VwGH 90/01/0180

VwGH90/01/018016.1.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerinnen Dr. Hadaier und Dr. Kral, über die Beschwerden 1.) des HG und 2.) der EG, 3.) bis 5.) der mj. Kinder IG, DG und CG, die 3. und 5.-Beschwerdeführer vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin als Kindesmutter gegen zwei Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 25. April 1990, Zl. 4.275.510/2-III/13/89, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;
AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführer, türkische Staatsangehörige kurdischer Nationalität, reisten am 17. Mai 1989 in das Bundesgebiet ein und stellten am 19. Mai 1989 Asylanträge. Der Erstbeschwerdeführer brachte bei seiner Einvernahme zur Begründung seines Antrages am 22. Mai 1989 vor, daß er seit 1977 Sympathisant der PKK gewesen sei. Er habe sich hauptsächlich als Kurier dieser Organisation betätigt. Diese Kontakte seien im September 1980 abgebrochen worden. Er habe bis zum Jahre 1987 zu dieser Organisation keine Verbindungen mehr gehabt. Zwischenzeitlich sei er im November 1978 von der Geheimpolizei festgenommen und für 45 Tage in Polizeigewahrsam gehalten worden. Während dieser Zeit sei er geschlagen, verhört und beschimpft, nicht aber im eigentlichen Sinne gefoltert worden. Man habe ihm Kontakte zur PKK vorgeworfen, doch habe man ihm dies nicht beweisen können, worauf er freigelassen worden sei. Im Juli 1983 sei der Beschwerdeführer deswegen wieder für 26 Tage festgehalten worden, ab 21. März 1989 wieder für 8 Tage, ferner ab 1. Mai 1989 für 3 Tage. Immer wieder sei er geschlagen und aufgefordert worden, seine Aktivitäten für die PKK bekanntzugeben. Er sei fanatischer Sympathisant der PKK und werde "diese Tätigkeit" nie lassen. Die Organisation kämpfe seit langem für einen eigenen Kurdenstaat und der Beschwerdeführer unterstütze diese Bestrebungen mit aller Kraft, die ihm zur Verfügung stünde und auch mit allen Mitteln. Seine ganze Familie habe mit der Organisation direkt oder indirekt zu tun. Etliche Familienangehörige seien Parteimitglieder, andere wieder Sympathisanten. Seine beiden in Frankreich lebenden Vettern seien PKK-Aktivisten, denen die Staatsbürgerschaft aberkannt worden sei. Auf Grund dieser Tätigkeiten sei der Beschwerdeführer massiv der Verfolgung durch die türkischen Behörden ausgesetzt gewesen, sodaß ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als das Land zu verlassen. Die Polizei habe ihm angeboten, innerhalb der PKK Spitzeldienste zu leisten, dann würde er "Ruhe bekommen". Natürlich habe er dies abgelehnt. Ob er Kontakte zu in Österreich lebenden PKK-Leuten aufnehmen werde, könne er noch nicht sagen, weil er ja noch nicht wisse, was jetzt mit ihm und seiner Familie geschehe.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte vor, die Türkei habe sie deshalb verlassen, weil ihr Mann wegen seiner politischen Aktivitäten als Sympathisant der PKK dauernd "Schwierigkeiten mit der Polizei" gehabt habe und deshalb auch mehrmals in Polizeihaft genommen worden sei. Die Beschwerdeführer fühlten sich ständig von der Polizei "gestört". Aus diesem Grunde habe die Zweitbeschwerdeführerin sich entschieden, ihrem Mann zu folgen, als dieser beschlossen habe, das Land für immer zu verlassen.

Mit zwei Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 27. September 1989 wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes seien.

In gleichlautenden Berufungen brachten die Beschwerdeführer vor, aus politischen Gründen seien sie von der türkischen Militärjunta unterdrückt und gefoltert worden. Deshalb hätten sie nach Österreich kommen "müssen".

Mit den nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 25. April 1990 wurden die Berufungen abgewiesen.

Zum Erstbeschwerdeführer führte die belangte Behörde zur Begründung des angefochtenen Bescheides aus, die PKK befürworte als Mittel für die Erreichung ihrer Ziele - Befreiung Kurdistans vom Imperialismus und Kolonialismus, Errichtung einer Diktatur des Proletariates in einem unabhängigen Kurdistan und Realisierung einer klassenlosen Gesellschaft - durchaus Gewaltanwendung. Der Erstbeschwerdeführer habe bei der niederschriftlichen Einvernahme ursprünglich ausgesagt, daß er mit der PKK sympathisiere, jedoch im Jahre 1980 den Kontakt abgebrochen habe. Bereits im Jahre 1978 habe man ihm diese Kontakte vorgeworfen, allerdings nicht beweisen können. Auch bei drei weiteren Befragungen durch die Polizei hätte der Erstbeschwerdeführer seine Überzeugung nicht preisgegeben. Die ins Treffen geführten Maßnahmen ließen noch nicht die Folgerung zu, der Erstbeschwerdeführer habe mit Grund gegen ihn gerichtete Verfolgungsmaßnahmen im Sinne der Konvention zu fürchten. Ein weiteres Indiz für diese Annahme finde sich in dem Umstand, daß ihm von der türkischen Polizei ein Angebot zur Zusammenarbeit gegen die PKK unterbreitet worden sei. Es sei nicht glaubhaft, daß sich die türkischen Behörden einer Person zur Abwehr einer staatsgefährdenden Organisation bedienen würden, von der sie annehme, daß sie oder ihre Familienmitglieder eben dieser staatsgefährdenden Organisation angehörten. In den Anwendungsfällen der angeführten Konventionsnorm müsse die vom Erstbeschwerdeführer geltend gemachte Furcht nicht nur objektivierbar sein und von ihm nicht bloß behauptet, sondern auch glaubhaft gemacht werden. Überdies müsse sich die Furcht vor Verfolgung auf Umstände beziehen, die im zeitlichen Naheverhältnis zur Ausreise aus dem Heimatland lägen. Da es dem Erstbeschwerdeführer nicht möglich gewesen sei, glaubhaft darzutun, er sei aus einem der in der Konvention taxativ aufgezählten Tatbestände Verfolgungen durch die Behörde seines Heimatstaates ausgesetzt gewesen, könne ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.

