VwGH 90/13/0199

VwGH90/13/019913.2.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) derselben Finanzlandesdirektion, Berufungssenat VII, vom 2. Juli 1990, Zl. 6/3-3453/88-08, betreffend Einkommensteuer 1985 der mitbeteiligten Partei Mag. R, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §184 Abs1;
EStG 1972 §16 Abs1 Z9;
EStG 1972 §26 Z7;
BAO §184 Abs1;
EStG 1972 §16 Abs1 Z9;
EStG 1972 §26 Z7;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte bezog im Jahre 1985 neben anderen Einkünften auch solche aus nichtselbständiger Arbeit als Arbeitnehmer einer inländischen Bank. In der Beilage zur Einkommensteuererklärung für 1985 machte er für einen dienstlichen Aufenthalt in England, für den er von seinem Arbeitgeber nur das laufende Gehalt ohne Tagesdiäten ("sowie eine Wohnung in London") erhalten habe, die entsprechenden Tagesgelder als Werbungskosten geltend (227 Tagesdiäten zu S 507,--). Die Ehefrau sei in Österreich geblieben.

Gegen den Einkommensteuerbescheid für 1985, mit dem das Finanzamt den Tagesgeldern nicht Rechnung trug, erhob der Mitbeteiligte Berufung, der das Finanzamt mit einer Berufungsvorentscheidung nicht stattgab.

Im Vorlageantrag und in einem ergänzenden Schriftsatz brachte der Mitbeteiligte vor, im Streitjahr in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig gewesen zu sein. Es habe sich bei der in Frage stehenden Dienstreise um ein Ausbildungspraktikum in London gehandelt, das der österreichische Arbeitgeber angeordnet und bezahlt habe. Der Mittelpunkt der Tätigkeit sei in Österreich geblieben, eine Versetzung nach England habe nicht stattgefunden. Es sei zu einer doppelten Haushaltsführung gekommen. Für den Fall, daß die Tagesgelder nicht berücksichtigt würden, beantragte der Mitbeteiligte die Anerkennung von Umzugskostenvergütungen gemäß § 26 Abs. 8 EStG 1972 als Werbungskosten in Höhe von S 25.430,-- (1/15 des Bruttolohnes 1985), da auch für diese Kosten kein Ersatz geleistet worden sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten Folge. Sie unterstellte sachverhaltsmäßig, daß der Mitbeteiligte über Auftrag des österreichischen Arbeitgebers in der Zeit vom 29. Oktober 1984 bis 16. August 1985 ein Credit- und Marketing-Seminar in London absolviert habe. Es hätte sich um ein Ausbildungspraktikum gehandelt, das der Arbeitgeber bezahlt habe. Für die stattgebende Berufungserledigung war für die belangte Behörde nach dem angefochtenen Bescheid das Vorbringen des steuerlichen Vertreters des Mitbeteiligten in der Berufungsverhandlung entscheidend, daß der Mittelpunkt des Lebensinteresses des Mitbeteiligten im Inland gelegen und somit auch der Mittelpunkt seiner Arbeitstätigkeit dort anzunehmen gewesen sei. Der Aufenthalt im Ausland habe nur eine Einschulung und keine Berufsausübung dargestellt. Die Berechtigung der Tagesdiäten ergebe sich aus der Tatsache, daß sich der Mitbeteiligte in London gesondert habe verpflegen müssen, da seine Familie im Inland geblieben sei. Der Aufenthalt in London sei nur vorübergehend gewesen. Die belangte Behörde ging sohin davon aus, daß der Mittelpunkt der Arbeitstätigkeit des Mitbeteiligten zur fraglichen Zeit im Inland gelegen wäre, da der Auslandsaufenthalt nur eine Einschulung, jedoch keine Berufsausübung dargestellt hätte. Es handle sich somit um eine beruflich veranlaßte Reise. Die begehrten Tagesdiäten stünden zu, der Eventualantrag betreffend die Umzugskosten sei damit hinfällig.

Mit vorliegender Beschwerde macht der beschwerdeführende Präsident inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend. Die Beschwerde beruht auf der Annahme, daß der Mittelpunkt der Tätigkeit in Wien aufgegeben und in London neu begründet worden sei, womit den fraglichen Tagesdiäten keine Reise im Sinne des § 16 Abs. 1 Z. 9 EStG 1972 zugrundeliege. Jedenfalls begründe die Tätigkeit des Mitbeteiligten in London auf Grund ihrer Dauer dort einen Mittelpunkt der Tätigkeit. Für eine pauschale Berücksichtigung von Umzugskosten als Werbungskosten fehle es an einer gesetzlichen Grundlage.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Eine Reise im Sinne des § 16 Abs. 1 Z. 9 EStG 1972 liegt vor, wenn sich der Steuerpflichtige zwecks Verrichtung beruflicher Obliegenheiten vom Mittelpunkt seiner Tätigkeit entfernt, ohne daß dadurch der bisherige Mittelpunkt der Tätigkeit aufgegeben wird. Erstreckt sich die Tätigkeit des Steuerpflichtigen auf mehrere Orte in der Weise, daß jeder Ort - für sich betrachtet - Mittelpunkt der Tätigkeit sein könnte, dann ist jeder dieser Orte als Mittelpunkt der Tätigkeit zu qualifizieren und der Aufenthalt an ihm keine Reise (siehe das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Juni 1988, Zl. 87/14/0125, und die dort erwähnte Vorjudikatur).

