VwGH 91/11/0020

VwGH91/11/002024.9.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des Rudolf F in St, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 3. Jänner 1991, Zl. VerkR-15.111/20-1990-I/F, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §75 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §75 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.

Begründung

Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird auf das hg. Erkenntnis vom 29. Mai 1990, Zl. 89/11/0185, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde der im Instanzenzug ergangene Bescheid der belangten Behörde vom 24. Mai 1989, mit dem dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B entzogen und ausgesprochen worden war, daß ihm für die Dauer seiner körperlichen und geistigen Nichteignung keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Maßgebend für diese Entscheidung war, daß sich das amtsärztliche Gutachten, auf welches sich der angefochtene Bescheid gründete, auf den Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungstelle stützte, der im Zeitpunkt der Bescheiderlassung älter als ein Jahr war, daß auf die vom Beschwerdeführer gegen die Richtigkeit des genannten Befundes erhobenen Einwendungen nicht eingegangen wurde und daß auch die weiteren Ausführungen im amtsärztlichen Gutachten und im angefochtenen Bescheid nicht erkennen ließen, inwieweit beim Beschwerdeführer eine Krankheit im Sinne des § 34 Abs. 1 lit. c, ein Gebrechen im Sinne des § 35 Abs. 1 lit. b KDV 1967 oder ein Gebrechen infolge der Beeinträchtigung des Gesichtsfeldes durch die Starbrille vorliege.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde (im Spruchteil I) der Berufung des Beschwerdeführers neuerlich keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Entziehungsbescheid. Weiters wies sie (im Spruchteil II) einen im Berufungsverfahren gestellten Antrag auf Ausfolgung des Führerscheines ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Aus der Formulierung des Beschwerdepunktes - der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten insoweit verletzt, als ihm ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 73 KFG 1967 die Lenkerberechtigung entzogen worden sei - und aus dem weiteren Inhalt der Beschwerde, in der sich keinerlei Ausführungen zur beantragten Ausfolgung des Führerscheines finden, geht hervor, daß sich die vorliegende Beschwerde nur gegen Spruchteil I des angefochtenen Bescheides richtet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der Zustellung des eingangs zitierten Erkenntnisses vom 29. Mai 1990 ersuchte die belangte Behörde die amtsärztliche Sachverständige, den Beschwerdeführer einer neuerlichen amtsärztlichen Untersuchung zuzuführen. Im Laufe dieser Untersuchung möge auf die Notwendigkeit der Einholung eines neuen verkehrspsychologischen Gutachtens eingegangen und geprüft werden, "ob dies von amtsärztlichen Standpunkt erforderlich bzw. notwendig ist". Darüber hinaus möge auf die weiteren Punkte, die der Verwaltungsgerichtshof "kritisiert" habe, eingegangen werden.

In ihrer "Stellungnahme" vom 15. Oktober 1990 teilte die ärztliche Sachverständige mit, daß der Beschwerdeführer am 16. August 1990 untersucht worden sei. Dabei seien "hochgradige Einschränkungen im Bereich der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen" festgestellt worden, die eine verkehrspsychologische Untersuchung erforderlich machen. Trotz mehrmaliger Aufforderung sei kein verkehrspsychologischer Befund vorgelegt worden. Der Beschwerdeführer habe in seinem Schreiben vom 11. September 1990 den Standpunkt vertreten, daß eine derartige Untersuchung nicht erforderlich sei, und habe statt dessen einen Befund eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 27. August 1990 vorgelegt. Dieser Befund sei unzureichend und beinhalte insbesondere keine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen, "die aber die gegenständliche Problematik darstellen". Da kein Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle beigebracht worden sei, könne kein schlüssiges Gutachten erstellt werden.

Nach Gewährung des Parteiengehörs zu dieser Stellungnahme der ärztlichen Sachverständigen richtete der Beschwerdeführer am 12. November 1990 ein Schreiben an die belangte Behörde, dem mehrere Beilagen angeschlossen waren. Er vertrat in diesem Schreiben im wesentlichen die Auffassung, daß im Hinblick auf die von ihm bereits vorgelegten Befunde und seine langjährige Lenkertätigkeit von seiner Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden müsse.

Mit Schreiben vom 4. Dezember 1990 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, daß beabsichtigt sei, "auf Grund der gegebenen Sach- und Rechtslage" die Berufungsentscheidung zu treffen. Gleichzeitig werde mitgeteilt, daß mit der Berufungsentscheidung bis 30. Dezember 1990 zugewartet werde. Bis zu diesem Zeitpunkt stehe es dem Beschwerdeführer offen, bei der Amtsärztin den Untersuchungsbefund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle beizubringen.

