VwGH 92/11/0011

VwGH92/11/001116.6.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des A und der P in S, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz vom 28. März 1991, Zl. 778.949/2-VII/10/91, betreffend Entschädigung nach dem Tierseuchengesetz, zu Recht erkannt:

Normen

TSG 1909 §1 Abs1;
TSG 1909 §48 Abs1 Z1;
TSG 1909 §52;
VwRallg;
TSG 1909 §1 Abs1;
TSG 1909 §48 Abs1 Z1;
TSG 1909 §52;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als er Entschädigung für getötete Wald- und Wildschweine in der Höhe von S 55.022,-- versagt, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Landeshauptmann von Steiermark erkannte den Beschwerdeführern mit Bescheid vom 6. November 1990 an Entschädigung nach dem Tierseuchengesetz, RGBl. Nr. 177/1909 in der Fassung BGBl. Nr. 746/1988, für auf behördliche Anordnung getötete Haus-, Wald- und Wildschweine insgesamt den Betrag von S 727.813,90 zu, wobei S 55.022,-- auf Wald- und Wildschweine entfielen. Während die Beschwerdeführer diesen Bescheid unbekämpft ließen, erhob die Finanzprokuratur namens des Bundes dagegen insoweit Berufung, als eine Entschädigung auch für Wald- und Wildschweine gewährt wurde.

Der Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz gab dieser Berufung mit Bescheid vom 28. März 1991 Folge und änderte den erstinstanzlichen Bescheid dahin ab, daß den Beschwerdeführern gemäß § 48 Abs. 1 Z. 1 und § 52 TierseuchenG an Entschädigung für Schweine ein Betrag von insgesamt S 672.791,90 zuerkannt wurde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführer erklären, den Bescheid nur insoweit anzufechten, als damit der Berufung der Finanzprokuratur Folge gegeben und ihnen eine Entschädigung für Wald- und Wildschweine im Betrag von insgesamt S 55.022,-- versagt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde begründete die Versagung einer Entschädigung für Wald- und Wildschweine im wesentlichen damit, daß diese zwar im Sinne des § 1 Abs. 1 TierseuchenG wie Haustiere gehalten worden seien, es aber an gesetzlichen Regelungen für eine Entschädigung auch für diese Arten von Schweinen mangle. Aus dem Zusammenhalt des § 52 mit den übrigen Bestimmungen des TierseuchenG, aus den Materialien zur TierseuchenG-Novelle 1974 und zur Durchführungsverordnung zum TierseuchenG sei der Schluß zu ziehen, daß Gegenstand der Entschädigungsbestimmungen des TierseuchenG für Schweine nur die im Inland bei Schweinemastbetrieben üblicherweise anzutreffenden Hausschweine seien. Wald- und Wildschweine seien keiner der im § 52 TierseuchenG genannten Arten von Schweinen zuzuordnen, sie würden in den auf Grund dieser Bestimmung erlassenen Werttarifen auch nicht genannt, ihre Entschädigung nach den geltenden Werttarifen für Hausschweine sei wegen der völlig anders gearteten Natur der wertbildenden Faktoren ausgeschlossen.

Die Beschwerdeführer stehen auf dem Standpunkt, daß das TierseuchenG von Schweinen schlechthin spreche und daher für alle Arten von Schweinen bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen Entschädigung zu leisten sei. Nur diese Auffassung stehe mit dem Zweck des Gesetzes, Vermögensverluste auf Grund behördlicher Anordnungen durch Gewährung von Entschädigung auszugleichen, im Einklang. Eine Differenzierung zwischen Hausschweinen und sonstigen Schweinen wäre unsachlich und daher mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar.

Außer Streit steht, daß die verfahrensgegenständlichen, wegen Schweinepest auf behördliche Anordnung getöteten Waldschweine (Kreuzungen zwischen Haus- und Wildschweinen) und Wildschweine im Bestand der Beschwerdeführer wie Haustiere gehalten wurden und daher auf sie gemäß § 1 Abs. 1 TierseuchenG die Bestimmungen dieses Gesetzes anzuwenden waren.

Die Auffassung der belangten Behörde, die Entschädigungsregelungen des TierseuchenG seien nur auf Hausschweine und nicht auch auf Wald- und Wildschweine anwendbar, kann nicht geteilt werden.

Gemäß § 1 Abs. 1 TierseuchenG finden die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes Anwendung auf Haustiere sowie auf Tiere, die wie Haustiere oder in Tiergärten oder in ähnlicher Weise gehalten werden. Nach Abs. 2 findet dieses Bundesgesetz auf Wild in freier Wildbahn nach Maßgabe der Bestimmungen des Abs. 5 sowie des § 41 Z. 4 Anwendung.

Gemäß § 48 Abs. 1 Z. 1 TierseuchenG hat der Bund für Einhufer, Wiederkäuer, Schweine und Geflügel in den in den lit. a bis e angeführten Fällen Entschädigungen für Vermögensnachteile zu leisten.

