VwGH 91/02/0123

VwGH91/02/012329.1.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Baumann als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Mandl, über die Beschwerde des A in G, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 13. August 1991, Zl. I/7-St-G-90179, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
StGB §88 Abs1;
StGB §88 Abs3;
StVO 1960 §5 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;
AVG §45 Abs2;
StGB §88 Abs1;
StGB §88 Abs3;
StVO 1960 §5 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.240,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 22. Oktober 1989 um 18.30 Uhr an einem näher bezeichneten Ort auf der B 41 eine Arbeitsmaschine in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 StVO begangen. Es wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Hiegegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, daß es den Verwaltungsstrafbehörden frei steht, unabhängig von den Gerichten zu beurteilen, ob eine Alkoholbeeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO vorgelegen ist oder nicht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. September 1991, Zl. 91/18/0097). Es ist daher ohne Bedeutung, daß der Beschwerdeführer mit gerichtlicher Strafverfügung gemäß § 88 Abs. 1 StGB und nicht gemäß § 88 Abs. 3 StGB bestraft wurde.

Des weiteren ist von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auszugehen, wonach die Lenkung oder Inbetriebnahme eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand auch dann als Verstoß gegen § 5 Abs. 1 StVO zu werten ist, wenn der Blutalkoholgehalt des Fahrers einen Wert von 0,8 Promille nicht erreicht hat. Der zweite Satz der zitierten Bestimmung drückt nicht aus, daß eine Beeinträchtigung durch Alkohol erst bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 Promille einträte, es handelt sich vielmehr um eine unwiderlegbare Rechtsvermutung, wonach der Zustand einer Person bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 Promille und darüber auf jeden Fall als beeinträchtigt gilt. Eine Beeinträchtigung durch Alkohol liegt unabhängig von Blutalkoholgehalt auch dann vor, wenn sich eine Person infolge Alkoholgenusses in einem fahruntüchtigen Zustand befindet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. September 1991, Zl. 91/18/0086).

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde, er habe sich im Unfallszeitpunkt in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden, wie sich dies aus den im Verwaltungsverfahren eingeholten, von der klinischen Untersuchung ausgehenden medizinischen Sachverständigengutachten ergeben hat. Demgegenüber wurde bei der Blutuntersuchung lediglich ein Blutalkoholgehalt von 0,4 Promille (bezogen auf den Zeitpunkt der Blutabnahme) festgestellt, auf Grund dessen ein Wert von 0,55 Promille zum Unfallszeitpunkt angenommen wurde.

Mit der Blutabnahme stand ein Beweismittel zur Verfügung, das zur Widerlegung der klinischen Beurteilung an sich geeignet wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1990, Zl. 90/02/0008). Nach der allgemeinen Lebenserfahrung liegt nun bei einem Blutalkoholgehalt von 0,4 Promille (0,55 Promille) in der Regel noch keine "mittelstarke" Alkoholisierung vor, wie sie bei der klinischen Untersuchung aber festgestellt wurde. Auch wird im allgemeinen bei einem derartigen Blutalkoholgehalt die Fahrtüchtigkeit noch nicht in einer dem Tatbild des § 5 Abs. 1 StVO entsprechenden Weise beeinträchtigt sein. So lange nicht jene Umstände erhoben sind, die im besonderen Fall Abweichungen von dieser allgemeinen Lebenserfahrung rechtfertigen, vermag der Verwaltungsgerichtshof die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht als schlüssig zu erkennen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. September 1985, Zl. 85/18/0279). Solche Umstände, die erklären würden, daß beim Beschwerdeführer schon ein Blutalkoholgehalt von 0,4 Promille zur Zeit der klinischen Untersuchung deutliche Alkoholisierungssymptome auftreten läßt, könnten in einer vom Amtsarzt der Erstbehörde angesprochenen Alkoholunverträglichkeit liegen. Dessen Anregung folgend hat die belangte Behörde dem von ihr beigezogenen Sachverständigen auch eine entsprechende Frage gestellt, die von diesem aber nicht beantwortet wurde, weil sie seiner Ansicht nach "von sekundärer Bedeutung" sei. Eine gutachtliche Klärung ist somit unterblieben.

Was die einzelnen bei der klinischen Untersuchung festgestellten Alkoholisierungssymptome anlangt, so hat sich die belangte Behörde insbesondere auf die Nystagmusprobe (14 Sekunden) und die träge Pupillenreaktion gestützt. Zwar sind die Bedenken des Beschwerdeführers, der Nystagmuswert könnte bloß geschätzt und nicht gemessen worden sein, durch nichts begründet. Mit seinem bereits im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringen, der Nystagmuswert könne mit seinem niedrigen Blutdruck erklärt werden, hat sich die belangte Behörde aber nicht auseinandergesetzt, obwohl dies im Hinblick auf den ermittelten Blutalkoholgehalt angebracht gewesen wäre; der Nüchtern-Nystagmus wurde nicht gemessen. Schließlich stellt eine träge Pupillenreaktion zwar ein eindeutiges Alkoholisierungsmerkmal dar, sie ist aber in der Regel erst bei einem Blutalkoholgehalt von mindestens einem Promille gegeben (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 91/02/0127). Ob die Ankreuzung des Vordruckes "Pupillenreaktion: träge" bei der klinischen Untersuchung mit einem Blutalkoholgehalt von 0,4 Promille zu diesem Zeitpunkt in Einklang zu bringen ist, blieb unerörtert.

Der belangten Behörde sind somit Verfahrensmängel unterlaufen, bei deren Vermeidung sie zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte