VwGH 91/19/0123

VwGH91/19/012311.5.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des K in F, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 8. März 1991, Zl. VII/2a-V-1515/O/O-91, betreffend Zurückweisung eines Einspruches in Angelegenheit Bestrafung wegen Übertretungen des Arbeitnehmerschutzgesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §13 Abs3;
VStG §24;
VStG §49 Abs1;
VwRallg;
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §13 Abs3;
VStG §24;
VStG §49 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1. Auf Grund einer Anzeige des zuständigen Arbeitsinspektorates wurde der Beschwerdeführer mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs vom 4. Mai 1990 wegen drei Übertretungen bestraft. Diese Strafverfügung wurde ihm am 9. Mai 1990 zugestellt.

2. Mit dem am 22. Mai 1990 zur Post gegebenen, vom Beschwerdevertreter unterfertigten Schriftsatz wurde bekanntgegeben, daß der Beschwerdeführer den (nunmehrigen) Beschwerdevertreter mit seiner Vertretung beauftragt habe, und Einspruch gegen die Strafverfügung vom 4. Mai 1990 erhoben. Entgegen der Behauptung in diesem Schriftsatz lag diesem keine Vollmachtsurkunde bei.

3. Auf Grund des im Einspruch enthaltenen Ersuchens übersandte die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs den Akt dem Magistrat der Landeshauptstadt Salzburg mit dem Ersuchen, dem Beschuldigtenvertreter (dem nunmehrigen Beschwerdevertreter) nach Beibringung einer Vollmacht die Ergebnisse des Beweisverfahrens bekanntzugeben. Bei der vom Magistrat der Landeshauptstadt Salzburg am 21. Juni 1990 durchgeführten Vernehmung des Beschwerdevertreters ersuchte dieser um eine Frist bis 12. Juli 1990 zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme unmittelbar an die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs.

Mit Schriftsatz vom 12. Juli 1990 wurde diese Stellungnahme abgegeben. Darin verwies der Beschwerdeführer, ebenso wie in der Stellungnahme vom 15. Oktober 1990 darauf, daß die Vollmacht ausgewiesen sei.

4. In dem an den Beschwerdevertreter gerichteten Schreiben vom 25. Oktober 1990 führte die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs aus, daß der Einspruch unter einem Formgebrechen leide, weil die vorgelegte Vollmacht weder gerichtlich noch notariell beglaubigt sei. Gemäß § 13 Abs. 3 und 4 AVG 1950 ergehe der Auftrag, das genannte Formgebrechen bis 14. November 1990 zu beheben.

5. Mit Schreiben vom 13. November 1990 legte der Beschwerdevertreter eine mit 8. November 1990 datierte Vollmacht des Beschwerdeführers vor.

6. Die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs führte in der Folge das weitere Ermittlungsverfahren durch und fällte das Straferkenntnis vom 7. Februar 1991, das dem Beschwerdevertreter am 11. Februar 1991 zugestellt wurde. Dagegen erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Berufung.

7. Auf Grund dieser Berufung erließ der Landeshauptmann von Niederösterreich (die belangte Behörde) den Bescheid vom 8. März 1991, mit dem das erstinstanzliche Straferkenntnis behoben, die Rechtskraft der Strafverfügung vom 4. Mai 1990 festgestellt "bzw." der dagegen eingebrachte Einspruch gemäß § 49 VStG 1950 als unzulässig zurückgewiesen wurde.

Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 49 VStG 1950 könne der Beschuldigte (der mit schriftlicher Vollmacht ausgestattete Vertreter gemäß § 10 Abs. 1 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950) gegen die Strafverfügung Einspruch erheben. Beschuldigter sei die in der Strafverfügung als solche bezeichnete Person. Nur sie könne gegen eine Strafverfügung Einspruch erheben, nicht aber eine andere Person. Die Prüfung, ob ein Einspruch von einem hiezu Berechtigten erhoben worden sei, habe sich am äußeren Tatbestand zu orientieren. Die Anwendung des § 13 Abs. 3 AVG sei - anders als bei einer Berufung - nicht möglich. Ein von einer anderen Person erhobener Einspruch vermöge die Strafverfügung nicht außer Kraft zu setzen und sei daher zurückzuweisen.

