VwGH 91/05/0119

VwGH91/05/011926.11.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Degischer, Dr. Giendl und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde der XY Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der NÖ LReg vom 23.4.1991, Zl. R/1-V-88199/1, betreffend einen baupolizeilichen Beseitigungsauftrag (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde G), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §18 Abs4;
AVG §56;
BauO NÖ 1976 §113 Abs2;
BauO NÖ 1976 §92 Abs1;
BauRallg;
AVG §18 Abs4;
AVG §56;
BauO NÖ 1976 §113 Abs2;
BauO NÖ 1976 §92 Abs1;
BauRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 18. Juli 1988 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde der Beschwerdeführerin den Auftrag, die auf dem Grundstück Nr. nn, KG X, errichtete Werbeanlage bis längstens 31. Juli 1988 zu beseitigen. Einer Berufung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß die Holzwand im Freiland innerhalb der vorgeschriebenen Mindestabstände zur Landesstraße bzw. zur Bundesstraße ohne baubehördliche Bewilligung aufgestellt worden sei. Die Werbeanlage beeinträchtige das Orts- und Landschaftsbild. Diese Holzwand sei zur Einfriedung der Parzelle nicht zulässig, da eine solche Wand nach den Bebauungsvorschriften der Stadtgemeinde die Bauhöhe von 1,50 m nicht überschreiten dürfe.

Der dagegen erhobenen Berufung gab der Gemeinderat mit Bescheid vom 24. Oktober 1988 keine Folge und wies gleichzeitig den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ab. Der dagegen von der Beschwerdeführerin eingebrachten Vorstellung gab die NÖ. Landesregierung mit Bescheid vom 10. Februar 1989 Folge, behob die Berufungserledigung und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, daß ein baupolizeilicher Auftrag nicht auf Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung gestützt werden dürfe, zu deren Vollziehung die Bezirksverwaltungsbehörde als erste Instanz berufen sei. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Bauvorhaben das Orts- und Landschaftsbild störe, sei die Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen erforderlich, was nicht geschehen sei. Schließlich seien Einfriedungen und Werbeanlagen nicht gleichzusetzen und im vorliegenden Fall stehe die Funktion der Werbeanlage im Vordergrund. Im fortgesetzten Verfahren werde der Gemeinderat ein Gutachten zur Frage der Störung des Orts- und Landschaftsbildes einzuholen haben.

In der Folge holte der Gemeinderat ein solches Gutachten ein, gewährte Parteiengehör und wies mit Bescheid vom 3. Juli 1989 die Berufung und den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung neuerlich ab. Zur Begründung wurde im wesentlichen auf das eingeholte Gutachten verwiesen, wonach die Werbeanlage das Ortsbild störe. (Die gleichzeitig ausgesprochene Abweisung des Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde nicht begründet, ebenso finden sich keine Ausführungen zur Frage der festgesetzten Erfüllungsfrist.)

Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Vorstellung wies die NÖ. Landesregierung mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid als unbegründet ab. Die Gemeindeaufsichtsbehörde erachtete das eingeholte Gutachten als ausreichend und schlüssig und nahm, wie die Berufungsbehörde, auf Grund dieses Gutachtens eine Beeinträchtigung des Ortsbildes durch die Reklametafel an. Es dürfe daher eine Baubewilligung nicht erteilt werden und es sei der Abbruch anzuordnen.

In ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt die Beschwerdeführerin, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Sie erachtet sich in ihrem Recht auf Einhaltung der Verfahrensgesetze und ein gesetzmäßiges Verfahren verletzt. Weiters sei sie in ihrem Recht auf Belassung der von ihr errichteten Werbeanlage sowie in ihrem Recht auf Durchführung eines Verfahrens auf Grund ihres Antrages zur nachträglichen Erteilung der Baubewilligung verletzt worden.

Über diese Beschwerde sowie über die von der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei erstatteten Gegenschriften hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erblickt die Beschwerdeführerin insbesondere darin, daß die Verwaltungsbehörden das eingeholte Gutachten als ausreichend und schlüssig erachteten, um auf Grund dieses Gutachtens eine Beeinträchtigung des Ortsbildes durch die Werbetafel festzustellen. Insbesondere werden die Ausführungen des Sachverständigen einer inhaltlichen Kritik unterzogen.

Nach § 89 Abs. 2 der NÖ. Bauordnung 1976 (BO) dürfen Werbeanlagen das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigen und müssen so beschaffen sein, daß sie mit amtlichen Hinweisen nicht verwechselt werden können und von derartigen Hinweisen nicht ablenken.

