Normen
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AZG §28 Abs1;
AZG §7 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §51 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AZG §28 Abs1;
AZG §7 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §51 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden jeweils wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
I.
1. Nachdem entsprechende Strafverfügungen der BH Baden vom 22. Jänner 1991 aufgrund der Einbringung von Einsprüchen durch die am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligte Partei (mP) außer Kraft getreten waren, erließ dieselbe Behörde jeweils unter dem Datum 29. April 1991 acht Straferkenntnisse, mit denen die mP jeweils schuldig erkannt wurde, sie habe "als nach § 9 VStG verantwortliche Beauftragte des Arbeitgebers, der F-Betriebsges., X-Ges.m.b.H., Betrieb Y, zu verantworten", daß an einem bestimmten Tag an einem bestimmten Ort die Tagesarbeitszeit von zehn Stunden jeweils in bezug auf eine namentlich genannte Person (Arbeitnehmer, Arbeitnehmerin) in einem bestimmt bezeichneten Ausmaß überschritten worden sei. Jeweils wegen Übertretung des § 28 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1 des Arbeitszeitgesetzes wurde über die mP nach der zuerst genannten Vorschrift jeweils eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.
2. Den gegen diese Straferkenntnisse von der mP eingebrachten Berufungen gab der unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) jeweils mit Bescheid vom 1. April 1992 gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge und hob die Straferkenntnisse auf.
Die Behörde erster Instanz sei jeweils unzutreffend von einer vom Arbeitgeber der mP (der "Y Ges.m.b.H. & Co KG") erfolgten Bestellung zur verantwortlichen Beauftragten für den räumlich abgegrenzten Bereich der Filiale in B, W-Gasse, ausgegangen. Da auch die von der belangten Behörde durchgeführten Verfahrensergänzungen "keinen rechtlich relevanten Anhaltspunkt" für eine Bestellung zur verantwortlichen Beauftragten seitens des genannten Arbeitgebers geliefert hätten, seien die Straferkenntnisse aufzuheben gewesen, weil unter den gegebenen Umständen vom Vorliegen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der mP nicht habe ausgegangen werden können.
Eine Richtigstellung des jeweiligen Spruches der Straferkenntnisse durch die belangte Behörde sei aus folgenden Überlegungen nicht in Betracht gekommen: Nach dem Wortlaut der dem erstinstanzlichen Verfahren zugrunde gelegenen Urkunde über die Bestellung der mP zur verantwortlichen Beauftragten sei die Bestellung im Namen der "Y" bzw. der "F Ges.m.b.H. & Co", sohin nicht im Namen der seinerzeitigen Arbeitgeberin, der "Y Ges.m.b.H. & Co KG" erfolgt. Im Hinblick darauf, daß die Eintragungen auf dieser Urkunde handschriftlich erfolgt seien, bestehe für die belangte Behörde kein Zweifel daran, daß sich die Bestellung zur verantwortlichen Beauftragten auch nur auf die angeführten beiden Firmen beziehen könne. Damit stehe fest, daß aus dieser Urkunde eine Bestellung seitens der "Y Ges.m.b.H. & Co KG" nicht abgeleitet werden könne.
3. Gegen die acht Berufungsbescheide vom 1. April 1992 richtet sich die vorliegende, auf § 9 Abs. 2 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 gestützte Beschwerde, mit der begehrt wird, diese wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, in eventu wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt und jeweils eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde als unbegründet erstattet. Auch die mP hat eine Gegenschrift eingebracht.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Vorweg sei unter Bezugnahme auf das insoweit verfehlte Beschwerdevorbringen festgehalten, daß der jeweilige Spruch der angefochtenen Bescheide, wonach der "Berufung gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991, (AVG) Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid aufgehoben (wird)", eine das jeweilige Straferkenntnis in seinem ganzen Umfang erfassende - ersatzlose - Aufhebung darstellt. Dies hat zur Folge, daß die Strafbehörde erster Instanz über den betreffenden Gegenstand nicht mehr neuerlich entscheiden darf. Die ersatzlose Behebung der Straferkenntnisse hatte somit - auch wenn dies nicht ausdrücklich verfügt wurde - die Wirkung der Einstellung der jeweiligen Strafverfahren (vgl. dazu das von der belangten Behörde in der Gegenschrift zitierte hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1987, Zl. 87/17/0249).
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 16. Jänner 1987, Zl. 86/18/0073 (= Slg. Nr. 12.375/A - unter Abgehen von seiner bis dahin ständigen Judikatur - die Rechtsauffassung vertreten,
"daß das die Verantwortlichkeit des von Anfang an als Beschuldigten angesprochenen Bf betreffende Merkmal auf die Vollständigkeit der Verfolgungshandlung ohne Einfluß ist, weil bei der Umschreibung der für eine Verfolgungshandlung wesentlichen Kriterien im § 32 Abs. 2 VStG auf eine BESTIMMTE PERSON als Beschuldigten abgestellt wird, dem eine konkrete strafbare Handlung oder Unterlassung angelastet wird, sodaß sich die Verfolgungshandlung zwar auf eine bestimmte physische Person als Beschuldigten, ferner auf eine bestimmte Tatzeit, den ausreichend zu konkretisierenden Tatort und sämtliche Tatbestandselemente der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift iS des § 44a lit. b VStG beziehen muß, aber in diesem Stadium des Verfahrens, und damit für die Tauglichkeit einer Verfolgungshandlung, noch nicht zu fordern ist, daß dem individuell bestimmten Beschuldigten allenfalls auch vorgeworfen werden muß, er habe die Tat als zur Vertretung nach außen Berufener iS des § 9 VStG zu verantworten."
