VwGH 91/14/0210

VwGH91/14/021031.3.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Karger, Dr. Baumann und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kirchmayr, über die Beschwerde des F in L, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Kärnten vom 31. Oktober 1990, GZ 161-2/88, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4 impl;
BAO §250;
BAO §260 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 litb impl;
VwGG §42 Abs2 Z2;
AVG §66 Abs4 impl;
BAO §250;
BAO §260 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 litb impl;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach dem mit der Sachverhaltsdarstellung des angefochtenen Bescheides übereinstimmenden Beschwerdevorbringen ersuchte der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 17. März 1984 unter Hinweis auf ein abgeschlossenes Insolvenzverfahren um Nachsicht des nach Teilzahlungen von insgesamt S 120.000,-- verbliebenen Abgabenrückstandes in der Höhe von rund S 179.000,--. Mit Bescheid vom 27. April 1988 wurden dem Beschwerdeführer Abgaben in Höhe von S 179.000,-- nachgesehen.

Darüber hinaus ist dem Bescheid zu entnehmen, daß "das Mehrbegehren" (Abgabenschuldigkeiten in Höhe von S 125.426,71) abgewiesen wurde.

In einer Eingabe vom 12. Mai 1988, eingelangt beim Finanzamt am 16. Mai 1988, wurde ua ausgeführt, daß die Höhe des Abgabenrückstandes mit S 125.426,71 nicht richtig sei. Nach Ansicht des Beschwerdeführers sei der beim Landesgericht K angemeldete Betrag von S 299.410,71 richtig. Somit wäre der Betrag mit Zahlung von S 120.000,-- und Nachsicht von S 179.000,-- erledigt. Der Beschwerdeführer sei der Meinung, daß sich der offene Betrag aus den Bescheiden 1983, 1984, 1985 und 1986 ergebe. Um "Richtigstellung des Abgabenrückstandes" werde ersucht.

Das Finanzamt wertete diese Eingabe laut einer persönlichen Vorsprache des Beschwerdeführers beim Finanzamt als Berufung und erließ in der Folge eine abweisende Berufungsvorentscheidung, worin begründend ausgeführt wurde, der bewilligte Nachsichtsbetrag entspreche dem Nachsichtsbegehren. Der nunmehr auf dem Konto aushaftende Betrag gehe auf Nachforderungen aus den Veranlagungen der Jahre 1984 bis 1987 sowie auf Nichtentrichtung selbst zu berechnender Abgaben und auf Nebengebühren zurück. Für diese Abgabenschuldigkeiten wäre weder um Nachsicht angesucht worden, noch liege für diese ein Nachsichtsgrund vor.

Eine weitere Eingabe, worin insbesondere ausgeführt wurde, der Rückstand aus den Steuerbescheiden 1983, 1984, 1985 und 1986 werde anerkannt, einer übermittelten Rückstandsaufstellung sei jedoch zu entnehmen, daß teilweise Vorschreibungen aus den Jahren 1981 bis 1987 stammen, wurde vom Finanzamt als Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz gewertet.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die "am 16. Mai 1988 eingebrachte Berufung" ab. Ausgehend von der Ansicht, daß mit der Eingabe vom 12. Mai 1988 auch um Nachsicht hinsichtlich des Betrages von S 125.426,71 angesucht worden wäre, wurde ausgeführt, daß bezüglich dieses Betrages keine Unbilligkeitsgründe dargetan wurden, auf welche die Nachsicht gestützt werden könne, weshalb es der Behörde verwehrt wäre, eine Ermessensentscheidung zu treffen.

In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde erachtet sich der durch den im Wege der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt vertretene Beschwerdeführer insofern beschwert, als die belangte Behörde den ihr gemäß § 20 BAO offenstehenden Ermessensspielraum trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht ausgeschöpft hätte bzw. einen Abgabenrückstand als bestehend erachtet hätte, der bereits im Rahmen des § 236 Abs 1 BAO nachgesehen worden sei, und macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften durch unrichtige Tatsachenfeststellungen geltend.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, worin die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Unbestritten ist, daß der Beschwerdeführer um Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten in Höhe von S 179.000,-- angesucht hat und Abgabenschuldigkeiten in gleicher Höhe nachgesehen wurden.

Vom Beschwerdeführer wird in der Beschwerde eingeräumt, daß bezüglich des Abgabenrückstandes von S 125.426,71 expressis verbis keine Unbilligkeitsgründe vorgebracht und belegt worden seien, allerdings sei die Eingabe vom 12. Mai 1988 in unmittelbarem Zusammenhang mit jener vom 17. März 1984 zu sehen, weshalb "das Finanzamt" auch bezüglich dieses Abgabenrückstandes unter Ausnützung seines Ermessensspielraumes eine Nachsicht aussprechen hätte müssen, da andernfalls die Weiterführung des Betriebes neuerlich gefährdet wäre.

In der Gegenschrift der belangten Behörde wird ua ausgeführt, daß "Sache" im Sinne des § 289 Abs 1 BAO die Bewilligung der Abgabennachsicht der im Konkurs angemeldeten Abgaben (S 179.000,--) war, die belangte Behörde daher über den mehrfach erwähnten Betrag von S 125.426,71 nicht absprechen hätte dürfen.

Mit diesen Vorbringen gehen beide Streitteile von unrichtigen Voraussetzungen aus:

Die belangte Behörde übersieht, daß im Spruch des Bescheides vom 27. April 1989 nicht nur über die Gewährung einer Nachsicht abgesprochen wurde, sondern auch über eine Abweisung eines Mehrbegehrens (in Höhe von S 125.426,71), wiewohl ein solches im Antrag vom 17. März 1984 nicht gestellt worden war. Der Beschwerdeführer übersieht, daß mit Berufung anfechtbar nur der Ausspruch über das (für ihn positiv erledigte) Nachsichtsansuchen oder der Ausspruch über das abgewiesene Mehrbegehren war. Der Bescheid macht weder einen "Abgabenrückstand geltend" noch spricht er über den Bestand eines Abgabenrückstandes ab. Da dem Antrag auf Nachsicht von S 179.000,-- nach dem Beschwerdevorbringen vollinhaltlich entsprochen wurde, hatte der Beschwerdeführer keine Veranlassung, diesen Spruchbestandteil zu bekämpfen. Aber auch eine ausdrückliche Bekämpfung des Spruchbestandteiles bezüglich der Abweisung des Mehrbegehrens in Höhe von S 125.426,71 hätte dem Beschwerdeführer nicht den erstmals in der Beschwerde behaupteterweise angestrebten Erfolg einer auch diesen Betrag umfassenden Nachsicht gebracht, weil eine Berufungsentscheidung diesbezüglich nur aussprechen hätte können, daß dieser Spruchbestandteil mangels tatsächlichen Mehrbegehrens zu entfallen hat. Den Ausführungen der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift ist zwar zuzustimmen, daß eine Ausdehnung des Nachsichtsansuchens in der als Berufung gewerteten Eingabe vom 12. Mai 1988 nicht möglich war, wenn eine Nachsicht von weiteren S 125.426,71 noch nicht Gegenstand eines erstinstanzlichen Verfahrens war; daß der Beschwerdeführer in der Eingabe vom 12. Mai 1988 vorgebracht hätte, auch der Abgabenrückstand von S 125.426,71 wäre nachzusehen, nimmt allerdings nur die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid an. Der Beschwerdeführer selbst hat in dieser Eingabe - ungeachtet seines nunmehrigen Vorbringens in der Beschwerde - lediglich eine "Richtigstellung des Abgabenrückstandes" beantragt. Darin ist jedoch auch unter Berücksichtigung des sonstigen Inhaltes dieser Eingabe weder eine Ausdehnung des ursprünglichen Nachsichtsbegehrens oder, wie im angefochtenen Bescheid ausgeführt wird, ein Vorbringen, daß auch der Abgabenrückstand in Höhe von S 125.426,71 nachzusehen wäre, noch eine Bekämpfung des bescheidmäßigen Ausspruches einer Nachsicht oder der spruchgemäßen Abweisung des Mehrbegehrens zu erblicken. Allenfalls hätte diese Eingabe als Antrag auf Erlassung eines Abrechnungsbescheides in Behandlung genommen werden können, da ein Abrechnungsbescheid gemäß § 216 BAO auf Antrag zu erlassen ist, wenn zwischen einem Abgabepflichtigen und der Abgabenbehörde Meinungsverschiedenheiten bestehen, ob und inwieweit eine Zahlungsverpflichtung durch Erfüllung eines bestimmten Tilgungstatbestandes erloschen ist. Nur in einem solchen Bescheid wird über den Bestand oder das Erlöschen von Zahlungsverpflichtungen abgesprochen.

Die belangte Behörde hat somit die Eingabe vom 12. Mai 1988 zu Unrecht als Berufung gewertet.

Gemäß § 260 Abs 1 BAO obliegt der Finanzlandesdirektion als Abgabenbehörde zweiter Instanz die Entscheidung über Berufungen. Entscheidet die Finanzlandesdirektion als Abgabenbehörde zweiter Instanz über eine Eingabe, die keine Berufung darstellt, so nimmt sie eine Zuständigkeit in Anspruch, die ihr nach dem Gesetz nicht zukommt (vgl auch Dolp,

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 582 letzter Absatz, 584 Abs 3 und 585 Abs 3 und 6).

Die Unzuständigkeit der belangten Behörde führt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch dann, wenn sie vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht wurde, zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides (vgl Dolp, a.a.O., 581 Abs 5).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl Nr 104/1991. Der Schriftsatzaufwand war im geltend gemachten Umfang zuzusprechen.

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