Nach § 61 Abs. 2 BO ist unter Ortsbild die bestehende Eigenart bzw. die im Bebauungsplan vorgesehene Gestaltung der baulichen Ansicht eines Ortes, Ortsteiles oder anderen bebauten Gebieten unter Einschluß der bildhaften Wirkung, die von nicht bebauten Gebieten ausgeht, zu verstehen. Bei der Beurteilung, ob ein Vorhaben das Ortsbild stört, sind nach § 61 Abs. 3 BO die charakteristischen Merkmale des vorhandenen Baubestandes, und zwar der unmittelbaren Umgebung, der angrenzenden Straße (Straßenbild), des umliegenden Ortsteiles und des gesamten Ortes oder bebauten Gebietes zu berücksichtigen. Dabei ist zu prüfen, ob das Vorhaben auf Grund seiner Lage, Größe, Proportionen und Bauform, der verwendeten Baustoffe, Bauteile und bauchemischen Mittel bzw. des zu erwartenden Erscheinungsbildes als erhebliche Störung oder Verunstaltung des vorhandenen Baubestandes wirkt.

Schon aus diesen gesetzlichen Bestimmungen ergibt sich, daß entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin der Sachverständige bei der Abgabe seines Gutachtens auch die im Bebauungsplan vorgesehene Gestaltung der baulichen Ansicht zu berücksichtigen hatte. Dementsprechend stellte der Sachverständige auch fest, daß im hier maßgeblichen Bebauungsplan der mitbeteiligten Gemeinde unter anderem die offene Bebauungsweise, ein Vorgartenbereich sowie eine Bestimmung vorgesehen ist, daß Einfriedungen die Gesamthöhe von 1,5 m nicht überschreiten dürfen und mit offener Durchsicht zu gestalten sind. Gerade die beim Akt erliegenden Pläne zeigen, daß eine 3 m hohe Wand in einer Gesamtlänge von über 60 m errichtet werden soll, also eine Anlage, von der der Amtssachverständige zutreffend feststellte, daß sie den Intentionen und Vorschreibungen des Bebauungsplanes diametral entgegenläuft. Durchaus zutreffend hat der Amtssachverständige auch ausgeführt, daß ein Erscheinungsbild geschaffen werde, welches für eine geschlossene Bebauungsweise charakteristisch sei und dies nicht nur dem Bebauungsplan widerspreche, sondern dadurch auch das gegebene Ortsbild beeinträchtigt werde. Die Beschwerdeführerin verkannte die Aufgabenstellung des Sachverständigen, wenn sie rügt, daß er auch auf das im Bebauungsplan "geplante Erscheinungsbild des Ortes" Bezug genommen hat. Hiezu war der Amtssachverständige auf Grund der Vorschrift des § 61 Abs. 2 BO verpflichtet, sodaß die geltend gemachte inhaltliche Rechtswidrigkeit nicht vorliegt. Soweit in diesem Zusammenhang gerügt wird, daß die Behörden das Gutachten des Sachverständigen kritiklos übernommen hätten, obwohl es sich doch bei der Frage, ob eine Beeinträchtigung des Ortsbildes vorliege, um eine Rechtsfrage handelt, dürfte die Beschwerdeführerin verkennen, daß insbesondere die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides das eingeholte Gutachten auf Grund des Vorbringens der Beschwerdeführerin einer Prüfung unterzog und dieses als ausreichend erachtete, um auf seiner Grundlage eine Beeinträchtigung des Ortsbildes zu bejahen. Auch mit diesem Vorbringen konnte sohin die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufzeigen.

Unter dem Blickwinkel einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptet die Beschwerdeführerin, ein Recht darauf zu besitzen, dem Lokalaugenschein durch einen Sachverständigen beigezogen zu werden und an den Sachverständigen Fragen zu stellen. Ein solches Recht räumen die Verwaltungsverfahrensgesetze den Parteien nicht ein, wie sich insbesondere aus § 55 Abs. 1 letzter Satz AVG ergibt, wonach Amtssachverständige außer dem Fall einer mündlichen Verhandlung mit der selbständigen Vornahme eines Augenscheines betraut werden können. Dem Verwaltungsverfahren ist eben der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ganz allgemein fremd, wie etwa der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 14. Februar 1948, Slg. N. F. Nr. 321/A, zum Ausdruck gebracht hat. Auch ein Recht der unmittelbaren Fragestellung an den Sachverständigen ist nach dem AVG hier nicht gegeben, sodaß die geltend gemachte Verletzung von Verfahrensvorschriften nicht gegeben ist.

Weiters rügt die Beschwerdeführerin, daß sie durch die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch die Baubehörde zweiter Instanz in ihrem Recht auf Einhaltung des Instanzenzuges eingeschränkt worden sei. Der Gemeinderat wäre ihrer Meinung nach verpflichtet gewesen, den erstinstanzlichen Bescheid zwecks Einholung eines Sachverständigengutachtens aufzuheben. Auch in dieser Beziehung verkennt die Beschwerdeführerin die Rechtslage, weil die Berufungsbehörde schon auf Grund der Vorschrift des § 66 Abs. 4 AVG ganz allgemein berechtigt ist, in der Sache selbst zu entscheiden und notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens schon nach § 66 Abs. 1 AVG selbst vorzunehmen hat. Der Sinn dieser Regelungen des AVG war gerade darin gelegen, kassatorische Erledigungen zu vermeiden - ausgenommen den Fall des § 66 Abs. 2 AVG.

