VwGH 92/01/0235

VwGH92/01/023517.6.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des R in S, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in O, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Jänner 1992, Zl. 4.321.451/1-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger albanischer Abstammung, reiste am 28. April 1991 in das Bundesgebiet ein. Am 30. April 1991 stellte er einen Asylantrag. Bei der niederschriftlichen Befragung am 5. Juni 1991 gab er im wesentlichen an, er habe seine Heimat aus politischen Gründen verlassen. Seit seinem elften Lebensjahr habe er sich für die Rechte der albanischen Volksgruppe in Kosovo engagiert. Er habe an verschiedenen Demonstrationen gegen die Unterdrückung durch die Serben, für Freiheit und Menschenrechte, im Zusammenhang mit dem angestrebten Status einer Teilrepublik für Kosovo und gegen die Änderung der Autonomieverfassung teilgenommen. Im Jahr 1985 sei er wegen dieser Aktivitäten für ein Jahr vom Schulbesuch ausgeschlossen worden. Während seiner Militärdienstzeit in den Jahren 1989 und 1990 sei er mehrmals von Vorgesetzten verhört worden. Weil er den Befehl, über die Verhöre mit niemand zu sprechen, nicht befolgt habe, sei er vom 15. August bis 15. Oktober 1990 in einem Militärgefängnis in Haft gewesen. Nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst sei er von der Miliz verhaftet und darüber verhört worden, ob er mit einer illegalen Gruppe zusammenarbeite. In der Folge habe er sich an jedem dritten Tag bei der Miliz melden müssen. Am 3. November 1990 habe er am Begräbnis eines angeblich im Militärdienst ermordeten Kosovo-Albaners teilgenommen. Dabei seien er und andere Teilnehmer von der Miliz fotografiert worden. Bei der Rückkehr von diesem Begräbnis sei er von der Miliz verhaftet worden. Er sei bis 18. Jänner 1991 in Haft gewesen und im Gefängnis verprügelt worden. Anschließend habe er sich jeden Tag bei der Miliz melden müssen. Ab 10. März 1991 habe er sich bei Verwandten versteckt. Aus Angst vor weiterer Verfolgung habe er am 2. April 1991 seine Heimat verlassen. Zunächst sei er bis 28. April 1991 in Maribor geblieben; von dort sei er nach Österreich weitergereist.

Mit dem im Instanzenzug erlassenen Bescheid, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom 15. Juli 1991 abgewiesen wurde, stellte die belangte Behörde fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. In der Begründung dieses Bescheides verwies die belangte Behörde zunächst auf die niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, ohne diese wiederzugeben. Sie vertrat die Auffassung, damit sei der Sachverhalt hinlänglich klargestellt. Nach Darlegung der Rechtslage führte sie aus, die Furcht vor Verfolgung müsse sich auf Umstände beziehen, die in einem zeitlichen Naheverhältnis zur Ausreise aus dem Heimatland lägen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers könne daher nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führen. Die Mitarbeit bei einer illegalen Gruppierung und die damit in Zusammenhang stehenden polizeilichen Maßnahmen wie Anhaltung oder Festnahme könnten nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führen. Behördliche Ermittlungen wegen strafbarer Verhaltensweisen könnten nicht als Verfolgung im Sinne der Konvention qualifiziert werden, insoweit die Strafverfolgung eine Maßnahme darstelle, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sei. Daß der Beschwerdeführer im Gefängnis geschlagen worden sei, sei sicherlich ein zu verurteilendes Fehlverhalten einzelner Beamter, könne jedoch nicht als Verfolgung seiner Person durch die Behörden seines Heimatstaates im Sinne der Genfer Konvention gewertet werden. Auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, daß er sich nach seiner Haftentlassung jeden Tag bei der Miliz habe melden müssen, sei nicht geeignet, deshalb die Flüchtlingseigenschaft anzuerkennen; hätte man tatsächlich ein Interesse an einer Verfolgung des Beschwerdeführers gehabt, hätte er sicherlich die Milizstation nicht jeden Tag problemlos verlassen können. Überdies sei der Beschwerdeführer nach Erhebung der Berufung verzogen, ohne der zuständigen Behörde seinen Aufenthaltsort bekanntzugeben. Damit habe er unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er kein Interesse an der Fortführung des Asylverfahrens habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat bereits bei der ersten niederschriftlichen Befragung ausgesagt, bis 18. Jänner 1991 in Haft gewesen und im Gefängnis mißhandelt worden zu sein; seinen Darlegungen war auch hinreichend deutlich ein Zusammenhang der behaupteten Verfolgung mit seiner politischen Gesinnung zu entnehmen.

