseitigung der Abwässer und sonstiger Schadstoffe) besonders gekennzeichnet werden und sind dann Betrieben und Anlagen, die solche besonderen Anforderungen an die Qualität des Standplatzes stellen, vorzubehalten."

§ 23 Abs. 5 lit. e ROG in der hier (auch) zu berücksichtigenden Fassung LGBl. Nr. 41/1991 enthält somit - entgegen der bisherigen Definition dieser Bestimmung - einen Immissionsschutz der Nachbarn. Die belangte Behörde hatte daher zu prüfen, ob die Anlagen keine unzumutbaren Belästigungen oder gesundheitsgefährdenden Immissionen verursachen. Diesem Umstand hat die belangte Behörde Rechnung getragen. Da bereits die Behörde erster Instanz - sei es in Kenntnis der kommenden Rechtslage, sei auf Grund des Umstandes, daß sie ohnedies schon im Hinblick auf die Einwendungen der Nachbarn überprüft hat, ob der Verwendungszweck der Bauten ein das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarschaft erwarten läßt - ein in diese Richtung gehendes, umfangreiches Ermittlungsverfahren durchgeführt hat, konnte sich die belangte Behörde daher auch auf die Ergebnisse des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens stützen. Sie hat aber das Berufungsverfahren durch Einholung weiterer Sachverständigengutachten ergänzt. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Bauvorhabens hatte sie aber - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer - nicht mehr die typenmäßige Zulässigkeit des Bauvorhabens zu beurteilen, sondern infolge der Bestimmung des § 4a der Steiermärkischen Bauordnung, in der Fassung LGBl. Nr. 42/1991, die zufolge ihres Artikels III Abs. 1 am 29. Juni 1991 in Kraft trat, auch alle im Projekt vorgesehenen, im Interesse des Nachbarschaftsschutzes gelegenen Maßnahmen zu berücksichtigen.

Abgesehen von den diese Novelle nicht berücksichtigenden Ausführungen, enthält die Beschwerde noch Ausführungen hinsichtlich der Auswirkungen des vorliegenden Projektes auf das Klima, die Ozonbelastung sowie die Lärmsituation. Schließlich wurde noch gerügt, daß keine Filteranlagen zum Schutz der Anrainer vorgeschrieben wurden.

Zu diesen Beschwerdeausführungen ist zunächst grundsätzlich festzustellen, daß die Nachbarn nicht schlechthin einen Anspruch darauf haben, daß sich durch den Bau (und Betrieb) von baulichen Anlagen keinerlei Veränderungen der bisherigen Umweltsituation ergeben. Abgesehen davon, daß die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde im Falle einer beschränkten Parteistellung des Berufungswerbers, wie sie für Nachbarn im Baubewilligungsverfahren typisch ist, auf jenen Themenkreis eingeschränkt ist, in dem diese Partei mitzuwirken berechtigt ist, ist Sache im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG ausschließlich jener Bereich, in welchem dem Berufungswerber ein Mitspracherecht zusteht (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. N.F. Nr. 10.317/A), sind die Beurteilungskriterien im Beschwerdefall in § 61 Abs. 2 lit. k BO (Nichtüberschreitung der ortsüblichen Belastung durch Immissionen) definiert, wobei hier sachverhaltsbezogen insbesondere § 4 Abs. 3, § 24 Abs. 3 und § 40 Abs. 5 BO in Betracht kommen, sowie im bereits zitierten § 23 Abs. 5 lit. e ROG in der Fassung LGBl. Nr. 41/1991 (unzumutbare Belästigungen oder gesundheitsgefährdende Immissionen auf Grund des § 61 Abs. 2 lit. b BO).

