VwGH 86/18/0100

VwGH86/18/010015.2.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der Helga N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 17. Jänner 1986, Zl. MA 70 - XI/R 66/85/Str, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §4 Abs1 litc;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs1 litb;
VwRallg;
AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §4 Abs1 litc;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs1 litb;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, insoweit die Beschwerdeführerin wegen der Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 schuldig erkannt und deshalb bestraft wurde, einschließlich der darauf bezughabenden Kostenentscheidungen erster und zweiter Instanz, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Die Bundeshauptstadt (Land Wien) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Berufungsbescheid der Wiener Landesregierung vom 17. Jänner 1986 wurde die Beschwerdeführerin im Instanzenzug wie folgt schuldig erkannt:

1. Sie habe am 30. Jänner 1985 um 3.31 Uhr in Wien 10, Ada-Christen-Gasse bei der Wendstattgasse einen dem Kennzeichen nach bestimmten PKW gelenkt und als ursächlich Beteiligte an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden nicht ohne unnötigen Aufschub diesen Unfall bei der nächsten Polizeidienststelle gemeldet,

2. sie habe in der Folge an der Feststellung des Sachverhaltes nicht mitgewirkt, sondern in Wien 10, X-Gasse 1/1/1, Alkohol zu sich genommen,

3. sie habe anschließend um ca. 3.45 Uhr am Unfallort sich geweigert, ihre Atemluft von einem besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl habe vermutet werden können, daß sie sich beim Lenken des Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe.

Sie habe hiedurch die Verwaltungsübertretungen zu 1. nach § 4 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), zu 2. jene nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO und zu 3. jene nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO begangen. Es wurden Geld- und Ersatzarreststrafen verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsstrafakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Zu dem von der Beschwerdeführerin behaupteten Schockzustand sei vorweg auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen (z.B. Erkenntnis vom 11. Dezember 1978, Slg. N.F. Nr. 9719/A und die darauf folgende Rechtsprechung). Daß der körperliche Zustand der Beschwerdeführerin nach dem Unfall nicht den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 VStG herstellte, hat die belangte Behörde in schlüssiger Beweiswürdigung angenommen.

Nach den diesbezüglich mängelfreien Feststellungen der belangten Behörde hat nach dem Unfall weder die Beschwerdeführerin noch ihr Ehemann die nächste Polizeidienststelle verständigt. Zwischen dem Unfall um

3.31 Uhr und der Verweigerung der Atemluftprobe durch die Beschwerdeführerin, die nach ihrer Rückkehr an den Unfallort erfolgte (ca. 3.45 Uhr), verstrichen somit ca. 14 Minuten. Sie hat es in diesem Zeitraum unterlassen, von ihrer Wohnung aus - in der es nach der Zeugenaussage des Gert N einen Telefonanschluß gibt - die nächste Polizeidienststelle zu verständigen. Damit ist der Tatbestand des § 4 Abs. 5 StVO hergestellt.

Das von § 4 Abs. 1 lit. c StVO unter anderem umfaßte Verbot eines Nachtrunks von Alkohol (so die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, z.B. Erkenntnis vom 29. Jänner 1987, Zl. 86/02/0132 und die darin zitierte weitere Judikatur) besteht auch dann, wenn der Lenker während des Lenkens nicht alkoholisiert war (siehe Erkenntnis vom 24. Februar 1982, Zl. 03/3848/80 und die darin zitierte Vorjudikatur), und zwar jedenfalls so lange, bis eine amtliche Unfallaufnahme erfolgt ist und solange noch brauchbare Ergebnisse aus Untersuchungen hinsichtlich einer allfälligen Alkoholbeeinträchtigung zum Unfallszeitpunkt zu erwarten sind (siehe das oben zitierte Erkenntnis vom 29. Jänner 1987). Daher war auch hinsichtlich der Übertretung nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO der Tatbestand hergestellt.

Hinsichtlich der Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO ist aber das Verwaltungsstrafverfahren mit folgendem Mangel behaftet:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 28. Februar 1986, Zl. 85/18/0376) rechtfertigt allein das Geständnis des Alkoholkonsums innerhalb von weniger als drei Stunden vor der Aufforderung zur Atemluftprobe die letztere. Im vorliegenden Fall wurde aber nicht festgestellt, auf welchen Zeitpunkt des Alkoholkonsums sich das Geständnis der Beschwerdeführerin bezog: In der Anzeige heißt es, die Beschwerdeführerin habe gegenüber dem Meldungsleger angegeben, "am Abend" - offenbar des Vortages 29. Jänner 1985 - "Campari-Soda und einige Achterln Wein" getrunken zu haben. Im angefochtenen Bescheid heißt es (dort Seite 3) "gab die Berufungswerberin ihm gegenüber Alkoholgenuß vor Fahrtantritt zu". Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. Erkenntnis vom 19. März 1987, Zl. 86/02/0130 und die ferner dort zitierte Judikatur) ist für die Berechtigung der Aufforderung zur Atemluftprobe dann, wenn ein Zeitraum von 4 Stunden und 15 Minuten zwischen der Beendigung des Lenkens und der Aufforderung zur Atemluftprobe liegt, eine besondere Begründung zu geben dahin, warum trotz der verstrichenen längeren Zeit von einer Atemluftprobe noch verwertbare Ergebnisse zu erwarten seien. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Ansicht, daß das alleinige Ausreichen eines Geständnisses des Lenkers für die Berechtigung zur Durchführung der Atemluftprobe ebenfalls mit etwa diesem Zeitraum zu beschränken ist; ist dieser Zeitraum verstrichen, so kann nicht mehr auf das Geständnis zurückgegriffen, sondern es müssen, "Alkoholisierungssymptome" festgestellt werden. Dies hat im vorliegenden Fall die belangte Behörde zwar auf Grund der Anzeige und der Zeugenaussage des Meldungslegers getan (Seite 3 des angefochtenen Bescheides), hat jedoch zur Klärung dieser Tatfrage den Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugin Margarete A deshalb abgelehnt (Seite 6 des angefochtenen Bescheides), weil "die Durchführung dieser Beweisaufnahme das gestellte Beweisthema nicht erfaßt hätte - die Berufungswerberin wurde ja wegen Verweigerung der Atemluftprobe und nicht wegen Lenkens in einem alkoholbeeinträchtigten Zustand bestraft". Dabei übersah die belangte Behörde den Umstand, daß der Beweisantrag der Beschwerdeführerin vom 29. Mai 1985 dahin ging, Margarete A könne bekunden, daß die Beschwerdeführerin bei dem gegenständlichen Vorfall "in keiner Weise alkoholisiert" gewesen sei. Dieses Beweisthema umfaßt nach seinem Wortverständnis nicht nur (verneinend) die völlige Fahruntüchtigkeit der Beschwerdeführerin im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO, sondern auch das Vorliegen von Alkoholisierungssymptomen im Sinne des § 99 Abs. 1 lit. b StVO.

Wegen des zuletzt aufgezeigten Verfahrensmangels war der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b StVO gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere 50 VwGG, in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlichen Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist.

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