VwGH 91/19/0139

VwGH91/19/013930.9.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 4. April 1991, Zl. VII/2a-V-1365/0/1-91, betreffend Übertretung des Arbeitnehmerschutzgesetzes (mitbeteiligte Partei: Dipl. Ing. Rudolf T, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Normen

ASchG 1972 §22 Abs1;
VStG §32 Abs2;
ASchG 1972 §22 Abs1;
VStG §32 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs vom 23. März 1990 wurde der Mitbeteiligte für schuldig befunden, er habe es als zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer näher zitierten Ges.m.b.H. zu verantworten, daß diese Gesellschaft als Arbeitgeber den Vorschriften zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer insoferne zuwidergehandelt habe, als im (näher örtlich beschriebenen) Betrieb dieser Gesellschaft im Zeitraum vom 30. Oktober 1987 bis 20. Oktober 1988 trotz einer regelmäßigen Arbeitnehmerzahl von mehr als 250 keine betriebsärztliche Betreuung eingerichtet gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 22 Abs. 1 des Arbeitnehmerschutzgesetzes (BGBl. Nr. 234/1972) begangen. Es wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 4. April 1991 Folge, behob das erwähnte Straferkenntnis und stellte das Verfahren unter Berufung auf § 45 Abs. 1 lit. c VStG 1950 ein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 9 Abs. 2 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 gestützte Beschwerde.

Die belangte Behörde und der Mitbeteiligte haben Gegenschriften erstattet, in denen sie jeweils die Abweisung der Beschwerde beantragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Was zunächst den Einwand der mitbeteiligten Partei anlangt, die Beschwerde sei verspätet eingebracht worden, so genügt es, gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG etwa auf das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1991, Zl. 91/19/0037, zu verweisen. Da dem Beschwerdeführer der angefochtene Bescheid am 12. April 1991 zur Kenntnis gebracht wurde, war zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde am 21. Mai 1991 die sechswöchige Beschwerdefrist des § 26 Abs. 1 VwGG noch nicht abgelaufen.

Rechtlich unerheblich ist der Hinweis der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift, daß der angefochtene Bescheid dem Arbeitsinspektorat erst nach Ablauf der im § 51 Abs. 5 VStG 1950 (in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 358/1990) genannten Frist zugestellt worden sei. Dies deshalb, weil es insoweit allein auf die Zustellung an den Beschuldigten bzw. seinen Vertreter ankam (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1989, Zl. 89/04/0054). Es braucht daher nicht näher erörtert werden, ob dieses Vorbringen der belangten Behörde in der Aktenlage seine Deckung findet.

Der angefochtene Bescheid wurde im wesentlichen damit begründet, gemäß "§ 21" (richtig wohl: § 22) Abs. 1 erster Satz Arbeitnehmerschutzgesetz bestehe die Pflicht zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung für den Arbeitgeber dann, wenn im Betrieb regelmäßig mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigt seien (der Fall des zweiten Satzes dieser Gesetzesstelle bilde keinen Verfahrensgegenstand). Es ergebe sich somit, daß die "Regelmäßigkeit" der Beschäftigung von mehr als 250 Arbeitnehmern im Betrieb als entscheidendes Tatbestandsmerkmal anzusehen sei. Um den Eintritt der Verfolgungsverjährung auszuschließen, müsse sich die Verfolgungshandlung auf alle Tatbestandsmerkmale des angelasteten strafbaren Verhaltens beziehen; dies sei aber im Gegenstand nicht der Fall, weil keine der innerhalb dieser Verjährungsfrist ergangenen Verfolgungshandlungen auf das in diesem Fall entscheidende Tatbestandsmerkmal der Regelmäßigkeit Bezug genommen habe.

Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt, ergibt sich doch schon aus der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 28. November 1988, welche eine taugliche Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG 1950 dargestellt hat, der Vorwurf, der Mitbeteiligte habe es zu verantworten, daß in dem erwähnten Betrieb "im Zeitraum vom 30. Oktober 1987 bis 20. Oktober 1988 trotz einer Arbeitnehmerzahl von mehr als 250 (ca. 500) keine betriebsärztliche Betreuung eingerichtet" worden sei. Es kann kein Zweifel bestehen, daß mit diesem Vorwurf die von der belangten Behörde vermißte "Regelmäßigkeit" der Beschäftigung der Anzahl von mehr als 250 Arbeitnehmern mitumfaßt ist.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne daß in das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

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