Von diesen Angaben, denen die belangte Behörde Glaubwürdigkeit nicht abgesprochen hat, ausgehend entspricht die Auffassung der belangten Behörde, das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe keine Anhaltspunkte für eine "konkrete Verfolgung" des Beschwerdeführers durch die Behörden seines Heimatstaates ergeben, nicht dem Gesetz.

Die Auffassung der belangten Behörde, es bestehe kein zeitliches Naheverhältnis zwischen den die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung begründenden Umständen und der Ausreise, kann nicht geteilt werden. Bei einer Entlassung aus der Haft (in der der Beschwerdeführer mißhandelt wurde) am 18. Jänner 1991 und einem Beginn seiner Flucht am 10. März 1991 kann nicht davon gesprochen werden, daß ein solcher zeitlicher Konnex zwischen Verfolgung und Ausreise, der Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung im Hinblick auf die ihm bereits widerfahrene Verfolgung glaubhaft erscheinen lassen könnte, nicht mehr bestünde.

Soweit die belangte Behörde zur Frage, ob wohlbegründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung im Hinblick auf seine Haft und die dort erlittenen Mißhandlungen glaubhaft gemacht erscheint, die oben wiedergegebene Auffassung vertritt, ist sie darauf zu verweisen, daß der Begründung ihres Bescheides nicht entnommen werden kann, auf welche als "strafbar" zu qualifizierende Verhaltensweisen des Beschwerdeführers dessen Haft zurückzuführen gewesen wäre. Ebensowenig läßt die Begründung des angefochtenen Bescheides erkennen, inwieferne die "Strafverfolgung" des Beschwerdeführers im konkreten Fall eine Maßnahme darstellte, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig gewesen wäre.

Auch den Darlegungen der belangten Behörde, es könne nicht als Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Behörden seines Heimatstaates gewertet werden, daß der Beschwerdeführer im Gefängnis geschlagen worden sei, weil es sich dabei um ein "zu verurteilendes Fehlverhalten einzelner Beamter" handle, lassen nicht erkennen, auf welcher Sachverhaltsgrundlage diese Auffassung beruht.

Bei dieser Sachlage kann auf sich beruhen, ob (auch) die dem Beschwerdeführer auferlegte Verpflichtung, sich jeden Tag bei der Miliz zu melden, für sich alleine oder wenigstens im Zusammenhalt mit den anderen Umständen des Beschwerdefalles einen Umstand darstellte, der dem Beschwerdeführer das weitere Verbleiben in seinem Heimatland als unerträglich erscheinen lassen konnte.

Es kann auch die Auffassung der belangten Behörde nicht geteilt werden, der Beschwerdeführer habe unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, kein Interesse an der Fortführung des Asylverfahrens zu haben, weil dem für diese Auffassung ins Treffen geführten Umstand des Wohnungswechsels ohne Verständigung der Behörde ein objektiver Erklärungswert in der von der belangten Behörde angenommenen Richtung nicht beigemessen werden kann. Im übrigen ist nicht ersichtlich, inwieweit der von der belangten Behörde angenommene Wegfall des Interesses an der Fortführung des Asylverfahrens eine Grundlage für die Feststellung, daß der Asylwerber nicht Flüchtling sei, bieten sollte.

Der angefochtene Bescheid erweist sich somit aus den angeführten Gründen als inhaltlich rechtswidrig; er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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