VwGH 90/11/0142

VwGH90/11/01424.12.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Mai 1990, Zl. MA 70-8/188/90, betreffend Zwangsstrafe, zu Recht erkannt:

Normen

KFG 1967 §75 Abs4;
VVG §10 Abs2 lita;
KFG 1967 §75 Abs4;
VVG §10 Abs2 lita;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Mai 1990 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 5 VVG 1950 eine Geldstrafe von S 3.000,-- verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Nach der (insoweit im Spruch enthaltenen) Begründung des angefochtenen Bescheides wurde die Zwangsstrafe verhängt, weil der Beschwerdeführer "trotz des Schreibens vom 12.2.1990, GZ. III-Entz. 2317/VA/90, der Verpflichtung, den Führerschein, Zahl 802574/89, ausgestellt mit 22.12.1989 von der Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, für die Gruppen B, C, E, F, G, binnen drei Tagen der Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, abzugeben, nicht nachgekommen ist". Mit dem genannten "Schreiben" wurde über den Beschwerdeführer eine Zwangsstrafe von S 1.000,-- wegen Nichtabgabe des bezeichneten Führerscheins verhängt (Punkt I) und ihm die Verhängung einer weiteren Zwangsstrafe von S 3.000,-- angedroht, sollte er seiner Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins nicht innerhalb von drei Tagen nachkommen (Punkt II). In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird ausgeführt, mit Berufungsbescheid der belangten Behörde vom 7. November 1989 sei dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen B, C, E, F und G entzogen und ausgesprochen worden, daß ihm bis 17. Jänner 1991 keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe. Durch den vom Beschwerdeführer in seiner Berufung eingewendeten Umstand, daß ihm die Erstbehörde nachträglich (am 22. Dezember 1989) einen neuen Führerschein unter der oben genannten Zahl ausgestellt habe, sei die Entscheidung vom 7. November 1989 weder aufgehoben noch ersetzt worden. Nach § 75 Abs. 4 KFG 1967 bestehe die Pflicht zur unverzüglichen Ablieferung des über die entzogene Lenkerberechtigung ausgestellten Führerscheins. Dieser seiner Verpflichtung sei der Beschwerdeführer trotz Androhung einer Zwangsstrafe bisher nicht nachgekommen.

Der Beschwerdeführer macht wie schon in seiner Berufung die Unzulässigkeit der Vollstreckung geltend. Er habe nach Zustellung des Entziehungsbescheides der belangten Behörde vom 7. November 1989 an seinen Rechtsvertreter (am 30. November 1989) versucht, neuerlich eine Lenkerberechtigung zu erhalten, und es sei ihm von der Erstbehörde aufgrund seines Antrages vom 7. Dezember 1989 am 22. Dezember 1989 ein neuer Führerschein unter der Zahl 802574/89 ausgestellt worden. Da gemäß § 71 Abs. 4 KFG 1967 die Ausstellung eines Führerscheins nur bei Vorliegen der Voraussetzungen für die in Betracht kommende Lenkerberechtigung zulässig sei, stelle die Entscheidung vom 22. Dezember 1989 eine Derogierung des Entziehungsbescheides vom 7. November 1989 dar. Es fehle jedwede Begründung für die nunmehrige Zurücknahme des ihm durch die Ausstellung eines neuen Führerscheins am 22. Dezember 1989 erwachsenen Rechtes.

Voraussetzung für eine Vollstreckung ist, daß überhaupt ein entsprechender Titelbescheid vorliegt, daß dieser gegenüber dem Verpflichteten wirksam geworden ist und daß der Verpflichtete seiner Verpflichtung innerhalb der festgesetzten Frist und bis zur Einleitung des Vollstreckungsverfahrens nicht nachgekommen ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa die Erkenntnisse vom 29. September 1960, Slg. 5381 A, und vom 14. September 1972, Slg. 8284 A). Die Unzulässigkeit einer Vollstreckung kann auch die Folge einer nach Erlassung des Titelbescheides eingetretenen wesentlichen Änderung des Sachverhaltes sein, und zwar dann, wenn der neue Sachverhalt die Erlassung eines auf demselben Rechtsgrund beruhenden, mit dem Titelbescheid im Spruch gleichlautenden Bescheides ausschlösse (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Mai 1973, Slg. 8416 A, und vom 15. Dezember 1975, Slg. 8946 A). Ausgehend von dieser Rechtslage ist daher vorerst zu prüfen, ob im vorliegenden Fall überhaupt ein Titelbescheid vorliegt. Wäre dies zu verneinen, so erübrigte sich die Prüfung der weiteren Frage, ob die Ausstellung des neuen Führerscheines für den Beschwerdeführer am 22. Dezember 1989 (nach dem Vorbringen der belangten Behörde handle es sich dabei lediglich um einen "Duplikatführerschein") als wesentliche Änderung des Sachverhaltes nach Erlassung des Titelbescheides anzusehen ist; darauf läuft das Beschwerdevorbringen im Ergebnis hinaus.

