VwGH 92/06/0137

VwGH92/06/013722.10.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Giendl, Dr. Müller und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Unterer, über die Beschwerde des R in P, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 6. November 1991, Zl. IIb1-L-1903/2-1991, betreffend Straßenbaubewilligung (mitbeteiligte Partei: Land Tirol, Landesstraßenverwaltung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §14;
AVG §15;
AVG §44;
AVG §14;
AVG §15;
AVG §44;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen vom 9. Oktober 1991 beantragte die mitbeteiligte Partei für den Ausbau der X-Landesstraße im Bereich K, Projektsänderung 1991 von km 2,680 bis km 3,190, die Erteilung der Straßenbaubewilligung und die Enteignung der hiefür benötigten Grundflächen. Der Beschwerdeführer ist Miteigentümer des Grundstückes 1302/2, EZ 214, KG K. Mit Kundmachung vom 14. Oktober 1991 beraumte die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung für den 5. November 1991 an. Zu dieser Verhandlung wurde auch der Beschwerdeführer geladen, er hat sich in der Verhandlung gegen das Projekt ausgesprochen. Was der Beschwerdeführer konkret gegen das eingereichte Projekt vorgebracht hat, kann der über die Verhandlung aufgenommenen Niederschrift nicht entnommen werden. Die Niederschrift ist vom Beschwerdeführer nicht unterfertigt. Unter Punkt 2 der Baubeschreibung befindet sich nach der Wendung "zu den vorgebrachten Einwendungen wird ausgeführt" der Satz: "Die Einwendungen wurden nicht zu Protokoll gebracht und nur vom Verhandlungsleiter vermerkt."

Mit Bescheid vom 6. November 1991 wurde unter I die beantragte Straßenbaubewilligung nach Maßgabe des vorliegenden Projektes erteilt, unter II erfolgte eine Beurkundung über die zu leistenden Entschädigungen und die Parteienerklärungen.

Die Behandlung der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 22. Juni 1992, Zl. B 1418/91-7, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In der über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde wird Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Bescheid wird insofern angefochten, als dadurch Grundflächen, die im Miteigentum des Beschwerdeführers stehen, für den Straßenbau herangezogen bzw. enteignet werden müssen.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 43 Abs. 1 des Tiroler Straßengesetzes, LGBl. Nr. 13/1989, können die Eigentümer der von einem Bauvorhaben betroffenen Grundstücke eine Änderung des Bauvorhabens hinsichtlich der Straßentrasse - unbeschadet des § 44 Abs. 4 - und der technischen Ausgestaltung der Straße beantragen, sofern dadurch die Beanspruchung ihrer Grundstücke vermieden oder verringert werden kann. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung hat die Behörde bei der Erteilung der Straßenbaubewilligung einem Antrag nach Abs. 1 Rechnung zu tragen, soweit die beantragte Änderung a) den Erfordernissen nach § 37 Abs. 1 entspricht und

b) mit einem im Verhältnis zum erzielbaren Erfolg wirtschaftlich vertretbaren Aufwand durchgeführt werden kann. Die Behörde hat bei der Beurteilung eines Antrages nach Abs. 1 die aus der beantragten Änderung sich ergebende Beanspruchung anderer Grundstücke angemessen zu berücksichtigen.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof brachte der Beschwerdeführer vor, er habe im Zuge des Verfahrens am 5. November 1991 einen Ausschnitt des in der Gemeinde ausgelegten Planes vorgelegt, in welchem er eine seiner Meinung nach günstigere und dem Gelände besser angepaßte Variante der Straßenführung eingetragen habe. Er habe im Zusammenhang mit dieser geänderten Planvariante auch darauf hingewiesen, daß diese preisgünstiger in der Herstellung sowie im Unterhalt sei. Die mitbeteiligte Partei hat in ihrer Stellungnahme vom 22. September 1991 zum Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ausgeführt, der Beschwerdeführer habe in der Verhandlung zum straßenrechtlichen Baubewilligungsverfahren am 5. November 1991 einen Einwand betreffend die Linienführung im Bereich seiner Liegenschaft gemacht. Sein Vorschlag habe die Verlegung der Straßentrasse von seinem Grundstück zu den gegenüberliegenden Nachbarn beeinhaltet. Die belangte Behörde hat in der Gegenschrift ausgeführt, der Beschwerdeführer habe ein Vorbringen nicht getätigt, er sei weder bei der Protokollierung anwesend gewesen, noch habe er eine schriftliche Eingabe eingebracht.

Gemäß § 14 Abs. 1 AVG sind mündliche Anbringen von Beteiligten erforderlichenfalls ihrem wesentlichen Inhalt nach in einer Niederschrift festzuhalten. Niederschriften über Verhandlungen sind derart abzufassen, daß bei Weglassung alles nicht zur Sache Gehörigen der Verlauf und Inhalt der Verhandlung richtig und verständlich wiedergegeben wird. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung ist jede Niederschrift den vernommenen oder sonst beigezogenen Personen, wenn sie nicht darauf verzichten, vorzulesen und von ihnen durch Beisetzung ihrer eigenhändigen Unterschrift zu bestätigen. Entfernt sich eine Person vor Abschluß der Niederschrift oder des ihre Aussage enthaltenden Teiles der Niederschrift, so ist unter Angabe des Grundes, aus dem die Fertigung nicht erfolgte, die Richtigkeit der schriftlichen Wiedergabe von dem die Amtshandlung leitenden Organ ausdrücklich zu bestätigen.

Der Beschwerdeführer, hat, wie bereits erwähnt, die Niederschrift über die Verhandlung vom 5. November 1991 nicht unterfertigt. Im Verhandlungsprotokoll ist zumindest festgehalten, daß er sich gegen das Projekt ausgesprochen hat. Der Verhandlungsleiter hat aber auch nicht gemäß § 14 Abs. 3 AVG unter Angabe des Grundes, aus dem die Fertigung nicht erfolgte, die Richtigkeit der schriftlichen Wiedergabe ausdrücklich bestätigt.

Gemäß § 15 AVG liefert eine gemäß den Bestimmungen des § 14 aufgenommene Niederschrift über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges bleibt zulässig. Im Beschwerdefall wurde die Niederschrift nicht gemäß den Bestimmungen des § 14 Abs. 3 AVG aufgenommen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinen Erkenntnissen vom 24. November 1975, Slg. N.F. Nr. 8.931/A, sowie vom 30. September 1986, Zl. 86/04/0058, u.a. ausgeführt, daß dann, wenn eine Niederschrift nicht gemäß den Bestimmungen des §§ 14 AVG aufgenommen worden ist, die Partei gegen die Richtigkeit des bezeugten Vorganges nicht den Gegenbeweis anzutreten hat. Es obliege dann vielmehr der Behörde, durch geeignete Ermittlungen von Amts wegen den Beweis über den Inhalt der Verhandlung aufzunehmen.

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt, daß der Beschwerdeführer dem Projekt nicht zugestimmt habe, diese Einwendung jedoch nicht näher begründet worden sei. Dem widerspricht der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde: er habe seine Änderungsvorschläge - wie in der Beschwerde - in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, diese seien jedoch von der belangten Behörde "nicht einmal zu Protokoll genommen, geschweige denn - wie dies vorgesehen ist - beurkundet worden". Dem wird in einer vor dem Verwaltungsgerichtshof erstatteten Stellungnahme der mitbeteiligten Partei vom 22. September 1992 (zum Antrag des Beschwerdeführers auf aufschiebende Wirkung) nicht widersprochen, wenn darin ausgeführt wird, daß eine "Verlegung wie sie vom Beschwerdeführer begehrt wurde, technisch und wirtschaftlich" nicht zu verantworten sei. In ihrer Gegenschrift vom 16. September 1992 verweist die belangte Behörde "auf das Protokoll, woraus sich ergibt, daß der Beschwerdeführer ein Vorbringen nicht getätigt hat".

Gegen die - darin zu erblickende Behauptung von der - Vollständigkeit des Protokolls spricht zunächst die Protokollierung "Die Einwendungen wurden nicht zu Protokoll gebracht und nur vom Verhandlungsleiter vermerkt", die es zumindest nicht ausschließt, daß inhaltliche Einwendungen nur in der Form zu Protokoll genommen wurden, daß sie zwar "vermerkt" nicht aber inhaltlich (insbesondere also auch nicht hinsichtlich ihrer Begründung) wiedergegeben wurden. Bei dieser Sachlage kann aber nicht davon gesprochen werden, daß der belangten Behörde der (aufgrund der dargelegten Rechtslage ihr obliegende) Beweis der Richtigkeit und Vollständigkeit des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 5. November 1991 hinsichtlich der Einwendungen des Beschwerdeführers gelungen wäre. Sie durfte daher im angefochtenen Bescheid nicht nur gestützt auf das Verhandlungsprotokoll davon ausgehen, daß der Beschwerdeführer sich ohne nähere Begründung gegen das Projekt ausgesprochen habe. Der Bescheid ist daher insoweit in seiner Begründung nicht nachvollziehbar, wodurch der Verwaltungsgerichtshof an der ihm obliegenden Schlüssigkeitsprüfung hinsichtlich des von der Behörde festgestellten Sachverhaltes gehindert ist (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S 548 ff zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Der darin liegende Verstoß gegen das Gebot des § 60 AVG, wonach in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind, führt zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zunächst verläßlich festzustellen haben, worin konkret die Einwendungen des Beschwerdeführers gegen das Straßenbauprojekt bestehen und sich - falls erforderlich - unter Beiziehung eines Sachverständigen für den Straßenbau damit inhaltlich auseinanderzusetzen haben.

Mit der Entscheidung über die Beschwerde ist der Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gegenstandslos.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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