VwGH 90/06/0125

VwGH90/06/012526.9.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Giendl und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde des Johann G in Zellberg, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 27. Juni 1990, Zl. Ve-550-1681/1, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1) Hans P in Zellberg, 2) Gemeinde Zellberg, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

BauO Tir 1989 §6;
BauO Tir 1989 §6;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Auf Antrag des Erstmitbeteiligten um Erteilung der Baubewilligung für den Ausbau des Dachgeschoßes des bestehenden Wohn- und Geschäftshauses in Zellberg wurde für 9. April 1990 eine mündliche Bauverhandlung anberaumt, zu der u.a. der Beschwerdeführer als Nachbar unter Hinweis auf § 42 AVG geladen wurde. Bei dieser Verhandlung erklärte der Beschwerdeführer, daß er im allgemeinen mit dem Bauvorhaben einverstanden sei, jedoch Einspruch gegen die an der Südseite zu seinem Grundstück hin vorgesehenen Balkone erhebe. Entsprechend § 6 Abs. 3 TBO dürften Gebäudeteile über den Verkehrsflächen ausgeführt werden, wenn sie das Orts- und Straßenbild nicht benachteiligten und den Verkehr nicht behinderten. Ebenso sei der Beschwerdeführer mit einer Verbreiterung des derzeit bestehenden Vordaches nicht einverstanden.

Mit Bescheid vom 11. April 1990 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde dem Erstmitbeteiligten die Baubewilligung für den An-, Um- und Ausbau des Dachgeschoßes beim bestehenden Wohn- und Geschäftshaus auf der Grundparzelle nn1, KG Zellberg.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer - bereits anwaltlich vertreten - Berufung, in der er geltend machte, die Protokollierung, wonach er grundsätzlich nichts einzuwenden habe, entspreche nicht den Tatsachen. Der Beschwerdeführer habe sich nämlich gegen die Balkonausführungen auf der Straßenseite ausgesprochen, da ihm seinerzeit, als er Balkone zur Straße hin errichten habe wollen, diese Errichtung abgelehnt worden sei. Es liege nämlich keine Zustimmung des Straßenerhalters vor, da die Bewilligung im Bauverfahren durch den Bürgermeister als Baubehörde erster Instanz nicht mit der notwendigen Bewilligung des Straßenerhalters (Gemeinde) gleichzusetzen sei. Da der Beschwerdeführer Einwohner der mitbeteiligten Gemeinde und daher auch Straßenbenützer sei, sei der Einwand als Eingriff in seine subjektiv-öffentlichen Rechte anzusehen. Im Bescheid sei zwar angeführt, daß für die Parzellenvereinigung eine Genehmigung erforderlich sei, der Bescheid könne jedoch erst erlassen werden, wenn tatsächlich die Parzellenvereinigung durchgeführt worden sei. Die Planunterlagen entsprächen nicht der Bauordnung und der Planzeichenverordnung. Schließlich hätte auch das Stiegenhaus im Objekt nicht genehmigt werden dürfen, da dieses bei der Frage der Abstände sehr wohl zu berücksichtigen gewesen sei.

Nach Einholung der Stellungnahme des Bausachverständigen gab der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde der Berufung des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 15. Mai 1990 "teilweise Folge". Aus der Begründung ergibt sich, daß dieses "teilweise Folgegeben" darin besteht, daß die Balkone an der Südseite des Gebäudes wegzulassen seien, womit auch eine Verbreiterung des Vordaches entfalle; dies sei vom Mitbeteiligten als Bauwerber "zugesagt" worden. Im übrigen wurde der Berufung nicht Folge gegeben, da die Einwände des Beschwerdeführers, der sich vor Ende der Bauverhandlung entfernt habe, vollinhaltlich protokolliert worden seien. Die Planzeichenverordnung sei eingehalten worden. Die Abstandsregelung betreffend das Stiegenhaus sei ohnehin geklärt worden und die Parzellenvereinigung sei vor Baubeginn beim Gemeindeamt "einzubringen".

