Normen
AVG §1;
AVG §59 Abs1;
AVG §63 Abs1;
EGVG 2008 Art9 Abs1 Z1;
PolStG OÖ 1979 §1;
VStG §44a lita;
VStG §44a litb;
VStG §44a Z1;
VStG §44a Z2 impl;
AVG §1;
AVG §59 Abs1;
AVG §63 Abs1;
EGVG 2008 Art9 Abs1 Z1;
PolStG OÖ 1979 §1;
VStG §44a lita;
VStG §44a litb;
VStG §44a Z1;
VStG §44a Z2 impl;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Strafbescheid vom 29. Mai 1991 legte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin zur Last, sie habe am 9. Juli 1990 von 21.10 Uhr bis 21.45 Uhr und dann wieder um 22.00 Uhr im Bereich zwischen den Häusern N n und nnn, Gemeinde O, dadurch, daß sie EK und IK lautstark beschimpft habe, und somit durch ein Verhalten, das geeignet sei, Ärgernis zu erregen, die Ordnung an einem öffentlichen Ort insofern gestört, als die bezeichneten Personen am Verhalten der Beschwerdeführerin Ärgernis genommen hätten. Die Beschwerdeführerin habe damit Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG 1950 übertreten. Über sie wurde eine Geldstrafe von S 800,-- sowie eine Ersatzarreststrafe von 48 Stunden verhängt.
Nach der Begründung dieses Bescheides habe der einschreitende Gendarmeriebeamte wahrnehmen können, daß die Beschwerdeführerin vor ihrem Wohnhaus gestanden sei und in Richtung des ungefähr 15 m entfernten Wohnhauses des genannten Ehepaares ununterbrochen Worte wie "Betrüger, Zuchthäusler, Totschläger, Lügnerin" usw. geschrieen habe. Herr L, der mit der Beschwerdeführerin in der gleichen Wohnung wohne, habe von einer Auseinandersetzung zwischen der Beschwerdeführerin und dem Ehepaar nichts gehört; er habe angeführt, er hätte etwas hören müssen, falls es zu einer lautstarken Auseinandersetzung gekommen wäre. Der Zeuge sei daher nicht als unmittelbarer Zeuge anzusehen.
Das Verhalten, jemanden über eine Entfernung von etwa 15 m lautstark zu beschimpfen, sei zweifellos geeignet, Ärgernis zu erregen. Da die Beschwerdeführerin dieses Verhalten vor dem Zugang zu dem von ihr bewohnten Haus und somit an einem öffentlichen Ort gesetzt habe, habe sie den dort üblicherweise herrschenden Ordnungszustand gestört, abgesehen davon, daß die Beschwerdeführerin auch tatsächlich dadurch Ärgernis, wie im Spruch angeführt, erregt habe.
1.2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. In der Beschwerde wird unter anderem eingewendet, die Ärgerniserregung müsse bei dritten, nicht unmittelbar involvierten Personen erfolgen. Davon könne nach den getroffenen Feststellungen der belangten Behörde keine Rede sein. Die festgestellte Wahrnehmung des Verhaltens der Beschwerdeführerin durch einen Gendarmeriebeamten als Organ der öffentlichen Sicherheit reiche nicht aus.
1.3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Unzutreffend ist die in der Beschwerde "vorsichtsweise" aufgestellte Behauptung, der Verwaltungsstraftatbestand des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG könnte durch das Oberösterreichische Polizeistrafgesetz in Landesrecht übergegangen sein. Es ist weder eine formelle noch eine materielle Derogation erfolgt. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich ist daher als zuständige Berufungsbehörde eingeschritten.
2.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Tatbild der "Ordnungsstörung" durch zwei Elemente gekennzeichnet: Zum ersten muß der Täter ein Verhalten gesetzt haben, das objektiv geeignet ist, Ärgernis zu erregen. Zum zweiten muß durch dieses Verhalten die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört worden sein. Die Beurteilung, ob einem Verhalten die objektive Eignung zur Ärgerniserregung zukommt, ist nicht nach dem Empfinden der durch das Verhalten besonders betroffenen Personen vorzunehmen, sondern unter der Vorstellung, wie unbefangene Menschen auf ein solches Verhalten reagieren würden; von einem Ärgernis wird man dann sprechen können, wenn eine Handlung bei anderen die lebhafte Empfindung des Unerlaubten und Schändlichen (dem Täter zur Schande Gereichenden) hervorzurufen geeignet ist. Dafür, daß durch das Verhalten die Ordnung an einem öffentlichen Ort tatsächlich gestört wird, ist es erforderlich, daß dieses unmittelbar oder mittelbar die Schaffung eines Zustandes zur Folge hat, der geordneten Verhältnissen an einem öffentlichen Ort widerspricht, also eines Zustandes, der die gewöhnlichen Verhältnisse in wahrnehmbarer Weise negativ verändert (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. Februar 1989, Zl. 88/10/0059). Dafür, daß durch das Verhalten die Ordnung an einem öffentlichen Ort tatsächlich gestört worden ist, ist es nicht erforderlich, daß das Verhalten zu Aufsehen oder einem Zusammenlauf von Menschen führt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Juni 1988, Zlen. 87/10/0179 bis 0183, und vom 21. März 1989, Zl. 88/10/0170). Es genügt vielmehr, daß etwa mehrere Personen an dem Verhalten Ärgernis genommen haben (vgl. zB. die hg. Erkenntnisse vom 25. Mai 1987, Zl. 85/10/0167, vom 13. Februar 1984, Zl. 82/10/0104 = ZfVB 1984/5/2051, und vom 26. September 1990, Zl. 89/10/0239 = ZfVB 1991/4/1588).
2.3.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem bereits zitierten Erkenntnis vom 20. Juni 1988, Zlen. 87/10/0179 bis 0183, ausgeführt hat, ist das Tatbestandselement der tatsächlichen Störung der öffentlichen Ordnung nur verwirklicht, wenn das Verhalten des Beschuldigten und seine Äußerungen von anderen Personen als den unmittelbar Betroffenen und dem intervenierenden Gendarmeriebeamten wahrgenommen werden konnten. Dieses Element der Straftat ist sodann im Spruch des Straferkenntnisses ebenso anzuführen, wie die Tatsache, daß diese Personen daran Ärgernis genommen haben. Der Verwaltungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, im Beschwerdefall von seiner Rechtsprechung abzugehen.
2.3.2. Nach den Feststellungen der belangten Behörde wurde das der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Verhalten nur vom unmittelbar betroffenen Ehepaar, das Adressat der Beschimpfungen war, und in der Folge vom einschreitenden Gendarmeriebeamten wahrgenommen. Im Spruch des angefochtenen Bescheides heißt es dementsprechend, die Beschwerdeführerin habe die Ordnung insofern gestört, als das Ehepaar am Verhalten der Beschwerdeführerin Ärgernis genommen habe.
Dies reicht nach dem vorher Gesagten zur Verwirklichung des Tatbildes nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG nicht aus.
2.4. Schon aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet hat.
Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG sowie Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Ersatz der Umsatzsteuer war nicht zuzusprechen, weil dieser bereits im Pauschale des Schriftsatzaufwandes berücksichtigt ist.
2.6. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
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