VwGH 91/10/0220

VwGH91/10/022028.2.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der S in X, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 12. September 1991, Zl. 2-387/II H 149-1989, betreffend Aufhebung eines Bescheides in Angelegenheit Ehrenkränkung (Mitbeteiligter: R in X), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
VStG §24;
VStG §44a lita;
VStG §45 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
VStG §24;
VStG §44a lita;
VStG §45 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft X stellte mit Bescheid vom 23. Februar 1990 das Verfahren über die von der Beschwerdeführerin gegen den Mitbeteiligten erhobene Privatanklage wegen Ehrenkränkung gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG mit der Begründung ein, die Ermittlungen hätten nicht ergeben, daß der Mitbeteiligte mit dem für die Begehung einer Ehrenkränkung erforderlichen Vorsatz gehandelt habe.

Mit dem im fortgesetzten Verfahren nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Mai 1991, Zl. 90/10/0152, ergangenen Bescheid vom 12. September 1991 hob die Steiermärkische Landesregierung gemäß § 66 Abs. 4 AVG den erstinstanzlichen Bescheid mit der Begründung auf, die für die Einstellung des Verfahrens entscheidende Annahme des Fehlens von Vorsatz beim Mitbeteiligten sei, wie das genannte aufhebende Erkenntnis zeige, mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet. Eine Entscheidung in der Sache selbst traf die Behörde nicht.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Nach Meinung der Beschwerdeführerin hätte die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG in der Sache selbst entscheiden müssen. Für eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG seien die Voraussetzungen nicht gegeben, da der Sachverhalt völlig geklärt und eine weitere Verhandlung nicht erforderlich sei.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde erstattet. Sie vertritt darin so wie die Beschwerdeführerin die Auffassung, daß der Sachverhalt geklärt sei und daher eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nicht in Betracht komme. "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG sei im vorliegenden Fall nur die Frage, ob die Unterbehörde das Strafverfahren zu Recht eingestellt habe. Die "Frage einer Bestrafung" des Mitbeteiligten sei von der Erstbehörde gar nicht behandelt worden. Es sei daher der belangten Behörde verwehrt gewesen, erstmals eine Strafe zu verhängen. Sie hätte damit insoweit über eine Sache entschieden, über die die Erstbehörde noch nicht abgesprochen habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorweg ist festzuhalten, daß ungeachtet des Umstandes, daß im ersten Rechtsgang das Verwaltungsstrafverfahren vor dem Inkrafttreten der VStG-Novelle 1990, BGBl. Nr. 358, am 1. Jänner 1991 rechtskräftig abgeschlossen war, die Steiermärkische Landesregierung und nicht der Unabhängige Verwaltungssenat zur Erlassung des angefochtenen Ersatzbescheides zuständig war. Dies ergibt sich aus der Übergangsbestimmung des Art. IX Abs. 2 der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. Nr. 685, wonach am 1. Jänner 1991 anhängige Verfahren, die in diesem Bundesverfassungsgesetz geregelte Angelegenheiten betreffen, nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen sind, wobei dies ausdrücklich auch für Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und vor dem Verfassungsgerichtshof gilt. Damit ist klargestellt, daß die bisherige Rechtslage auch für jene Verfahren gilt, die am 1. Jänner 1991 zwar nicht mehr bei einer Verwaltungsbehörde, wohl aber bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts anhängig sind. Am 1. Jänner 1991 war beim Verwaltungsgerichtshof das Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 28. Juni 1990 anhängig; es wurde erst mit Erkenntnis vom 15. Mai 1991, Zl. 90/10/0152, abgeschlossen. Daher handelt es sich im vorliegenden Fall um ein "am 1. Jänner 1991 anhängiges Verfahren".

Nach dem (gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden) § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall immer in der Sache selbst zu entscheiden. "Sache" im Sinne dieser Gesetzesstelle ist, wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 27. Juni 1975, Slg. Nr. 8864/A, und vom 27. Juni 1980, Slg. Nr. 10.186/A), die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat. Dies ist im Strafverfahren die von der Erstbehörde als erwiesen angenommene Tat im Sinne des § 44a lit. a VStG (siehe etwa das zuletzt genannte Erkenntnis). Bei Vorliegen eines Strafantrages ist die Angelegenheit im Falle eines meritorischen Abspruches das im Strafantrag konkret umschriebene Verhalten. Hiebei sind in diesem Zusammenhang das Ergebnis der Beurteilung der Berechtigung der Anklage und die daran geknüpften Rechtsfolgen (Einstellung des Strafverfahrens oder Schuld- und Strafausspruch) ohne Bedeutung. Denn in beiden Fällen befaßt sich die Strafbehörde inhaltlich mit der an sie herangetragenen Tat. Daher überschreitet die Berufungsbehörde in einem solchen Fall auch dann, wenn die Unterbehörde auf Grund ihrer Beurteilung der Tat zu einer Einstellung des Strafverfahrens gelangt ist, nicht den ihr durch die "Sache" gezogenen Rahmen, wenn sie auf Grund einer anderen Beurteilung als die Unterbehörde zu einem Schuld- und Strafausspruch gelangt. Vielmehr ist sie dazu auf Grund ihrer Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache selbst gehalten.

Im vorliegenden Fall hat die Erstbehörde in ihrem Bescheid vom 23. Februar 1990 über die Privatanklage der Beschwerdeführerin abgesprochen. Sie hat die dort geschilderte Tat dahingehend beurteilt, daß sie wegen des Fehlens von Vorsatz beim Mitbeteiligten keine Verwaltungsübertretung bilde, und deshalb das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG eingestellt. Damit hat die Erstbehörde über die Privatanklage meritorisch entschieden. Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin hatte die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG die in der Privatanklage geschilderte Tat zu beurteilen und gegebenenfalls einen Schuld- und Strafausspruch zu fällen. Daran war sie entgegen ihrer Meinung durch die ihr auferlegte Beschränkung auf eine Entscheidung in der "Sache" nicht gehindert. Die Aufhebung des Bescheides der Erstbehörde vom 23. Februar 1990 ohne gleichzeitige Entscheidung in der Sache selbst widerspricht dem § 66 Abs. 4 AVG. Die Beschwerdeführerin wurde dadurch in ihrem Recht, daß die Berufungsbehörde bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen in der Sache selbst über die Privatanklage entscheidet, verletzt.

Aus diesem Grund ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil der Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand bereits die darauf entfallende Umsatzsteuer umfaßt und der Beschwerdeführerin für Stempelgebühren nur S 390,-- zu ersetzen sind (S 360,-- für die Beschwerdeausfertigungen; S 30,-- für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides).

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