Zu einem (weiteren) Mittelpunkt der Tätigkeit wird ein Ort auf Grund längeren Aufenthaltes des Steuerpflichtigen (Arbeitnehmers). Der längere Aufenthalt ermöglicht es ihm, sich dort über die Verpflegungsmöglichkeiten zu informieren und so jenen Verpflegungsmehraufwand zu vermeiden, der allein die Annahme von Werbungskosten statt nicht abzugsfähiger (üblicher) Verpflegungsaufwendungen der privaten Lebensführung rechtfertigt (siehe neben dem Erkenntnis Zl. 87/14/0125 auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Juni 1989, Zl. 88/14/0197). Bei diesem Verständnis des Begriffes "Mittelpunkt der Tätigkeit", der den Begriff der Reise im Sinne des § 16 Abs. 1 Z. 9 EStG 1972 bestimmt, kommt es nicht so sehr auf die Art der Tätigkeit an einem bestimmten Ort - auf ein positives Handeln oder die Fortführung jener Tätigkeit, die am ursprünglichen Mittelpunkt der Tätigkeit ausgeübt wurde - an. Es ist vielmehr maßgebend, daß die beruflich bedingte Reisebewegung jenen längeren Aufenthalt am selben Ort - und sei es auch wie im Beschwerdefall zwecks Ausbildung des Steuerpflichtigen - bewirkt, der eine Information über die Verpflegungsmöglichkeiten und damit die Vermeidung höherer als der üblichen Verpflegungsaufwendungen zuläßt. Unter diesen Gesichtspunkten führte der im Oktober 1984 begonnene, rund 10-monatige Aufenthalt des Mitbeteiligten in London dort zu einem (weiteren) Mittelpunkt der Tätigkeit, der auf dem Boden der zitierten Rechtsprechung die Berücksichtigung von Verpflegungsaufwendungen in London für das Jahr 1985 mit den im § 26 Z. 7 EStG 1972 angeführten Sätzen verbietet. Ob der Mittelpunkt der Tätigkeit in Wien aufgegeben wurde, kann auf dem Boden der zitierten Rechtsprechung dahingestellt bleiben.

In Rechnung ist allerdings auch zu stellen, daß der Aufenthalt in London nach den unwidersprochenen Ausführungen des verheirateten Mitbeteiligten im Verwaltungsverfahren einen zweiten Haushalt zur Folge hatte. Zwar kann den Aufwendungen für einen beruflich veranlaßten zweiten Haushalt an einem Ort, der sich im Sinne der Rechtsprechung als Mittelpunkt der Tätigkeit darstellt, mangels einer Reise im Sinne des § 16 Abs. 1 Z. 9 EStG 1972 nicht mit den Sätzen des § 26 Z. 7 EStG 1972 Rechnung getragen werden, und es können Verpflegungsaufwendungen grundsätzlich auch auf andere Weise steuerlich nicht berücksichtigt werden, weil ja eine Vielzahl von selbständig und unselbständig Erwerbstätigen genötigt ist, sich (teilweise) außer Haus zu verköstigen, ohne daß damit die üblichen Kosten der Verpflegung berufsbedingt überschritten würden (Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. März 1988, Zl. 85/13/0154, vom 25. Mai 1988, Zl. 87/13/0195, und vom 15. Juni 1988, Zl. 85/13/0069). Die Aussage, daß bei einer Verköstigung außer Haus die ÜBLICHEN Kosten der Verpflegung berufsbedingt nicht überschritten würden, kann aber sinnvoll nur auf das Inland bezogen werden. Liegen hingegen im Ausland die Verpflegungsaufwendungen wegen des höheren Niveaus der Lebenshaltungskosten erheblich über den Kosten der inländischen Verpflegung, dann können nicht mehr übliche Kosten der Verpflegung unterstellt werden. Vielmehr werden in diesem Fall die üblichen Kosten der Verpflegung berufsbedingt sehr wohl überschritten. Der entsprechende Mehraufwand ist, wenn er zwar glaubhaft gemacht, im einzelnen aber nicht nachgewiesen werden kann, unter Mitwirkung des Arbeitnehmers zu schätzen.

Dadurch, daß die belangte Behörde für den Englandaufenthalt des Mitbeteiligten im Jahre 1985 eine Reise im Sinne des § 16 Abs. 1 Z. 9 EStG 1972 als gegeben sah und den Verpflegungskosten mit den Tagesdiäten in höherem als dem aufgezeigten Ausmaß Rechnung trug, verletzte sie das Gesetz. Die Rechtsrüge des Beschwerdeführers ist im Ergebnis berechtigt und der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Über die Umzugskosten hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht abgesprochen, sodaß in dieser Frage auch keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vorliegen kann. Aus Gründen der Verfahrensökonomie sei aber bemerkt, daß das Einkommensteuergesetz 1972, wie der Beschwerdeführer richtig erkennt, für Umzugskosten keine dem § 16 Abs. 1 Z. 9 EStG 1972 vegleichbare pauschale Berücksichtigung als Werbungskosten vorsieht.

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