VwGH 91/01/0119

VwGH91/01/011916.10.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des Mohammad A in N, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. März 1991, Zl. 4.244.825/2-III/13/89, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1968 §1;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer - ein pakistanischer Staatsangehöriger - kam am 17. August 1988 zu Fuß illegal über die österreichisch-jugoslawische Grenze nach Österreich. Am 19. August 1988 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Befragung durch die Behörde erster Instanz am 6. September 1988 gab der Beschwerdeführer an, seit 1984 in Pakistan der NDP-Nationaldemokratischen Partei als Mitglied angehört zu haben. Seine Tätigkeit habe in der Organisation von Veranstaltungen und durch seinen Beruf als Lektor in einer Druckerei bedingt in der Verbreitung und Herstellung von Parteizeitschriften bestanden. Diese Partei stehe in Oposition zur Muslim League, der Regierungspartei. Er habe dadurch immer große Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt, die sich in Störungen von Veranstaltungen und Festnahmen wegen der Verbreitung von mitunter auch gegen die Regierung gerichteten Zeitschriften manifestiert hätten. Sowohl bei den Veranstaltungen als auch wegen der Zeitschriften sei der Beschwerdeführer meist als Mitverantwortlicher zu Verhören mitgenommen worden. Es sei vorgekommen, daß er dabei geschlagen worden und für mehrere Tage in Polizeigewahrsam gewesen sei. Da er dies nicht länger habe erdulden wollen, habe er sich nach Besprechung mit seiner Familie entschlossen, Pakistan zu verlassen. Da er nie ein Reisedokument bekommen hätte, sei er gezwungen gewesen, seine Heimat auf illegalem Wege zu verlassen.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 23. Dezember 1988 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

In der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung wurde ausgeführt, als Mitglied der NDP, die in Opposition zur derzeit herrschenden Partei, der Pakistan People Party (PPP) stehe, habe er im Rahmen seiner Arbeit als Verlagslektor für seine Partei Werbung betrieben und sich damit öffentlich und eindeutig gegen die herrschende Partei gewandt. Er sei widerrechtlich eingesperrt, bei den Verhören geschlagen und ohne rechtskräftige Verurteilung zu einer Geldzahlung gezwungen worden, ohne die er nicht aus dem Gefängnis entlassen worden wäre. Einen Monat später habe sich dies wiederholt. Wenn er nach Hause zurückkehre, erwarte ihn Verhör unter Folter und Gefängnis ohne rechtskräftiges Urteil, da er nicht bereit sei, seine politische Einstellung bzw. seine Zugehörigkeit zur NDP aufzugeben.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 19. März 1991 wurde die Berufung abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides wurden zunächst allgemeine Betrachtungen über das Beweisverfahren und die Beweiswürdigung angestellt und Zitate aus Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes angeführt, ohne diese in eine nähere Beziehung zum Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren zu bringen. Erst auf Seite 5 der Begründung des angefochtenen Bescheides wird konkret zum vorliegenden Fall im wesentlichen ausgeführt, eine mittelbare oder unmittelbare staatliche Verfolgung wegen Feindschaft zwischen der NDP und der PPP nach dem Sturz von Benazir Bhutto am 6. August 1990 sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Das aktive Eintreten für eine Organisation sei nur dann glaubhaft, wenn der Asylsuchende hinreichende Kenntnisse über deren Zielsetzung, örtliche Struktur und Arbeitsweise nachweise und seinen Beitritt, seine Motive und Tätigkeiten für diese Organisation im einzelnen in zeitlich und örtlich nachvollziehbarem Zusammenhang darlege und diese Angaben durch seine persönliche Glaubwürdigkeit untermauere. Dies treffe jedoch im vorliegenden Fall nicht zu:

