VwGH 91/13/0172

VwGH91/13/017225.11.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 5. Juni 1991, Zl GA 7-886/91, betreffend Nachsicht von Abgabenschulden, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §20;
BAO §236 Abs1;
BAO §236 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
BAO §20;
BAO §236 Abs1;
BAO §236 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war vom 24. September 1984 bis 30. Jänner 1985 Geschäftsführer der P-GmbH.

Mit Schriftsatz vom 6. März 1990 beantragte der Beschwerdeführer, eine aufgrund des Bescheides vom 23. Jänner 1986 fällige Abgabenschuld durch Abschreibung nachzusehen.

Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung bei der P-GmbH habe das Finanzamt für Körperschaften eine verdeckte Gewinnausschüttung an den Beschwerdeführer und den Bezug eines Geschäftsführergehaltes durch den Beschwerdeführer angenommen. Für diese Einkünfte aus Kapitalvermögen und nichtselbständiger Arbeit sei gegenüber dem Beschwerdeführer Einkommensteuer in Höhe von S 435.000,-- festgesetzt worden. Ein dieser Steuer entsprechendes Einkommen von S 1,253.920,-- wäre dem im Zeitpunkt seiner Bestellung zum Geschäftsführer 21 Jahre alten, arbeits- und unterstandslosen Beschwerdeführer jedoch nie zugekommen, weil er auf Grund einer gewissen Naivität und um seinem Vater gefällig zu sein, die Geschäftsführung der P-GmbH lediglich als Strohmann innegehabt hätte, ohne tatsächlichen Einfluß auf die Geschäftsführung zu haben. Für seine Bereitschaft, über Ersuchen seines Vaters als handelsrechtlicher Geschäftsführer zu fungieren, hätte der Beschwerdeführer einen einmaligen Betrag von S 10.000,-- und die Erlaubnis erhalten, für die Zeit der Unterstandslosigkeit in einem kleinen Hinterzimmer der Gesellschaft übernachten zu dürfen. Da der Abgabenschuldigkeit kein tatsächliches Einkommen gegenüberstehe, wäre deren Einhebung nach Lage des Sachverhaltes unbillig. Der Beschwerdeführer sei vermögenslos und verfüge lediglich über ein Einkommen von S 8.000,-- monatlich, sodaß die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu den Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen ergeben.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 1990 wurde das Ansuchen vom 6. März 1990 um "Bewilligung einer Nachsicht in der Höhe von S 476.302,--" unter Hinweis auf das bisherige steuerliche Verhalten des Beschwerdeführers (Nichtabgabe von Steuererklärungen und keine Leistung von Zahlungen) abgewiesen.

In einer dagegen eingebrachten Berufung wurde insbesondere gerügt, daß sich der angefochtene Bescheid mit dem Antragsvorbringen nicht auseinandergesetzt hätte. Zur Abgabe von Steuererklärungen sei der Beschwerdeführer nicht verpflichtet. Es sei unzutreffend, daß der Beschwerdeführer keine Zahlungen geleistet hätte, weil er aufgrund eines Finanzstrafverfahrens in Zusammenhang mit seiner Geschäftsführungstätigkeit bis März 1990 eine Strafe in monatlichen Raten von S 1.000,-- bezahlt habe, obwohl er über kein regelmäßiges Einkommen verfügt hätte und die Strafe mangels Rechtskraft gar nicht fällig gewesen sei. Auch wenn die Zahlungen keine Leistungen auf die gegenständliche Steuerschuld darstellten, handle es sich doch um eine Forderung des Bundes, welche der Beschwerdeführer freiwillig bezahlt hätte, sodaß damit seine grundsätzliche Zahlungsbereitschaft dokumentiert sei. Da der Beschwerdeführer in dieser Zeit über kein geregeltes Einkommen verfügt hätte, wäre es ihm weder möglich noch zumutbar gewesen, darüberhinaus noch Zahlungen auf die gegenständliche Steuerschuld zu leisten. Seit Februar 1990 stehe der Beschwerdeführer in einem Arbeitsverhältnis zur R-GmbH und wäre das Arbeitseinkommen mit Bescheid vom 19. Februar 1990 sofort zugunsten des Finanzamtes gepfändet worden, noch bevor der Beschwerdeführer sein erstes Gehalt erhalten und überhaupt Gelegenheit gehabt hätte, mit dem Finanzamt zwecks Ratenvereinbarung Kontakt aufzunehmen.

Mit dem nunmehr mit Beschwerde angefochtenen Bescheid wurde diese Berufung abgewiesen. Darin wurde eingeräumt, daß die Einhebung der auf Grund des Einkommensteuerbescheides 1984 sowie des Bescheides über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages betreffend die Einkommensteuer 1984 fälligen Abgabenschulden in Höhe von S 479.024,-- in Hinblick auf die Einkommenssituation des Beschwerdeführers als unbillig anzusehen sei. Im Rahmen der von der Behörde unter Beachtung der im § 20 BAO normierten Ermessensrichtlinien zu treffenden Ermessensentscheidung könne die Gewährung der beantragten Nachsicht aber nicht als zweckmäßig erachtet werden, weil der Beschwerdeführer nach Zustellung des Einkommensteuerbescheides 1984 (am 27. September 1986) bzw Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens mit Bescheid vom 24. November 1986 bis zur mit Bescheid vom 19. Februar 1991 erfolgten Pfändung seines Arbeitseinkommens von sich aus keinen Versuch unternommen habe, diese Abgabenschulden zumindest teilweise zu entrichten, wiewohl er laut einem eine Finanzstrafe betreffenden Stundungsansuchen vom 9. Februar 1988 "schon in dieser Zeit" als Verkäufer halbtags und laut Lohnkonto der R-GmbH bei dieser Gesellschaft nicht erst seit Februar 1990, sondern bereits seit 1. Oktober 1989 beschäftigt sei. Auch die Einwände des Beschwerdeführers, daß er keine Ahnung gehabt habe, welche Pflichten ihm als Geschäftsführer oblagen und daß er Schriftstücke "blind" unterschrieben habe, ihm kein Einblick in die Geschäftsbücher gewährt worden sei bzw. er diese auch nicht verstanden hätte, ließen erkennen, daß der Beschwerdeführer sich schon während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer nicht ausreichend um die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Obliegenheiten gekümmert hätte.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid erachtet sich der Beschwerdeführer erkennbar in seinem Recht auf Nachsicht der aushaftenden Abgabenschuld verletzt und macht nach dem Inhalt der Beschwerde inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im allgemeinen voraus, daß die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben. Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. April 1991, 90/15/0015). Im gegenständlichen Fall ist die belangte Behörde in ihrer der Ermessensentscheidung vorgelagerten Rechtsentscheidung zur Ansicht gelangt, daß eine Unbilligkeit der Einhebung nach Lage des Falles, und zwar aus "persönlichen" Gründen, vorliegt.

Durch die Ausführungen der belangten Behörde, soweit sie diese Rechtsentscheidung betreffen, kann der Beschwerdeführer daher nicht verletzt sein, weshalb sich ein Eingehen auf die nach Ansicht des Beschwerdeführers zum Teil auch aus anderen Gründen gegebene Unbilligkeit der Abgabeneinhebung erübrigt.

Zur - gegenständlich somit richtigerweise zu treffenden - Ermessensentscheidung ist folgendes zu sagen:

Ermessensentscheidungen sind von der Behörde insoweit zu begründen, als dies die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erfordert. Die Behörde hat demnach in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, daß den Parteien des Verwaltungsverfahrens die Verfolgung ihrer Rechte und dem Verwaltungsgerichtshof die rechtliche Kontrolle des Ermessens möglich ist. Letztlich hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch auch zu überprüfen, ob das Verwaltungsverfahren, das mit der Ermessensentscheidung geendet hat, den gesetzlichen Verfahrensbestimmungen entsprach oder nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1990, 89/13/0044, mwA).

Unter diesen Gesichtspunkten vermag die Argumentation der belangten Behörde die gegenständliche Ermessensentscheidung im angefochtenen Bescheid nicht zu tragen: Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Entscheidungselemente der subjektiven Billigkeit nicht auf Grund bloßer Vermutungen oder auf Grund des Anscheines, sondern nur auf Grund entsprechender verfahrensrechtlich einwandfrei getroffener Feststellungen in die Entscheidung einfließen dürfen (vgl. Stoll, BAO, Handbuch, S 587). Die Ausführungen der belangten Behörde, daß sich der Beschwerdeführer um seine Abgabenschulden erst kümmerte, als Exekution gegen ihn geführt wurde, mögen, soweit sie die Abstattung der Abgabenschulden betreffen, berechtigt sein. Dennoch darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, daß der Beschwerdeführer vom Zeitpunkt der Entstehung der Abgabenschulden bis zu seiner unwidersprochen im Jahr 1988 angenommenen Halbtagsbeschäftigung kein Einkommen hatte. Auch hinsichtlich des Einkommens aus seiner Halbtagsbeschäftigung und des unwidersprochen seit 1. Oktober 1989 bezogenen Einkommens hat die Behörde nur vermutet, daß der Beschwerdeführer diesbezüglich ein Einkommen bezog, welches ihn nach Ansicht der belangten Behörde in die Lage versetzt hätte, mit der Abstattung seiner Abgabenschuld zu beginnen. Diesbezügliche konkrete Feststellungen über die Höhe der monatlichen Bezüge hat die Abgabenbehörde aber nicht getroffen. Die Beschwerdebehauptung, daß der Beschwerdeführer nicht mehr als ein Existenzminimum "ins Verdienen gebracht" hätte, blieb in der Gegenschrift der belangten Behörde unwidersprochen.

Ob andere von der belangten Behörde ins Treffen geführte Gründe eine Unbilligkeit ausschließen, ist für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr wesentlich, weil dem Gerichtshof eine Ermessensübung und damit auch eine Gewichtung der für die Ermessensübung jeweils maßgeblichen Gründe nicht zusteht, dies jedenfalls dann nicht, wenn die als rechtswidrig erkannten Ermessenserwägungen tragend erscheinen. Demzufolge kann es dahin gestellt bleiben, ob die belangte Behörde ihre weiters gefundene Ermessensgrundlage hinsichtlich des Ausmaßes eines dem Beschwerdeführer vorzuwerfenden Verschuldens in einer der Aktenlage entsprechenden Weise ermittelt hat.

Da sich nach dem Gesagten der angefochtene Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet erweist, war er gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG aufzuheben. Zwar unterließ es der Beschwerdeführer, diese Rechtswidrigkeit ausdrücklich geltend zu machen. Wesentliche Verfahrensmängel sind jedoch nach ständiger hg. Rechtsprechung auch von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 591).

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 104/1991. Der Art III Abs 2 dieser Verordnung kommt nicht zur Anwendung, weil in der Beschwerde nur ein Teil jenes Betrages begehrt wurde, der im Zeitpunkt der Einbringung derselben als Pauschbetrag festgesetzt war.

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