Die dagegen erhobene Vorstellung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. Sie ging davon aus, daß zwischen dem zu bebauenden Grundstück des Erstmitbeteiligten und der Grundfläche des Beschwerdeführers eine Verkehrsfläche (Grundparzelle nn2 bzw. nn3) liege. Der Beschwerdeführer könne daher hinsichtlich der gesetzlichen Abstände seine Ansprüche ausschließlich auf § 6 TBO stützen. Nach § 6 Abs. 4 TBO, der mangels Vorliegens eines Bebauungsplanes zur Anwendung komme, ergebe sich der Abstand der baulichen Anlage von der Verkehrsfläche aus der Notwendigkeit des Orts- und Straßenbildes sowie der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, alles Umstände, die keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte begründeten. Nach § 6 Abs. 5 und 7 TBO könnte die Baubehörde auch Verkehrsflächen überspannende bauliche Anlagen und sich über die Grundstücksgrenzen zu den Verkehrsflächen erstreckende bauliche Anlagen ohne Einspruchsmöglichkeit der Nachbarn genehmigen. Daraus ergebe sich, daß der Beschwerdeführer durch einen Ausspruch über die strittigen Balkone zu den Verkehrsflächen hin in einem subjektiv-öffentlichen Recht nicht verletzt sein könne. Ohne Zweifel sei der Ausspruch des Gemeindevorstandes im Bescheid vom 15. Mai 1990, wonach der Berufung des Beschwerdeführers teilweise Folge gegeben werde, unglücklich formuliert, insbesondere in Verbindung mit der Tatsache, daß nicht gleichzeitig die Planunterlagen korrigiert worden seien. Dennoch sei die Vorstellungsbehörde der Ansicht, daß dieser Umstand nicht geeignet sei, subjektiv-öffentliche Rechte des Beschwerdeführers zu verletzen, da wegen der dazwischenliegenden Verkehrsfläche nicht § 7, sondern § 6 TBO zur Anwendung gelange. Aus diesem Grund gehe auch die bei der Bauverhandlung nicht gerügte und daher an sich präkludierte Infragestellung des Dachkapfers nicht nur formell-rechtlich, sondern auch materiell-rechtlich ins Leere. Schließlich reichten auch die Planunterlagen durchaus aus, um den Beschwerdeführer für die Verfolgung seiner Rechte die notwendige Klarheit zu verschaffen. Dem Nachbarn sei hinsichtlich einer allenfalls erforderlichen Grenzänderung nach der Tiroler Bauordnung ebenfalls keine Mitsprachemöglichkeit eingeräumt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid dahin abzuändern, daß der Vorstellung des Beschwerdeführers gegen den Berufungsbescheid Folge gegeben werde, in eventu auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Rückverweisung der Sache zur neuerlichen Entscheidung an "die Unterinstanzen".

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nur der Vollständigkeit halber sei vorerst darauf hingewiesen, daß dem Verwaltungsgerichtshof bei der Entscheidung über Bescheidbeschwerden nur eine kassatorische Erledigung (§ 42 Abs. 2 VwGG) zusteht, und daß die Verwaltungsbehörden einschließlich der Gemeindeaufsichtsbehörden des Landes keine Unterinstanzen des Verwaltungsgerichtshofes sind.

In der Sache selbst verkennt der Beschwerdeführer zunächst, daß die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde und damit auch der Gemeindeaufsichtsbehörde sowie der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nach ständiger Rechtsprechung seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.317/A, im Falle eines Rechtsmittels einer Partei des Verwaltungsverfahrens mit beschränktem Mitspracherecht, wie dies auf die Nachbarn nach § 30 der Tiroler Bauordnung, LGBl. Nr. 33/1989 (TBO), zutrifft, auf jene Fragen beschränkt ist, hinsichtlich deren dieses Mitspracherecht als ein subjektiv-öffentliches Recht besteht. Diese Entscheidungsbefugnis wird aber auch durch eine eingetretene Präklusion im Sinn des § 42 AVG weiter eingeengt, wenn, wie hier, der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG zur Bauverhandlung geladen wurde und an dieser auch teilgenommen hat. Damit dürfen nur diejenigen Einwendungen berücksichtigt werden, die spätestens bei der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1987, Zl. 84/05/0043, BauSlg. Nr. 1021). Damit verbleiben nur seine Einwendungen hinsichtlich der zunächst vorgesehenen Balkone an der Südseite des zu verbauenden Grundstückes und die damit verbundene Verbreiterung des bestehenden Vordaches. Die Fragen der Dachkapfer und des Stiegenhauses fallen, wie bereits die belangte Behörde richtig erkannt hat, daher unter die Präklusionsfolgen, ganz abgesehen davon, daß das Stiegenhaus auf der dem Grundstück des Beschwerdeführers abgewandten Seite des zu verbauenden Grundstückes liegt und daher schon deshalb keine Nachbarrechte beeinträchtigen kann.

