VwGH 92/01/0216

VwGH92/01/021614.10.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der N in S, vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. November 1991, Zl. 4.230.517/24-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. November 1991 wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführerin - eine türkische Staatsangehörige kurdischer Nationalität, die am 3. Jänner 1987 in das Bundesgebiet eingereist ist - nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin hat im Verwaltungsverfahren bei ihrer ersten Befragung am 18. Februar 1987 angegeben, nicht Mitglied einer politischen Partei oder Organisation gewesen zu sein. Im Jahre 1981 seien das türkische Militär und die Polizei in E eingedrungen, und es seien die dort lebenden Kurden aufgefordert worden, E zu verlassen, "da die Türken nicht wollten, daß so viele Kurden an einem Ort lebten". Im Zuge dessen sei auch die Beschwerdeführerin verhaftet und aufgefordert worden, sämtliche Verbindungen zu Freunden und Bekannten abzubrechen. Da sie dies nicht getan hätte, sei sie im Dezember 1981 von der Polizei abgeholt und nach E gebracht worden. Sie sei dann insgesamt 27 Tage in Haft gewesen und auch gefoltert worden. Als Folge davon sei sie ca. ein Jahr krank gewesen. Sie habe danach versucht, eine Arbeit zu finden, was ihr jedoch nicht gelungen sei. Auch sei ihr die Ausfolgung ihres Schulabgangszeugnisses verweigert worden. Von einer Kurdin habe sie erfahren, daß man in Österreich um Asyl ansuchen könne; ihr Cousin habe den Kontakt zu einer Schlepperorganisation hergestellt.

In ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 22. Mai 1987 wies die Beschwerdeführerin auf die Unterdrückung der Kurden in der Türkei hin und brachte vor, daß sie mit kurdischen Organisationen Kontakt aufgenommen und diese mit ihrer ganzen Kraft unterstützt habe. Gemeinsam mit 25 Kurden sei sie am 6. November 1980 von der Polizei verhaftet worden, wobei zwei Personen getötet und zwei weitere verletzt worden seien. Während ihrer Haft sei sie auf näher bezeichnete Weise gefoltert worden. Nach 27 Tagen habe man sie "wegen mangelhafter Beweise" wieder freigelassen. In Freiheit habe sie "an den Prozessen" teilgenommen. Die Gründe für ihre Verfolgung seien ihre Aktivitäten für eine kurdische Organisation gewesen. Dieser Prozeß dauere seit sieben Jahren an. Die Beschwerdeführerin sei von der Polizei weiter beobachtet worden. Die Polizei sei öfter in ihre Wohnung gekommen, habe ihr Angst gemacht und sie "psychologisch" unterdrückt. Sie habe keine Arbeit erhalten, und es sei ihr finanziell sehr schlecht gegangen. Sie habe nur die Möglichkeit gehabt, ihre Heimat illegal zu verlassen.

Am 28. Juli 1988 führte die Beschwerdeführerin ergänzend befragt aus, sie sei am 6. Oktober 1980 vom Militär und von der Polizei in T verhaftet und 27 Tage in Haft gehalten worden, weil sie Helfer mehrerer kurdischer Organisationen, vor allem der PKK, gewesen sei. Anläßlich verschiedener Vorhalte im Verwaltungsverfahren am 24. August 1990 verwies die Beschwerdeführerin darauf, daß sie in Untersuchungshaft genommen worden sei, weil sie die PKK unterstützt habe. Nach einem Monat sei sie aus der Untersuchungshaft entlassen worden, ohne daß das Urteil oder die Verhandlung "vollzogen" gewesen sei. Dieses Verfahren sei noch offen. Sie werde in der Türkei gesucht, weil sie die Heimat verlassen habe, ohne die Verhandlung abzuwarten. Personen, die mit ihr in Haft gewesen seien, seien ebenfalls nach einem Monat entlassen worden; man habe sie aber zur Verurteilung geholt und mit 15 Jahren Haft belegt, wobei sie aber keinen Namen nennen könne.

Die belangte Behörde ist auf Grund dieser Angaben zur Ansicht gelangt, daß sich die Beschwerdeführerin nicht aus wohlbegründeter Furcht, aus einem der im Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe verfolgt zu werden, außerhalb ihres Heimatlandes befinde. Die Beschwerdeführerin habe dies nämlich nicht glaubhaft gemacht, weil zwischen ihren Angaben "in beiden Rechtszügen" erhebliche, von der belangten Behörde im einzelnen näher dargelegte Divergenzen bestünden, die die Beschwerdeführerin nicht aufgeklärt habe, es der Beschwerdeführerin nicht einmal möglich gewesen sei, die PKK (als Kurdische Arbeiterpartei "Partiya Karkaren Kurdistan" anstatt als Kommunistische Partei Kurdistans) zu benennen, überdies Personen, die die Terrororganisation PKK unterstützen, mit strengster Strafverfolgung zu rechnen hätten und die Beschwerdeführerin hinsichtlich des Aufenthaltes ihrer Familienangehörigen offensichtlich die Unwahrheit gesagt habe. Es erübrigt sich aber ein Eingehen auf diese Beweiswürdigung der belangten Behörde und das sich darauf beziehende Beschwerdevorbringen, mit dem sich die Beschwerdeführerin dagegen wendet, weil für den Standpunkt der Beschwerdeführerin im Ergebnis jedenfalls nichts zu gewinnen wäre.

Was die von der Beschwerdeführerin behaupteten Vorfälle im Jahre 1980 bzw. 1981 betrifft, so hat die belangte Behörde auch betont, daß sie nicht mehr in einem zeitlichen Naheverhältnis zur Ausreise der Beschwerdeführerin aus ihrem Heimatland stünden, womit sie erkennbar zum Ausdruck gebracht hat, daß aus diesem Grund bei Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführerin als Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes anzusehen sei, darauf nicht mehr Bedacht genommen werden könne. Diese Auffassung der belangten Behörde setzt allerdings voraus, daß keine Umstände vorlagen, auf Grund welcher eine (allenfalls) bereits damals bestehende wohlbegründete Furcht der Beschwerdeführerin vor Verfolgung bis zu ihrer Ausreise andauerte (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. November 1989, Zl. 89/01/0320, und vom 18. März 1992, Zl. 91/01/0211). Daß dies der Fall gewesen wäre, hat die Beschwerdeführerin nicht hinreichend dargetan. Sie hat zwar schon im Verwaltungsverfahren einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen diesen Vorfällen und einem seither gegen sie anhängigen Prozeß in ihrem Heimatland hergestellt, ohne daß sich die belangte Behörde damit auseinandergesetzt hätte. Dieser Verfahrensmangel ist aber nicht wesentlich. Die Beschwerdeführerin befand sich seit diesen Vorfällen, nachdem sie nach 27 Tagen Haft mangels an Beweisen wieder freigelassen worden sei, trotz des anhängigen Prozesses unbestrittenermaßen auf freiem Fuß, und ihrem Vorbringen ist auch sonst nicht zu entnehmen, daß sie auf Grund dieser Vorfälle ständig irgendwelchen anderen Verfolgungsmaßnahmen, durch die für sie ein Verbleib in ihrem Heimatland unerträglich gewesen wäre, ausgesetzt gewesen sei. Davon unterscheidet sich auch das Schicksal eines bestimmten, von ihr in der Berufung namentlich genannten Mithäftlings, der (seit 1980 bzw. 1981) noch immer in einer Einzelzelle lebe. Die Beschwerdeführerin hat auch das gegen sie anhängige Verfahren jedenfalls bis zu ihrer tatsächlichen Ausreise - nach ihren Angaben in der Beschwerde sei es richtig, daß sie am 6. November 1980 festgenommen worden sei, sodaß dazwischen 6 Jahre gelegen wären - nicht zum Anlaß genommen, ihr Heimatland zu verlassen. Aus der anläßlich ihrer Vernehmung am 28. Juli 1988 vorgelegten Bestätigung des für den Ausnahmezustand zuständigen Militärgerichtes in D vom 8. Juli 1987 ergibt sich (ohne daß daraus hervorgeht, welches strafbare Verhalten der Beschwerdeführerin zur Last gelegt wurde), daß mit Urteil vom 16. Dezember 1986 "der Freispruch" der Beschwerdeführerin "beschlossen", dieses Urteil aber nicht rechtskräftig wurde. Die Beschwerdeführerin hat nicht einmal behauptet, geschweige denn Gründe hiefür angegeben, daß sich (trotz dieses Freispruches, auch wenn er noch nicht rechtskräftig war) ihre Situation gegenüber vorher verschlechtert habe und sie nunmehr mit konkreten Verfolgungsmaßnahmen habe rechnen müssen, weshalb sie schließlich ausgereist sei. Die Beschwerdeführerin hat im übrigen hinsichtlich des in der Zwischenzeit außerhalb des Prozesses ihr gegenüber gesetzten, staatlichen Behörden ihres Heimatlandes zuzurechnenden Verhaltens, das bei ihr wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nach sich gezogen hätte, kein konkretes Vorbringen erstattet, sodaß insbesondere ihre Behauptung, die Polizei sei öfter in ihre Wohnung gekommen, habe ihr Angst gemacht und sie "psychologisch" unterdrückt, ins Leere geht.

Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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