Der die Höhe der Entschädigung für Schweine regelnde § 52 TierseuchenG lautet:

"(1) Die Entschädigung für Schweine gemäß § 48 Abs. 1 Z. 1 ist wie folgt zu bemessen:

a) für Schlachtschweine (schlachtreife Fett- und Fleischschweine) auf Grund des festgestellten Lebendgewichtes nach Maßgabe eines Werttarifes, welcher vom Landeshauptmann nach Anhören der örtlich zuständigen Landwirtschaftskammer unter Berücksichtigung des pro Kilogramm berechneten durchschnittlichen Marktpreises, der im vorausgegangenen Monat in der Hauptstadt des betreffenden Landes, in Niederösterreich in Wien-St. Marx, für Schlachtschweine erzielt wurde;

b) für Zuchtschweine auf Grund des Verkehrswertes eines vergleichbaren gesunden Tieres zu dem im § 48 Abs. 3 genannten Zeitpunkt;

c) für Nutzschweine auf Grund des festgestellten Lebendgewichtes nach Maßgabe eines Werttarifes, welcher vom Landeshauptmann nach Anhören der örtlich zuständigen Landwirtschaftskammer vierteljährlich unter Berücksichtigung der Alters-, Rassen- und sonstigen preisbestimmenden Unterschiede pro Kilogramm festzusetzen ist; für Ferkel bis zu zehn Wochen ist im Werttarif ein Stückpreis unter Bedachtnahme auf die durchschnittlichen Preise auf den Ferkelmärkten festzulegen.

(2) ...

(3) Zuchtschweine im Sinne des Abs. 1 sind gekörte Eber, in das Herdbuch eingetragene oder in diesem zur Zucht vorgemerkte Schweine, sowie Sauen vom Beginn der ersten Trächtigkeit an.

(4) Nutzschweine im Sinne des Abs. 1 sind alle nicht in die Kategorie der Schlachtschweine fallenden, zur Zucht nicht mehr tauglichen Tiere und Schnittlinge mit einem Lebendgewicht bis 89 kg, Ferkel und Jungschweine, die nicht Zuchtschweine (Abs. 3) sind."

Das Tierseuchengesetz spricht in den Entschädigungsregelungen (§§ 48, 52) und auch in den übrigen Bestimmungen durchgehend von Schweinen schlechthin. Unter diesen Überbegriff fallen schon rein sprachlich Schweine jeglicher Art, somit auch Wald- und Wildschweine. Das TierseuchenG enthält keine Aussage, daß unter Schweinen im Sinne dieses Gesetzes nur Hausschweine zu verstehen seien, und zwar insbesondere auch nicht in den Entschädigungsregelungen. Lediglich zum Zweck der Bemessung der Entschädigung sieht § 52 TierseuchenG drei Kategorien von Schweinen vor (Schlacht-, Zucht- und Nutzschweine). Von diesem Klassifikationsschema sind jedenfalls auch Wald- und Wildschweine erfaßt, soferne sie wie Haustiere gehalten werden (§ 1 Abs. 1 TierseuchenG). Angesichts der durchgehenden Verwendung des Überbegriffes "Schweine" im TierseuchenG sind die Ausführungen in der Gegenschrift der belangten Behörde nicht nachvollziehbar, es seien bei einer Auslegung der Entschädigungsregelungen "streng nach dem Wortlaut" unter Schweinen nicht auch Wald- und Wildschweine zu verstehen. Richtig ist vielmehr, daß der Begriff "Schweine" des TierseuchenG sowohl Hausschweine als auch Wald- und Wildschweine umfaßt.

Die Auffassung der belangten Behörde hätte zur Folge, daß der Begriff Schwein im TierseuchenG in unterschiedlicher Bedeutung verwendet würde, nämlich in den Entschädigungsregelungen in einem auf Hausschweine eingeschränkten Sinn, hingegen in allen sonstigen Bestimmungen in einem auch Wald- und Wildschweine einschließenden Sinn (§§ 8, 11, 11a, 43, 43a bis c). Daß diese letzteren Bestimmungen unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 TierseuchenG auch auf Wald- und Wildschweine anzuwenden sind, braucht nicht näher dargetan zu werden. Dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, er verwende im TierseuchenG ein und denselben Begriff (Schweine) in unterschiedlicher Bedeutung, ohne dies klar zum Ausdruck zu bringen.

Aus den von der belangten Behörde erwähnten Erläuterungen zur Regierungsvorlage für eine TierseuchenG-Novelle (977 Blg.NR XIII. GP) ergibt sich nichts, was gegen die hier vertretene Auslegung des Begriffes Schweine im TierseuchenG spräche. Daß dieser Begriff im Fleischuntersuchungsgesetz eine andere, nämlich auf Hausschweine eingeschränkte Bedeutung haben mag, zwingt entgegen der Meinung der belangten Behörde nicht dazu, ihn auch im TierseuchenG in diesem eingeschränkten Sinn zu verstehen. Vielmehr zeigt die Verwendung des Begriffes "Schweine" einerseits und "Wildschweine" andererseits im Fleischuntersuchungsgesetz und die von der Behörde erwähnte Feststellung im Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Umweltschutz zur Regierungsvorlage (1215 Blg NR XV. GP), wonach "unter Schweinen nicht auch Wildschweine verstanden werden. Wenn im Gesetz Wildschweine gemeint sind, ist dies ausdrücklich angeführt.", daß der Gesetzgeber, wenn er eine derartige Differenzierung beabsichtigt, dies auch klar zum Ausdruck bringt.