Die belangte Behörde verwies in diesem Zusammenhang auf Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, zweite Auflage, Anmerkung 2a zu § 49 VStG.

8. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

II.

1.1. Vorauszuschicken ist, daß die durch die Bundesgesetze vom 6. Juni 1990, BGBl. Nr. 357 und 358, bewirkten Änderungen des AVG 1950 und des VStG 1950 im Beschwerdefall nicht anzuwenden sind, weil nach den jeweiligen Übergangsbestimmungen am 1. Jänner 1991 anhängige Verfahren nach der bis zum Inkrafttreten dieser Bundesgesetze geltenden Rechtslage zu Ende zu führen sind (siehe AVG-Übergangsrecht 1991, Anlage 2 zur Wiederverlautbarungskundmachung, BGBl. Nr. 51/1991, und Abs. 2 des VStG-Übergangsrechts 1991, Anlage 2 zur Wiederverlautbarungskundmachung, BGBl. Nr. 52/1991).

1.2. Gemäß § 49 Abs. 1 VStG 1950 (in der hier anzuwendenden Fassung) kann der Beschuldigte gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach der Zustellung schriftlich, telegraphisch oder mündlich Einspruch erheben und zugleich die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch ist bei der Behörde, von der die Strafverfügung erlassen worden ist, einzubringen.

Gemäß § 24 VStG 1950 gelten, soweit sich aus diesem Gesetz nicht anderes ergibt, die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes auch im Verwaltungsstrafverfahren. Unter den im § 24 VStG 1950 ausdrücklich genannten Bestimmungen des AVG 1950, die im Verwaltungsstrafverfahren nicht anzuwenden sind, finden sich die §§ 10 und 13 AVG 1950 nicht.

1.3. Gemäß § 10 Abs. 1 AVG 1950 können die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter sich, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben. Vor der Behörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden; zu ihrer Beurkundung genügt ein Aktenvermerk.

Gemäß § 10 Abs. 2 leg. cit. richten sich Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis nach den Bestimmungen der Vollmacht; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen. Die Behörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des § 13 Abs. 3 von Amts wegen zu veranlassen.

1.4. Gemäß § 13 Abs. 3 AVG 1950 berechtigen Formgebrechen schriftlicher Anbringen wie auch das Fehlen einer Unterschrift an sich die Behörde noch nicht zur Zurückweisung; sie hat deren Behebung von Amts wegen zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung der Formgebrechen oder die schriftliche Bestätigung telegraphischer, fernschriftlicher, mündlicher und telefonischer Anbringen mit der Wirkung auftragen, daß das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden Frist nicht mehr berücksichtigt wird. Wird das Formgebrechen rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.

2.1. Aus diesen Bestimmungen folgt, daß das Fehlen einer Vollmacht einen verbesserungsfähigen Formmangel darstellt (siehe die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, unter E.Nr. 29 und 30 zu § 10 Abs. 1 und 2 AVG zitierte hg. Rechtsprechung). Dies gilt auf Grund der oben genannten Verweisungsbestimmung des § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren, sohin auch für den Fall, daß einem Einspruch gegen eine Strafverfügung die Vollmachtsurkunde nicht beiliegt.

2.2. Die gegenteilige Auffassung der belangten Behörde, die dem angefochtenen Bescheid erkennbar zugrunde liegt und in der Gegenschrift verdeutlicht wurde, ist verfehlt. Es gibt nämlich im Gesetz keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, daß im Falle eines Einspruches gegen eine Strafverfügung ein Auftrag zur Mängelbehebung nicht zulässig sei. Auch die im angefochtenen Bescheid zitierte, oben erwähnte Literaturstelle vermag den Standpunkt der belangten Behörde nicht zu stützen. Die Autoren vertreten dort (unter Zitierung der hg. Rechtsprechung) die Auffassung, daß die Prüfung, ob ein Einspruch von einem hiezu Berechtigten erhoben wurde, sich am äußeren Tatbestand zu orientieren habe und die Anwendung des § 13 Abs. 3 AVG nicht möglich sei. Ein von einer anderen Person erhobener Einspruch vermöge die Strafverfügung nicht außer Kraft zu setzen und sei zurückzuweisen.

In den folgenden beiden Auflagen haben die Autoren ihre diesbezüglichen Ausführungen (jeweils Anmerkung 2 zu § 49 VStG 1950) unter Berücksichtigung des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 19. Dezember 1984, Slg. Nr. 11.625/A, modifiziert und ausgeführt, daß Zweifel, ob eine Prozeßhandlung dem Beschuldigten (Geschäftsführer) oder der Gesellschaft zuzurechnen sei, zwar nicht im Wege eines Auftrages zur Behebung von Formgebrechen gemäß § 13 Abs. 3 AVG auszuräumen seien, daß sich aber die Behörde im Sinne des § 37 AVG Klarheit darüber zu verschaffen habe, wer Rechtsmittelwerber sei.

Diese Ausführungen beschäftigen sich jeweils mit der Frage, wem eine Prozeßhandlung zuzurechnen ist; diese Frage stellt sich aber im Beschwerdefall nicht. Nach dem Inhalt des Einspruches konnte nämlich nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß der Beschwerdevertreter den Einspruch namens des Beschuldigten (Beschwerdeführers) erhoben hat. Dem Einspruch haftete lediglich der Formmangel der fehlenden Vollmacht an. Diesbezüglich erließ die erstinstanzliche Behörde erst mit dem (oben unter Punkt I 4 genannten) Schreiben vom 25. Oktober 1990 einen Mängelbehebungsauftrag im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG 1950, wobei hinzuzufügen ist, daß nach dem Beschwerdevorbringen die erstinstanzliche Behörde und der Beschwerdeführer den Auftrag dahin verstanden haben, daß die Übereinstimmung der vom Beschwerdeführer anläßlich seiner Vernehmung durch den Magistrat der Landeshauptstadt Salzburg vorgelegten, unbeglaubigten Kopie der Vollmachtsurkunde mit der Urschrift gerichtlich oder notariell beglaubigt werden sollte, nicht hingegen die Echtheit der Unterschrift, wozu die Behörde im übrigen nicht berechtigt gewesen wäre (vgl. die bei Hauer-Leukauf, a.a.O., 4. Auflage, unter E.Nr. 27 zu § 10 Abs. 1 und 2 AVG zitierte hg. Rechtsprechung). Diesem Mängelbehebungsauftrag wurde im Ergebnis durch die fristgerechte Vorlage einer Vollmacht des Beschwerdeführers entsprochen, sodaß nach dem letzten Satz des § 13 Abs. 3 AVG 1950 der Einspruch als ursprünglich richtig eingebracht gilt.

2.3. Auch wenn die belangte Behörde ihre Entscheidung nicht darauf gestützt hat, sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, daß aus der Datierung der vorgelegten Vollmachtsurkunde nicht darauf geschlossen werden kann, daß erst mit der Datierung der Vollmachtsurkunde das Vollmachtsverhältnis entstanden wäre. Vielmehr wird der Mangel des Nachweises eines bestehenden Vollmachtsverhältnisses auch durch dessen nachträgliche Beurkundung bzw. durch seitens des Vollmachtgebers ausgesprochene Genehmigung der für ihn bereits gesetzten Handlungen beseitigt (siehe das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1987, Slg. Nr. 12.550/A, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn - wofür im vorliegenden Fall nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte bestehen - das Vollmachtsverhältnis zur Vertretung erst nach der Vornahme der fristgebundenen Prozeßhandlung - im Beschwerdefall also erst nach Erhebung des Einspruches - begründet worden wäre. In diesem Fall würde die nachträgliche Vollmachtserteilung nicht die Rechtswirksamkeit der vom noch nicht Bevollmächtigten seinerzeit gesetzten Verfahrenshandlung bewirken (siehe die bei Hauer-Leukauf, a.a.O., 4. Auflage, unter E.Nr. 34 und 35 zu § 10 Abs. 1 und 2 AVG zitierte hg. Rechtsprechung).

2.4. Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren von S 30,-- an Stempelgebührenersatz war abzuweisen, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung die Vorlage nur einer Bescheidausfertigung notwendig war.

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