Der Gerichtshof hat in diesem Erkenntnis aber daran festgehalten,
"daß in der Tatumschreibung iS des § 44a lit. a VStG zum Ausdruck kommen muß, ob ein bestimmter Beschuldigter die Tat in eigener Verantwortung oder als der für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder Personengemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit strafrechtlich Verantwortliche begangen hat."
3. Die vorzitierte Rechtsprechung auf die vorliegenden Fälle bezogen bedeutet:
Die jeweils innerhalb der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 2 VStG gesetzten Verfolgungshandlungen (Strafverfügungen vom 22. Jänner 1992; Straferkenntnisse vom 1. April 1992) waren gegen eine bestimmte Person (die mP) als Beschuldigten abgestellt, dem ein bestimmtes strafbares Verhalten unter Anführung der im Grunde des § 44a Z. 1 und 2 VStG relevanten Sachverhaltselemente vorgeworfen wurde. Damit lagen (fristgerecht gesetzte) taugliche Verfolgungshandlungen im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG vor. Der Umstand, daß das die Verantwortlichkeit der von Anfang an als Beschuldigte angesprochenen mP betreffende Merkmal infolge unrichtiger Bezeichnung des Arbeitgebers jeweils unzutreffend angegeben wurde, vermochte an der Tauglichkeit der Verfolgungshandlungen ebensowenig zu ändern, wie wenn darin das die Verantwortlichkeit der mP im Sinne des § 9 VStG betreffende Merkmal überhaupt nicht angeführt worden wäre.
War aber von tauglichen Verfolgungshandlungen auszugehen, so war die belangte Behörde nicht nur berechtigt, sondern im Hinblick auf § 44a Z. 1 VStG sogar verpflichtet (siehe oben II.2.), das besagte, die Verantwortlichkeit der mP konstituierende Merkmal jeweils im Rahmen der von ihr getroffenen Berufungsentscheidungen (§ 66 Abs. 4 AVG) richtig und vollständig anzugeben, was in den Beschwerdefällen hieß:
die unrichtige Bezeichnung des Arbeitgebers durch die Erstbehörde in ihren Straferkenntnissen durch Angabe des zutreffenden Namens (der Firma) des Arbeitgebers richtigzustellen. Dieser Verpflichtung zur Richtigstellung konnte freilich nur dann ohne weiteres Verfahren nachgekommen werden, wenn für die belangte Behörde zweifelsfrei feststand, daß die mP rechtswirksam zum verantwortlichen Beauftragten (§ 9 Abs. 2 und 4 VStG) der von der belangten behörde aufgrund der Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens als Arbeitgeber festgestellten "Y Ges.m.b.H. & Co KG" bestellt war.
Diese Eindeutigkeit war nach der Aktenlage nicht gegeben. Ebensowenig zutreffend ist aber die von der belangten Behörde in den angefochtenen Bescheiden vertretene Ansicht, es bestehe "kein Zweifel daran", daß sich die Bestellung - entsprechend der Formulierung in der Urkunde vom 21. Mai 1990 (Zustimmung der mP 20. April 1990) - nur auf die "Y" bzw. die "F Ges.m.b.H. & Co" als Arbeitgeber beziehen könne. Vielmehr hätte die auf diesem urkundlichen Nachweis der Bestellung der mP zum verantwortlichen Beauftragten und deren Zustimmung hiezu oberhalb der handschriftlichen Bezeichnung des Arbeitgebers angebrachte Stampiglie mit dem Wortlaut "Z B, W-Gasse nn, Betr.: Y & Co Ges.m.b.H. & Co KG, D", bei der belangten Behörde begründete Zweifel hervorrufen müssen, ob mit dieser Urkunde nicht doch dargetan worden ist, daß die mP von der von der belangten Behörde als Arbeitgeber festgestellten juristischen Person als verantwortlicher Beauftragter bestellt wurde und die mP dieser Bestellung ihre Zustimmung erteilt hat - dies mit der Wirkung, daß (im Hinblick auf das Einlangen des aus der Zeit vor Begehung der der mP angelasteten Übertretungen stammenden Zustimmungsnachweises spätestens während der Verwaltungsstrafverfahren) die mP ab dem Zeitpunkt des Einlangens des Zustimmungsnachweises bei der Behörde an Stelle des zur Vertretung nach außen Berufenen für die Übertretungen einzustehen hatte. Diese Zweifel hätte die belangte Behörde entsprechend dem Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit (§ 37 AVG) von sich aus durch Aufnahme ihr erforderlich erscheinender Beweise auszuräumen gehabt. Da sie dies verabsäumte, blieb der Sachverhalt - was in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt wurde - in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig.
Der Vollständigkeit halber sei für die fortzusetzenden Verfahren darauf hingewiesen, daß der zweiten in den Akten einliegenden Urkunde betreffend Bestellung der mP zum verantwortlichen Beauftragten und Zustimmung der mP für die Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes schon deshalb keine Relevanz zukommt, weil dieser Urkunde zufolge die mP die Zustimmung zu ihrer Bestellung erst am "18.10.91", also nach Begehung der ihr angelasteten Übertretungen, erteilte.
4. Nach dem Gesagten waren die angefochtenen Bescheide jeweils gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
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