Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol und der Bund haben dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von je S 6.066,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit den in einer gemeinsamen Ausfertigung ergangenen Bescheiden der Tiroler Landesregierung (in Ansehung der in ihren Vollzugsbereich fallenden Übertretungen nach der StVO) und des Landeshauptmannes von Tirol (in Ansehung der in seinen Vollzugsbereich fallenden Übertretung des KFG) vom 15. Juli 1991 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 4. September 1990 um 21,50 Uhr in Innsbruck an einem bestimmten Ort einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw gelenkt und 1.) ..., 2.) nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden, bei dem er zwei Fahrzeuge gestreift habe, die erheblich beschädigt worden seien, nicht sofort angehalten,
3.) den Unfall nicht ohne unnötigen Aufschub der nächsten Polizeidienststelle gemeldet, 4.) keinen Führerschein mit sich geführt und 5.) sich, obwohl er sich offenbar in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befunden habe, in der Zeit von 23,45 bis 23,55 Uhr in einem bestimmten Wachzimmer gegenüber dem Amtsarzt geweigert, zwecks Feststellung einer vermuteten Suchtgiftbeeinträchtigung eine Urinprobe abzugeben und sich demnach nicht der amtsärztlichen Untersuchung unterzogen, und dadurch Verwaltungsübertretungen zu 2.) nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO, zu 3.) nach § 4 Abs. 5 StVO, zu
4.) nach § 102 Abs. 5 lit. a KFG und zu 5.) nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 8 und 5 Abs. 4 lit. b StVO begangen. Über ihn wurden Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt. Hinsichtlich des Punktes 1.) (Übertretung nach § 7 Abs. 1 StVO) erfolgte die Verfahrenseinstellung gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG. In der Begründung heißt es, Passanten hätten den Unfall und die Fahrerflucht angezeigt. Der Beschwerdeführer und seine Freundin Marion F. seien in ihrer Wohnung ausgeforscht worden. Marion F. habe sofort erklärt, das Fahrzeug gelenkt zu haben. Da die Zeugen angegeben hätten, ein blonder Bursch habe das Fahrzeug gelenkt und dies auf den Beschwerdeführer als Zulassungsbesitzer zugetroffen habe, sei wegen seines beeinträchtigten Zustandes eine Alkomatuntersuchung erfolgt. Wegen des negativen Ergebnisses sei der Amtsarzt beigezogen worden, der eine Fahruntüchtigkeit festgestellt habe. Da der Verdacht einer Suchtgiftbeeinträchtigung bestanden habe, sei der Beschwerdeführer zur Abgabe einer Urinprobe aufgefordert worden, was er jedoch verweigert habe. Die Zeugen Hansjörg und Monika K. hätten übereinstimmend angegeben, der Pkw sei von einem Mann gelenkt worden. Es sei möglich, daß der Beschwerdeführer der Lenker gewesen sei, doch habe die Person längere Haare gehabt. Der Beschwerdeführer habe angegeben, damals längere Haare getragen zu haben. Bei der Aufnahme der Niederschrift vom 4. September 1990 um 23,35 Uhr habe der Beschwerdeführer zu Protokoll gegeben, das Fahrzeug gelenkt zu haben. Die Behauptung seiner Freundin, das Fahrzeug gelenkt zu haben, entbehre jeder Glaubwürdigkeit. Das Vorbringen, es müsse das Fahrzeug für eine kurze Zeit - während welcher der Unfall geschehen sei - gestohlen worden sein, widerspreche den Erfahrungen des täglichen Lebens. Auch habe sich die Zeugin geweigert, das Zeugenprotokoll zu unterfertigen. Auch wenn die Angaben stimmen, daß (auch) die Freundin zur Tatzeit längere blonde Haare gehabt habe, so sei sie aber kleiner als der Beschwerdeführer. Insofern mögen auch diese Umstände den Beweiswert der Aussagen der Zeugen Hansjörg und Monika K. nicht zu mindern.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangten Behörden haben die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der von ihnen erstatteten Gegenschrift beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bekämpft die Feststellungen der belangten Behörden, er sei zum Zeitpunkt des Unfalles der Lenker gewesen, in dem er deren Beweiswürdigung rügt und in diesem Zusammenhang Verfahrensmängel, insbesondere die Unterlassung weiterer Beweisaufnahmen geltend macht. Diesem Vorbringen kommt unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Berechtigung zu.