Die nicht weiter konkretisierte Behauptung, sich als Journalist betätigt zu haben, genüge diesen Erfordernissen nicht. Als Fluchtgrund sei nur die Teilnahme an Veranstaltungen der NDP und die Herstellung und Verbreitung von Parteizeitschriften angeführt worden. Der Beschwerdeführer habe nicht behauptet, während dieser Zeit anders geartete politische Aktivitäten ausgeübt zu haben. Die Annahme, ein politischer Aktivist bleibe zunächst jahrelang unbehelligt, um dann gleichsam aus heiterem Himmel von schwerwiegenden Sanktionen bedroht zu sein, widerspreche der Lebenserfahrung. Der Beschwerdeführer habe weiters behauptet, wegen seiner Tätigkeit als Journalist als Mitverantwortlicher bei Demonstrationen bzw. Veranstaltungen und Verbreitung von Parteizeitschriften mehrmals verhaftet und verhört worden zu sein. Die Teilnahme an einer Versammlung sei im Gegensatz zu einer Verschwörung oder einem Putschversuch ein verhältnismäßig friedliches Mittel der politischen Konfliktaustragung. Unverhältnismäßig schwere Aktionen, wie die vom Beschwerdeführer behaupteten seien daher grundsätzlich weniger wahrscheinlich. Die Behörde verkenne nicht, daß die oppositionellen Aktivitäten unter bestimmten politischen Verhältnissen ein hohes Risiko darstellen könnten. Treffe die vom Beschwerdeführer geäußerte Befürchtung zu, so hätte ihm jedoch als langjährigem Aktivisten der NDP die Tragweite seines Verhaltens bewußt sein müssen. Es widerspreche der Lebenserfahrung, daß ein politisch denkender Mensch für eine vorweg als zumindest nicht sehr aussichtsreich, wenn nicht als aussichtslos einzuschätzende politische Manifestation sein Leben aufs Spiel setze. Es möge solche Einzelfälle geben. Dies ließe auf einen besonders hohen Grad von Politisierung und auf eine Gesinnung schließen, die für ein höheres Ziel auch schwerwiegende Nachteile in Kauf zu nehmen bereit sei. Der Annahme, der Beschwerdeführer sei ein solcher, besonders engagierter Oppositioneller stehe entgegen, daß bereits eine Teilnahme an einer Versammlung ausreiche, um ihn zum Verlassen seines Heimatlandes zu bewegen. Auch dies spreche gegen die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens, zumal er sich dadurch der Möglichkeit, auf die politische Situation in Pakistan Einfluß zu nehmen, völlig beraubt habe. Auch könne angesichts seiner sozialen Schichtzugehörigkeit nicht davon ausgegangen werden, daß er zur politischen Elite der NDP gehöre. Es sei einzuräumen, daß sich je nach der Schärfe der Konfliktsituation politische Verfolgung auch auf breitere Bevölkerungskreise auswirken könne. Die Möglichkeit der Differenzierung der Verfolgungsopfer nach sozialer Stellung schwinde in dem Maße, wie auch die Verfolgung undifferenziert werde. Dennoch sei eine Verfolgung einfacher Parteimitglieder angesichts ihrer großen Zahl nur schwer möglich; dies würde überdies ein im besonderen Maße unduldsames Regime und einen gut organisierten Repressionsapparat voraussetzen. Als die Glaubwürdigkeit beeinträchtigend sei ferner zu berücksichtigen gewesen, daß das Vorbringen des Beschwerdeführers in erster Instanz im Widerspruch zum Berufungsvorbringen stehe, denn in erster Instanz habe der Beschwerdeführer Verfolgung seitens der Muslim League, in der Berufung seitens der PPP behauptet. Es widerspreche der Lebenserfahrung, daß der Beschwerdeführer von diesen miteinander tödlich verfeindeten politischen Parteien in ein und demselben Zeitraum gleichermaßer verfolgt worden sei. Es habe daher im Beweisverfahren ein asylbegründeter Sachverhalt nicht festgestellt werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Anerkennung als Flüchtling verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. I Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof zu wiederholten Malen ausgesprochen hat, ist zentrales Entscheidungskriterium im Asylverfahren das Vorbringen des Beschwerdeführers, insbesondere vor der Behörde erster Instanz. Dieses Vorbringen hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid wiedergegeben und ist darauf auch im einzelnen eingegangen. Der Vorwurf in der Beschwerde, die belangte Behörde habe keinen Sachverhalt festgestellt und sei auf das Vorbringen nicht eingegangen, ist daher nicht berechtigt.