Zur Zweitbeschwerdeführerin wurde ausgeführt, es liege in der Natur der Sache, daß in Anwendungsfällen der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge die vom Asylwerber geltend gemachte Furcht nicht nur objektivierbar sein und von ihm nicht bloß behauptet, sondern auch glaubhaft gemacht werden müsse. Dabei stehe die Vernehmung des Asylwerbers als wichtigstes Beweismittel zur Verfügung. Im Rahmen der Beweiswürdigung seien grundsätzlich den Angaben des Asylwerbers bei seiner ersten Befragung im Verwaltungsverfahren größere Glaubwürdigkeit beizumessen als späterem Vorbringen. Da es der Zweitbeschwerdeführerin nicht möglich gewesen sei, konkrete Verfolgungen ihrer Person durch die türkischen Behörden darzutun, könne ihr die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.

Gegen diese Bescheide richten sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobenen Beschwerden. Die Beschwerdeführer erachten sich nach dem Beschwerdevorbringen in ihrem Recht auf Anerkennung als Flüchtling verletzt.

Über diese Beschwerden, die wegen ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden worden sind, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll, BGBl. Nr. 78/1974 erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Gemäß ihrem Art. 1 Abschnitt F ist die Genfer Konvention auf Personen nicht anwendbar, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, daß sie

a) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben,

b) bevor sie als Flüchtlinge in das Gastland zugelassen wurden, ein schweres nicht politisches Verbrechen begangen haben, oder

c) sich Handlungen schuldig gemacht haben, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten.

Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, der Erstbeschwerdeführer sei von den türkischen Behörden als Angehöriger oder Sympathisant einer staatsgefährdenden Organisation (PKK) bereits 1978 verhört worden, doch habe er auch bei weiteren Befragungen durch die Polizei seine Überzeugung nicht preisgegeben. Hiebei hat die belangte Behörde aber nicht etwa die Flüchtlingseigenschaft des Erstbeschwerdeführers deshalb verneint, weil bei ihm als Angehöriger oder Sympathisant der genannten Organisation ein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt F der Flüchtlingskonvention vorliege. Daher kommt es aber offenkundig nicht darauf an, ob und inwieweit der Asylwerber die erlittene oder ihm drohende Verfolgung in seiner Heimat (etwa durch eine Tätigkeit für die PKK) selbst verschuldet hat (vgl. hg. Erkenntnisse vom 23. April 1986, Zlen. 84/01/0200 und 84/01/0202 sowie vom 29. November 1989, Zl. 89/01/0264).

Der Feststellung der belangten Behörde, bei der PKK handle es sich um eine "staatsgefährdende Organisation" kommt somit bei der von der belangten Behörde gewählten Bescheidbegründung keine rechtliche Bedeutung zu. Davon ausgehend erweist sich die Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers, der bei seiner Vernehmung am 22. Mai 1989 angegeben hat, er sei auch knapp vor seiner Flucht ab 21. März 1989 durch acht Tage und ab 1. Mai 1989 für drei Tage von den Behörden seines Heimatlandes angehalten, immer wieder geschlagen und aufgefordert worden, seine Aktivitäten für die PKK bekanntzugeben, als rechtlich verfehlt, weil diese Maßnahmen der Behörden Verfolgungshandlungen sind, welchen der Erstbeschwerdeführer wegen seiner politischen Gesinnung ausgesetzt war. Die Verfolgungshandlungen lagen aber zeitlich auch nicht so lange vor der Flucht des Erstbeschwerdeführers, daß sie etwa aus diesem Grund nicht mehr beachtlich gewesen wären.

Soweit die belangte Behörde die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers deshalb in Zweifel zieht, weil er angegeben hat, daß ihm von der türkischen Polizei ein Angebot zur Zusammenarbeit gemacht worden sei, so ist dies keine schlüssige Beweiswürdigung, kommt es doch immer wieder vor, daß Sicherheitsbehörden gerade bei politischen Auseinandersetzungen, die zu bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen führen, Versuche unternehmen, Informanten aus dem Lager der Gegner für eine Mitarbeit zu gewinnen.

Da die belangte Behörde die Berufung der Zweitbeschwerdeführerin insbesondere deshalb abgewiesen hat, weil eine konkrete Verfolgung ihrer Person nicht dargetan worden sei, die Zweitbeschwerdeführerin sich aber schon bei ihrer ersten niederschriftlichen Vernehmung auf die Auswirkungen der Verfolgung des Erstbeschwerdeführers auf ihre Person berufen hat, erweist sich bei der aufgezeigten Rechtswidrigkeit des den Erstbeschwerdeführer betreffenden Bescheides auch der von der Zweitbeschwerdeführerin angefochtene Bescheid als rechtswidrig. Das gleiche gilt für deren Kinder (Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer).

Die angefochtenen Bescheide mußten daher wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufgehoben werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206. Das Kostenmehrbegehren auf Ersatz der Umsatzsteuer mußte abgewiesen werden, weil diese durch den zuerkannten Pauschalbetrag nach ständiger Rechtsprechung abgegolten wird.

Von der von den Zweit- bis Fünftbeschwerdeführern beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

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