Der Beschwerdeführer richtete hierauf die Schreiben vom 14. und 24. Dezember 1990 an die belangte Behörde, in denen er im wesentlichen darlegte, warum seiner Auffassung nach der im Jahre 1988 beigebrachte verkehrspsychologische Befund und das damals erstattete Gutachten des ärztlichen Sachverständigen unrichtig seien.

2. In der Begründung des angefochtenen Bescheides vertrat die belangte Behörde nach Wiedergabe der Ermittlungsergebnisse die Auffassung, da der für das amtsärztliche Gutachten erforderliche Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle nicht vorgelegt worden sei, lägen keine zusätzlichen Befunde und Gutachten vor, die geeignet wären, die im Erkenntnis vom 29. Mai 1990 gerügten Mängel zu heilen. Die Berufungsbehörde habe daher gemäß der ihr zukommenden Kontrollfunktion festzustellen gehabt, daß der Bescheid der erstinstanzlichen Behörde vom 31. August 1988 auf Grund der zum damaligen Zeitpunkt erhobenen Befunde und Gutachten zu Recht ergangen sei.

3. Gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 ist vor der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen mangelnder geistiger oder körperlicher Eignung ein neuerliches ärztliches Gutachten gemäß § 67 Abs. 2 einzuholen. Leistet der Besitzer einer Lenkerberechtigung einem rechtskräftigen Bescheid mit der Aufforderung, sich ärztlich untersuchen zu lassen oder zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderliche Befunde zu erbringen, keine Folge, so ist ihm die Lenkerberechtigung zu entziehen.

Daraus folgt, daß die Entziehung der Lenkerberechtigung gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 wegen mangelnder geistiger oder körperlicher Eignung nur dann erfolgen darf, wenn die Behörde ihre Annahme der mangelnden geistigen oder körperlichen Eignung auf ein schlüssig begründetes ärztliches Sachverständigengutachten stützen kann. Die belangte Behörde geht sowohl in der Begründung des angefochtenen Bescheid als auch in der Gegenschrift selbst davon aus, daß ihr ein derartiges ärztliches Sachverständigengutachten nicht vorliege, weil der für die Erstellung eines derartigen Gutachtens erforderliche Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle nicht beigebracht worden sei. Dadurch, daß die belangte Behörde trotz dieser Situation durch die Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung entzogen und ausgesprochen hat, daß ihm für die Dauer seiner körperlichen und geistigen Nichteignung keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

§ 75 Abs. 2 zweiter Satz KFG 1967 bietet der Kraftfahrbehörde die Möglichkeit, den Besitzer einer Lenkerberechtigung, hinsichtlich dessen geistiger oder körperlicher Eignung Bedenken bestehen, mit Bescheid aufzufordern, sich ärztlich untersuchen zu lassen oder zur Erstellung des Gutachtens erforderliche Befunde beizubringen. Leistet der Besitzer einer Lenkerberechtigung einem derartigen rechtskräftigen Bescheid keine Folge, so ist ihm die Lenkerberechtigung zu entziehen, ohne daß die Behörde sich mit seiner geistigen oder körperlichen Eignung näher auseinanderzusetzen hat. Diese Bestimmung bietet der Behörde eine ausreichende Handhabe dagegen, daß der Besitzer einer Lenkerberechtigung im Entziehungsverfahren durch Verweigerung seiner Mitwirkung am Ermittlungsverfahren die Entziehung der Lenkerberechtigung verhindert (siehe das hg. Erkenntnis vom 17. Jänner 1989, Zl. 88/11/0180). Von dieser Möglichkeit hat die belangte Behörde aus nicht näher genannten Gründen keinen Gebrauch gemacht und ungeachtet des Fehlens eines entsprechenden Gutachtens die Lenkerberechtigung wegen mangelnder geistiger und körperlicher Eignung entzogen.

Soweit die belangte Behörde von ihrer Kontrollfunktion als Berufungsbehörde spricht und sich damit allenfalls auf die Ausführungen im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11237/A, stützen wollte, ist ihr zu erwidern, daß der angefochtene Bescheid keine Sachverhaltsfeststellungen enthält, die den rechtlichen Schluß zuließen, dem Beschwerdeführer habe im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides die geistige und körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen gefehlt. Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß der erstinstanzliche Bescheid rechtmäßig war. Im übrigen handelt es sich, was den Zeitraum ab Erlassung des angefochtenen Bescheides betrifft, um die Ausübung der reformatorischen Funktion im Sinne des zitierten Erkenntnisses.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz war abzuweisen, weil als Beilagengebühr für den angefochtenen Bescheid nur S 60,-- (und nicht wie verzeichnet S 150,--) beizubringen waren.

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