Für ihre Behauptung, auch aus den Materialien zur Durchführungsverordnung zum TierseuchenG ergebe sich die Richtigkeit ihrer Auffassung, ist die belangte Behörde eine Begründung schuldig geblieben.

Festzuhalten ist, daß die Entschädigungsregelungen des TierseuchenG in der Fassung vor der Novelle 1974, BGBl. Nr. 141, in der Tat nur auf Hausschweine Anwendung fanden, und zwar trotz Verwendung des (nach dem Sprachsinn) alle Arten von Schweinen umfassenden Begriffes "Schweine". Dies hatte seinen Grund darin, daß der sachliche Anwendungsbereich des TierseuchenG vor der genannten Novelle auf nutzbare HAUSTIERE beschränkt war (§ 1 Abs. 1 und 3 in der Fassung vor der Novelle; siehe auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu dieser Novelle, 977 BlgNR XIII. GP, 8) und daher damals unter "Schweinen" nur Hausschweine und nicht auch Wald- und Wildschweine zu verstehen waren. Infolge Ausweitung des Anwendungsbereiches des TierseuchenG durch die genannte Novelle auf "Tiere, die wie Haustiere oder in Tiergärten oder in ähnlicher Weise gehalten werden", gelten die Regelungen dieses Gesetzes nunmehr für alle unter seinen § 1 Abs. 1 fallenden Tiere, somit auch für Wald- und Wildschweine. Auf Tiere in freier Wildbahn findet es allerdings auf Grund seines § 1 Abs. 2 nur eingeschränkt Anwendung. Mit der TierseuchenG-Novelle 1974 ist daher die frühere Einschränkung des Begriffes "Schweine" auf Hausschweine entfallen.

Das Vorbringen in der Gegenschrift der belangten Behörde, der Gesetzgeber des Jahres 1974 habe es unterlassen, eine der Auslegung des § 1 Abs. 1 entsprechende positivrechtliche Entschädigungsregelung für die von Menschen gehaltenen Wildtiere, Fische in Fischteichen, Bienen usw. zu schaffen, geht ins Leere, weil es sich im vorliegenden Fall um Schweine handelt und für sie die §§ 48 und 52 TierseuchenG eine alle Arten umfassende Entschädigung ermöglichen. Für die Entschädigungspflicht kommt es nicht auf die Kategorien Haus-, Wald- oder Wildschwein an, sondern auf die Kategorien Schlacht-, Zucht- oder Nutzschwein. Dieses Gesetz bietet in seinem § 52 Abs. 1 die rechtliche Grundlage für die Schaffung eines die Besonderheiten von Wald- und Wildschweinen berücksichtigenden Werttarifes. Die Nichterwähnung der nach Ansicht der belangten Behörde insoweit kompetenteren Landesjagdverbände im TierseuchenG steht der Anwendbarkeit seiner Entschädigungsregelungen auch auf Wald- und Wildschweine keineswegs entgegen.

Die verfassungsrechtlichen Ausführungen in der Gegenschrift der belangten Behörde lassen nichts erkennen, was die hier gewählte Auslegung des Begriffes Schweine als verfassungsrechtlich bedenklich erscheinen lassen könnte. Es kann dahinstehen, ob es mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist, eine Entschädigung nur für "Einhufer", "Wiederkäuer", "Schweine" und "Geflügel" vorzusehen, nicht jedoch für sonstige, dem § 1 Abs. 1 TierseuchenG unterliegende, über behördliche Anordnung getötete Tiere. Aus der Sicht des vorliegenden Falles, der Schweine betrifft, bestehen gegen die Entschädigungsregelungen des TierseuchenG keine Bedenken in der aufgezeigten Richtung.

Inwiefern § 1 Abs. 1 TierseuchenG mangels ausreichender Bestimmtheit dem Legalitätsprinzip des Art. 18 Abs. 1 B-VG widersprechen soll, ist mangels näherer Ausführungen nicht erkennbar. Der Verwaltungsgerichtshof sieht schon deshalb keine Veranlassung, im Sinne des Antrages in der Gegenschrift der belangten Behörde beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung dieser Bestimmung als verfassungswidrig zu beantragen.

Es kann dahinstehen, ob, wie die belangte Behörde in der Gegenschrift ausführt, das TierseuchenG nur bei der von ihr vertretenen Auslegung EG-konform wäre. Denn mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage kann derzeit die EG-Konformität kein maßgebliches Kriterium für die Auslegung einer inländischen Norm sein.

Da die belangte Behörde auf Grund einer unzutreffenden Auslegung des Begriffes "Schweine" im TierseuchenG den Beschwerdeführern die Gewährung einer Entschädigung für die von ihnen gehaltenen Wald- und Wildschweine versagt hat, ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 106/1991.

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