Wie ebenfalls bereits die belangte Behörde richtig erkannt hat, entsprechen die Bescheide der Baubehörde erster und zweiter Instanz nicht den Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes; wegen des beschränkten Mitspracherechtes eines Nachbarn kann dieser Verfahrensmängel jedoch nur insoweit geltend machen, als er dadurch in der Verfolgung seiner subjektiv-öffentlichen Rechte beeinträchtigt wurde (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. November 1974, Slg. Nr. 8713/A, vom 8. November 1976, Slg. Nr. 9170/A, und vom 12. April 1984, Zl. 83/06/0246, BauSlg. Nr. 244). Es kann nun dahingestellt bleiben, ob die Formulierung der teilweisen Stattgebung der Berufung des Beschwerdeführers durch den Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde als Entscheidung im Sinne des Berufungsantrages des Beschwerdeführers anzusehen ist, obwohl deren Inhalt der Abänderung nur in der Begründung des Bescheides wiedergegeben wurde, oder aber, ob es sich letztlich um die Beurkundung eines Verzichtes des Erstmitbeteiligten auf die im Bescheid des Bürgermeisters bewilligte Errichtung der Balkone an der Südseite des Gebäudes sowie die Verbreiterung des Vordaches handelt. Da der Erstmitbeteiligte diesen Bescheid nicht angefochten hat, ist davon auszugehen, daß hinsichtlich dieser beiden Bauteile keine aufrechte Baubewilligung mehr besteht.

Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß eine teilweise Stattgebung der Berufung des Beschwerdeführers durch den Gemeindevorstand objektiv rechtswidrig war. Wie schon die belangte Behörde richtig erkannt hat, ist für Abstände an Verkehrsflächen nicht § 7, sondern lediglich § 6 TBO anzuwenden. Gemäß § 6 Abs. 3 lit. a i.V. m. Abs. 2 lit. b TBO können offene Balkone bis zu 1,50 m vor die Baufluchtlinie und sogar vor die Straßenfluchtlinie vorragen oder vor dieser errichtet werden, wenn dadurch das Orts- und Straßenbild und die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigt werden. Aus den vorliegenden Plänen ergibt sich eindeutig, daß die vorgesehenen Balkone weniger als 1,50 m vorspringen; nur bei Überschreitung dieses Ausmaßes würden subjektiv-öffentliche Rechte des gegenüberliegenden Nachbarn verletzt werden; ob das Orts- und Straßenbild und die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs beeinträchtigt werden, sind hingegen Umstände, die ausschließlich im öffentlichen Interesse zu prüfen sind und daher vom Nachbarn nicht wahrgenommen werden können. Im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur beschränkten Parteistellung des Nachbarn hätte daher die Berufungsbehörde auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers die Baubewilligung erster Instanz hinsichtlich der Balkone in dem vom Gesetz zugelassenen Ausmaß nicht mehr weiter überprüfen dürfen.

Die darin gelegene Rechtswidrigkeit hätte aber lediglich der Erstmitbeteiligte aufgreifen dürfen, dem Beschwerdeführer, der durch diese Vorgangsweise sogar begünstigt wurde, ist dies jedenfalls verwehrt.

Ob schließlich durch die Unterlassung der rechtzeitigen Zusammenlegung der Parzellen zu einem Baugrund subjektiv-öffentliche Rechte des Nachbarn berührt werden können, kann dahingestellt bleiben, da der Beschwerdeführer in erster Instanz eine derartige Einwendung nicht erhoben hat und daher diesbezüglich ebenfalls präkludiert ist.

Es war daher die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

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