VwGH 90/09/0185

VwGH90/09/018521.2.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl und Dr. Germ als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz , über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen vom 8. Oktober 1990, GZ. 11.054-DK/89, betreffend Einleitungsbeschluß in einer Disziplinarsache, zu Recht erkannt:

Normen

BDG 1979 §110;
BDG 1979 §111;
BDG 1979 §123 Abs1;
BDG 1979 §124 Abs1;
BDG 1979 §110;
BDG 1979 §111;
BDG 1979 §123 Abs1;
BDG 1979 §124 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Jahre 1949 geborene Beschwerdeführer steht seit seiner mit Ablauf des Monates August 1990 gemäß § 14 Abs. 1 Z. 2 BDG 1979 erfolgten Versetzung in den Ruhestand als Revierinspektor der Zollwache in einem öffentlich-rechtlichen Pensionsverhältnis zum Bund.

Bezüglich des Sachverhaltes und des bisherigen Verfahrensablaufes wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auf das die beiden Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Feber 1990, Zl. 89/09/0136, verwiesen, mit welchem der Bescheid der belangten Behörde vom 8. September 1989 betreffend die Einleitung eines Disziplinarverfahrens wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben worden war. Der Gerichtshof hatte hiebei für bestimmend erachtet, daß es in Ansehung der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungsverjährung Aufgabe der belangten Behörde gewesen wäre, in einer der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über den Zeitpunkt des Kenntniserlangens von der Dienstpflichtverletzung (§ 94 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979) zu treffen.

Mit dem im fortgesetzten Verfahren erflossenen und nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Ersatzbescheid vom 8. Oktober 1990, der in seinem Spruch wörtlich mit jenem vom 8. September 1989 übereinstimmt, sprach die belangte Behörde neuerlich aus, daß gegen den Beschwerdeführer gemäß § 123 Abs. 1 BDG 1979 das Disziplinarverfahren eingeleitet werde. Zur Begründung führte die belangte Behörde, die gemäß § 63 Abs. 1 VwGG nunmehr jene Feststellungen zu treffen und jene Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durchzuführen hatte, die eine erschöpfende Beurteilung des maßgebenden Sachverhaltes ermöglichen, aus, der im ersten Rechtsgang dargestellte Vorfall vom 16. September 1989 habe die Geschäftsabteilung n der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland veranlaßt, den Vorstand des Hauptzollamtes Wien mit entsprechenden Erhebungen zu beauftragen, um Sicherheit über den bestehenden Verdacht bzw Kenntnis vom Verhalten des Beschwerdeführers zu erlangen. ORev. S hätte am 16. März 1989 von einem Besuch des Cafe's H zwar Kenntnis davon gehabt, daß die Mitglieder der am selben Tag aufgelösten Mobilen Einsatzgruppe um 18.45 Uhr, also zu einem Zeitpunkt, zu dem sie laut "DÜ", der in der Geschäftsabteilung n aufgelegen sei, zum Kanzleidienst im Hauptzollamt Wien eingeteilt gewesen seien, habe aber nicht ausschließen können, daß von deren unmittelbaren Vorgesetzten infolge Auflösung der Mobilen Einsatzgruppe, der ursprüngliche Dienstplan abgeändert und die Beamten zu diesem Zeitpunkt bereits Freizeit hatten. Der Umstand, daß die Geschäftsabteilung n in einem einfacheren Verfahren den Sachverhalt hätte ermitteln können, ändere jedoch nichts daran, daß am 16. März 1989 der Sachverhalt für die Erstattung einer Disziplinaranzeige noch nicht geklärt gewesen sei und der Dienstgeber den Verdacht einer möglichen, noch nicht konkretisierten Dienstpflichtverletzung gehabt habe. Erst das Ergebnis der durchgeführten Erhebungen des Hauptzollamtes Wien, nämlich das Bekanntwerden des Faktums, daß der Dienstplan nicht abgeändert worden sei (das sei mit der Disziplinaranzeige vom 28. Juli 1989 zur Kenntnis gebracht worden), hätten zur Annahme berechtigt, daß das Verhalten des Beschwerdeführers unter einen disziplinär zu ahndenden Tatbestand falle. Zum Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses vom 8. September 1989, am 22. September 1989, sei daher die Verjährungsfrist gemäß § 94 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979 noch nicht abgelaufen gewesen. Aus den für den Beschwerdeführer aufliegenden Dienstplan- und Überstundenanordnungen sei ersichtlich, daß dieser am 16. März 1989 für die Zeit von 15.00 bis 22.00 Uhr sieben Planstunden zu leisten gehabt hätte. Die Weisungen an den Beschwerdeführer seien von diesem etwa um 14.40 Uhr am 16. März 1989 dem ehemaligen Vorstand des Hauptzollamtes Wien mitgeteilt worden. Im Dienstbuch der Mobilen Einsatzgruppe scheine am 16. März 1989 betreffend den Beschwerdeführer dessen Eintragung "Dienst von 14.00 bis 17.00 Uhr, 17.00 Uhr Dienst abgebrochen" auf. Es bestehe der begründete Verdacht, daß der Beschwerdeführer in der angeordneten Zeit von 15.00 bis 22.00 Uhr überhaupt keinen Dienst verrichtet habe. Dem Umstand, daß der Beschwerdeführer am 16. März 1989 um 19.25 Uhr der Hauptfunkstelle der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland eine angeblich um 17.00 Uhr beendete Kanzleidiensttätigkeit gemeldet habe, komme lediglich die Bedeutung einer versuchten Deckungshandlung zu, zumal die Betretung im Kaffeehaus H um 18.45 Uhr, also fast zwei Stunden nach der angeblichen Beendigung des Kanzleidienstes, erfolgt sei und die Meldung an die Hauptfunkstelle um 19.25 Uhr nur als Reaktion auf diese Betretung angesehen werden könne. Richtigerweise hätte eine derartige Meldung unmittelbar mit bzw. bei Abbruch des Dienstes erfolgen müssen. Selbst für den Fall, daß der Beschwerdeführer in der Zeit bis 17.00 Uhr teilweise Kanzleidienst verrichtet hätte, wäre der um 17.00 Uhr erfolgte Abbruch des Kanzleidienstes aus Mangel an Arbeit weisungswidrig und ungerechtfertigt erfolgt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde, die auf die Erstattung einer Gegenschrift "verzichtete", hat die Disziplinarakten vorgelegt.