Mit der Frage, welche Belästigungen noch innerhalb des Rahmens des Ortsüblichen liegen und auch zulässig bzw. zumutbar sind, hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt auseinandergesetzt. Seine Judikatur läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß Maßstab des Zulässigen einerseits das sogenannte Widmungsmaß des zur Bebauung ausersehenen Bauplatzes (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 6. November 1990, Zl. 90/05/0102, und nicht das Widmungsmaß der Nachbarliegenschaften) insoferne ist, als die Summe von vorhandener Grundbelastung (sogenanntes Istmaß) und aus dem Projekt hervorgehender Zusatzbelastung (sogenanntes Prognosemaß) dieses Widmungsmaß nicht überschreiten darf. Als zumutbar müssen Immissionen auch dann noch angesehen werden, wenn sie zwar das Ausmaß der in der unmittelbaren Umgebung feststellbaren Immissionen übersteigen, sich aber im Rahmen des im Widmungsmaß sonst üblichen Ausmaßes halten (vgl. Hauer, Der Nachbar im Baurecht, 2. Aufl. S. 192, sowie die dort wiedergegebene Judikatur). Andererseits ist Maßstab der Zulässigkeit dort, wo die Summe aus Istmaß und Prognosemaß das Widmungsmaß nicht überschreitet, das Ausmaß an Gesamtimmissionsbelastung (Summenmaß aus Istmaß und Prognosemaß), welches der medizinische Amtssachverständige als sogenanntes Beurteilungsmaß vorgibt. Absolute Grenze der Immissionsbelastung ist daher das Widmungsmaß des Bauplatzes, wird dieses nicht überschritten, ist relatives Maß des Zulässigen das Beurteilungsmaß des medizinischen Sachverständigen. Belästigungen übersteigen auch nicht das ortsübliche Ausmaß (dies auch nach § 4 Abs. 3 BO), wenn die Überschreitung des Istmaßes geringfügig ist, der Charakter des Gebietes durch diese Überschreitung nicht verändert wird und das medizinisch vertretbare Beurteilungsmaß eingehalten wird.

Mit ihren Beschwerdeausführungen in bezug auf befürchtete Klimabeeinträchtigungen durch das eingereichte Projekt rügen die Beschwerdeführer, sie hätten während des Verwaltungsverfahrens eine entsprechende Berücksichtigung der Zeitperioden mit Windstille (Calmen) bzw. der jeweils für die Anrainer ungünstigsten Immissionssituationen verlangt. Die betreffenden Zeitperioden seien in den Gutachten jedoch nicht bzw. nicht nachvollziehbar enthalten. Mit diesem Vorbringen übersehen die Beschwerdeführer, daß Dr. L in seinem Gutachten (das auf Seite 79 ff des Berufungsbescheides teilweise wiedergegeben wurde), ausdrücklich auf diese Problematik eingeht. Er führt in diesem Gutachten aus, daß wegen der Geschwindigkeitszunahme mit der Höhe - gerade bei Schichtung (nachts, morgens,) - die Calmenbereitschaft in Quellhöhe (ca. 70 bis 100 m) deutlich geringer ist, als in Bodennähe, was auch die verwendeten Werte der Station Schloßberg zeigen. Dies sei auf die Besonderheit der Lage von Graz mit dem starken Einfluß des Murtalabwindes (nördliche Windrichtungen) zurückzuführen. Dieser Murtalabwind greife aber im Süden von Graz kaum mehr bis zur Talsohle durch, erfasse aber noch die für die Schadstoffausbreitung relevanten Bereiche ab ca. 80 bis 100 m über Grund.

Weder die meteorologischen Gutachen noch das darauf gestützte Gutachten der medizinischen Amtssachverständigen Dr. U haben aber ergeben, daß der Verwendungszweck der Bauten im Hinblick auf das Klima eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarschaft erwarten lasse oder daß klimabedingt ortsunübliche oder unzumutbare Belästigungen oder gesundheitsgefährdende Immissionen verursacht würden. Nur in diesem Rahmen kam aber den beschwerdeführenden Anrainern im Berufungsverfahren ein Mitspracherecht zu. Gleiches gilt auch für die Ozonbelastung, wobei die belangte Behörde aufgrund der eingeholten Gutachten davon ausgehen konnte, daß die vom Werk emittierten Ozon- Präkursoren so gering sind, daß sich daraus keine meßbaren Auswirkungen auf die lokale Ozonbelastung ergeben werden.