Weder im vorliegend angefochtenen noch in dem mit ihm bestätigten Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 4. April 1990 wird jener Bescheid genannt, der dem Beschwerdeführer gegenüber rechtsverbindlich die Verpflichtung zur Abgabe des am 22. Dezember 1989 zur Zahl 802574/89 ausgestellten Führerscheins ausspricht und dessen Durchsetzung die gemäß § 5 VVG verhängte Zwangsstrafe dienen soll. Ein Titelbescheid im besagten Sinn erging nach der Aktenlage hinsichtlich des (über die mit Bescheid der belangten Behörde vom 7. November 1989 rechtskräftig entzogene Lenkerberechtigung ausgestellten) Führerscheins der Erstbehörde vom 31. August 1988, Zahl 742631/88 (siehe den Spruch des Mandatsbescheides der Erstbehörde vom 27. Dezember 1988; dieser wurde durch den Vorstellungsbescheid vom 25. Juli 1989 und letztlich durch den erwähnten Berufungsbescheid vom 7. November 1989 bestätigt). Der Beschwerdeführer wurde weiters mit Bescheid der Erstbehörde vom 11. Jänner 1990 gemäß § 75 Abs. 4 KFG 1967 zur Abgabe seines am 22. Dezember 1989 ausgestellten Führerscheins Zahl 802574/89 verpflichtet. Dieser Bescheid wurde aber aufgrund der dagegen erhobenen Berufung mit Bescheid der belangten Behörde vom 19. Februar 1990 ersatzlos mit der Begründung behoben, es bestehe bereits in Zusammenhang mit dem Entziehungsbescheid die gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins, sodaß für eine zusätzliche individuelle bescheidmäßige Aufforderung kein Raum bestehe; im übrigen enthalte bereits der Entziehungsbescheid die Ablieferungsverpflichtung gemäß § 75 Abs. 4 KFG 1967. Diese Rechtsansicht kommt auch im vorliegend angefochtenen Bescheid zum Ausdruck.

Richtig ist zwar, daß gemäß § 75 Abs. 4 KFG 1967 bereits ein vollstreckbarer Entziehungsbescheid die (unter Strafsanktion gestellte - § 134 Abs. 1 in Verbindung mit § 75 Abs. 4 leg. cit.) Verpflichtung zur unverzüglichen Ablieferung des über die entzogene Lenkerberechtigung ausgestellten Führerscheins auslöst. Soll diese Verpflichtung aber im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden, so bedarf es entgegen der Meinung der belangten Behörde der Erlassung eines Bescheides, mit dem die Verpflichtung zur Ablieferung des betreffenden Führerscheins ausgesprochen wird (Titelbescheid). Wie bereits ausgeführt, wurde im vorliegenden Fall zwar zunächst ein solcher Titelbescheid in Ansehung des Führerscheins vom 22. Dezember 1989 erlassen, er wurde aber in der Folge wieder aufgehoben. Der Entziehungsbescheid vom 7. November 1989 kommt als Titelbescheid schon aus zeitlichen Gründen nicht in Betracht. Davon abgesehen wurde mit ihm dem Beschwerdeführer nur der Auftrag zur Ablieferung des Führerscheins vom 31. August 1988 erteilt. Aus dem Fehlen eines Titelbescheides hinsichtlich des am 22. Dezember 1989 ausgestellten Führerscheins folgt im Hinblick auf die oben dargestellte Rechtslage notwendig die Unzulässigkeit der gegenständlichen Vollstreckung und damit die Rechtswidrigkeit der Verhängung einer Zwangsstrafe. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

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