Der Gerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht darauf, daß ein Disziplinarverfahren gegen ihn nicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 91, 94 und 123 BDG 1979 eingeleitet werde, durch unrichtige Anwendung dieser Normen sowie der Vorschriften über die Bescheidbegründung und das Parteiengehör verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes trägt der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit vor, im Beschwerdefall sei unbestritten, daß am 16. März 1989 die Geschäftsabteilung n der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland Kenntnis von den Vorfällen gehabt habe, die Gegenstand des seinerzeitigen aufgehobenen und nunmehr angefochtenen Einleitungsbeschlusses seien. Wie der Verwaltungsgerichtshof im obzitierten Vorerkenntnis unter Berufung auf die Akten des Verwaltungsverfahrens ausgeführt habe, sei der zu den Disziplinarbehörden zählenden Dienstbehörde zu diesem Zeitpunkt die dem Beschwerdeführer im damals angefochtenen Bescheid zur Last gelegte Dienstpflichtverletzung, die Inhalt des nunmehr angefochtenen Bescheides sei, im vollen Ausmaß bekannt gewesen. Dazu komme, daß nach den Akten des Verwaltungsverfahrens sowohl die Dienstbehörde als auch die belangte Behörde auf die drohende Verjährung hingewiesen haben. Bereits aus diesen Umständen ergebe sich, daß die Zustellung des seinerzeitigen Einleitungsbeschlusses am 22. September 1989 erst nach Ablauf der im § 94 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979 normierten Sechsmonatsfrist erfolgt und somit Verjährung eingetreten sei. Darin vermögen auch die Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, es hätte erst geklärt werden müssen, ob der ursprüngliche Dienstplan abgeändert worden sei und der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Betretung um 18.45 Uhr Freizeit gehabt hätte, nichts zu ändern.

Dieses Vorbringen ist begründet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates liegt ein Verdacht vor, wenn bekannt gewordene Tatsachen für die Begehung eines Dienstvergehens einen Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht haben, der ihn von einer bloßen Vermutung unterscheidet.

Es ist richtig, daß bei jedem Verdacht die Verknüpfung der tatsächlichen Anhaltspunkte mit einer Dienstpflichtverletzung nur eine von mehreren Denkhypothesen bilden kann und muß. Dabei gibt es für die Sicherheit und Richtigkeit der zu treffenden Aussage, also die Verdachtsintensität oder den Verdachtsgrad, eine Bandbreite von Möglichkeiten, die von dem Nachweis eines mit Sicherheit eintretenden Ereignisses bis zur bloßen abstrakten Hypothese reicht. Unerheblich ist auch, ob sich der Verdacht auf Grund angeordneter Ermittlungsmaßnahmen später bestätigt oder nicht. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung ist die Sachlage bei Kenntnisnahme durch die Dienstbehörde von dem später als Dienstpflichtverletzung gewürdigten Verhalten des Beamten.

Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens hielt ORev. S in seinem Aktenvermerk vom 17. März 1989 ua. folgendes fest:

"Es besteht nunmehr dringender Grund zur Annahme, daß Angehörige der ASt MEG jedenfalls vor oder gegen 15.00 Uhr im Bereich des Einsatzortes anwesend waren, obwohl Kanzleidienst durch die FLDionen für diese Bediensteten angeordnet worden ist. Auf die unter b) angeführte Planstundeneinteilung darf in diesem Zusammenhang verwiesen werden ....

Sollte die in lit. a beschriebene Weisung nämlich nicht durch ein anordnungsbefugtes Organ des ZA Wien 'modifiziert' worden sein, wären nach ho. Dafürhalten entsprechende Schritte durch die Amtsvorstehung wegen Nichtbeachtung des über oberbehördliche Weisung geänderten Dienstplanes zu setzen."

Bei der allein nach objektiven Kriterien vorzunehmenden Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte ist dem Beschwerdeführer darin beizupflichten, daß die Dienstbehörde, die nach den Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid den Vorstand des Hauptzollamtes Wien mit entsprechenden Erhebungen beauftragte, um "Sicherheit über den bestehenden Verdacht" zu erlangen, zum damaligen Zeitpunkt aus den tatsächlichen Anhaltspunkten auf eine Dienstpflichtverletzung des Beschwerdeführers schließen mußte.

Da der seinerzeitige, im ersten Rechtsgang aufgehobene Einleitungsbeschluß dem Beschwerdeführer erst nach Ablauf der in § 94 Abs. 1 Z. BDG 1979 normierten Sechsmonatsfrist zugestellt worden ist, kann ihm die Wirkung als relevante Verfolgungshandlung nicht zukommen.

Die Begründung des angefochtenen Bescheides beruht daher auf einer unrichtigen Rechtsansicht, weshalb der angefochtene Bescheid im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes der Aufhebung verfallen mußte.

Die Entscheidung über den Anspruch auf Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

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