Hinsichtlich der Lärmimmissionen wurde von der belangten Behörde festgestellt, daß es durch den Betrieb der Anlage an drei außerhalb des Betriebsareals an den Grundstücksgrenzen der nächsten Anrainer liegenden Immissionspunkten (IP 2, 3 und 5) zu einer Erhöhung des Istmaßes um 1 Dezibel kommen wird. Dazu führte die medizinische Amtssachverständige Dr. U schon in ihrem Gutachten vom 5. September 1991 aus, daß diese Differenz zum Istmaß einerseits im Bereich der Berechnungstoleranz und andererseits in einem Bereich liege, in dem die Wahrnehmbarkeit durch das menschliche Ohr erst beginne. Bei den gegebenen Schallpegelwerten könne diese Differenz wohl kaum wahrgenommen werden. Überdies sei zu berücksichtgen, daß es sich im gegenständlichen Bewilligungsverfahren mit einer vorgesehenen Betriebszeit zwischen 6.00 und 22.00 Uhr um Ereignisse während der Tageszeit handle, und der menschliche Organismus üblicherweise eine ausreichende Regenerationszeit habe. Der Amtssachverständige des Amtes für Umweltschutz hat in seinem Gutachten vom 17. August 1991 zusammenfassend ausgeführt, daß selbst die Schallpegelspitzenwerte unter den obersten Grenzwerten für ein "reines Wohngebiet" nach der ÖAL Richtlinie Nr. 3 liegen (nördlich, im Anschluß an eine Aufschließungsfläche der Bauwerberin liegen Grundstücke der nächstgelegenen Wohnnachbarn im "reinen Wohngebiet"). Auf Grund der vorliegenden lärmtechnischen Gutachten schloß die medizinische Amtssachverständige ihr Gutachten mit der Aussage, daß mit einer zusätzlichen, über das derzeitige Maß hinausreichenden, lärmspezifischen pathologischen Auswirkung auf den menschlichen Organismus durch die gegenständliche Betriebsanlage nicht zu rechnen sei. Die Beschwerdeführer verweisen in diesem Zusammenhang auf Punkt 5.2.2. der ÖAL-Richtlinie Nr. 3, behaupten aber selbst nicht, daß der "äquivalente Dauerschallpegel der ortsüblichen Schallimmission ... allein höher als der Grundgeräuschpegel + 10 dB" ist, sodaß sie der (geringfügigen) Erhöhung der Lärmimmissionen nicht unter Hinweis auf das in der genannten Richtlinie nur für den Fall der entsprechenden Vorbelastung ausgesprochene Verbot der Erhöhung des äquivalenten Dauerschallpegels, entgegentreten können.

Auf Grund der vorliegenden Gutachten ist es nicht unschlüssig, wenn die belangte Behörde zu Recht für erwiesen erachtete, daß es durch das geplante Projekt weder zu einer das ortsübliche Ausmaß übersteigenden noch zu einer unzumutbaren Belästigung und schon gar nicht zu einer Gefährdung der Nachbarn durch Lärmimmissionen kommen kann.

Insoweit die Beschwerdeführer rügen, daß Filteranlagen dem Stand der Technik entsprächen und dies zu Unrecht im vorliegenden Projekt nicht ausreichend berücksichtigt sei, ist festzustellen, daß sie damit die eingeschränkte Prüfungskompetenz der Baubehörde übersehen. Es ist auch in der Steiermärkischen Bauordnung kein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht dahingehend normiert, wonach ein Bauwerber angehalten werden könnte, ein Projekt nach einem bestimmten technischen Standard zu bauen. Die Nachbarn sind insofern geschützt, als die jeweils zulässigen Immissionsbelastungen durch das Projekt nicht überschritten werden dürfen. Auf welchem Wege dieses Ziel erreicht wird, ist Sache des Bauwerbers.

Da sich somit die Beschwerde unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte