VwGH 92/04/0255

VwGH92/04/025521.6.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der F in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 3. September 1992, Zl. 315.101/1-III/3/92, betreffend Parteistellung (Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage; mitbeteiligte Partei: U-Gesellschaft m.b.H. & Co. KG in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §8;
GewO 1973 §74 Abs2 Z1;
GewO 1973 §75 Abs2;
GewO 1973 §77 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §8;
GewO 1973 §74 Abs2 Z1;
GewO 1973 §75 Abs2;
GewO 1973 §77 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die von der mitbeteiligten Partei beantragte gewerbepolizeiliche Genehmigung wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt vom 14. Oktober 1991 mit folgenden Worten erteilt:

"Herrn K wird für die Firma

U-Gesellschaft m.b.H. & Co. KG., W, I-Straße 66, die gewerbebehördliche Genehmigung zur Änderung der Betriebsanlage durch Errichtung und Inbetriebnahme eines Rührwerksbehälters, provisorische Aufstellung von zwei Klarwassertanks, einem Aktivkohlerührwerksbehälter, einem Aktivkohlereaktionsbehälter, Errichtung und Inbetriebnahme einer Technikhalle mit 7 Übernahmebecken und die Befestigung der Freiflächen in W, I-Straße 66, auf Parzelle Nr. 86/12 und 86/20 KG X, wie in den Verhandlungsschriften vom 30. 4. 1991 und vom 13. 5. 1991 näher beschrieben, nach den vorgelegten, genehmigten und nachstehend angeführten Einreichunterlagen erteilt."

Weiters wurden die Einreichunterlagen bezeichnet, Auflagen vorgeschrieben und die Rechtsgrundlagen (§ 81 Abs. 1 GewO 1973 und § 27 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes) angeführt (Spruchteil I).

Ferner wurde folgendes ausgesprochen:

"Die Einwendungen der Nachbarn J und F, diese auch als bevollmächtigte Vertreterin für D, E, Mag. I und Mag. G, werden abgewiesen.

Die Einwendungen wegen möglicher Gefährdung im Störfalle, wegen der Auswirkung auf Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit auf öffentlichen Straßen und wegen Minderung des Verkehrswertes des Grundstückeigentums werden zurückgewiesen."

Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe für sich und die von ihr vertretenen Nachbarn Einwendungen wegen Belästigung durch Staub, Schadstoffe der Luft, Abgase, Geruch und Lärm und damit wegen Gesundheitsbeeinträchtigung vorgebracht; außerdem habe sie eine Entwertung der Grundstücke sowie Gefährdung durch zusätzliche Transporte auf den Zufahrtsstraßen eingewendet und Bedenken wegen der Folgen im Falle eines Brandes und möglicher Beeinträchtigung des Grundwassers geltend gemacht. Was die Einwendungen wegen Lärms anlange, habe der technische Amtssachverständige schlüssig dargestellt, daß die Lärmimmissionen als so gering anzusehen seien, daß solche selbst für die nächstgelegenen Nachbarn ausgeschlossen werden könnten. Der Ist-Zustand für die nächstgelegenen Nachbarn werde nicht verändert werden. Hinsichtlich Geruch, Rauch, Staub, also Emissionen in die Luft, habe der technische Amtssachverständige dargelegt, daß unter normalen Betriebsbedingungen kaum Emissionen luftfremder Stoffe zu erwarten seien, sodaß der Ist-Zustand bezüglich Luftinhaltsstoffe nicht verändert würde. Wegen der Grundwasserbeeinträchtigung habe der wasserbautechnische Amtssachverständige die Aufnahme entsprechender Auflagenpunkte zum Schutz des Grundwassers angeregt, die im Spruchteil I unter den Punkten 47 bis 49 und 52 bis 59 aufgenommen worden seien. Es sei daher bei konsensgemäßem Betrieb keine nachteilige Einwirkung auf die Beschaffenheit von Gewässern, insbesondere des Grundwasserstromes, zu befürchten. Es sei auch ein medizinisches Gutachten eingeholt und den Nachbarn gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht worden. Dieses medizinische Gutachten besage schlüssig, daß keine Auswirkungen von Lärm im Sinne einer Gesundheitsgefährdung zu erwarten seien, weil mit keinen zusätzlichen Lärmimmissionen zu rechnen sei. Da auch keine wesentliche Erhöhung der Luftschadstoffe zu erwarten sei, liege keine Gesundheitsgefährdung für Nachbarn vor, wenn der Betrieb bescheid- und auflagengemäß erfolge. Das medizinische Gutachten besage weiters, daß die vorgesehenen Auflagen für den Grundwasserschutz ausreichten. Aus den amtlichen Planunterlagen der Stadt zeige sich, daß J in der S-Straße 25a rund 600 m nordöstlich vom Betriebsstandort, die Beschwerdeführerin in der G-Straße 26 1400 m nordöstlich, Mag. I, S-Weg 44, 400 m westlich, E, S-Weg 32, 480 m westlich, Mag. G in der W-Straße 55 6 km nordwestlich und D, M-Straße 3, 1800 m östlich vom Betriebsstandort wohnten. Wenn schon nächstgelegene Nachbarn (es seien keine solchen zur Verhandlung erschienen) auf Grund der schlüssigen Amtssachverständigen-Gutachten in keiner Weise gesundheitlich beeinträchtigt würden, gelte es umso mehr für Personen, die, wie die oa. Entfernungsangaben zeigten, weit entfernt seien. Auf Grund der schlüssigen gewerbetechnischen, chemischen, wasserbautechnischen und medizinischen Gutachten seien daher die Einwendungen nach § 74 Abs. 2 Z. 1 und 2 GewO 1973 als unbegründet abzuweisen. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin auch für die von ihr vertretenen Personen wegen befürchteter Entwertung der Grundstücke, also einer Minderung des Verkehrswertes des Eigentums, seien gemäß § 75 Abs. 1 GewO 1973 als nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen nicht möglich, zurückzuweisen gewesen. Einwendungen wegen der Auswirkung auf Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs stünden den Nachbarn nicht zu, ebensowenig wie Einwendungen bezüglich befürchteter Störfälle, wie z.B. Brände, auch diese seien daher zurückzuweisen gewesen. Auf diese, von den Nachbarn aufgezeigten Momente werde ohnehin durch entsprechende Auflagen, soweit erforderlich, von Amts wegen eingegangen.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie den Antrag stellte, den Bescheid aufzuheben und die Genehmigung zu versagen.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 31. Dezember 1991 wurde die Berufung gemäß § 75 Abs. 2 GewO 1973 als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach den vorliegenden Verfahrensergebnissen könne die eindeutige Aussage getroffen werden, daß die Liegenschaft der Beschwerdeführerin außerhalb des Einflußbereiches der bestehenden Betriebsanlage wie auch deren geplante Erweiterung gelegen sei. Der Beschwerdeführerin fehle somit die Nachbareigenschaft. Sie habe daher im gegenständlichen Verfahren keine Parteistellung und auch kein Berufungsrecht erlangt, weshalb die Berufung gemäß der zitierten Gesetzesbestimmung als unzulässig zurückzuweisen gewesen sei. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin enthielten keine Anhaltspunkte dahin gehend, daß durch die Betriebsanlage eine Beeinträchtigung ihrer Person oder ihres Eigentums im Hinblick auf ihre Wohnliegenschaft hervorgerufen würde. Auch die Befürchtung eines Flugzeugabsturzes vermöge eine derartige Beeinträchtigung nicht zu belegen, weil ein solches Ereignis nicht im Einzelfall vorhersehbar sei (§ 77 Abs. 1 GewO 1973). Der Beschwerdeführerin sei weiters entgegenzuhalten, daß Nachbarn nur berechtigt seien, den ihre Person oder ihr Eigentum betreffenden Nachbarschutz geltend zu machen. In diesem Sinn habe die Beschwerdeführerin die Rechtslage völlig verkannt, wenn Vorbringen erstattet würden, welche allgemeine öffentliche Interessen zum Inhalt hätten und nach anderen Vorschriften wie z.B. Abfallwirtschaftsgesetz, Wasserrechtsgesetz, Straßenverkehrsordnung, Chemikaliengesetz wahrzunehmen seien. Auch der Umstand, daß die Beschwerdeführerin - in vermeintlich bürgerfreundlicher Vorgangsweise - zur Teilnahme an der erstbehördlichen Verhandlung zugelassen worden sei, vermöge an dieser rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern.

Auch dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Sie führte darin insbesondere aus, sie habe Parteistellung, weil sie besonders im Fall eines Brandes und einer Explosion durch giftige Dämpfe und Gase schwerst gesundheitlich gefährdet werden könnte; sollte es zu einem Brand oder einer Explosion kommen, würden diese Dämpfe und Gase von der Anlage ausgehen.

Mit Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 3. September 1992 wurde die Berufung "aus den zutreffenden Gründen" des zweitbehördlichen Bescheides abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, in der Augenscheinsverhandlung der Erstbehörde vom 13. Mai 1991 hätten der gewerbetechnische Sachverständige und der Sachverständige für Chemie in einem gemeinsamen Befund detailliert jene Stoffe, die in der gegenständlichen geänderten Betriebsanlage gelagert und bearbeitet werden sollten, beschrieben. Dabei handle es sich schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung keineswegs um sehr leicht brennbare oder gar explosive Stoffe (Schlämme, Öle und Imulsionen etc.). Im übrigen hätten bereits im Zuge des Verfahrens der Behörde erster Instanz Vertreter der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt und der Landesbrandverhütungsstelle für Oberösterreich die projektierte Änderung der Betriebsanlage in brandschutztechnischer Hinsicht begutachtet und diesbezüglich zahlreiche Auflagen vorgeschlagen, von deren Einhaltung auszugehen sei. Es sei jedoch schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung einsichtig, daß nach der Aktenlage selbst im Falle eines Brandes - der Explosionsfall sei wohl auf Grund der gelagerten Stoffe auszuschließen - die mehr als 1,5 km von der vergleichsweise kleinen Betriebsanlage wohnende Beschwerdeführerin keinesfalls in ihrer Gesundheit gefährdet werden könnte. Es sei daher auch die Befürchtung der Beschwerdeführerin, es würden Giftgaswolken "wie im Ersten Weltkrieg" entstehen, unbegründet. Vielmehr sei selbst in dem (äußerst unwahrscheinlichen) Falle eines größeren Brandes in der Betriebsanlage zu erwarten, daß dabei entstehender Brandrauch und Brandgase, bis sie zur Beschwerdeführerin gelangen könnten, sich derart verdünnten, daß überhaupt keine medizinische Relevanz mehr bestehe. Zusammenfassend sei daher festzuhalten, daß die Zweitbehörde zu Recht davon ausgegangen sei, daß die Beschwerdeführerin nicht Nachbarin im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO 1973 hinsichtlich der gegenständlichen Betriebsanlage sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift

mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht "auf Schutz vor Gefährdungen (nämlich vor zu befürchtenden Immissionen) durch die geplante Erweiterung der Betriebsanlage sowie auf Wahrung" ihrer "Parteistellung und der daraus erfließenden Rechte im Verfahren" als verletzt.

Sie trägt in Ausführung dieses Beschwerdepunktes vor, grundsätzlich liege es im Ermessen der Behörde zu entscheiden, ob eine Fachfrage von einem Sachverständigen zu beurteilen oder ob die Behörde selbst zur Beurteilung der Frage in der Lage sei. Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts dürfe die Behörde Fachfragen ohne Sachverständigenbeweis jedoch nur dann selbst beurteilen, wenn ihr die Kenntnisse und Erfahrungen zu eigen seien, die für eine selbständige fachliche Beurteilung von Fragen eines außerhalb des engeren Berufskreises liegenden Wissensgebietes vorausgesetzt werden müßten. Dabei dürfe die Begründung der behördlichen Schlußfassung nicht hinter einer Begründung zurückstehen, die von dem Gutachten eines Sachverständigen gefordert werden müsse. Im gegenständlichen Fall habe der Landeshauptmann zunächst im Schreiben vom 28. November 1991 die Meinung vertreten, daß die Emissionen gutachtlich bewertet werden müßten. Derartige Gutachten habe er dann allerdings nicht mehr eingeholt, sondern sogleich den zweitbehördlichen Bescheid erlassen, wobei dieser allerdings keine Begründung aufweise, warum nach den vorliegenden Verfahrensergebnissen die eindeutige Aussage getroffen werden könne, daß die Liegenschaft der Beschwerdeführerin außerhalb des Einflußbereiches der Betriebsanlage gelegen sei. Auch bei der Frage, ob es sich bei den eingesetzten Betriebsmitteln um leicht brennbare oder explosive Stoffe handle, greife die belangte Behörde auf die allgemeine Lebenserfahrung zurück. In der Frage, in welcher Entfernung sich die Wohnung der Beschwerdeführerin von der Betriebsanlage befinde, seien die verschiedenen Instanzen geteilter Meinung. Laut erstinstanzlichem Bescheid sei die Wohnung 1400 m entfernt. Bei der belangten Behörde seien es dann "mehr als 1,5 km" geworden, wobei allerdings nicht begründet werde, warum das Grundstück plötzlich weiter von der Betriebsanlage entfernt sein sollte, als von der Unterbehörde festgestellt. In der geplanten Betriebsanlage sollten verschmutzte Verbindungen (Emulsionen, z.B. mit Altöl verunreinigtes Wasser) durch Einsatz von zahlreichen Chemikalien gesäubert bzw. getrennt werden. Auf Seite 1 unten des angefochtenen Bescheides versuche die belangte Behörde darzustellen, daß die Beschwerdeführerin die Schlämme und Emulsionen für explosions- und brandgefährdend halte. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Beschwerdeführerin habe immer darauf hingewiesen, daß sie die für die Trennung einzusetzenden Chemikalien und nicht die Grundstoffe für gefährlich halte. Bei den eingesetzten Chemikalien handle es sich unter anderem um Hyperchlorid und Schwefelsäure, die gemeinsam chemisch zu einer Chlorgaswolke werden könnten. Weiters würden Salzsäure und Wasserstoffperoxyd eingesetzt, die beide explosionsgefährdend seien. Weitere eingesetzte chemische Stoffe zur Trennung seien Natriumsulfid, Aktivkohle, Natriumhydrochlorid, Natriumdiosulfat, Plexon, Eisen-III-Chlorid und andere Stoffe. Wie alle diese chemischen Substanzen bei Störfällen, wie z.B. Bränden oder Explosionen, reagierten bzw. ob sie bei entsprechender Vermischung zu Explosionen führen könnten, könne nicht aus der "allgemeinen Lebenserfahrung" beurteilt werden, wie dies die belangte Behörde tue. Dies sei eine Frage, die ein Sachverständiger zu entscheiden habe. Entgegen der Meinung der belangten Behörde sei die Beschwerdeführerin sogar der Ansicht, daß man aus der allgemeinen Lebenserfahrung darauf schließen könnte, daß sich die Giftgaswolken bei weitem weiter als 1,4 km von der Entstehungsstelle entfernen und dann die dort wohnende Bevölkerung durch Niederschlag gefährden könnten. Aus der Erfahrung mit dem Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl wisse man heute sehr genau, daß solche Wolken über hunderte Kilometer hinweg verfrachtet werden könnten und erst dann zu Boden gingen. Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts hätte die belangte Behörde den Sachverhalt nur dann selbst beurteilen dürfen, wenn sie selbst über die notwendigen fachlichen (chemischen) Kenntnisse verfügte. Da sie dies ganz offensichtlich nicht tue - wie aus der Bescheidbegründung erkennbar sei -, liege Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, weil der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedürfe.

