VwGH 90/19/0012

VwGH90/19/001218.6.1990

K gegen Wiener Landesregierung vom 12. September 1989, Zl. MA 12-13808/89, betreffend Sozialhilfe

Normen

AVG §3 litc;
AVG §58 Abs2;
JN §66 Abs1;
SHG Wr 1973 §38;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §42 Abs2;
VwRallg;
AVG §3 litc;
AVG §58 Abs2;
JN §66 Abs1;
SHG Wr 1973 §38;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §42 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 11. Mai 1989 auf Zuerkennung einer Geldaushilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes "abgewiesen". Nach der Begründung habe die erstinstanzliche Behörde die Abweisung des Antrages auf Gewährung einer Geldaushilfe nach dem Wiener Sozialhilfegesetz darauf gestützt, daß sich der ordentliche Wohnsitz der Antragstellerin laut Meldezettel nicht in Wien, sondern im Burgenland befinde. In ihrer Berufung habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, daß es zwar richtig sei, daß sich ihr ordentlicher Wohnsitz im Burgenland befinde, sie sehe sich aber aus beruflichen und verkehrstechnischen Gründen gezwungen, einen Großteil des Jahres in Wien zu verbringen. Sie sei ausgebildete Lehrkraft für Maschinschrift und Stenographie und habe vom 26. September 1988 bis 31. August 1989 mit befristetem Dienstvertrag an einer privaten Hauptschule in Wien vier Stunden pro Woche unterrichtet. Damit habe sie ein Einkommen in der Höhe von S 2.346,-- pro Monat erzielt. Die Beschwerdeführerin wohne - mit Sondergenehmigung - seit 3. Oktober 1988 in einem Wiener Studentinnenheim. § 38 des Wiener Sozialhilfegesetzes regle die örtliche Zuständigkeit. Demnach seien für die Gewährung von Sozialhilfe die Organe des Landes Wien örtlich zuständig, wenn der Hilfesuchende seinen ordentlichen Wohnsitz oder mangels eines solchen seinen Aufenthalt in Wien habe. Die Abweisung durch die erstinstanzliche Behörde sei zu Recht erfolgt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorweg wird bemerkt, daß es sich bei der "Abweisung" des Antrages der Beschwerdeführerin auf Sozialhilfe um ein Vergreifen im Ausdruck handelt, weil mit dem angefochtenen Bescheid - wie sich aus seiner Begründung ergibt - kein meritorischer Abspruch, sondern der Sache nach eine Zurückweisung des Antrages wegen örtlicher Unzuständigkeit erfolgt ist. Durch dieses Vergreifen im Ausdruck wurde die Beschwerdeführerin jedoch in keinem Recht verletzt (vgl. n.v.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. September 1987, Zl. 87/02/0100).

Gemäß § 38 des Gesetzes über die Regelung der Sozialhilfe - WSHG, Wiener LGBl. Nr. 11/1973 i.d.F. der Novelle LGBl. Nr. 17/1986, sind für die Gewährung von Sozialhilfe die Organe des Landes und der Gemeinde Wien örtlich zuständig, wenn der Hilfesuchende seinen ordentlichen Wohnsitz oder mangels eines solchen seinen Aufenthalt in Wien hat.

Die Terminologie der österreichischen Gesetzgebung will seit Jahrzehnten den Ausdruck "Wohnsitz", wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt wird, stets in dem Sinne verstanden wissen, den § 66 Abs. 1 JN hiefür gesetzt hat. Nach dieser Bestimmung ist der Wohnsitz einer Person an dem Orte begründet, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Der Begriff des Wohnsitzes schließt demnach ein Zweifaches in sich, nämlich ein tatsächliches Moment - die Niederlassung in einem Orte - und ein psychisches, und zwar die Absicht, in dem Orte der Niederlassung bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Die Begründung eines Wohnsitzes setzt einen tatsächlichen ununterbrochenen Aufenthalt an diesem Ort nicht voraus, vielmehr kann auch ein aus einem bestimmten Anlaß zeitlich beschränkter Aufenthalt einen Wohnsitz begründen, wobei der polizeilichen Anmeldung kein entscheidendes Gewicht beizumessen ist. Eine Person kann auch mehrere Wohnsitze haben, wobei die Begründung eines neuen Wohnsitzes noch nicht bedeutet, daß der alte Wohnsitz aufgegeben werden muß. Der Aufenthaltsort muß allerdings bewußt zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt gemacht werden, es darf sich bei dieser Wahl um keine Provisorialmaßnahme handeln (vgl. zum Ganzen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Dezember 1987, Zl. 87/03/0189, und die dort angeführte Vorjudikatur).

Auf dem Boden dieser Rechtslage durfte die belangte Behörde nicht allein auf Grund der Angaben im Meldezettel und des Umstandes, daß die - damals nicht anwaltlich vertretene - Beschwerdeführerin in ihrer Berufung von einem "ordentlichen Wohnsitz A" sprach, sowie der Befristung des Dienstvertrages mit 31. August 1989 das Bestehen eines ordentlichen Wohnsitzes in Wien ausschließen. Die Beschwerdeführerin hatte in ihrer Berufung auch vorgebracht, daß sich die "Hauptmeldung (ordentlicher Wohnsitz A)" bei ihren Eltern - nur daher noch immer - erklären lasse, daß sie "durch die Arbeitssuche" sehr selten erreichbar und letzten Endes vom Wohlwollen ihrer Eltern abhängig sei, die ihr hin und wieder etwas zuschössen, damit sie nicht verhungere, "sie verbringe jedoch den Hauptanteil ihrer Lebensinteressen" in Wien. Mit diesem Vorbringen setzte sich die belangte Behörde nicht auseinander und unterließ es insbesondere, in der Begründung ihres Bescheides einerseits die für die Verneinung des dem Wohnsitzbegriff innewohnenden psychischen Momentes, nämlich die Absicht, in Wien den bleibenden - wenn auch aus Anlaß der Berufsausübung allenfalls zeitlich beschränkten - Aufenthalt zu nehmen und diesen Aufenthalt bewußt zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt der Lebensführung zu machen, und andererseits die für die Bejahung einer solchen Absicht in bezug auf A maßgebenden Erwägungen vollständig unter Erörterung sämtlicher vor der Beschwerdeführerin vorgebrachter Gesichtspunkte aufzuzeigen und entsprechende Feststellungen zu treffen. Die Ausführungen in der Gegenschrift vermögen die fehlenden Erörterungen und Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht zu ersetzen (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 607 angeführte Judikatur).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte