VwGH 91/12/0239

VwGH91/12/023916.12.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Herberth, Dr. Germ, Dr. Höß und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Steiner, über die Beschwerde des Dr. J in W, gegen den Bescheid des Wiener Stadtsenates vom 24. September 1991, Zl. 2656/91, betreffend Zurückweisung von Anträgen - Berufung - Devolution, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §73 Abs2;
VwGG §27;
WStV 1968 §48a;
WStV 1968 §48b;
WStV 1968 §48c;
WStV 1968 §80;
WStV 1968 §88 Abs4;
WStV 1968 §98 Abs1;
WStV 1968 §99;
AVG §56;
AVG §73 Abs2;
VwGG §27;
WStV 1968 §48a;
WStV 1968 §48b;
WStV 1968 §48c;
WStV 1968 §80;
WStV 1968 §88 Abs4;
WStV 1968 §98 Abs1;
WStV 1968 §99;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Die Stadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht als Magistratsrat i.R. in einem öffentlich-rechtlichen Pensionsverhältnis zur Stadt Wien und ist rechtskundig im Sinn des § 24 Abs. 2 VwGG.

Mit Schreiben vom 23. Mai 1990 bzw. vom 11. Dezember 1989 beantragte der Beschwerdeführer die "Prüfung der Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 lit. b DO 1966 auf Grund eines durch Parteienantrages aufgezeigten Sachverhaltes" bzw. die Feststellung seiner Dienstfähigkeit "für die Vergangenheit, für den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 11. Juli 1989 und auch für die Zeit danach".

Diese Anträge des Beschwerdeführers wies der Magistrat der Stadt Wien mit Bescheid vom 14. November 1990 als unzulässig zurück.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht am 19. November 1990 Berufung.

Da bis 23. Mai 1991 keine Entscheidung des Berufungssenates ergangen war, beantragte der Beschwerdeführer mit diesem Datum Übergang der Entscheidungspflicht gemäß § 73 Abs. 2 AVG an den Gemeinderat als oberstes Gemeindeorgan.

Mit dem angefochtenen Bescheid wird wie folgt abgesprochen:

"Der Stadtsenat hat in seiner Sitzung vom 24. September 1991 folgenden Beschluß gefaßt:

I.

Dem Antrag des Herrn Magistratsrates i.R. Dr. J vom 23. Mai 1991 auf Übergang der Entscheidungspflicht gemäß § 73 Abs. 2 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG, BGBl. Nr. 51/1991) hinsichtlich seiner Berufung gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 2, vom 14. November 1990, MA 2/410475G, wird stattgegeben.

II.

Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 2, hat am 14. November 1990 zur Zahl MA 2/410475G an Herrn MR i.R. Dr. J einen Bescheid gerichtet, dessen Spruch wie folgt lautet:

"Ihre Anträge

I. vom 23. Mai 1990 auf "Prüfung der Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 lit. b DO 1966 auf Grund eines durch Parteienantrages aufgezeigten Sachverhaltes"

II. vom 11. Dezember 1989 auf Feststellung Ihrer Dienstfähigkeit für die Vergangenheit, für den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 11. Juli 1989 und auch für die Zeit danach

werden als unzulässig zurückgewiesen."

Die gegen diesen Bescheid von MR i.R. Dr. J fristgerecht eingebrachte Berufung vom 19. November 1990 wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt."

Zur Begründung wird nach Darstellung der bereits wiedergegebenen Vorgeschichte, der Feststellung der Zulässigkeit des Devolutionsantrages und Wiedergabe des ersten Satzes des § 98 Abs. 1 der Wiener Stadtverfassung - soweit dies für den Verfahrensgegenstand wesentlich ist - weiter ausgeführt:

Der vom Gemeinderat auf Grund des Überganges der Entscheidungspflicht zu beschließende Berufungsbescheid hätte dem Beschwerdeführer bis spätestens 23. November 1991 zugestellt werden müssen. Da eine Sitzung des Gemeinderates bis zu diesem Zeitpunkt nicht mehr anberaumt sei, sei eine Entscheidung des Gemeinderates innerhalb der gesetzlichen Entscheidungsfrist nicht möglich. Die Entscheidung des Gemeinderates habe daher ohne Nachteil für die Sache nicht abgewartet werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.

Der Beschwerdeführer hat eine Äußerung zur Gegenschrift

vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 73 Abs. 1 des gemäß § 1 Abs. 1 DVG anwendbaren AVG sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Wird der Partei innerhalb dieser Frist der Bescheid nicht zugestellt, so geht nach Abs. 2 der genannten Bestimmung auf ihr schriftliches Verlangen die Zuständigkeit zur Entscheidung an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über.

Der Berufungssenat der Stadt Wien untersteht in seiner Tätigkeit im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde dem Gemeinderat als oberstem Organ in der Weise, daß diesem das Weisungs- und Aufsichtsrecht zukommt. Daher ist gegen die Säumnis des Berufungssenates der Gemeinderat als "oberste Behörde" im Sinne des § 73 Abs. 2 AVG anzurufen (Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. April 1986, Slg. NF Nr. 12.123/A).

Es steht außer Streit, daß der Beschwerdeführer den Übergang der Entscheidungspflicht auf den Gemeinderat mit seinem Antrag vom 23. Mai 1991 bewirkt hat. Die belangte Behörde vermeint, daß in Anwendung des § 98 Abs. 1 der Wiener Stadtverfassung der Wiener Stadtsenat anstelle des Gemeinderates zur Entscheidung wegen Dringlichkeit berufen war.

Gemäß § 98 Abs. 1 der Wiener Stadtverfassung, LGBl. Nr. 28/1968, ist der Stadtsenat berechtigt, bei dringlichen Fällen in Angelegenheiten, die in den Wirkungsbereich des Gemeinderates fallen, nach Vorberatung im zuständigen Ausschuß Verfügungen zu treffen, insbesondere Ausgaben zu beschließen, wenn die Entscheidung des Gemeinderates ohne Nachteil für die Sache nicht abgewartet werden kann. Der Beschluß ist dem Gemeinderat in seiner nächsten Sitzung zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen.

Der Beschwerdeführer meint, daß diese Bestimmung sinnvoll nur so verstanden werden darf, daß die in der "Notkompetenz" zutreffenden Verfügungen der belangten Behörde keine Bescheide sein dürfen, weil diese mit der Zustellung endgültig rechtswirksam werden. Die vorgesehene nachträgliche Genehmigung durch den Gemeinderat wäre nur bei Belastungen auf budgetmäßiger Ebene sinnvoll und zweckmäßig.

Dem ist entgegenzuhalten, daß der Wortlaut des § 98 Abs. 1 WStV, nämlich das Wort "Verfügungen", durchaus auch individuell-konkrete Verwaltungsakte (vgl. Art. 131 bzw. 144 B-VG idF vor der Novelle BGBl. Nr. 302/1975) nicht ausschließt. Da es sich im Beschwerdefall jedenfalls um eine den Beschwerdeführer belastende Verfügung gehandelt hat und diesbezüglich kein Rechtskraftproblem gemäß § 68 Abs. 2 AVG gegeben ist, können weitere Überlegungen über die Bedeutung der Regelung über das nachträgliche Zustimmungsrecht des Gemeinderates schon deshalb dahingestellt bleiben.

Trotzdem stützt die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu Recht auf § 98 Abs. 1 WStV, weil ausdrücklich normiert ist, daß die Notkompetenz nur dann zum Tragen kommt, wenn die Entscheidung des Gerichtes OHNE NACHTEIL FÜR DIE SACHE nicht abgewartet werden kann. Die belangte Behörde sieht den Nachteil in der Sache darin, daß bis Ablauf der Entscheidungsfrist keine Gemeinderatssitzung anberaumt gewesen sei und ergänzt dies mit dem Hinweis auf die Kosten eines Säumnisverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Dieses Argument teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht, weil die genannten Kosten im Sinne der Regelung des § 98 Abs. 1 WStV nicht für sich alleine den in der Sache zu sehenden Dringlichkeitsbezug herstellen können.

Da diese Rechtsüberlegung zeigt, daß der Wiener Stadtsenat in dem der Beschwerde zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren auf Grundlage des § 98 Abs. 1 WStV nicht berechtigt war anstelle des im Devolutionswege angerufenen Gemeinderates bescheidmäßig zu entscheiden, mußte der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufgehoben werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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