Anzufügen sei noch, daß die Tatsache, daß die Beschwerdeführerin in der Berufung gegen den zweitbehördlichen Bescheid auf den Aufhebungsantrag vergessen habe, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht schade, da auf Grund ihres Verhaltens im Verfahren vor den Unterinstanzen mit Sicherheit erschlossen werden könne, was sie mit der Berufung anstrebe. Die Beschwerdeführerin habe in der Verhandlung vom 30. April 1991 ihre Einwendungen erhoben und die Gewerbebehörde aufgefordert, das beantragte Projekt nicht zu genehmigen (Seite 7 des Verhandlungsprotokolles unten). Auch in der Berufung gegen den erstbehördlichen Bescheid habe die Beschwerdeführerin bereits als ersten Satz folgendes ausgeführt: "Ich beantrage, den Bescheid aufzuheben und die Genehmigung zu versagen und begründe das wie folgt ....." Nach den Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes

Slg. Nr. 1507/A/1929 und vom 11. Dezember 1984, Zl. 82/05/0114, könne in diesem Fall eine Berufung, auch wenn sie keinen ausdrücklichen Berufungsantrag enthalte, nicht gestützt auf § 63 Abs. 3 AVG als unzulässig zurückgewiesen werden. Die Behörde habe dies richtigerweise nicht getan. Die Beschwerdeführerin führe dies nur deshalb aus, weil sie einem eventuellen diesbezüglichen Vorbringen gleich entgegentreten wolle.

Nach § 74 Abs. 2 GewO 1973 dürfen gewerbliche

Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde (§§ 333, 334,

335) errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der

Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer

Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet

sind, (Z. 1) das Leben oder die Gesundheit ..... der

Nachbarn ..... zu gefährden.

Im Grunde des § 77 Abs. 1 GewO 1973 ist die Betriebsanlage

zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem

Stand der medizinischen oder der sonst in Betracht kommenden

Wissenschaften zu erwarten ist, daß überhaupt oder bei

Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten

geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles

voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1

GewO 1973 vermieden ..... werden .....

Gemäß § 75 Abs. 2 GewO 1973 sind Nachbarn im Sinne dieses

Bundesgesetzes alle Personen, die durch die Errichtung, den

Bestand oder den Betrieb einer Betriebsanlage gefährdet oder

belästigt ..... werden könnten .....

Das für die Beurteilung nach § 75 Abs. 2 GewO 1973 maßgebende räumliche Naheverhältnis wird durch den möglichen Immissionsbereich bestimmt. Steht auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens fest, daß der regelmäßige Aufenthalt von bestimmten Personen außerhalb des möglichen Immissionsbereiches einer Betriebsanlage liegt, so fehlt diesen Personen die Nachbareigenschaft (siehe hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. März 1990, Zlen. 87/04/0091 bis 0094).

Im vorliegenden Fall hatte die Beschwerdeführerin in der

mündlichen Augenscheinsverhandlung vom 30. April 1991 in ihrem

Einwendungsvorbringen u.a. vorgetragen: "..... Es muß ein

Gutachten eines Arztes eingeholt werden, hinsichtlich ..... der

möglichen Gefährdung durch Brände. ..... Bei einem möglichen

Störfall, egal ob Luft- oder Wasserverschmutzung, z.B. Brände,

ist der sofortige Informationsfluß der Bevölkerung nicht

gegeben. ..... Am 23. 5. 1990 hat sich bei einer ähnlichen

Anlage in T ein Brand ereignet, daher fordern wir Überprüfung

der Anlage durch Sachverständige für Brandschutz des Landes

Oberösterreich, feuersichere Trennwände zwischen den einzelnen

Chemikalienbehältern ..... Wir fordern auch das Verbot von

Mischen von Abfällen, wie es im Abfallwirtschaftsgesetz vorgesehen ist, da z.B. Mischungswärme im Tank und chemische Reaktionen nicht vorhersehbar sind."

Die Beschwerdeführerin bezog sich hiemit auf die Möglichkeit des Entstehens von Bränden, auf chemische Reaktionen und darauf, daß es sich um Fragen der ärztlichen Begutachtung handle. Sie machte damit das subjektiv-öffentliche Nachbarrecht auf Lebens- und Gesundheitsschutz im Sinne des § 74 Abs. 1 Z. 1 (in Verbindung mit § 356 Abs. 3) GewO 1973 geltend. Sie verfolgte dieses Recht weiters in ihrer gegen den erstbehördlichen Bescheid erhobenen Berufung mit den Worten:

"In dem ärztlichen Gutachten von Fr. Dr. Y wird nicht auf die

mögliche große Gefährdung durch einen Brand- oder

Explosionsfall, der eine sehr schwere Gesundheitsgefährdung

darstellen würde, eingegangen." In ihrer gegen den

zweitbehördlichen Bescheid erhobenen Berufung machte sie

ebenfalls dieses Recht geltend: "Ich habe Parteistellung in

diesem Verfahren, weil ich besonders im Fall eines Brandes oder

einer Explosion durch giftigte Dämpfe und Gase schwerst

gesundheitlich gefährdet werden könnte. Sollte es zu einem

Brand oder einer Explosion kommen, würden diese Dämpfe und Gase

ja von dieser Anlage ausgehen. Daher wiederhole ich meine

Einwendungen und Berufungsgründe. Ich spreche damit auch eine

Rüge aus über die Amtsärztin Fr. Dr. Y, die auf die Gefahren,

die bei einem Brand auf die Nachbarn ausgehen könnten, nicht

eingegangen ist. Daher beantrage ich ein Gutachten eines

geeigneten Sachverständigen, der die Folgen eines Brandes oder

einer Explosion auf mich ..... abschätzen kann. Ich habe schon

bei meinen Einwendungen vorgebracht und wiederhole jetzt, daß

durch unsachgemäße Behandlung dieser hochbrisanten Chemikalien

in dieser Anlage z.B. Chlorgaswolken wie im Ersten Weltkrieg

entstehen könnten, welche mich ..... sehr wohl gesundheitlich

gefährden könnten."

Die belangte Behörde verfehlte es, bezogen auf dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin und auf die im Spruch des im Verwaltungsrechtszug bestätigten zweitbehördllichen Bescheides angeführte Rechtsgrundlage des § 75 Abs. 2 GewO 1973 den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt darzustellen. Die belangte Behörde gesteht selbst die - wenn auch als "äußerst unwahrscheinlich" bezeichnete - Möglichkeit eines Brandes zu (vgl. zum Anspruch auf Schutz der Nachbarn gewerblicher Betriebsanlagen in Brandfällen die

hg. Erkenntnisse vom 17. Februar 1987, Zl. 86/04/0165, und vom 27. Juni 1989, Zl. 88/04/0356). Sie begnügte sich jedoch mit unbestimmt gehaltenen Aussagen ("nach der allgemeinen Lebenserfahrung"; Hinweis auf eine Begutachtung in brandschutztechnischer Hinsicht, ohne Darstellung des Sachverhaltes, der sich aus dieser Begutachtung nach Ansicht der belangten Behörde für die Beurteilung der Rechtsstellung der Beschwerdeführerin ergeben sollte; entstehender Brandrauch und Brandgase, die sich, bis sie zur Beschwerdeführerin gelangen könnten, derart verdünnten, daß überhaupt keine medizinische Relevanz mehr bestehe), ohne den Brandfall und die Lage der Wohnung der Beschwerdeführerin durch Feststellung des auf voraussehbare Umstände im Sinne des § 77 Abs. 1 GewO 1973 abgestellten Sachverhaltes, etwa unter Angabe der voraussehbar im Brandfall in die Luft entweichenden Chemikalien und deren Ausbreitungsverhaltens, in Beziehung zu setzen.

Der Sachverhalt blieb somit in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig. Außerdem entsprach die belangte Behörde ihrer Begründungspflicht nach § 60 AVG nicht, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Einhaltung der zitierten Verfahrensvorschrift zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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