VwGH 91/19/0095

VwGH91/19/00958.7.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales in Wien, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 5. Februar 1991, Zl. MA 63-V 6/90/Str., betreffend Einstellung eines Strafverfahrens nach dem Arbeitszeitgesetz (§ 45 Abs. 1 lit. b VStG) (mitbeteiligte Partei: N), zu Recht erkannt:

Normen

AZG §7 Abs1;
AZG;
GmbHG §18;
VStG §5 Abs1;
VStG §9 Abs1;
VwGG §26 Abs1 Z4;
AZG §7 Abs1;
AZG;
GmbHG §18;
VStG §5 Abs1;
VStG §9 Abs1;
VwGG §26 Abs1 Z4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

  1. 1. Mit Straferkenntnis des magistratischen Bezirksamtes für den
  2. 10. Bezirk vom 18. Dezember 1989 war die mitbeteiligte Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (mP) schuldig erkannt worden, sie habe es "als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ im Sinne des § 9 Abs. 1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1950 der als Arbeitgeber fungierenden X Warenhandels GmbH zu verantworten, daß in der Betriebsanlage in Wien 10., Y-Str.", in Ansehung des Arbeitnehmers Karl R. in bestimmter, näher umschriebener Weise gegen § 7 Abs. 1 des Arbeitszeitgesetzes, BGBl. Nr. 461/1969, verstoßen worden sei. Die mP war deshalb gemäß § 28 Abs. 1 leg. cit. mit einer Geldstrafe in der Höhe von S 6.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von sechs Tagen) bestraft worden.

    2. Aufgrund der von ihr dagegen erhobenen Berufung behob der Landeshauptmann von Wien (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 5. Februar 1991 gemäß § 66 Abs. 4 AVG das Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. b VStG ein.

Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus: Zunächst könne der Argumentation der mP, daß der Arbeitnehmer Karl R. (in seiner Eigenschaft als Filialleiter) als leitender Angestellter zu qualifizieren sei und deshalb vom Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes ausgenommen sei, nicht gefolgt werden. Weiters treffe es nicht zu, daß der Genannte zum verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung der Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes bestellt worden sei, da dem Filialleiter aufgrund der Stellenbeschreibung eine entsprechende Anordnungsbefugnis nicht zukomme. Vor dem Hintergrund des § 5 Abs. 1 VStG vertrat die belangte Behörde sodann unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Auffassung, es müsse dem Unternehmer angesichts der im heutigen Wirtschaftsleben erforderlichen Arbeitsteilung zugebilligt werden, die Besorgung einzelner Angelegenheiten anderen Personen selbstverantwortlich zu überlassen und die eigene Tätigkeit in diesen Belangen auf eine angemessene Kontrolle zu beschränken. Ob der Unternehmer dann persönlich von der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung befreit sei, hänge im Einzelfall davon ab, ob er glaubhaft machen könne, daß er Maßnahmen getroffen habe, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund erwarten ließen. Im Berufungsverfahren habe sich aufgrund übereinstimmender Aussagen von vier Zeugen ergeben, daß es sich bei der

X Warenhandels Gesellschaft mbH um ein hierarchisch gegliedertes Unternehmen (handelsrechtlicher Geschäftsführer, Verkaufsdirektoren, Gebietsverkaufsleiter, Bezirksverkaufsleiter, Filialleiter) handle, wobei zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes "jeder Stelleninhaber verpflichtet und von der hierarchisch vorgeordneten Stelle auf die Einhaltung dieser Verpflichtung hin kontrolliert (werde)". Die mP habe demnach ein Kontrollsystem installiert, das mit gutem Grund die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften erwarten lasse. Es erscheine daher i.S. des § 5 Abs. 1 VStG glaubhaft, daß sie an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden treffe. Aus diesem Grund sei das Straferkenntnis zu beheben und das Verfahren einzustellen gewesen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 9 Abs. 2 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974, BGBl. Nr. 143, gestützte Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, in eventu wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Auch die mP hat eine Gegenschrift eingebracht und beantragt, die Beschwerde wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Vorweg ist zu dem in der Gegenschrift der mP vorgebrachten diesbezüglichen Einwand festzuhalten, daß die Beschwerde nicht verspätet erhoben worden ist (zur näheren Begründung vgl. die ein entsprechendes Vorbringen einer mP verwerfenden Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1991, Zl. 91/19/0037). Da die vom Beschwerdeführer gegen den ihm vom Arbeitsinspektorat für den 2. Aufsichtsbezirk am 5. März 1991 zur Kenntnis gebrachten Bescheid der belangten Behörde vom 5. Februar 1991 gerichtete Beschwerde am 10. April 1991 unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht, somit innerhalb der Beschwerdefrist des § 26 Abs. 1 Z. 4 VwGG erhoben worden ist, steht ihrer meritorischen Behandlung nichts im Wege.

2.1. Die den bekämpften Bescheid tragende Begründung lautet dahin, daß die X Warenhandels Gesellschaft m.b.H. (nach übereinstimmenden Zeugenaussagen) eine hierarchische Gliederung (vom handelsrechtlichen Geschäftsführer bis zu den Filialleitern) aufweise, wobei jeder Stelleninhaber zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes verpflichtet sei und von der hierarchisch vorgeordneten Stelle auf die Einhaltung dieser Verpflichtung hin kontrolliert werde; die mP habe "demnach" ein Kontrollsystem installiert, das mit gutem Grund die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften erwarten lasse.

2.2. Da zum Tatbestand der der mP von der Erstinstanz angelasteten Übertretungen weder der Eintritt eines Schadens noch einer Gefahr gehört, handelt es sich bei ihnen um Ungehorsamsdelikte; dies mit der Folge, daß die im § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG verankerte Schuldvermutung zu Lasten des Täters Platz greift: Dieser hat von sich aus sein mangelndes Verschulden glaubhaft zu machen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde ist der Verwaltungsgerichtshof in Übereinstimmung mit dem Beschwerdeführer der Auffassung, daß dies der mP im Beschwerdefall nicht gelungen ist.

Die mP hat zwar - folgt man der oben 2.1. wiedergegebenen Begründung - die Einrichtung eines Kontrollsystems dargetan, dessen wesentliche Merkmale in der hierarchischen Gliederung der Verantwortungsträger und der Kontrolle jedes in diese Hierarchie Eingebundenen durch den jeweils Übergeordneten bestehen. Damit hat sie aber nur das Existieren eines Kontrollsystems in generell-abstrakter Form glaubhaft gemacht, nicht hingegen - wie von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für erforderlich erachtet (vgl. etwa das Erkenntnis vom 18. Februar 1991, Zl. 90/19/0177) - auf der Grundlage entsprechenden Tatsachenvorbringens dargelegt, wie dieses Kontrollsystem KONKRET, insbesondere in der verfahrensgegenständlichen Filiale funktionieren sollte. Hiezu wäre es erforderlich gewesen aufzuzeigen, welche Maßnahmen im einzelnen der dem betreffenden Filialleiter unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet ist, um durchzusetzen, daß jener das gemäß § 7 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz zulässige Ausmaß der Arbeitszeit nicht überschreitet, und welche Maßnahmen die mP als an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehender Anordnungsbefugter vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, d.h. sicherzustellen, daß die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitszeitrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene, nämlich die einzelnen Filialen, gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden. Dies hat die belangte Behörde nicht erkannt und als Folge dessen zu Unrecht angenommen, die mP habe i.S. des § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG den Mangel ihres Verschuldens glaubhaft gemacht.

3. Nach dem Gesagten erweist sich der angefochtene Bescheid als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

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