Gemäß § 39 Abs. 2 AVG (§ 24 VStG) haben die Behörden - wenn wie vorliegend die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten - von Amts wegen vorzugehen. Der im § 45 Abs. 2 AVG (§ 24 VStG) normierte Grundsatz der freien Beweiswürdigung schließt eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle nicht in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Gemäß § 25 Abs. 2 VStG sind die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden. Dabei kommt gemäß § 46 AVG als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Dem Verwaltungsverfahren ist eine antizipative Beweiswürdigung fremd. Die Behörde darf einen Beweis nur dann von vornherein ablehnen, wenn er, objektiv gesehen, nicht geeignet ist, über den maßgebenden Sachverhalt einen Beweis zu liefern. Eine Würdigung von Beweisen hinsichtlich ihrer subjektiven Glaubwürdigkeit ist nur nach Aufnahme der Beweise möglich (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, die zu § 45 Abs. 2 AVG unter E 72 ff, S. 311, und zu § 25 Abs. 2 VStG unter E 8, S. 846, wiedergegebene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).
Die belangten Behörden haben die maßgebende Feststellung, wer Lenker gewesen sei, vor allem auf die Aussagen der Zeugen Hansjörg und Monika K. sowie die in der Niederschrift des Verkehrsunfallkommandos vom 4. September 1990 enthaltene Angabe des Beschwerdeführers, er sei gefahren, gestützt. Es ist zwar den belangten Behörden beizupflichten, daß verschiedene Verdachtsmomente für die Lenkereigenschaft des Beschwerdeführers sprechen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß die beiden Zeugen K. den Beschwerdeführer nicht identifizieren konnten. Sie sprachen von einem blonden Burschen mit längeren Haaren, wobei solche auch die Freundin des Beschwerdeführers Marion F. aufweist. Es wäre daher eine Gegenüberstellung mit der Freundin angezeigt gewesen. Des weiteren heißt es schon in der Anzeige, daß der Beschwerdeführer auch erklärt habe, nicht gefahren zu sein, sondern seine Freundin, die dies auch bestätigt habe, weshalb ebenso sie als Täter behandelt worden sei. Vor allem aber hat die Freundin des Beschwerdeführers stets das Lenken des Fahrzeuges zugegeben, ebenso der Beschwerdeführer im ganzen Verwaltungsstrafverfahren das Lenken bestritten. Es hätte daher zur weiteren Klärung des Sachverhaltes des Ausschöpfens sämtlicher nach der Aktenlage vorhandener Beweismittel bedurft. So ergibt sich schon aus der Anzeige, daß der Vorfall zuerst von Franz G. und Patricia P. angezeigt wurde, die den Verkehrsunfall beobachtet hatten. Diese Personen wurden aber als Zeugen hinsichtlich der Person des Lenkers im Verwaltungsstrafverfahren nie befragt, obwohl dies nach der Sachlage erforderlich war, wobei die Behörde insoweit verpflichtet ist, von Amts wegen vorzugehen. Ebenso unterblieb die Befragung des Wolfgang K. als Zeuge, obwohl sich insbesondere aus den Angaben der Freundin des Beschwerdeführers ergibt, daß sie sich in Begleitung dieser Person befunden haben sollen. Nicht zuletzt hätte auch das weitere Schicksal der vom Beschwerdeführer erstatteten Diebstahlsanzeige in Ansehung des Fahrzeuges weitere Aufschlüsse geben können. Allenfalls wäre auch eine Einvernahme der die Anzeige aufnehmenden Polizeibeamten zweckmäßig gewesen. Gegen die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung bestehen bei der derzeitigen Aktenlage Bedenken. Die bisher vorliegenden Erhebungsergebnisse lassen einen Schuldspruch mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nicht zu.
Da der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf bzw. Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangten Behörden zu einem anderen Bescheid hätten kommen können, waren die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, beschränkt durch die beantragte Höhe. Da Bescheide von zwei Behörden betroffen sind, hatte daher ein Kostenzuspruch je zur Hälfte zu Lasten der Behörden zu erfolgen.
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