Die Rüge, der Hochkommissär der Vereinten Nationen sei nicht vor der Entscheidung der belangten Behörde angehört worden, ist unzutreffend, da aus einem auch vom Hochkommissär unterfertigten im Akt erliegenden Aktenvermerk zu erkennen ist, daß jener vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides von der beabsichtigten Entscheidung der belangten Behörde verständigt worden ist. Ebensowenig stellen die im angefochtenen Bescheid eingangs wiedergegebenen, vom Beschwerdeführer als "allgemeine Begründungsfloskeln" bezeichneten Ausführungen einen die Aufhebung des angefochtenen Bescheides rechtfertigenden Grund dar, weil sie in dieser Form als entbehrlich zu bezeichnen sind.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner ersten Befragung angegeben, für einen Betrag von 400 US $ von einem türkischen Staatsangehörigen von Istanbul nach Wien geführt worden zu sein. Der belangten Behörde ist darin beizupflichten, daß der Beschwerdeführer durch eine Schlepperorganisation nach Österreich gelangt ist. Wenn auch die von der belangten Behörde für solche Vorgänge schlechthin verbundene Argumentation der Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens des Asylwerbers unrichtig ist, kann diese im vorliegenden Fall nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen, zumal die belangte Behörde auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, wie bereits dargetan, eingegangen ist, und aus der Einschleppung des Beschwerdeführers nach Österreich in der weiteren Folge nicht aus diesem Grunde die Unglaubwürdigkeit seines gesamten Vorbringens angenommen hat.

Der Beschwerdeführer rügt weiters, die belangte Behörde sei nicht auf das Vorbringen betreffend die Unmöglichkeit der Erlangung eines Reisedokumentes eingegangen. Dem ist entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer im Verfahren nur die hypothetische Behauptung aufgestellt hat, er hätte nie ein Reisedokument erhalten, ohne darzutun, daß er je um ein solches vergeblich angesucht hätte. Abgesehen davon hat der Beschwerdeführer laut dem im Akt enthaltenen Aktenvermerk vom 19. August 1988 in Traiskirchen angegeben, sein Reisepaß sei ihm samt seinem Gepäck in Wien gestohlen worden. Außerdem kann aus dem Nichtvorhandensein eines Reisedokumentes nicht der Schluß gezogen werden, daß die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegeben wären.

Der Beschwerdeführer rügt ferner die Beweiswürdigung der belangten Behörde auf Grund seiner unterschiedlichen Angaben vor der Behörde erster Instanz über die verfolgende Muslim League und in der Berufung durch die PPP. Unbestritten ist, daß der Beschwerdeführer diese unterschiedlichen Angaben tatsächlich innerhalb von ca. vier Monaten (6. September 1988 bis 18. Jänner 1989) gemacht hat. Diese widersprüchliche Behauptung hat entgegen den Beschwerdeausführungen nichts mit der langen Dauer des Berufungsverfahrens zu tun. Der Beschwerdeführer hat auch weder behauptet, daß innerhalb der vier Monate zwischen der Erstbefragung und der Einbringung der Berufung die politischen Verhältnisse in seinem Heimatland sich gravierend verändert hätten, noch daß er im Laufe des Berufungsverfahrens "sur place" Flüchtling geworden wäre.

Die belangte Behörde hat immerhin zum Ausdruck gebracht, seinem Vorbringen keinen Glauben zu schenken, weil er betreffend der Verfolgung im erstinstanzlichen Verfahren und im Berufungsverfahren widersprechend sich geäußert hat. Diesen Widerspruch konnte er auch in der Beschwerde nicht entkräften. Daher ist im Ergebnis der Bescheid frei von Rechtswidrigkeit.

Da die Beschwerde sich sohin als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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