VwGH 89/13/0134

VwGH89/13/013414.4.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Pokorny und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des G in L, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 27. April 1989, Zl. GA 10-355/89, betreffend Bescheidaufhebung gemäß § 170 Abs. 2 FinStrG (Einstellung des Finanzstrafverfahrens), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §124 Abs1;
BAO §299 Abs1 lita;
BAO §299 Abs1 litc;
BAO §93 Abs3 lita;
FinStrG §115;
FinStrG §124 Abs1;
FinStrG §136;
FinStrG §170 Abs2;
FinStrG §58 Abs2;
FinStrG §82 Abs3;
BAO §124 Abs1;
BAO §299 Abs1 lita;
BAO §299 Abs1 litc;
BAO §93 Abs3 lita;
FinStrG §115;
FinStrG §124 Abs1;
FinStrG §136;
FinStrG §170 Abs2;
FinStrG §58 Abs2;
FinStrG §82 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war Gesellschafter einer OHG, aus der er mit Wirkung vom 31. Juli 1977 austrat. In der Folge kam es zu einem jahrelangen Rechtsstreit betreffend die Höhe jenes Betrages, der dem Beschwerdeführer für die Abtretung seiner Gesellschaftsrechte zustand. Der Beschwerdeführer erhielt im Laufe dieses Rechtsstreites verschiedene Zahlungen, die er zur Gänze als Akontozahlungen auf sein Auseinandersetzungsguthaben ansah.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 1979 bis 1984 vertrat der Prüfer die Auffassung, daß ein Teil dieser Zahlungen als Zinsen für offene Ansprüche des Beschwerdeführers auf sein Auseinandersetzungsguthaben anzusehen und als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu erfassen sei. In seinem Bericht hielt der Prüfer diesbezüglich fest, daß die betreffenden Zahlungen vom Beschwerdeführer "irrtümlich als Kapitalzahlungen angesehen" worden seien.

Gegen die auf Grund der Betriebsprüfung ergangenen Abgabenbescheide erhob der Beschwerdeführer Berufung und brachte vor, daß es sich bei seinem Ausscheiden aus der OHG im Hinblick auf den darüber geführten Rechtsstreit um ein "schwebendes Geschäft" handle, das "solange unberücksichtigt bleibt, wie es von keiner Seite erfüllt worden ist". Auch sei er der Meinung, daß die Akontozahlungen erst bei Übersteigen des von ihm geforderten Veräußerungserlöses, als Zinsen beurteilt werden könnten.

In der Folge wurde die Berufung auf Grund des Ergebnisses einer weiteren abgabenbehördlichen Prüfung zurückgezogen.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 1987 wurde gegen den Beschwerdeführer das Finanzstrafverfahren eingeleitet. Es bestehe der Verdacht einer vorsätzlichen Abgabenverkürzung, weil die oben genannten Zinsen nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen erklärt worden seien.

Mit Einstellungsbescheid vom 21. Juni 1988 wurde das eingeleitete Finanzstrafverfahren gemäß § 124 Abs. 1 FinStrG eingestellt. Die Begründung lautete:

"Die mit Einleitungsverfügung vom 29.12.1987 angelastete Abgabenverkürzung beruht auf der unterschiedlichen Interpretation von Rechtsansichten. Sie stellt somit weder ein vorsätzliches noch ein fahrlässiges Finanzvergehen dar. Auf Grund dieses Sachverhaltes war das gegenständliche Finanzstrafverfahren gemäß § 82 Abs. 3 lit. b i.V. mit § 124 FinStrG einzustellen."

Dieser Einstellungsbescheid wurde von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 170 Abs. 2 FinStrG in Verbindung mit § 299 Abs. 1 lit. a und c BAO im Dienstaufsichtsweg aufgehoben. Begründet wurde die Aufhebung damit, daß das Finanzamt als Finanzstrafbehörde erster Instanz die Einstellung des Verfahrens nicht ausreichend begründet habe. Es seien keine Erhebungen durchgeführt worden. Insbesondere seien weder Zeugen vernommen noch sei der Beschuldigte gehört worden. Außerdem sei mit Rücksicht auf die Höhe des strafbestimmenden Wertbetrages von mehr als S 300.000,-- die Zuständigkeit des Spruchsenates gegeben (§ 58 Abs. 2 lit. a FinStrG), sodaß dieser und nicht das Finanzamt für eine allfällige Einstellung des Finanzstrafverfahrens zuständig gewesen wäre.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der angefochtene Bescheid wurde am 2. Juni 1989 (Zustellung an den Beschwerdeführer) erlassen; im Beschwerdefall ist demnach die Rechtslage vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 27. Juni 1989, BGBl. Nr. 375 (= 1. Oktober 1989) maßgebend.

Gemäß § 170 Abs. 2 FinStrG gelten für die Aufhebung von Entscheidungen in Ausübung des Aufsichtsrechtes durch die Oberbehörde die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung sinngemäß. Gemäß § 299 Abs. 1 lit. a BAO kann ein Bescheid von der Oberbehörde in Ausübung des Aufsichtsrechtes aufgehoben werden, wenn er von einer unzuständigen Behörde, von einem hiezu nicht berufenen Organ oder von einem nicht richtig zusammengesetzten Kollegialorgan einer Behörde erlassen wurde.

Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, daß mit Rücksicht auf die Höhe des strafbestimmenden Wertbetrages nur der Spruchsenat, nicht aber das Finanzamt als Finanzstrafbehörde erster Instanz zur Einstellung des Finanzstrafverfahrens zuständig gewesen wäre.

