Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Berufungsbescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. September 1985 wurde die Beschwerdeführerin im Instanzenzug für schuldig erkannt, sie habe am 18. Oktober 1983 in der Zeit von 20.13 Uhr bis 20.30 Uhr ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Kraftfahrzeug in Wien 1., Philharmonikerstraße 1, abgestellt und dabei die Alarmblinkanlage eingeschaltet gehabt, obwohl am Fahrzeug keine Panne vorgelegen sei, und obwohl das Einschalten der Alarmblinkanlage nur zur Warnung bei Pannen erlaubt ist. Sie habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 102 Abs. 2 des Kraftfahrgesetzes 1967 (KFG) begangen; es wurde eine Geld- und Ersatzarreststrafe verhängt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluß vom 1. März 1986, Zl. B 651/85, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend, führt aber in den Gründen aus, sie sei dadurch beschwert, daß der Zeuge A verspätet und der Zeuge B überhaupt nicht einvernommen worden sei.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof kann auf Grund des angefochtenen Bescheides, des Inhaltes der Verwaltungsakten und des Beschwerdevorbringens keine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erkennen. Es liegt aber folgender, von Amts wegen wahrzunehmender (§ 41 Abs. 1 VwGG) Verfahrensmangel vor.
Die belangte Behörde konnte zwar in Ausübung der freien Beweiswürdigung annehmen, daß am Ende der Tatzeit nicht ein Mann, sondern die Beschwerdeführerin selbst mit dem Kraftfahrzeug weggefahren sei; sie durfte aber zu dieser Feststellung nur auf Grund eines mängelfreien Verfahrens kommen. Die Beschwerdeführerin hat das Gegenteil behauptet und sich hiebei auf die Vernehmung des Zeugen Oskar B berufen. Diesem, so die Beschwerdeführerin in ihrer Vernehmung am 5. März 1984, sei es auf Grund des telefonischen Ratschlages des ARBÖ gelungen, das Fahrzeug zu starten und wegzufahren.
Es widerspricht den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens, sich hinsichtlich einer zu einem wesentlichen Beweisthema als Zeugen beantragten Person mit deren telefonischer Auskunft zu begnügen, sie wisse über den Sachverhalt nichts. Wendete man diesen Gedankengang der belangten Behörde allgemein an, so könnte sich jedermann durch eine solche telefonische Auskunft von einer allenfalls unangenehmen Zeugenaussage befreien.
Es wäre daher Sache der belangten Behörde gewesen, die beantragte Person als Zeugen zu vernehmen.
Die belangte Behörde hat nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes auch im folgenden weiteren Punkt gegen das Gebot einer schlüssigen Beweiswürdigung (dies zum Unterschied von einer richtigen Beweiswürdigung), beides im Sinne des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053, verstoßen:
Die Behörde führte auf Seite 5 des angefochtenen Bescheides aus:
"Der Zeuge Albert A konnte bei der Einvernahme am 20.2.1985 ... zwar angeben, daß er im Oktober 1983 für eine Dame den ARBÖ angerufen habe, konnte aber nicht eindeutig bestätigen, daß dies am 18. Oktober 1983 geschehen sei, sondern sagte er hiezu lediglich aus, es könne der 18.10.1983 gewesen sei. Die Aussage des Zeugen war für das gegenständliche Verfahren wertlos, weil der Zeuge nicht konkret angeben konnte, daß es sich bei der Dame tatsächlich um die Berufungswerberin gehandelt und daß er konkret am 18.10.1983 zwischen 20.13 Uhr und 20.30 Uhr den ARBÖ angerufen hätte."
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 24. April 1987, Slg. N.F. Nr. 12.454/A, ausgesprochen, es entspräche der Lebenserfahrung, daß ein Zeuge nach einiger Zeit ein Ereignis, das im Zeitpunkt seines Eintrittes für ihn keinen besonderen Auffälligkeitswert hatte, ohne besondere Anhaltspunkte zeitlich nicht mehr einem datumsmäßig bestimmten Tag zuordnen kann.
Es ist demnach die Ansicht der Behörde, die Zeugenaussage des Albert A sei deshalb wertlos, weil sich der Zeuge nicht an den genauen Zeitpunkt des behaupteten Ersuchens der Beschwerdeführerin erinnern konnte, und weil der Zeuge die Beschwerdeführerin offenbar nicht dem Namen nach kannte, unschlüssig.
Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG sowie Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlichen Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206. Das Mehrbegehren war als in dieser Verordnung nicht gedeckt abzuweisen, die Umsatzsteuer ist im Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand bereits enthalten.
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