Nach der Aktenlage rügt die Beschwerdeführerin zutreffend, daß bisher über ihren Antrag auf Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung nicht entschieden worden ist, doch bedeutet dies keine Verpflichtung für die Behörde, das Verfahren betreffend die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages zu unterbrechen, um zunächst über den Antrag auf Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung zu entscheiden. Die Baubehörden werden freilich trotz eines Abschlusses des baupolizeilichen Auftragsverfahrens verpflichtet sein, auch über den Antrag auf Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung abzusprechen.

Soweit die Beschwerdeführerin weiters rügt, daß der Bescheid des Gemeinderates von dem in erster Instanz eingeschrittenen Bürgermeister unterfertigt worden sei, übersieht sie, daß dieser (Intimations-)Bescheid ja nur den Sitzungsbeschluß des Gemeinderates ausfertigt, was nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unbedenklich ist (vgl. etwa die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Aufl., S. 400, wiedergegebene Rechtsprechung).

Dennoch verweist die Beschwerdeführerin zutreffend darauf, daß bei richtiger Beobachtung der Verfahrensgesetze die belangte Behörde Verfahrensverstöße hätte erkennen müssen. So wurde schon in der Sachverhaltsdarstellung darauf hingewiesen, daß die im erstinstanzlichen Bescheid erfolgte Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung nicht begründet worden ist und sich auch weder im erstinstanzlichen Bescheid noch im Berufungsbescheid Ausführungen zur Frage der festgesetzten Erfüllungsfrist finden. Nach § 64 Abs. 1 AVG kommt rechtzeitig eingebrachten Berufungen aufschiebende Wirkung zu. Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle kann die Behörde die aufschiebende Wirkung ausschließen, wenn die vorzeitige Vollstreckung im Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides wurde nun zwar einer Berufung die aufschiebende Wirkung entsprechend dem verwendeten Vordruck wegen Gefahr im Verzug aberkannt, allein Argumente für diesen Ausspruch finden sich in der Begründung nicht, wird doch die Aussage des hier verwendeten Formulars, die gewährte Frist erscheine dem Umfang der Abbruchsmaßnahme und der Dringlichkeit der Beseitigung des Mißstandes angemessen, der Sachlage nicht gerecht. In diesem Zusammenhang sei insbesondere auch auf das eingeholte Gutachten des Sachverständigen verwiesen, der im Hinblick auf die untergeordnete Dimension der Werbeanlage eine Prüfung der Frage, ob das Landschaftsbild beeinträchtigt wird, als gar nicht erforderlich hielt. Auf Grund der Aktenlage vermag der Verwaltungsgerichtshof jedenfalls nicht zu erkennen, welche Gründe dafür sprechen könnten, die sofortige Vollstreckung eines Bauauftrages der vorliegenden Art wegen Gefahr im Verzug annehmen zu müssen.

Nach § 59 Abs. 2 AVG ist dann, wenn im Spruch die Verbindlichkeit zu einer Leistung oder zur Herstellung eines bestimmten Zustandes ausgesprochen wird, zugleich auch eine angemessene Frist zur Ausführung der Leistung oder Herstellung zu bestimmen. Auch in dieser Beziehung scheint im vorliegenden Fall die nicht auf die Rechtskraft des Bescheides abgestellte Erfüllungsfrist zumindest nicht ausreichend begründet. Nach § 60 AVG sind aber in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen, was im Beschwerdefall betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung sowie der festgesetzten Erfüllungsfrist im erstinstanzlichen Bescheid durch die bloße Verwendung eines Vordruckes nur unzureichend erfolgte und im Berufungsbescheid überhaupt unterblieb. Mit diesen Verfahrensmängeln auf Gemeindeebene hätte sich aber die belangte Behörde schon deshalb auseinandersetzen müssen, weil sich die Beschwerdeführerin in ihrer Vorstellung ausdrücklich in ihren aus den Verfahrensrechten erfließenden Rechten als verletzt erachtete und insbesondere darüber Beschwerde führte, daß ihrem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsmittels nicht stattgegeben worden sei. Dadurch, daß die belangte Behörde diese auf Gemeindeebene unterlaufenen Verfahrensmängel nicht aufgriff, hat sie ihren Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet.

Auf Grund der dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Bei dieser Situation erübrigt sich eine gesonderte Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin, ihrer Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft zuviel entrichtete Stempelgebühren.

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