Diese Auffassung ist verfehlt. Gemäß § 136 FinStrG ist das Finanzstrafverfahren mit Erkenntnis einzustellen, wenn einer der im § 82 Abs. 3 lit. b bis d genannten Gründe vorliegt oder wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann. Zuständig für die Erlassung eines DERARTIGEN ERKENNTNISSES wäre im Beschwerdefall tatsächlich der Spruchsenat gewesen. Das Finanzstrafverfahren wurde aber nicht gemäß der zitierten Bestimmung eingestellt, sondern gemäß § 124 Abs. 1 FinStrG, also IM ZUGE DES UNTERSUCHUNGSVERFAHRENS. Daß eine derartige bescheidmäßige Einstellung des Finanzstrafverfahrens nicht dem Spruchsenat obliegt, ergibt sich eindeutig aus Abs. 2 der zitierten Bestimmung, der auszugsweise lautet:

"Ergibt das Untersuchungsverfahren, daß die Durchführung der mündlichen Verhandlung und die Fällung des Erkenntnisses einem Spruchsenat obliegt (§ 58 Abs. 2), so hat der Vorstand der Finanzstrafbehörde erster Instanz einen Amtsbeauftragten zu bestellen. Dieser hat die Akten dem Spruchsenat ... zuzuleiten".

Daraus folgt, daß erst nach Vorliegen des Ergebnisses des Untersuchungsverfahrens, also nach dessen Beendigung der Spruchsenat mit der weiteren Durchführung eines Finanzstrafverfahrens (Durchführung der mündlichen Verhandlung und Fällung des Erkenntnisses, vgl. auch § 58 Abs. 2 FinStrG) betraut ist. Der Vorwurf der Unzuständigkeit des Finanzamtes als Finanzstrafbehörde erster Instanz zur Einstellung des Finanzstrafverfahrens wurde daher von der belangten Behörde zu Unrecht erhoben.

Die belangte Behörde stützt sich aber im angefochtenen Bescheid auch auf das Außerachtlassen von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderlassung hätte unterbleiben können (§ 299 Abs. 1 lit. c BAO). Sie vermißt sowohl die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens als auch eine schlüssige Begründung des Einstellungsbescheides. Dazu ist folgendes zu sagen:

Das Untersuchungsverfahren dient der Erforschung des für die Erledigung der Strafsache maßgebenden Sachverhaltes, wobei dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben ist, seine Rechte und rechtlichen Interessen geltend zu machen (§ 115 FinStrG). Kommt die Finanzstrafbehörde erster Instanz im Untersuchungsverfahren zu dem Ergebnis, daß dem Beschuldigten keine strafbare Tat anzulasten ist, so erübrigen sich weitere Erhebungen ebenso wie die Einvernahme des Beschuldigten. Zu einem solchen Ergebnis kann die Finanzstrafbehörde erster Instanz auch dadurch gelangen, daß sie - ohne ein eigenes Ermittlungsverfahren durchzuführen - den im Abgabenverfahren bereits festgestellten und letztlich unwidersprochen gebliebenen Sachverhalt rechtlich dahingehend untersucht, ob in ihm ein strafbares Verhalten zu erblicken ist.

Im Beschwerdefall hat bereits der Betriebsprüfer in seinem Bericht vom 3. Juli 1986 unter Tz 27 festgehalten, daß die Zinsen vom Beschwerdeführer "irrtümlich" als Kapitalzahlung angesehen wurden. In der Berufung gegen die Abgabenbescheide hat der Beschwerdeführer die Auffassung vertreten, sein entgeltliches Ausscheiden aus der OHG sei deswegen als schwebendes Geschäft zu beurteilen, weil über die Höhe seines Auseinandersetzungsguthabens ein Rechtsstreit geführt werde. Schwebende Geschäfte seien abgabenrechtlich noch nicht zu berücksichtigen. Die Zahlungen, die er von der Gegenseite erhalten habe, seien als Akontozahlungen für den Wert des veräußerten Geschäftsanteiles und nicht als Zinsen anzusehen. In Kenntnis dieser Argumentation hat die Finanzstrafbehörde erster Instanz offensichtlich die Auffassung vertreten, daß in der Verantwortung des Beschuldigten eine "Interpretation von Rechtsansichten" zu erblicken ist, die weder ein vorsätzliches noch ein fahrlässiges Finanzvergehen darstellt, und mit dieser Begründung das Finanzstrafverfahren eingestellt. Es trifft zwar zu, daß in der Begründung nicht dargelegt wurde, worin die unterschiedliche Interpretation von Rechtsansichten bestand. Dazu bedurfte es zusätzlich der Kenntnis der Verwaltungsakten im Abgabenverfahren. Der Gerichtshof ist jedoch der Meinung, daß die bescheidmäßige Einstellung eines Finanzstrafverfahrens im Untersuchungsverfahren noch ausreichend begründet ist, wenn sie die Oberbehörde in die Lage versetzt, ihr Aufsichtsrecht auszuüben. Bei Ausübung dieses Rechtes ist es aber der Oberbehörde zumutbar, in die betreffenden Verwaltungsakten Einsicht zu nehmen und auf diese Weise eine unvollständige Bescheidbegründung zu ergänzen, um die für die Bescheiderlassung maßgebenden Gründe überprüfen zu können. Nur wenn diese Gründe auch unter Einbeziehung des aktenkundigen Wissensstandes unklar bleiben, ist die Aufhebung eines Bescheides, mit dem ein Finanzstrafverfahren eingestellt wurde, wegen Begründungsmangels gemäß § 170 Abs. 2 FinStrG zulässig.

Der angefochtene Bescheid erweist sich somit als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991. Stempelgebühren waren nur in der Höhe zu ersetzen, in der sie - soweit sie auf Beilagen entfallen - im Interesse einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung verursacht wurden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte